Fassung vom 6.3.05

Dieser Text dient der Unterlegung von:

"Thesen zum Verh�ltnis von �konomischen und kulturellen Werte"

Wolfram Pfreundschuh (03/2005)

Zum Verh�ltnis von �konomischen und kulturellen Werten
und zur Entstehung von Faschismus �berhaupt

 

Die bürgerliche Gesellschaft hatte sich von den persönlichen Abhängigkeiten des Feudalismus frei gemacht, die durch Geburt schon bestimmten Unterschiede der Menschen als Standeswesen aufgehoben und die allgemeine menschliche Verbundenheit zu ihrem Zweck bestimmt. Die Menschen sind darin ihrem idealen Begriff nach als Personen frei, gleich und sozial; aber in ihrer konkreten Wirklichkeit ist ihre Freiheit, Gleichheit und Verbundenheit nur durch ihren Besitz bestimmt. So ist die bürgerliche Gesellschaft keine Gesellschaft freier Menschen, wiewohl die Abstraktionen im Begriff dieser Gesellschaft als freie Sachbezogenheiten, als beliebige Sachlichkeit real sind, reale Abstraktionen des Marktverhältnisses, des Verhältnisses der Güter auf dem Warenmarkt, die dort frei getauscht und verglichen werden, um allgemein nützlich zu sein, um allgemein Wert zu haben. Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit ist die ideele Reflexion ihres Wertseins, der Zirkelschluss von Sein und Reflexion geistloser Verhältnisse als ihre politische Affirmation. Ideologie ist die Substanz, das Unterstellte eines Werturteils und von daher auch das Verhalten zu Wertverhältnissen, welches die Verhältnisse des Werts affirmiert, ihre Vorherrschaft also auch gut findet und will: Herrschende Moral.

Die Ideale des b�rgerlichen Selbstverst�ndnisses, also dessen Ideologien, bestanden eigentlich daraus, Zielvorstellungen positiv zu beschreiben, um die wirklichen Verh�ltnisse als ideell logisch zu beschlie�en, um also deren sachliche Notwendigkeit durch ihre ideelle zu best�tigen. Ideale waren der Grund b�rgerlicher Bestrebungen, der Appell an gemeinschaftliche Ziele und zugleich die Legitimation f�r die Verh�ltnisse, die sie idealisierten und von deren praktischen Notwendigkeiten sie absahen, diese wie selbstverst�ndliche Opfer f�r das Ideal und also als notwendiges Opfer ansahen. Es waren die Verh�ltnisse des Warenmarktes, auf dem jeder frei und gleich und gerecht sein muss, damit der Besitzstand funktioniert, das Privateigentum sich entfaltet und sich die Wertgesetze dort einregeln k�nnen, Waren und Arbeitskr�fte zu ihrem Preis gehandelt werden, der das Leben der Menschen in allem Drum und Dran bestimmt – dass eben nur gut sein soll, was f�r das Verh�ltnis der Sachen gedeihlich ist. Es macht die �konomie dieser Versachlichung aus, die Bewirtschaftung sachlicher Vernunft, dass sich das Verh�ltnis der Menschen politisch hiernach richtet. B�rgerliche Politik behandelt diese Verh�ltnisse nach ihrer Idealit�t – und diese ist ihr Wertsein als Selbstreflexion ihrer Sachzw�nge. Die Kritik der politischen �konomie ist die Selbstunterscheidung der Menschen von der Selbstbezogenheit der Sachzw�nge.

Ideale und Werturteile

Es ist das bürgerliche Geschäft zwischen Freiheit und Notwendigkeit, das Ideologie betreibt: Was den Menschen nötig ist, um es zu besitzen, das erscheint ihnen auch als ihre Freiheit, wenn sie es haben. Worin sie sich vergleichen müssen, um damit zu handeln, das erscheint ihnen auch als ihre Gleichheit, wenn sie es tauschen können. Ihre wirkliche Beziehung ist in dieser Idealität sowohl reflektiert, als auch in ihrer Abstraktheit bewahrt. Die wirklichen Werte wirken auch gedanklich in ihrer Idealisierung und binden das praktische Bewusstsein an die Notwendigkeiten der Sachverhältnisse, wie umgekehrt die Sachverhältnisse die Idealisierung erst hervorrufen, weil und solange sie selbst widersprüchlich sind. Die Idee ihrer Einheit ist gedanklich das, was real auch ihren Wert ausmacht: Die Unterschiedslosigkeit der bestehenden Gegensätze in ihrer abstrakten Einheit, in ihrer gedanklichen wie auch realen Abstraktion. Die Gedankenabstraktion ist für das Bestehende der notwendige Schein der Realabstraktionen, um mit den Gegebenheiten so einverstanden zu sein, wie sie sind, um also von ihrer Veränderung, die Aufhebung ihrer Widersprüche zu lassen.

Die Menschen sind frei und gleich und solidarisch, damit sie die Ungleichheit ihres Besitzstandes, die Unfreiheit ihrer Existenzbestimmung und die Konkurrenz in ihren Verh�ltnissen als notwendiges �bel begreifen. Das muss ihnen niemand sagen; so erscheinen die Verh�ltnisse des Warentausches von selbst. Es ist die Vernunft ihrer Verh�ltnisse, wenn sich die Menschen auf den Warenm�rkten begegnen – soweit sie sich nur �ber ihre Sachen und nicht als Menschen aufeinander beziehen.

So auch in der Kultur. Ihre Sittlichkeit ist der ideelle Ausdruck dessen, was sinnlich n�tig ist, um Sinn f�reinander zu haben. Was sinnlich unvermittelt ist, wird durch Sittlichkeit zu einer vern�nftigen Beziehung. Es ist die Vernunft ihrer Gepflogenheiten, durch die sie sich als Menschen wertsch�tzen, soweit sie sich nicht wirklich menschlich aufeinander beziehen k�nnen. Von daher bestehen die Ideale ihres Menschlich-Seins als G�tesiegel ihres Verhaltens, als Forderung nach gutem Menschsein (Ethik), wie als F�rderung menschlicher G�te. Es ist die Vorstellung von einer menschlichen Welt, die sich nicht aus den wirklichen Beziehungen der Menschen ergibt, sondern aus ihrem idealen Sinn, dem abstrakten Sinn menschlicher Bezogenheiten. Das eben macht kulturelle Werte aus, die auf abstrakt sinnlicher Beziehung beruhen. Es sind die Ideale der b�rgerlichen Kultur, die als Kulturwerte die zwischenmenschlichen Abh�ngigkeiten der Menschen f�reinander regeln. Sie klagen Sittlichkeit ein und verlangen nach einer ethischen Begr�ndung f�r das Tun, das zum Erhalt eines Ganzen notwendig erscheint. Kulturwerte reagieren auf eine abstrakte Notwendigkeit des kulturellen Ganzen, das f�r sich keine Wirklichkeit hat. Lediglich im Mangel gegen�ber diesem besteht die Notwendigkeit f�r kulturelle Bewertungen. Sie sollen Ganzes erzeugen, wo nichts ganz sein kann, Heil bringen, wo etwas Unheiles (oder auch nur Unheilvolles) ist. Sobald sie hierf�r notwendig werden, sind sie aber auch schon Urteil: Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten und dessen Wertung.

In ihrer Funktion f�r das kulturelle Ganze k�nnen solche Werte nicht f�r sich glaubhaft ethisch sein. F�r ihre Best�rkung ist vonn�ten, dass sie selbst auch praktisch und allgemein als kulturnotwendig gelten, selbst als Sinn einer kulturellen Allgemeinheit fungieren k�nnen, die regelt, was sich f�gen muss, weil sich nichts von dem wirklich f�gt, was nur durch sich geregelt ist. Durch sich erscheint jedes kulturelle Sein unendlich beliebig, weil es innerhalb der b�rgerlichen Gesellschaft selbst schon auf einer beliebigen Allgemeinheit gr�ndet: Auf dem anarchischem Verhalten des Werts, den die Wertverh�ltnisse dort untergehen lassen, wo er gerade aufgegangen war und der dort aufgeht, wo nichts war, was wert gewesen w�re, zu sein. Das best�ndige Entstehen und Vergehen von Werten verschafft der �konomie ihre Wertigkeiten f�r das Kapitalverh�ltnis, l�sst W�hrungen kreiseln und Kurse schwanken und Kapital entstehen und Kapital vernichten. Dem gegen�ber erscheint nur Kultur als Ganzes genommen f�r die Menschen best�ndig. In ihrem Brauchtum und ihrer kulturellen Tradition steckt Geschichte, die schon dadurch Wert hat, dass ihr Bestand �ber das Verhalten der Werte hinausgeht. Sitten ver�ndern sich zwar, aber eben doch z�h und im gemeinen Ma� der Seelen, die darin aufgegangen sind. Sie verharren gerne in den Gewohnheiten, in den Wohnst�tten ihrer Gef�hle und im zwischenmenschlichen Verkehr. Ihre Tr�gkeit verf�hrt zur Konservierung und das Konservative lebt vom Wert ihrer Zeitlosigkeit, die ihrer R�umlichkeit geschuldet ist, ihrer Lokalit�t und deren Organismen, dem konkret scheinenden Gemeinwesen, das wie ein Organismus des Menschlichen schlechthin gilt, wenn dessen Geschichte vergangen und vergessen ist.

Das in seiner Geschichtslosigkeit abstrahierte Gemeinwesen hat den Wert gemeiner Menschlichkeit, die f�r sich zwar abstrakt und daher �u�erst rigid zu einer nicht vorhandenen Wirklichkeit des ideell Gemeinen steht, dieses daf�r aber um so mehr begeistert und will, je sinnloser jede gesellschaftliche Wirkung in solcher Gemeinschaft ist. Hierzu begr�ndet sich der kulturelle Wert als Allgemeinwille, als allgemeine Notwendigkeit an sich, an der gemessen jeder einzelne Wille blo�e Willk�r ist. Und hierf�r ersteht dann auch so nach und nach der altbekannte Kulturbegriff f�r das Ganze: "das Volk". Damit ist nicht nur die Bev�lkerung gemeint. Damit soll bezeichnet sein, was ja schon die Zusammennahme eines wirtschaftenden Gemeinwesens, einer Kultur und eines politischen Entscheidungsraumes ausmacht: Nation. Der ethnische Begriff appelliert im politischen vor allem an die Gesellschaftlichkeit der Menschen, zitiert Zusammenh�nge herbei, die bislang ohne Bedeutung schienen, solange "alles wie von selbst" lief. Es fallen dann auch schnell und meist unter der Hand Bewertungen f�r das Eine oder Andere, die sich nicht mehr konkret als Beurteilung ausweisen, sondern sich aus solchen Allgemeinzusammenh�ngen begr�nden, aus Allgemeinheiten, die ausschlie�lich f�r einen vollst�ndig abstrakten Zusammenhalt stehen und nur dadurch durchsetzbar werden, dass die Sorge hierzu geteilt wird. Und damit wird der h�chste Rechtfertigungsgrad eines Gemeinwesens f�r ein politische Handeln bem�ht, dessen Zweck ohne dies wohl nicht mehr zu legitimieren, dessen Funktionen durch sich selbst, also durch die in ihm wirkenden Kr�fte nicht mehr wirklich aufrecht zu erhalten w�re.

 

Verwertung und Gemeinwesen

Wenn die politische Klasse von der Bedeutung sozialer, ethischer oder gar kultureller Werte spricht, dann ist was faul im Staat. Niemand sonst ist so verbissen in die Sachzw�nge der Wirtschaft, in die Vollstreckung der Sachgewalten. Schlie�lich hat sie f�r deren allgemeine Funktion auch Gew�hr zu bieten. Sie ist durch nichts davon abzuhalten, deren Interessen zu verfolgen, Wachstum zu f�rdern und "Konjunktur zu beleben". Der Staat ist selbst zwar nicht Kapital, insgesamt aber besorgt er die Bedingungen der Wertproduktion und der Wertzirkulation, zwar im Gro�en und Ganzen eher reproduktiv als produktiv, aber wenn die produktive Reproduktion der Wertverh�ltnisse, wenn das Wertwachstum funktioniert, dann funktioniert auch der Staat. Auch ihm steht dann das n�tige Geld zur Verf�gung. Im sogenannten Allgemeinwohl seiner Bev�lkerung ist Kapital dadurch wirksam, dass die Geldeinlagen in den Staat, also Steuern, Sozialabgaben und Staatsanleihen im Gro�en und Ganzen den Lebensstandard weiterbringen. Im Allgemeinwohl zeigt sich die wirtschaftliche Prosperit�t oder Krise des Geldes, seine Wertsicherheit oder Wertunsicherheit, ob es nun als Kapital fungiert oder als allgemeines Reproduktionsmittel des Sozialwesens, der Infrastruktur und des allgemeinen Sach- und Geldverkehrs.

Der b�rgerliche Staat vertritt nur ideell das Gesamtkapital und ist reell ein Gemeinwesen, durch das sich die organischen Grundlagen der Produktion und Zirkulation von Kapital (Ausbildung, Gesundheit, Verkehr, Geldwirtschaft) reproduzieren und erneuern. Als Form eines Gemeinwesens hat dieser Staat eine �ffentlichkeit, die sich aus allen Privatheiten heraush�lt, aber ihre Verh�ltnisse regelt. Deren Konkurrenzbeziehungen machen ihre Besonderheit aus, die sich f�r sich nicht erhalten k�nnen, bestehen sie doch darin, einander zu beschr�nken, zu benutzen und nieder zu machen. Um ihren Verkehr dennoch zu erhalten, den erworbenen Reichtum und Lebensstandard vor der Vernichtung durch Einzelinteressen zu sch�tzen, arbeiten die staatlichen Institutionen f�r den Erhalt des gemeinen Lebens, wie es durch Wertsicherheit, Bildung, Gesundheit, Vorsorge und Recht f�r die allgemeine Funktion der privaten Verh�ltnisse n�tig ist.

Indem aber das Kapital als h�chste Allgemeinheit dieser Verh�ltnisse in privater Hand ist, muss ihm der b�rgerliche Staat auch in hohem Ma�e entsprechen. Von daher ist er nicht so �ffentlich, wie er sich gibt. Durch die politische Klasse formuliert sich immer auch das Allgemeininteresse der Kapitaleigner, die nichts anderes im Sinn haben, als ihr Privatinteresse an Verm�gen und Verf�gungsmacht zur allgemeinen Notwendigkeit zu erheben. Als dieses allgemeine Privatinteresse formuliert das Kapital seinen Willen in den politischen Entscheidungen des Staates dadurch, dass es seine Perspektiven als �bergeordnete wirtschaftliche Notwendigkeiten vertreten kann. Nur wenn es ihm gut geht, geht es auch dem Kapitalismus gut, und der ist nun mal die allgemeine Gesellschaftsform, die der b�rgerliche Staat in ihrem Fortbestand zu sichern und zu besorgen hat. Aber f�r deren Finanzierung entzieht sich das Kapital ihm weitgehend, drosselt seine Steuerabgaben durch Abschreibung seiner Kapitalakkumulationen und durch Abwanderung von Kapitalertr�gen in Steueroasen. Der gr��te Teil der Steuern f�r das Gemeinwesen muss von der Bev�lkerung eingebracht werden, die auf Heller und Pfennig ihre Einnahmen verrechnen muss. Diese Einnahmen sind aber sowieso nichts anderes, als das, was zum Leben gebraucht wird. Steuern werden also weniger aus dem Mehrwert eingebracht, was man annehmen m�sste, wenn man ihn als gesellschaftliches Produkt ansehen w�rde. Nicht mal die Mehrwertsteuer hat wirklich damit zu tun, - sie ist Steuer f�r den Warenendverbrauch jedweder Art, von der das kummulierte Kapital (z.B. Technologie, Maschinerie) durch Abschreibung abgeglichen wird. Nur in einem sehr viel geringerem Ma�e wird Steuer aus dem wirklichen Mehrprodukt gezogen, denn dieses erscheint als Profit, der sich durch Akkumulation zum gro�en Teil aufrechnet oder der als Aktienkapital nur minimal versteuert wird. Der Gro�teil des Steueraufkommens entspringt der Gebrauchssteuer und Lohnsteuer aus der Lohnarbeit, also aus dem reproduktiven, dem variablen Kapital. Was den einzelnen Lohnah�ngigen abverlangt wird, macht die Masse der Eink�nfte des Staates aus. Das Gemeinwesen Staat ist somit nur gemein f�r die Reproduktion der Bev�lkerung, f�r das Kapital ist er ein allgemeines Privatwesen, das ganz in dessen Sinn funktionieren muss, das Leitwerte der Verzinsung aus dem Durchschnitt der allgemeinen nationalen Profitrate berechnet und mit seiner Geld- und Zinspolitik den Anliegen der Kapitalinvestitionen folgt. F�r den Mehrwert ist der Staat vor allem ein guter Schuldner, eine Agentur, die hohe Wertsicherheit zum bunkern von Wert bietet und dem ein Gl�ubiger relativ lange Geld zuschie�en kann, um es sicher aufzubewahren und zu verzinsen oder um mit Staatsanleihen zu spekulieren.

Die Wertsicherheit des Staates ist die Bev�lkerung, die alleine durch Arbeit Wert bilden kann – zun�chst in dem Ma�, wie es ihrer eigenen Reproduktion und der des Staates n�tig ist, aber auch, um Mehrwert zu erzeugen, wie er dem Privatinteresse des Kapitals dienlich ist. Man k�nnte meinen, dass sie ihm daher Bedingungen stellen k�nnte. Aber die Bev�lkerung hat f�r sich einen kulturellen Zusammenhang, den der Staat nur soweit aufrechterh�lt, wie es seiner Vermittlung zwischen Kultur und �konomie n�tig ist (z.B. in der Bildung und Ausbildung, der Freizeitgestaltung usw.). Er tritt als vollst�ndig abh�ngiger Vermittler auf wie ein Schutzgelderpresser, der sich als Banker gibt: Er sch�tz nur, was ihm Einnahmen sichert, weil er bezahlen muss, was er kreditiert hat. Das kulturelle Gemeinwesen ist durch die Wertsicherheit, welche die Bev�lkerung dem Staat bietet, zugleich dem gemeinen Verwertungsinteresse des Kapitals unterworfen, dem sie entzogen ist. Er kann kulturell nur bewirken, was dem Kapital n�tig ist; in der Kultur wird von ihm nur bef�rdert, was im Einklang zur Entwicklung des Wertwachstums steht. Als Kreditnehmer des Kapitals muss er Zukunft zusichern; als Erpresser seiner Bev�lkerung muss er auf ihren Gemeinsinn spekulieren.

Das zeigt sich auch unmittelbar im Geldverh�ltnis zwischen Staat und Kapital. Was das Kapital in den Staat an Mehrwert eingibt, entspringt vorwiegend nicht der Steuerpflicht, sondern ist ein Investment als Wertpapier und wird vom Glauben an die Entwicklung und Zukunft des Gemeinwesens getragen. Von daher lohnen sich die Staatsschulden sowohl f�r das Kapital wie auch f�r den Staat als "Investition in die Zukunft", wenn auch nur als fiktives Kapital in der Spekulation auf ein ad�quates Geldwertwachstum, wie es dem Wertwachstum entspringt, f�r das der Staat Garant sein muss und B�rge ist. Wenn den Schulden des Staates aber kein Wirtschaftswachstum mehr entspricht, weil das Kapital in Krisen ger�t, dann droht das gestundete Geld wertloser zu werden. Und dann ist der Staat wieder ganz das Gemeinwesen, das sich an seiner Bev�lkerung schadlos halten muss. Dann muss diese einen Wert durch Mehrarbeit einbringen, allein um den Wert zu erhalten, der schon investiert, aber nicht verwirklicht, also produktiv umgesetzt ist. Ohne dies breiten sich Wirtschaftskrisen national aus, auch wenn sie ausschlie�lich international begr�ndet sind. Geld �berhaupt wird wertloser und dies zieht substanzielle Folgen in Gesellschaft, Bildung, Gesundheit und Verkehr nach sich. Vom Standpunkt des Kapitals ist der Staat dann der Schuldner, an den es sich halten muss, um auch seine eigenen Krisen bew�ltigt zu bekommen. So hat dieser eine wirtschaftsnotwendige Funktion f�r das Kapital, einen Ausgleich f�r dessen Wertverluste zu besorgen, die durch eine Art Negativverwertung wieder eingel�st werden m�ssen, durch "Nacharbeit" zur Wertdeckung, denn Wert ist nichts anderes, als Arbeitszeit, gleich, wie sinnvoll die Arbeit auch sein mag, solange sie produktiv f�r die Wertbildung ist. So wird die Forderung nach Verl�ngerung der Arbeitszeit (bezogen auf Arbeitstag oder Lebensarbeitszeit) auch zum Anliegen des Staates, der dann unmittelbar im Interesse der Wertwachstums auftritt.

Um die Wertsicherheit zu besorgen muss immer auch Arbeit besorgt werden. Der Staat selbst ist der gr��te Auftraggeber der Binnenwirtschaft. Aber wenn die Arbeit auch f�r diese ausgeht, weil er f�r die Binnenwirtschaft aus Geldmangel nicht gen�gend Auftr�ge vergeben kann, dann hat auch er ein Problem, dann kann er kein Wertwachstum durch Mehrarbeit beibringen, sondern nur durch Minderung der Reproduktionskosten. Dann muss er andere Werte verwenden, um ein Volk in sein Ganzes so einzupassen, dass es Wertminderungen im Lebensstandard ertr�gt, verzichtbereit ist, diszipliniert, um Kosten zu mindern, und zugleich einsatzbereit zu sein f�r gesellschaftlich notwendige Arbeiten mit m�glichst geringer Entlohnung. Es zeigt sich dann von selbst, dass Politik nicht nur auf dem Parkett der �konomie tanzt. Sie hat mit einem h�chst virulenten Markt von Ansichten, Lebensanschauungen usw. zu tun, auf dem sie sich moralische Gewalt erwerben muss und zugleich m�glichst unerkennbar bleiben will als politische. Und da zeigt sich dann vor allem, dass die Politik in Wirklichkeit mit ihrer bisherigen Weisheit am Ende ist.

Die Krisen des Kapitals werden in Wirklichkeit vom b�rgerlichen Staat an der Bev�lkerung ausgetragen. Sie erfordern jetzt unerbittlich das Gegenteil des sozialen Ausgleichs, zu welchem der Staat angetreten war. Er muss daf�r, dass ihm die Arbeit ausgeht, daf�r, dass auch seine Binnenwirtschaft nicht mehr voll besch�ftigt werden kann, den Wert der Arbeit selbst drosseln, um dem Kapital die versprochene Wertsicherheit zu bieten. Er besorgt Wertdeckung durch Billigarbeit, Nacharbeit f�r Wertverluste, die das Kapital in seinen Krisen hat und bef�rdert die unerbittliche Reduktion des gewohnten Lebensstandards. Aber die Grundlagen dieser Krisen werden damit nicht behoben, der Staat kann nur f�r eine bestimmte Zeitdauer kompensieren.

Die Gr�nde liegen in der gesamten Wertlage des globalisierten Kapitals, in welche der Staat nur noch partiell einbezogen ist. Ausgleich und synchrone Gesellschaftsentwicklung durch staatliche Regulationen funktionieren nicht mehr auf Dauer, weil die in Gang gesetzte Wertmasse des Kapitals nicht mehr vollst�ndig national zu regulieren ist. Sie hat l�ngst ein Mehrfaches des Volumens, das eine Volkswirtschaft aufbringen k�nnte. Das Kapital hat sich aus seiner nationalen Herkunft befreit und dehnt sich jenseits aller Gemeinwesen so aus, wie es sich verwerten und diese hierf�r nutzen kann. Der Neoliberalismus ist lediglich der ideelle Ausdruck, worin der Glaube an eine �konomische Vernunft der Selbstt�tigkeit des Kapitals die Freilassung des Kapitals durch die Deregulation der Staaten verbr�men soll, um ihre disziplinierende Funktion vom Markt zu verscheuchen, Z�lle und Wechselkurse zu entnationalisieren und die Disziplin gegen deren Bev�lkerung zu richten.

Das Freigelassene entfaltet sich uners�ttlich und treibt sich auf alle M�rkte der Welt fort. Aber die Krisen bleiben und versch�rfen sich unaufh�rlich. Alle Mittel der Produktion (z.B. Maschinen, Automaten, Roboter) treiben die Wirtschaft voran, aber deren Produkte realisieren ihren Wert nur, wenn sie auch gekauft werden. Es zeigt sich daher schnell, dass die Konsumtion nicht mehr nachkommt, die Lohnt�ten nicht mehr ausreichen, den uners�ttlichen Produktionsbedarf der Wertverwertung durch einen ebenso unbeschr�nkten Warenabkauf zu stillen. Das Kapital f�r sich kennt keinen Halt, weil es den nicht hat und auch nicht brauchen kann. Es handelt und h�ndelt, bis es kaputt geht an seiner Spekulation und der Schranke, die ihm sein eigenes Wirken beschert: Die Aufl�sung seiner nat�rlichen Verwertungsbedingungen, die Wirtschaftskreisl�ufe zwischen Produktion und Konsumtion, die gesellschaftliche Vermittlung der Produkte. Dies sind eigentlich funktionierende Infrastrukturen, Arbeit f�r die Bev�lkerung, Ressourcen der Natur, die Befriedigung menschlicher Bed�rfnisse und Fortentwicklung der Geschichte des menschlichen Reichtums als Kulturgeschichte der Gesellschaft, die Geschichte menschlicher Sinnbildung und Entwicklung von Lebensstandard. Das freigelassene Kapital zerst�rt aber, wovon es sich n�hrt und es hat sich in allem l�ngst selbst �berholt, was es als seine Grundlagen hat.

Die existierenden Gemeinwesen treten jetzt nur noch als Kulturen auf, die sich seinen Zwecken �berlassen m�ssen, wenn sie keine eigene Reproduktion mehr sichern k�nnen. Indem der Staat als Gesamtheit dieser Gemeinwesen auftritt, besorgt er selbst auch deren Ausbeutung. Seine Moral ist die Staatsmoral der Ausbeutung, die Nutzung seiner Bev�lkerung zur Wertsicherung durch unterbewerte Arbeit und Mehrarbeit, die Vernutzung der Kultur als Kapitalressource und Beschleuniger des Verwertungskreislaufs. Seine Kulturpolitik entkultiviert, seine Gesundheitspolitik macht krank, seine Sozialpolitik macht arm. Alles, was er f�r "sein" Gemeinwesen zu bringen h�tte, wird zum gemeinen Missbrauch der Bev�lkerung f�r fremde Kapitalinteressen. Als weltm�nnischer Friedensstifter, Polizist und Weltverbesserer, als der es sich bisher gerne gegeben hatte, ist er �ffentlich und allgemein obsolet und l�cherlich geworden. Sein einziges Argument ist eine Wirtschaftsnot, die es f�r ihn nur deshalb gibt, weil er Wertsicherheit versprochen hat und sobald ihm diese Not nicht mehr geglaubt wird, hat er seine einzige moralische Basis auch verloren. Der Staat hat seine ausdr�ckliche Funktion als Wertlieferant so deutlich und sich damit selbst so obskur gemacht, dass er sich zu einer Glaubenslehre entschlie�en muss, durch die ein Allgemeinwohl im nebul�sen Reich eines Volksganzen anmuten l�sst. Und damit ist er dann nicht mehr allein: Nationalisten stehen ihm gerne bei, um ihn zum Kulturstaat zur�ckzustutzen.

Kultur wird zur Nation verkehrt und hierin soll der fahle Schein des Kapitalinteresses verblassen. Dieses kann nun als Notwendigkeit des kulturellen Ganzen, als nationale Pflicht auftreten. Jetzt wird pl�tzlich Druck durch Kulturwerte vermittelt, von Sitte, Liebe und Anstand gesprochen, von Patriotismus und Leitkultur. Solchen Druck war man jenseits der Sachverh�ltnisse nicht mehr so gewohnt. Es ist ein Druck, der nicht nur die Notwendigkeiten des Marktes reflektiert, sondern sie versch�rft gegen die Menschen wendet. Da wird dann Freiheit auf Leistung bezogen, also Leistung zum Ma�stab der Freiheit, Gerechtigkeit auf Arbeit, also die Nutzung der Menschen hierf�r zum Ma� ihrer sozialen Belohnung und Integration. Und Solidarit�t ist schlie�lich nur noch ein Begriff f�r das, was die Staatskasse zur Anwendung wieder herausgibt von dem, was sie kassiert hatte, ein Begriff der Zahlungspflicht und Geldverwaltung.

Es geht damit nicht mehr um Entwicklungsziele, um Ideale f�r den widerspr�chlichen Sinn einer Entwicklung b�rgerlicher Lebensverh�ltnisse, sondern um Erhaltung und Restauration bestehender Verh�ltnisse, die nicht mehr funktionieren. Das verlangt ein Mehr an Aufwand, der von der Bev�lkerung eingebracht werden soll, um das Ganze ihrer Gesellschaft wieder herzustellen, zu erhalten, zu sch�tzen und zu bewahren. Die allgemeine Krise aller b�rgerlichen Lebensweisen soll behoben werden, damit das b�rgerliche Leben als Leben schlechthin funktionieren soll, dass das Heil der Kultur gew�hrleistet ist. Das Szenario wird in seiner Totalit�t vorgestellt. Die ganze Kultur stehe auf dem Spiel, und nicht nur die des Abendlandes, sondern die der "freien Welt". So werden wieder mal aus Ideen Werte, die zum Erhalt der bestehenden Lebensweisen, zum Kulturerhalt als notwendig gelten: Nur was diese kulturelle Not wendet, was die wirtschaftliche Krise dieser "Kultur" abzuwenden vermag, kann von Wert sein und ist auch nurmehr unter dieser Ma�gabe ideel vonn�ten.

Das staatliche Glaubensbekenntnis

Der Staat ist in seiner Funktion als Wertlieferant, also als Lieferant von Arbeitszeit, bzw. unterbewerteter Arbeit, nicht mehr nur der ideelle Gesamtkapitalist, also der allgemeine Wille des Kapitals; er ist auch reell ein wirklich forderndes Gemeinwesen f�r die Erfordernisse der Kapitalverwertung. Was das Kapital als fiktives Kapital, als Form der Kreditwirtschaft und Aktiengesellschaft nur in seiner Bindung an den Produktionsprozess zu erf�llen erhoffte, das wird nun zu einer Macht, welche der b�rgerliche Staat als seine Fiktion von Kulturnotwendigkeit unmittelbar mitteilt, wo er dies kann. Das geschieht nicht aus einem nationalistischen oder pers�nlichen Ehrgeiz der Politik, sondern angesichts der Tatsache, dass der Kapitalismus nicht mehr in der Lage ist, seinen Verwertungsbedarf vollst�ndig aus einer freien wirtschaftlichen Entwicklung zu befriedigen. Was ihn antreibt, sind die Prognosen, die sich aus der Verwertungslogik des Kapitals ergeben: Um die Verwertung der stetig wachsenden Wertmasse zu sichern, ist es n�tig, zunehmend mehr Arbeitslosigkeit und damit Armut auf sich zu nehmen, um die Erfordernisse des internationalen Kapitalismus und des transnationalen Kapitals zu erf�llen. Die Finanzierungsmittel des Staates reichen schon jetzt nicht mehr aus, seine Sozialwirtschaft zu finanzieren. Die wachsende Armut, die bereits mit einer Arbeitslosigkeit von 40 bis 50 % kalkuliert wird, l�sst sich nicht mehr auffangen, wenn nicht die ganze Bev�lkerung unter Druck gesetzt wird, mit L�hnen auf einem weit niedrigerem Niveau auszukommen, die Verl�ngerung ihrer Arbeitszeit zu akzeptieren und die Leistungsbereitschaft von Arbeitseliten zu �bernehmen, die sich aus optimierter Nutzbarkeit, besonders der Intelligenz, ermittelt. Das ist ein enormer Widerspruch, wenn zugleich Arbeit immer weniger wird und nurmehr Verwaltungsarbeiten und Dienstleistungen zunehmen, also Arbeiten, die vollst�ndig von der Produktivit�t des nationalen Ganzen abh�ngig sind, f�r sich unproduktive Arbeiten. Angesichts dieser Prognosen muss auf der einen Seite ein Leistungsbewusstsein entwickelt werden, das einen immer geringerer Teil der Bev�lkerung auf akzeptablen Lohnniveau und hohem Aufwand an Arbeitszeit voranbringt und eine m�glichst breite Schicht von Dienstleistern und Konsumenten mitf�hrt. Auf der anderen Seite muss seitens des Staates ein immer gr��er werdender Teil �berfl�ssiger werdender Menschen in ihrer Armut erhalten werden, um den Schein von menschlicher Gesellschaft zu wahren und die Preise der durchschnittlichen Lohnkosten durch Konkurrenz mit der Armut zu drosseln. Das verlangt auf einem international bestimmten Markt eine ungeheuer m�chtige Mehrwertproduktion, durch welche der globalisierte Staat wesentlich bestimmt ist. Statt Ausgleich unter der Bev�lkerung zu schaffen geht es ihm eigentlich um das Gegenteil: Maximierung der Leistung einer gut kontrollierten Elite, die den Erfordernissen einer h�chst intelligenten Produktion und Reproduktion optimal angepasst ist. Elit�re Leistungsbereitschaft und Armutsverwaltung sind die Pole der k�nftigen Staatspolitik, die sich durch Hartz-Gesetze und Leitkultur bereits deutlich angek�ndigt hat. Und es geht dabei vor allem um "Leistungskultur" (Edmund Stoiber).

Dass Leistung auf Kultur bezogen wird, ist nicht zuf�llig: Bisher war Leistung durch Erfolg und Wohlstand belohnt. Darauf m�ssen immer mehr Menschen verzichten. Doch wozu, wo durch Leistung Geld und Kapital erwirtschaftet wird? Das Kapital boomt, aber immer weniger Menschen haben daran Anteil und der Staat tr�gt eine ungeheure Last in seinem Dasein zwischen Wertsicherung und Sozialwesen. Es muss eine Begr�ndung her, um die reale Infragestellung des ganzen Systems der Kapitalverwertung, ihren grotest gewordenen Widerspruch mit dem Sozialstaat und der Armutsverwaltung zu verbergen, sich ihr allgemein anzupassen und zu beugen: Wegen der nationalen Not, wegen der Bedrohung "unserer Kultur als Ganzes" m�sse das Verh�ltnis zur Armut neu bestimmt werden, vor allem das Verh�ltnis zu den arbeitsf�higen Arbeitslosen und zu den Ausl�ndern, den fremden Arbeitern. Von daher weht eben jetzt der andere Wind, der Wind der kulturellen Disziplinierung, welchen die Staatsgewalt aussondert und welcher Armut kontrollieren und Reichtum f�rdern soll. Der Staat wird p�dagogisch, derweil er sich als rechtschaffender F�rsorger f�r den Erhalt b�rgerlicher Kultur vermittelt. Seine Konzepte sind nicht so reflexartig und krisenbestimmt, wie sie sich geben. Die kapitalistische Krise als solche lie�e sich rein sachlich diskutieren und man w�rde den b�rgerlichen Staat wie das Kapital schnell in die Mottenkisten der Geschichte verpacken, weil es von dieser Seite nicht mehr m�glich ist, eine Gesellschaft zum Wohle der Menschen zu gestalten. Die staatlichen Ma�nahmen zielen inzwischen vor allem auf eine Anpassung der B�rger an die l�ngerfristigen Notwendigkeiten des Kapitals, an den Umgang mit einer wachsenden Armut, die das finale Mittel der Bereicherung des Kapitals als herrschende Gesellschaftsmacht ausmacht. Um die b�rgerliche Kultur als "Ordnungskraft der bestehenden Verh�ltnisse" auch �ber ihre eigene existenzielle Potenzen hinaus zu erhalten, gibt sich der Staat selbst als politische Kraft des Gemeinwesens der b�rgerlichen Gesellschaft aus und erhofft in der Kapitalisierung von Wirtschaftsgemeinschaften in Staatenb�ndnissen zumindest den Erhalt des Kapitalismus als "Gesellschaftsordnung". Dies macht ihn zwangsl�ufig atemlos, denn mit der Expansion des Kapitals werden die Staatsgemeinschaften nur vor�bergehend mithalten k�nnen, weil das Wachstum der Wertmasse ein absurdes Prinzip ist, das immer weitertreibt und niemals vollst�ndig von den Gemeinwesen, auch nicht den ganz gro�en, bedient werden kann.

Aber der b�rgerliche Staat will Staat sein, um die b�rgerliche Gesellschaft zu erhalten. In diesem Sinn geht er mit der Bev�lkerung um. Das verlangt vor allem deren Glauben an die allgemeine Not des Weltgeschehens, an deren Aufhebung sie mitzuwirken habe und mitwirken k�nne, indem sie sich einer Leistungskultur unterwirft. Nat�rlich werden durch die Ausweitung der M�rkte auch alle Konkurrenzen versch�rft und nat�rlich werden hierdurch auch nicht die Armen weniger, weil die Reichen weniger w�rden. Es wird lediglich undurchsichtiger und noch allgemeiner, was den Markt wirklich bestimmt. Und damit kann es umso mehr als die Sache der menschlichen Natur ausgegeben werden, als Problem der �berbev�lkerung - ein "Problem", das eigentlich sonst nur vom Standpunkt des Kapitals besteht, weil es durch die Entwicklung und Konzentration seiner Produktionsmittel "�berfl�ssige Menschen" produziert. Wo alle Menschen sich durch ihr Tun ern�hren, gibt es das nicht. So aber wird die Natur des Kapitals zur Natur von Existenzangst, denn mit deren Funktionalisierung hat man schon immer in der b�rgerlichen Gesellschaft Gewinn gemacht. Sie besteht eben aus der Konzentration von Privatbesitz, dessen Macht den Besitzlosen ihre Ohnmacht auch vermitteln soll – und besitzlos werden immer mehr Menschen sein.

Dem Staat geht es also gar nicht mal so sehr um das Einsparen von Geldausgaben, sondern vor allem um die l�ngerfristige Vermittlung von Wertlosigkeit durch unterbewertete Arbeit der Masse. Hartz IV zum Beispiel ist zum geringeren Teil ein Geldeinsparprogramm, als es vor allem eine Bedrohung des Lebensstandards und Besitzstandes ist – ganz im Gegensatz zum bisherigen Selbstverst�ndnis des b�rgerlichen Staates. Es ist vor allem ein Zukunftsprojekt im Untergangsprozess der b�rgerlichen Gesellschaft (vergl. "Die Globalisierung und das Ende der b�rgerlichen Gesellschaft"), durch das Arbeitslose nicht nur funktionaler f�r den Arbeitsmarkt gemacht werden und der Arbeitsmarkt insgesamt auf die unterste Stufe der Subsistenz gebracht wird, sondern zugleich bestehender Lebensstandard und Besitz vom Staat kassiert werden, wenn Menschen aus dem Arbeitsprozess ausgesondert sind. Von ihnen, die l�ngst ihre Abgaben hierzu gebracht haben, l�sst er sich seine "Leistung" nochmal finanzieren, soweit es geht – auch, um die allgemeine Existenzangst und den Anpassungsdruck zu vermehren. Solche Projekte werden nicht zwanglos angenommen und es muss daher einiges an Argumentationsaufwand f�r dieses nun fiktiv werdende Gemeinwesen der b�rgerlichen Gesellschaft betrieben werden, das real l�ngst versagt, weil es seine Wirklichkeit auch ideell vernutzt hat. Doch die Entwicklungen dahin sind relativ sublim.

"Die Lage war noch nie so ernst" pflegte Konrad Adenauer zu sagen, wenn er unangenehme Entwicklungen vorzustellen hatte. Immerhin wusste er noch so etwas wie das Gemeininteresse einer Bev�lkerung hinter sich: Den Wiederaufbau Deutschlands. Wenn es um "Erfordernisse der Allgemeinheit" - und das hei�t: Forderungen an alle - gehen soll, dann ist eben auch Gemeinschaft gefragt. Und Gemeinschaft bem�ht man durch Verst�ndnis f�rs gemeine Wohl, das zugleich das Gemeinwohl sei. Hierbei geht eine Gleichsetzung von Einzelinteresse und Allgemeininteresse ein, die sich eigentlich bew�hren muss im Fortschritt einer Gesellschaft als Ganzes. Aber es ist auch so schon umgekehrt: Was dem einzelnen zu dessen Wohl gereicht, das ist als Allgemeines gegen dieses bestimmt, sei es im Warentausch oder der Kapitalentwicklung, sei es im Generationenvertrag oder der Rente. Die wichtigste Funktion des Allgemeinen ist unter den Bedingungen der b�rgerlichen Gesellschaft die Abstraktion vom konkret einzelnen, der Glaube an die verallgemeinerte Einzelheit, der Glaube, dass alles im Allgemeinen gut aufgehoben ist und aufgeht, was dem Einzelnen n�tzt, dass das Individuum darin seine Gesellschaft hat, die N�tzlichkeit der Dinge des Lebens ihren allgemeinen Zweck. Es ist der Glaube an die Vernunft der Allgemeinheiten, ihre Idee, die sich konkret gibt. Die konkrete Vernunft des Einzelnen aber gibt es nicht, weil Vernunft nur prinzipiell, also durch einen Zusammenhang bestehen kann, und den hat sie in ihrem Wertsein. Die Verwertungslogik hebt alle Sachlogik auf, weil die Sache nur Wert hat, weil und sofern sie auch als Wert realisiert wird. Sie ist weder durch ihre Produktion, noch durch ihre Konsumtion vollst�ndig bestimmt, sondern nur durch die im Wertwachstum produktive Konsumtion der Arbeit. Die Verwertungskette hat nur scheinbar ein reales Ende. Aber der Gebrauch der G�ter ist bestimmt durch Geldbesitz, die Arbeit durch Kapital, die Vorsorge wird als Last auf nachfolgende Generationen �bertragen usw. Das Allgemeine beherrscht als eine Macht der Abstraktion alles, was das konkrete Leben ausmacht und sammelt in sich die Wertmasse als Verf�gungsmacht auf, die sie aus aller Arbeit weltweit auspresst. Und das ist auch ihr Problem in ihrer Krise: Was tun mit einer Macht, die nicht gen�gend Arbeit mehr vorfindet, um sie kommandieren zu k�nnen? Sie muss die bestehende Arbeit konzentrieren durch die Potenzen, die ihr noch gegeben sind. Das ist die Macht des Allgemeinen: Die F�higkeit, die Menschen immer mehr auszupressen, Arbeit und Konsum zu dirigieren und die Konkurrenz der Bev�lkerung zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit anzustacheln.

Aber mit dem Glauben an die Wohlfahrt des Allgemeinen l�sst sich vieles erreichen, was sonst offensichtlich als Unsinn erkennbar w�re. Das hatten die Regierungsparteien und die Parteistrategen der CDU/CSU auch begriffen, als es darum ging, das "Volk" an die Aufk�ndigung des Sozialstaates zu gew�hnen, als klar geworden war, dass die Zeiten der Wohlfahrt, das gro�e Aush�ngeschild des kapitalistischen Staates, endg�ltig vorbei sind, dass der Staat in eine Schuldenfalle �ber zwei Generationen hinweg verfangen war. Nachdem die Opposition der Koalition von SPD und Gr�nen keine nennenswerten Alternativen zu Hartz IV, Renten- und Gesundheitsreform bieten konnten, gestanden sie ein, was ihnen l�ngst h�tte klar sein k�nnen: Nichts geht mehr. Die Verschuldungsspirate f�r Zins und Zinseszins drohte, die Finanzierbarkeit des Staates zu kippen. Hinzu kommt, dass ein gro�er Teil des Geldwerts seines notwendigen Einkommens aus Kapitalsteuern au�er Landes war und nicht mehr als Einzahler, sondern als Kreditgeber f�r die Staatsverschuldung auftritt. W�hrend das deutsche Kapital zum Exportweltmeister aufr�ckte und h�chste Profite einbrachte, stand der deutsche Staat am Rande seines Selbsterhalts.

Das Kapital ist fl�chtig und verl�sst das Land. Es braucht die vielen Menschen nicht; die Menschen selbst sind ihm zu teuer – eine Elite w�rde zur Entwicklung, Konzeption und Produktion gen�gen, und Eliten sammelt es �berall ein wie Fallobst. Die �berfl�ssigen Menschen aber k�nnen nicht au�er Landes verschwinden. Als die einzig wirklichen Landesbewohner, als Steuerzahler, sollen sie den Staat finanzieren, dem das Kapital nicht nur abgeht, sondern dem es auch schuldpflichtig ist. Die sollen daher jetzt dessen Notlage zu der ihren machen - gerade so, als h�tten sie diese verursacht. Schlie�lich leben sie ja hier und nutzen "seine" Einrichtungen - das jedenfalls sollen sie glauben. Sie selbst sind "der Souver�n" - zumindest, was das Steuerzahlen und die Stimmabgabe zu einer Meinungsposition (Partei) betrifft. Aber �berhaupt sei es ja ihre Kultur, um deren Erhalt es letztlich gehe. Und als Mitglieder eines kulturell verbliebenen Gemeinwesens tragen sie die Lasten ihres Staatswesens. Ihr �konomischer Kreislauf hat sich internationalisiert, w�hrend sich ihre Kultur zu ihrem Staat als sich selbst erhaltender Wirtschaftstr�ger nationalisiert. Der Staat hat in der nationalen Kultur sein Austragshaus, und das muss er auch so nehmen, weil sich die nationale Kultur durch ihn halten l�sst, wie er sich durch sie.

Was die Entwicklung der Wirtschaft macht, da hatten die gew�hnlichen Staatsb�rger noch nie wirklich zu bestimmen. W�hrend aber die Industrie vom technologischen Fortschritt zehrt, von den Erfindungen und Entwicklungen, die Menschen eines bestimmten Kulturkreises zusammentragen und einbringen und wodurch die Produktionsmittel und Bed�rfnisse entwickelt werden, hat sich das Kapital zu einem betr�chtlichen Anteil aus diesem herausgenommen und sucht sich weltweit die Arbeitskr�fte und Produktionsbedingungen f�r die Optimierung seiner Kapitalverwertung. So entstehen moderne Roboter f�r selbstt�tige Arbeitsroutinen, hochdifferenzierte Kommunikations- und Verkehrsmittel, aber es stellt sich gesellschaftlicher Fortschritt nicht wirklich ein, weil die Lebensgrundlagen (Nahrung, Miete, Gesundheit, Kinderbetreuung und Altervorsorge) zu teuer geworden sind, um all das auch zu erwerben, was die wachsenden Bed�rfnisse befriedigt. Die Wertsicherung durch die Grundrente funktioniert eben weit besser, als die Wertsicherheit, die der Staat mit seiner Bev�lkerung zu bieten hat. Das Kapital sichert sich als politische Macht durch Immobilien, Rohstoffverf�gung und Lizensen die Werte, die es der Produktion entnommen hat. Und es nutzt die Arbeitskr�fte und das menschliche Know-How wesentlich eben daf�r, die Exporte kontinuierlich auf H�chstma� zu halten, um mit seiner Exportwirtschaft �bersch�sse auf den Aktienmarkt zu bringen, die vor allem wiederum seine Prosperit�t im Geldfluss sichern. W�hrend es auf diese Weise fl�ssig bleibt, hat der Staat Probleme, �berhaupt die einfachsten sozialen Probleme seiner Bev�lkerung weiterhin so zu regeln, dass er sich noch als Status seiner Bev�lkerung beweisen kann, sich noch wirklich als Staat bezeichnen lie�e. Aber hierf�r werden ja seine Agenten gew�hlt. Und wenn auch die Meinung der Bev�lkerung sich nicht mehr wirklich auf die Entwicklung des Staatswesens beziehen kann, so bezieht sie sich doch in jedem Fall auf die Notwendigkeit der Fortexistenz ihrer Kultur. Was also letztlich die W�hlermeinung auf ein verselbst�ndigtes Staatswesen bezieht, ist die Wahl eines Staates, der das geringstm�gliche �bel f�r das Sozialwesen ausmacht und den Fortbestand der gewohnten Kultur optimal zu gew�hrleisten verspricht. Der Glaube an den Staat und die Gesellschaft entspringt eben alleine der Kultur, mit der sie verbunden ist. Und die macht aus seiner Bev�lkerung ein Volk, das sich im Staat auch kulturell verbunden f�hlen soll und dessen W�hlermeinung sich vorwiegend aus der bestehenden Kultur ergibt. So wird auch der Staatswille zunehmend kulturell gepr�gt, wenn auch seine T�tigkeit sich vorwiegend auf Wirtschaft bezieht. Die Bildung der wahlentscheidenden Meinung macht sich daher immer weniger an Sachfragen und immer mehr an kulturellen Fragen fest. So entsteht schlie�lich die Hochform der Entscheidungskultur der b�rgerlichen Demokratie am Scheitelpunkt ihres Bestehens: Die kultivierte Meinung als politischer Wille.

 

Das Meinen, die Meinung und die Willensbildung zu einer Staatskultur

Die b�rgerliche Demokratie ist repr�sentativ, d.h. sie ist das Entscheidungsverh�ltnis einer politischen Klasse, deren Positionen zur Vertretung in einem Parlament durch die Stimmabgabe von Meinungen anteilig gew�hlt werden. Die Positionen beziehen sich nicht direkt auf konkrete und allgemeine Existenzfragen , mit denen die Menschen umgehen m�ssen, es sind Lebenshaltungen und Ideologien, die sich durch ihre Ausrichtung auf die Entwicklungsziele der b�rgerlichen Gesellschaft unterscheiden (Parteien mit unterschiedlicher Betonung von sozialen, liberalen oder kulturellen Vorstellungen). Die W�hlermeinungen bilden sich aus den unterschiedlichsten Existenzen als Daf�rhaltungen des Besitzstandes, als das Meinen dessen, welche Position f�r sich gut, dem eigenen Wohl irgendwie dienlich sei – zumindest in der Behebung der bestehenden Probleme.

Eine Meinung ist in der Daf�rhaltung des Meinens, also in der Abgrenzung von dem, was nicht mein ist, immer auch ein Werturteil. Als dieses nimmt sie eine Seite des Wertverh�ltnisses f�r sich auf und verh�lt sich damit gegen andere Seiten desselben. Sie ist zum Wert selbst notwendig affirmativ, an dessen Erscheinungsform gebunden und von daher dem notwendigen Schein erlegen und gegen das wirkliche menschliche Verh�ltnis bestimmt, das er verbirgt. Die W�hlermeinung ger�t ins b�rgerliche Parlament immer als Stimme f�r das Bestehende, jeweils von unterschiedlicher Seite reflektiert, je nach dem, was gerade hierf�r f�rderlicher ist, was nicht – das liberale, das soziale oder das kulturelle Moment.

Durch die Wahl der Parteien und Personen wird solche Meinung zu einer Position, die als Entscheidungsperspektive die Regierung zur Meinungsvertretung erm�chtigt. Und durch diese �bertragung, durch die Stimmabgabe an die Vermittlungsadministration des Staates wird sie zu einem politischen Willen, einem Willen der herrschenden Staatsgewalt, der �ber die Mittel des Gemeinwesens verf�gt und dessen Exekution, Gesetzgebung und Rechtsprechung zu bestimmen hat. Alles, was zur Entscheidung innerhalb einer Legislaturperiode anf�llt, ist von diesem Willen gebeugt. Anf�llig sind Anliegen aus �konomie, Kultur und gesellschaftlicher Struktur (Soziales), soweit es im Gemeinwillen vermittelt werden kann und sich nicht in einzelner Notwendigkeit selbst bestimmen muss (z.B. Privathaushalt, Betriebswirtschaft). Der bestimmende politische Wille macht also die Entscheidungsbefugnis der Regierungspartei(en) aus, wie er sich nach der vorherrschenden W�hlermeinung oder deren Vermengung als abstrakte Daf�rhaltung ergeben hat, als Vorstellung einer Entwicklung, die politisch zu verwirklichen sei.

Aber es ist nur entscheidungsf�hig, was entschieden werden kann. Die b�rgerliche Politik beruht auf dem Sachzwang der Verh�ltnisse, auf dem, was zum Erhalt der b�rgerlichen Lebensverh�ltnisse unmittelbar zwingend n�tig ist. �ber reine Sachzw�nge kann nicht entschieden werden; sie entscheiden von selbst. Und so ist, was als Sachzwang politisch aus dem Entscheidungsbereich des Staates ausgegliedert ist, eigentlich grundlegend f�r alle Entscheidungen, die sich auf das Ausgegrenzte beziehen m�ssen. In dem Ma�e, wie der Sachzwang selbst ausschlie�lich wird, beschr�nkt sich Politik auf Minimalentscheidungen, die auch Unterschiede der Lebenshaltungen minimalisieren. Zwar kann ein Sachzwang auf das hinterfragt werden, was darin zwingt, aber es bleiben doch die Zw�nge des kapitalistischen Marktes, der b�rgerlichen Kultur und des Sozialwesens, denen der b�rgerliche Staat folgen muss.

Da dieser nicht sich selbst kritisieren kann, verh�lt er sich auch nicht wirklich als Bed�rfnis nach einer bestimmten Entwicklung, die einen unmittelbaren oder mittelbaren gesellschaftlichen Sinn hat. Das ist nur eine Vorstellung von seinem eigenen Tun. Im politischen Wille verh�lt er sich nur parteilich zu anderem politischen Willen, muss seine Staatsgewalt im Widerpart der Willens�u�erungen von Opposition und Regierung bew�hren. Es besteht die b�rgerliche Demokratie aus Urteilen, die sich zwangsl�ufig im Gegensatz von herrschender und alternativer Meinung (Opposition) bewegen. Nur in diesem Gegensatz verh�lt sich der Staat als Ganzes, teilt sich mit und relativiert alle Entscheidbarkeit. Von daher wird der Sachzwang f�r die Politik selbstverst�ndlich und sie selbst besteht lediglich aus den Verh�ltnissen der Daf�rhaltungen in den Bereichen der Gesellschaft, wo noch politisch entschieden werden kann. Dies aber schwindet in dem Ma�e, wie der Sachzwang von au�erhalb kommt, der Staat selbst von dort bezwungen wird und er nichts mehr zu regeln hat, au�er der Verteilung von Zwang. Die Globalisierung hat den Staat selbst zu einem Konkurrenten gemacht, zu einem Unternehmer, der auf dem Weltmarkt fungiert und der die Gesetze des Marktes einhalten muss, um Erfolg zu haben, Anleihen zu machen, um seine Wertlage zu sichern und Arbeit kaufen muss, um sich zu erhalten. Er selbst macht keine Profite, aber er zahlt Zinsen und Zinseszinsen aus dem Arbeitsverm�gen der Bev�lkerung, das bei ihm als Steuer und Sozialabgaben eingeht.

Wo der Sachzwang des Kapitalismus absolut wird, wird die b�rgerliche Demokratie als politische Entscheidungspotenz an und f�r sich unn�tig und in einem Unternehmen entscheidet letztlich der alles, bei dem alles verechnet wird. Die Demokratie besteht zwar als Wahlangebot fort, l�sst aber keine Lebenshaltung innerhalb der b�rgerlichen Lebensanschauungen mehr entscheidungswirksam werden. F�r die Bev�lkerung wird der Parteienstreit zu einem �rgernis, weil seine Erfolglosigkeit gel�ufig ist und offensichtlich wird, dass darin lediglich die Form gesucht wird, wodurch blo�er Sachzwang zu vermitteln ist. Politik wird notwendig unglaubw�rdig. Und solange keine Kritik der politischen �konomie, der politischen Kultur und der Politik �berhaupt betrieben wird, verbleibt der Sachzwang , durch welchen Politik bestimmt wird, eine Sache der Politik, die darin absolut wird und sich gegen die Bev�lkerung selbst zwingend wendet. Damit aber steht der b�rgerliche Staat als Verh�ltnis von Meinungen, die Willen bilden, selbst infrage.

Auf der Seite der Bev�lkerung verliert sich der Glaube an die b�rgerliche Gesellschaft in dem Ma�e, wie sich ihre Krisen nicht mehr durch politische Entscheidungen aufl�sen lassen. Die kapitalistische Krise zeigt dann das totale Prinzip des Kapitalismus in einer entpolitisierten Form. Es ist gleichg�ltig, wie staatliches Handeln begr�ndet wird; es ist in jedem Fall lediglich die Botschaft dessen, was das Kapital von einer Bev�lkerung verlangt, um f�r sich fortbestehen zu k�nnen. Und deshalb wird die Bev�lkerung sich selbst politisch gegen das Kapital stellen, es zu vertreiben versuchen. Aber solange sie sich selbst nur politisch gegen das Kapital verhalten, nicht ihre wirklichen Lebensverh�ltnisse, ihren eigenen Lebensreichtum, ihren Stoffwechsel, ihren Sinn und Geist zum Ausgangspunkt ihrer Lebensfrage machen und ihre menschliche Grundlage zur Grundfrage des gesellschaflichen Verh�ltnisses machen, bleiben sie im Glauben an das Volksganze verfangen.

Populisten bereiten den Weg und suggerieren die M�glichkeit, sich staatspolitisch gegen den Kapitalismus zu stellen und f�hren sich als politische Antagonisten des Kapitals auf. Aber Kapitalismuskritik ohne Kritik des politischen Willens ist eine politisch verbleibende Kritik, die lediglich den Anschein des Ganzen im Willen hierf�r zu �ndern gedenkt – sei es als Wille der B�rger oder als Wille der Proleten. Eine politische Kritik ist keine Kritik der Politik, keine Kritik der Handhabung von menschlichen Verh�ltnissen durch einen Willen, der an der Macht ist. Sie verlangt politische Haltung, welche Politik im Sinn hat, letztlich also politische Gesinnung. Sie will dem Staat menschliche Z�ge verleihen, menschliche Kultur abverlangen. So entsteht die Vorstellung von einem Kulturstaat als Vorstellung von einer politischen Kultureinrichtung, die f�r die Menschen allgemein gut sei, die sie bef�rdere und den kapitalistischen Sachzwang bek�mpfe. Nach dieser Vorstellung kann der politische Wille nicht mehr aus Meinungen gebildet werden, aber auch nicht aus Wissen und Bewusstsein, sondern aus Gesinnung, aus dem Sinn, den man haben muss, um einen allgemein notwendigen Willen zu teilen, einen allgemeinen politischen Willen als absolut sinnlichen Zweck zur Erl�sung aus den Zw�ngen des Kaptals und seiner verruchten Vertreter zu errichten. Politische Gesinnung als Staatsglaube will die Menschen aus ihrer gesellschaftlichen Entfremdung heraus- und auf ihre Urspr�nge zur�ckf�hren, zu ihrem allgemein menschlichen Ganzen, zu ihrem Heil bringen.

 

Der absolute Wille oder das Heilsprinzip

Wirkliche Gesellschaft besteht aus Wirkungsverh�ltnissen von Menschen, aus dem Zusammenkommen ihrer Arbeit und Bed�rfnisse, aus dem Bilden und Entwickeln von Sachen, Ereignissen und Sinn, in welchem Menschen in ihrem Leben vorankommen, ihre Geschichte erzeugen. In solcher Geschichte erkennen die Menschen sich in ihrem praktischen Leben, wie immer dessen gesellschaftliche Form ist und erkennen das Leben anderer Menschen als Moment ihres Lebens an. Sie anerkennen damit auch ihr Leben als gesellschaftliches Leben der Menschen, die darin einbezogen sind.

Wo Menschen keine Geschichte mehr haben, wo ihnen also die M�glichkeiten ihres Wirkens unm�glich oder zerst�rt ist, ist auch ihre erkennende Beziehung aufgehoben in eine rein wahrnehmende. Ohne Wirkung eines Tuns sind diese Beziehungen ohne Auseinandersetzung und Zusammenfinden, ohne Bildung und Entwicklung, ohne wirklichen Sinn, unwirklich, wirkungslos in ihrem Sein, aber wirkungsvoll in ihnen selbst. Ihre Beziehungen bestehen aus Gef�hlen, in denen sie ihr Menschsein zwar wahrhaben, aber darin ihre gesellschaftliche Vermittlung nur als ein F�hlen und Ahnen, als Selbstbeziehung ihrer Sinne, als wirkliche Privatheit ihrer sinnlichen Gestaltung erleben k�nnen, als seelische Beziehung auf die Welt, die ihnen selbst nur sinnlos erscheint. Solche Beziehungen gibt es zun�chst in allen Beziehungen, die nur �ber Geld gesellschaftlich vermittelt sind, aber auch, wo die gesellschaftlichen Verh�ltnisse selbst zerst�rt sind und eine Neugestaltung verwehrt ist. Der Stillstand gesellschaftlicher Geschichte f�hrt zu Aufstand oder zur Reaktion, zur R�ckbeziehung auf sich, auf das Erreichte, auch wenn es zerf�llt. Kultur selbst wird reaktion�r, zur Show, die ablenkt, zu einem Zirkus, der belustigt, befriedet, besch�ftigt, benebelt. Die B�hnen sind inzwischen weltweit aufbereitet, die Befriedung der Sinne perfektioniert. Was ihnen an eigener Kraft fehlt, das erf�llt die Power der Veranstaltung, die Ereignisse, die sich dem Selbstgef�hl mitteilen und vermitteln – Inszenierungen von Musik, Happening, Love & Crime. In den Talkshows und Unterhaltungssendungen des Fernsehens geht es inzwischen vorwiegend um die Luxusformation gesellschaftlicher Ohnmacht: Um Tittytainment mit den Selbstgef�hlen, ob nun mit Musik oder Geschw�tz, diesseits oder jenseits des Big Brother.

Einzig in ihren Selbstwahrnehmungen haben die Menschen dann ihre Beziehungen und ihr Leben wahr, reflektieren aneinander, was sie f�reinander sind, sind sich Lebenszweck und Lebensmittel in einem, Kultur der Zwischenmenschlichkeit, Kultur f�r sich. In ihren Wahrnehmungen haben sie zugleich ihre Selbstwahrnehmung; - indem sie andere als Menschen f�r sich wahrnehmen, werden sie sich ihrer selbst als Mensch gewahr. Ihre eigene Beziehung auf andere wird ihnen so im Nachhinein zu einer Beziehung auf sich selbst; aus ihren Empfindungen werden Gef�hle f�r sich, Selbstgef�hle ohne Sinn f�r anderes. Zwischen dem Wahrnehmen und dem Wahrhaben ihres Lebenszusamenhangs entwickelt sich zwangsl�ufig eine Absehung von wirklicher Erkenntnis, eine Auftrennung dessen, was darin Sinn hat und dem was Sinn macht, abstrakt menschliche Sinnlichkeit. Alle Begegnungen im privaten oder �ffentlichen Raum werden zur Bewegungsform abstrakter Sinne, die zwischen Anwesenheiten und Abwesenheiten belebt oder beschwichtigt werden, auseinandertreten oder sich zusammensetzen je nach Art ihrer gew�hnlichen Verbindung, je nach Gewohnheit, Wohnung oder auch nur in ihrem Eindruck selbst, den ihre Begegnung macht und diese selbst reduziert sich schlie�lich auf das Verh�ltnis von Eindruck und Ausdruck, auf Ausdruck, der Eindruck macht, auf �sthetik, Mode, Design usw.. Was sie darin wollen, ist die Beeindruckung ihres Lebens. Wie ein �sthetischer Wille treibt sich darin b�rgerliche Kultur jenseits aller Wirklichkeit fort, wird darin absolut, dass nur gewollt wird, was Eindruck verschafft. Sie selbst wird zu einer Formation des Willens. Aber der treibt die willk�rlichsten Gegens�tze hervor, zerst�rt dort, was er da geschaffen, schafft auch, was ihn zerst�rt. Er betreibt seine Dekadenz durch die Selbstverliebtheit, die er befriedigt.

Derweil die b�rgerliche Kultur selbst durch ihre Gegensinnigkeiten zur Identit�tslosigkeit treibt, wird die Notwendigkeit immer gr��er, Sinn f�r sich zu finden. Was sich ausdr�cken kann und Eindruck macht verschafft eine �sthetik f�r die Selbstwahrnehmung, in der Ungewohntes �berwunden und Gewohntes identifiziert wird. So entsteht ein Wille, sich einem bestimmten Einruck anzuvertrauen, einem anderen sich zu entziehen oder ihn selbst zu bezwingen. Fast �berm�chtig wirkt dieser �sthetische Wille, wo eine menschliche Beziehung ihren Sinn verliert. Wo einst Liebe verbunden hatte, was getrennt war, trennt jetzt Abscheu und Ekel, was geliebt war. Der kleinste Fingerzeig auf Ungl�ck gen�gt, um ein gro�es Ungl�ck zu bewirken und die geringste Hoffnung auf eine menschliche Beziehung bringt jede Begebenheit zum �berschwang. Solcher Wille wirkt wie ein Vergr��erungsglas, macht aus einer M�cke einen Elefanten, aus einem Idioten einen Helden und aus einem Ungl�ck ein Gl�ck. G�ltig bleibt in aller Gegensinnigkeit allein das Gewohnte. So ungew�hnlich und wechselhaft das Leben scheint, so bieder ist es in seiner hintersinnigen Stetigkeit. Und nur, um sich nicht anzu�den, ereignet sich Kultur wie eine Weltmacht.

Der Gewohnheitsmensch wird so zu ungew�hnlicher Weltlichkeit gebracht, zu einem besonderen Allgemeinmenschen, der alles kennt, was ihm gef�llt und alles ablehnt, was er nicht zu erkennen vermag. Alle Gegebenheiten erscheinen ihm im kulturellen Brennpunkt seines Besitzstands, der Kulturform, wodurch er �ber Eigentum verf�gt und sich seine Meinung bildet. Hierdurch trennt er das Vertraute, das, was ihm guttut, von dem, was ihm Aufwand bedeutet, was ihm ungewohnt ist und schon hierdurch bedrohlich wird. Und hierdurch hat die solcher Unwirklichkeit vorausgesetzte Krise zugleich eine Geschichte begonnen, welche sie als Bedrohlichkeit weiterf�hrt im Geist der Gesinnungen und Gef�hle. Die eigene Meinung ist zugleich die Schutzbehauptung des Kulturb�rgers, sein Wille der Schutz gegen das Ungewohnte. Das Fremde wird zum Feind von allem anderen, das umgekehrt umso mehr zum Guten wird, wie es sich bedroht f�hlen kann. Trotzdem hierbei keinerlei Wirklichkeit mehr zu sein scheint, wirkt dennoch das B�se im Guten und das Fremde im Eigenen, das Mi�trauen im Vertrauten, das Abartige in den Artigkeiten – denn die Bedrohung mu� nicht erst geweckt werden, sie ist allgegenw�rtig. Gewohnheiten sind eben so einfach nicht. Sie verlangen den scharfen Blick auf alle Vermeintlichkeiten des B�sen und Schlechten, das letztlich nur durch die Macht in der Selbstbehauptung des Sch�nen und Guten zu besiegen ist. Und die h�chste Macht hierf�r ist die Staatsgewalt, welche den Willen des Guten zu einem allgemeinen Kulturinteresse totalisiert.

Die Krise der �konomie hatte eben zur Krise der b�rgerlichen Politik, zur Krise der Demokratie gef�hrt und nun auch die b�rgerliche Kultur erreicht: Ihre Werte, ihre Gewohnheiten, Sitten und Gebr�uche, ihre Geborgenheiten und Selbstwahrnehmungen sind in sich zusammengebrochen; die Geschichte ist im Stillstand der gesellschaftlichen Entwicklung zum Chaos der Entwertungen zerronnen; auch Brot und Spiele k�nnen dar�ber nicht mehr hinwegt�uschen. Allgemeine Lebensangst tritt daraus hervor, gegen welche die Kultur sonst immer das probate Mittel war. Das gro�e Loch, das durch die M�glichkeiten des Besitzstandes mit Sachwerten gef�llt war, weitet sich allgemein ins Bodenlose. Wo kein Grund und Boden mehr ist, da werden Urspr�nge gesucht und zur Selbstbegr�ndung erneuert und eingerichtet. Hierzu dienen Grundhaltungen der politischen Philosophie und der Psychologie, �sthetik und Esoterik, Kult und Archetypie (vergl. "Die Militarisierung der deutschen Selbstverst�ndigung"). In einer unwirklich gewordenen Gesellschaftlichkeit treibt die Ursprungssehnsucht die Menschen in eine R�ckbesinnung auf Werte, die keinen wirklichen Sinn mehr haben, die aber sehr wohl politischen Sinn machen. In solchen Urspr�ngen wird Menschliches ersp�rt, sein Raunen vernommen und daraus der Mensch neu erfunden, der zur Verwirklichung ansteht, um dem Unheil zu entgehen. Die Seelen, die sich in zwischenmenschlichen Verh�ltnissen innerhalb ihrer Kultur gefunden hatten, suchen ihre allgemeine und abstrakte kulturelle Gr��e, die als gro�e Br�cke �ber die eigenen Abgr�nde taugen muss, zur Erf�llung des allgemeinen Bed�rfnisses nach einer �bermenschlichen Seele, zur Volksseele. Und die wird zugleich zur politischen B�hne des �bermenschen, zum gro�en Bruder und F�hrer. Kultur wird zum nationalen Kult, in welchem sich das seelische Bed�rfnis nach Sinn verallgemeinert und zur Hybris eines Aufstandes in der allgemeinen Seeligkeit der Masse wird, zur Massenpsyche. Es ist zun�chst nicht der P�bel, der sich darin kapitalismuskritisch geb�rdet, es sind eher die Gutmenschen aus dem B�rgertum, die einen neuen Staat aus den Tiefen ihrer Selbstwahrnehmung erschaffen wollen (vergl. hierzu: "Ein Heiland der herrschenden Ordnung").

Der neue Mensch soll der urspr�ngliche sein, der Mensch von menschlicher Art, nat�rlich begr�ndete Identit�t. Und die kann eben nur in der Natur stecken, in der menschlichen Natur, wie sie seit jeher war, in ihrer Biologie, in der menschlichen Rasse – wie immer man dies auch nennt: Gene, Natureigenschaften, nat�rliche Ordnung, Archetypus. Diese wird jetzt erforscht, ihre Gene dechiffriert, ihre Neuronen geordnet, ihre Genetik verfestigt. Der Psychologismus und Biologismus wird zur Wissenschaft schlechthin, zum Ma�stab f�r Gesundheit und Krankheit, zum Inbegriff des Reinen, zur Substanz politischer Gesinnung. Der Rassismus liefert daher die notwendigen Grundlagen f�r einen Kulturstaat, wie er funktionieren kann: Anpassung an die Notwendigkeiten des Staatsganzen durch Gleichschaltung der Menschen vermittelst eines zur Rasse verabsolutierten Kulturwesens. Der Nationalstaat der Nationalsozialisten war ein solcher Staat. Aber der wird sich in der Zeit der Globalisierung des Kapitals nicht wiederholen. Dennoch sind alle Prozesse des Kulturstaats am deutschen Faschismus wieder auszumachen: Biologisierung der menschlichen Kulturf�higkeiten, der Psyche, der Gesundheit, K�rperkult, Archetypie. Die menschliche Kultur selbst wird biologisch begr�ndet und damit zur Kultur der Natur, zu nat�rlicher Kultur, im Tiervergleich nachgestellt, in der Selbstgerechtigkeit des technischen Fortschritts zur Natureigenschaft der "entwickelten L�nder", Westkultur als weltweite Hochkultur. Durch diese Selbstbegr�ndung wird Kultur zur menschlichen Natur insgesamt, weil sie sich als Erfolgskultur aller anderen zu �berordnen versteht. Die Gleichschaltung hat neue Facetten, aber sie gr�ndet weiterhin auf dem Politisierungsprozess der Kultur, die nun k�mpferisch und selbstbewusst als menschliche Natur schlechthin auftritt. Menschenrechte verlieren ihre politische Wirklichkeit in dem Ma�e, wie sie durch das Naturrecht des Menschseins, durch eine wissenschaftlich begr�ndete Ethik der fortschrittlichen Kultur ersetzt werden. Kultur wird zur Kultivation des Meinens und Wollens, zur Gesinnung allgemeiner Menschlichkeit in der Politik des Allgemeinen.

Diese Selbstbehauptung versteht sich von selbst, weil sie der Selbstwahrnehmung entspringt. Sie ist politisch so naiv, wie sie zugleich blanke politische Gewalt einer Selbstverst�ndlichkeit verk�rpert, den Menschen schlechthin zu sch�tzen und zu f�rdern. Sie ist einfach w�hlbar, denn sie ist das, was man gewohnt ist. Politischer Populismus nutzt das Selbstbehauptungsbed�rfnis der Gewohnheitsmenschen f�r sich. Deren Wille sei ihnen Befehl, wird in jeder propagandistischen Veranstaltung verk�ndet. Und so ergibt sich ein W�hlerwille im Einklang mit einem Staat, der f�r Kultur sorgen will, um die Kultur eben, die man meint, die jeder meint, weil er Mensch ist und die seine Meinung vertritt, weil sie seine Kultur ist. Alle andere Kultur ist abartig. Aus ihr scheint das Ausgewiesene geradezu abweisend hervor. Und gerade weil die Ausweisung das Gew�hnliche bereinigt hatte, darf es darin nicht mehr hervortreten und muss umso grimassierter im Fremden sein. Propagandistisch gekonnt hatten die Nazis in ihrem deutlichsten Propagandafilm "Jud s��" alle Eigenschaften des Wucherkapitals in eine religi�se und politische Gruppierung eingebracht, wodurch die Ausbeutung der Menschen zum billigen Aufwand blo�er Selbsterhaltung einer hochstehenden Kultur gewendet war. Der Rassismus ist lediglich das selbstgerechte Mittel, um einen kulturellen Selbstwert zu bestimmen, dem kein Mensch mehr gewachsen ist, einen kultivierten �bermenschen, dem sich die Menschen nur beugen k�nnen.

Wo sich Staaten als Kulturstaaten repr�sentieren, da entwickeln sie in notwendiger Eintracht mit ihren W�hlern Staatskultur, die sich �ber alle Wirklichkeit der gesellschaftlichen Verh�ltnisse stellt. Den Anfang macht die Verbindung subjektiver Eigenschaften und Beziehung mit allgemeinen und objektiven Verh�ltnissen. Die "Liebe zum Vaterland" verschw�ngert eine geografische Lage der Geburt, eine politische Gemeinschaft und einen Kulturkreis und seine �konomie mit h�chster subjektive Bedeutung zu einer ma�losen, weil unerreichbaren Selbstbehauptung, die nur dadurch m�chtig ist, dass sie als eigene und zugleich allgemeine Kulturhoheit errichtet wird. Daraus quillt die Kindschaft f�r einen Vater, den es nirgendwo als Vater gibt, der aber mit diesem Begriff den Anschein des F�rsorgers bekommen soll. Patriotismus ist der Ursprung in der pers�nlichen Beziehung auf �bermenschlich bestimmte Lebensverh�ltnisse, der fr�her oder sp�ter im Nationalismus weitergeht und im Rassismus seine Hochzeit feiert. Darin wird der politische Wille zur Kulturmacht, zum absoluten Willen, dem nur Folgschaft geleitet werden kann, weil ihn kein einzelner Mensch erf�llen kann. Das Heil der Kultur erf�llt sich durch die Befolgung des kulturm�chtigen Willens, durch Folgsamkeit gegen�ber �bermenschlicher Kulturhoheit �berhaupt: Die Heilserwartung der Kultur des Guten. Um den Kapitalismus als Kulturverh�ltnis fortzutreiben, bedient sich der kapitalistische Staat als vorgeblicher Kritiker des Kapitals dieser Erwartung und betreibt sie als Staatskultur eines totalit�ren Kapitalismus, der Mehrwert bildet, indem er Heil verspricht und Arbeit erzwingt.

 

Die Staatskultur des Heilsprinzips

Kulturwerte bewahren die Vorstellungen einer Urspr�nglichkeit von Kultur im Menschen, wenn er ohne seine geschichtlichen Lebensverh�ltnisse begriffen werden muss, weil er keine wirkliche Geschichte mehr hat. Er erscheint darin unwirklich und doch wesenhaft, wie ein gesellschaftliches Naturwesen, das sich nicht verwirklichen kann, das allgemein behindert ist, zu sein, was es "eigentlich" ist, das in seinem Dasein nicht wirklich und wahr sein kann (siehe Heideggers "Seinsvergessenheit"), das besch�digt worden war und jetzt geheilt werden m�sse. Kulturwerte wie Sitte, Brauchtum, Anstand, Humanit�t, Ethik usw. konservieren, was sie aus der Geschichte der Kultur positiv bewahren wollen, weil die Wirklichkeit nicht mehr als kulturelles Produkt angesehen werden kann, sondern sich ihren eigentlichen Grundlagen zu verschlie�en scheint. Sie werden dem Seienden als eigentliches, als gesundes Wesen entgegengehalten, an der die Welt genesen soll. Es geht um seine Heilung, f�r welche Kulturwerte als Heilserwartung dienen, als Grundlage der Erl�sung von einem �bel. Dem Heilsprinzip liegt die Behauptung einer Erl�sung zugrunde, aus dem Zerst�rten Heil zu erwirken, aus dem Untergang einer �berkommenen und verkommenen Gesellschaft vermittelst dieser Werte das Heil der neuen Gesellschaft zu schaffen. Im Heilsprinzip wird die "eigentliche" Gesellschaft geboren als die Verwirklichung des heilen Menschen, des gesunden Menschen und des sch�nen Menschen, wie er gerade untergegangen war. Es ist die Reflexion der Auferstehung im Untergang, die Hervorkehrung des eigentlichen Menschen auf der Basis des enteigneten Menschen, der nun und in seiner Unwirklichkeit als wesentlich menschlich erscheint, das Enteignete als n�tig f�r das eigentliche, das �bermenschliche. Darin wird Kultur als wesentliche Natur begriffen, die zu befolgen ist, um menschliche Natur zu verwirklichen, als ein Wesen, das jenseits aller Erfahrung und doch erfahrbar im Menschen sei, als sein inneres Wesen, das sich wie seine Seele zugleich als Volksseele f�r das erweisen soll, wovon es sich in Wirklichkeit absetzt.

Die Naturalisierung der Kultur macht aus Kulturwerten Naturtatsachen v�lkischen Lebens, dem sich die Menschen unterwerfen m�ssen, um ihr Heil zu finden. F�r die Bem�hungen, die "Natur des Menschen" zu bestimmen, taugen die absurdesten Disziplinen der Biologie ebenso, wie Esoterik und kosmische Heilserfahrung. Eine Rassenideologie ist das Werk, das hierbei herauskommt: Die Lehre von der menschlichen Art. Der Nationalsozialismus hatte dereinst bereits diese Biologisierung bis zur technischen Vollkommenheit gebracht und den Mord von andersartigem Leben mit unglaublicher K�lte und Industrialisierung vollstreckt. Das "andere Leben" war dort der Lebensfeind in der Gestalt des Schlechten, das aus der Art geraten ist, des Abartigen, das zum kulturellen Gegner gemacht werden muss, um ein artiges Volk zu erzeugen. Die Geschichte des Judenmords kann die Erzeugung des Kulturfeindes bis hin zu seiner praktischen Ausrottung zur Gen�ge belegen: Vom Sinnbild des Wucherkapitals wurde der Jude zum Inbegriff des Kulturfeindes, um das Kapital in seiner g�tigen Form zu bewahren, um das Unredliche vom Redlichen abzusondern, um Redlichkeit �berhaupt erst zur Kulturmacht zu fixieren. So wurde der Jude zum Judas, zum Verr�ter des Guten, zum Inbegriff eines ungeheuer m�chtigen Hinterhalts einer ungreifbaren Verschw�rung, der wie eine b�se Hexe auf den Scheiterhaufen gebracht werden sollte, um ergriffen und zugleich vernichtet zu werden. Ein billiger, kindischer Mythos ist der ganze Kern solcher Vernichtungsmaschinerie, wie er in den Zeiten aufgebracht wurde, in denen eine �berkommene Gesellschaftsform in t�dlichen Zuckungen ist und ein Exempel f�r die Natur des �berlebens, f�r das Leben einer �bermenschlichen Rasse statuiert wird.

Rassentheorie entsteht im Bed�rfnis eines Heilsprinzips, das schon im ganz einfachen Leben ansetzt, wenn es zum Stillstand kommt, wenn es in den Gegebenheiten untergeht, denen es nicht mehr gewachsen zu sein scheint. Es ist ein Prinzip des �berlebens, welches das Leben so bestimmt, wie es funktionieren k�nnen soll, wenn es den Gegebenheiten, dem Gebotenen optimal entsprechen soll, sich anpassen kann, ohne unterzugehen, indem es darin aufgeht, sich �ber das Gebotene durch ein Lebensgebot zu stellen. Wo angepasstes Leben definiert und durchgesetzt wird, da wird die Art erzeugt, welche artig ist: Menschliche Natur, die f�r das Gebotene geschaffen wird und sich dennoch als dar�ber erhaben vermeint. Das Gebotene ist die Kultur, wie sie aus der Vorstellung des Ganzen aus dem Bruch der Gegebenheiten gebildet ist: der gebotene Mensch, wie er eigentlich sein sollte, damit das gegebene Verh�ltnis wieder funktioniere. Es ist die Vorstellung des Vertrauten, das Vertrauen gebietet, das verunm�glichte Menschsein, das als �bermenschliche Projektion des Eigentlichen, der menschlichen Art �ber die Menschen herrschen soll. Und damit ist zugleich das Unvertraute zur Abart bestimmt, zu dem, was misstrauisch macht, das Fremde, das Andersartige, das als Produkt der Enfremdung in den K�pfen der Menschen zur Macht der Entfremdung, zur �bermacht des Unheimlichen wird. Indem es als Unheil begriffen ist, wird das Heil greifbar, dem gebotenen Leben zugef�hrt als Mittel seiner Erhebung, Begr�ndung seiner Erhabenheit �ber das Bestehende, dessen Aufl�sung und Aufhebung in einem: Endl�sung

Was im Gro�en geschieht, das f�ngt im Kleinen an. Indem kulturelle Eigenarten nach eigener Kultur bewertet werden, wird das Vertraute heimisch und zugleich bedroht durch Fremdes, das schon prinzipiell bestritten ist und also auch als Streiter gef�rchtet wird, der es bedr�ngen, verletzen und verunreinigen kann. Es entsteht auf diese Weise ein Prinzip, das Festigkeit verlangt, Schutz und Bereinigung von etwas versucht, was schon dadurch unrein und bedrohlich ist, dass es anders ist. Es ist immer schon die Drohung mit einem Unheil, deren Grund sich nicht erkennen l�sst, unheimlich, weil es nicht heimisch ist. Es ist die Androhung von dem, was bedrohlich erscheint, weil es die Macht darstellt, gegen welche das Vertraute als ohnm�chtig empfunden wird. Das Unvertraute gibt es dann auch �berall, denn in der Abtrennung von jeder Wirklichkeit wirkt diese selbst schon gef�hrlich. Und das ist sie ja auch irgendwie und allgemein f�r ein Individuum, das in seiner Gesellschaft nicht aufgehen kann, das sich von ihrer Macht nurmehr beherrscht f�hlen muss, das nicht mehr ihr B�rger ist, weil ihm die Lebensbedingungen hierzu entzogen sind, weil die gesellschaftliche Krise es unvermittelt in seiner Existenz erreicht hat. Allgemein herrscht Ausbeutung, Enteignung, die Vernichtung dessen, was eigen, was lieb und teuer ist.

Es ist zun�chst der verb�rgerlichte Mensch selbst, der sich darin ergriffen f�hlt, der sich im Einerseits und Andererseits seines Besitzstandes nicht mehr gl�cklich f�hlt, weil ihm das wichtigste und allgemeinste Mittel hierf�r, das Geld, knapp wird. Jenseits von einem bestimmten gesellschaftlichen Stoffwechsel wird ihm der Entzug von Selbstverwirklichung mit seinem Besitz zum Stoff seiner Bef�rchtungen. Das macht ihn kritisch gegen die Gesellschaft der B�rger schlechthin. Doch seine Heilsvorstellung ist die einfache Idealisierung einer Kritik an der Wirklichkeit durch die Verunwirklichung von Kritik, durch deren Verkehrung zu einem Erl�sungsglauben, in welchem diese Gesellschaft �berwunden und also �berwindbar erscheint. Es ist die Kritik eines entfremdeten Lebensverh�ltnises durch die Entfremdung des gesellschaftlichen Menschen zur Eigentlichkeit von sich selbst, die Kritik objektiver Verh�ltnisse durch die Subjektivierung objektiver Bestimmtheit, durch die Selbsternennung von eigener Wirklichkeit, Verabsolutierung seiner Lebensburg, wie sie sich in den b�rgerlichen Lebensstrukturen bisher immer bew�hrt hat – in seiner Familie, seinem Arbeitsplatz, seiner sozialen Sicherheit.

Aber es ist die sublimste Anpassung an die Verh�ltnisse, die Radikalisierung seiner Selbstbezogenheit. Durch eine Kritik der Unp�sslichkeiten einer fremd gewordenen Gesellschaft wird die Ausweisung des Widrigen nur zur Einweisung des Gew�hnlichen. Die Verh�ltnisse, wie sie in ihrer Verfremdung erscheinen, werden zum Schein der Geborgenheit, indem das Fremde bek�mpft wird. Die Entfremdungsmacht der Wirklichkeit wird durch die Drohung mit Fremdheit kompensiert und damit unwirklich. Und was die Eigenheit erzeugen und ausmachen soll, wird zur Wirkung aus eigener Natur im Unterschied zu fremder gebracht – wenn es sein muss, mit Gewalt. Das Bestreben des Rassismus ist die Umkehrung des unverwirklichten �bermenschen zur Macht einer als Natur verstandenen Wirklichkeit. Er will den Menschen durch Z�chtigung z�chten, den heilen Menschen zum Heil des Menschseins machen, wie es jedem artigen Menschen zu eigen gemacht werden muss, um die Unnat�rlichkeiten, die Unarten des Gegebenen zu �berwinden. Letztlich geht es um die Erzeugung einer innere Notwendigkeit in allen Menschen, sich der Selbstbehauptung des Rassismus zu �bereignen, seine Prinzipien zu ertragen und zu erf�llen, seiner Natur zu dienen, indem die eigene Natur verneint und eine eigentliche Natur erzeugt wird. Es geht darum, einen Begriff f�r sich zu haben, nach welchem sie sich ordnen und einteilen l�sst.

Praktisch verwirklicht sich Rassismus mit der Bewertung einer kulturellen Abgrenzung, einer Abspaltung von fremdem aus der eigenen Lebenswelt durch ein kulturelles Werturteil, das als nat�rlichste Natur des Menschen, also biologisch formuliert wird. Anfangs vollzieht sich diese Abspaltung fast wie ein Gef�hlsurteil, als Urteil dessen, was dem Selbstgef�hl nicht eigen ist, was seelenlos erscheint und daher einen fremden Sinn, fremde Sinnlichkeit haben soll. Weil es der eigenen Seele nicht entspricht, in ihrem Heim keinen Platz hat, wirkt es unheimlich und macht solches Ur-teilen m�glich. Was bislang reine Begegnung von Unterschieden war, ger�t durch biologistische, also durch totale Begriffsbildung in einen verteufelten Bezug, in eine Beziehung von totaler Verteufelung. Und wie dieses Urteil sich nun darin geltend macht, das Fremde als Unheimliches der Natur wahrzunehmen, wird es auch begrifflich aufgef�llt, immer urt�mlicher, archetypisch, �sthetisch. Eigene Wirklichkeit gibt es ohne Verwirklichung von eigentlicher Nat�rlichkeit nicht mehr und die Eigenheiten m�ssen zur Gewohnheit ihrer innersten Eigentlichkeit werden, um aus Entfremdung den Selbstgewinn eines naturalisierten Gem�ts zu ziehen.

Hierf�r taugt das Fremde, soweit es rassistisch begriffen wird, auf vielf�ltige Weise. Durch die Abgrenzung von Fremdem wird Selbstbezogenheit zur eigenen Natur, R�ckbeziehung auf die Eigenart als nat�rliche Eigent�mlichkeit. Der Mann, die Frau, das Kind stehen allein im Verh�ltnis der Natur ihrer Rasse. Was sie tun, folgt der Natur ihres rassistischen Gemeinwesens - und solche Natur hat Folgen f�r alles, was den Menschen zu eigen ist: Sie sind von Natur zu dem bestimmt, was sie sein m�ssen, um der Natur von Verh�ltnissen zu gen�gen, die auch sein m�ssen. Jedes einzelne Verh�ltnis steht in notwendigem Zusammenhang zum gemeinen Verh�ltnis und jede Notwendigkeit wird zum Selbstl�ufer: Not tut, was Not macht – alles ist n�tig und von daher ist alle Notwendigkeit selbstverst�ndlich. Eigene Not ist unm�glich, weil alle Gr�nde f�r sie schon Notwendigkeit haben, bevor sie auftritt.

Allein der Dienst am Gemeinwesen der eigentlichen Natur hebt Not auf. Weil hierf�r alles n�tig ist, ist jeder Mensch unn�tig, der auf eigenem Sinn besteht. Seine Eigensinnigkeit bedeutet selbst schon Gefahr f�r das Gemeinwesen. Die Anleitung zum Umgang mit jeder Not ergibt sich aus der Eigenart seiner Natur: Im Prinzip einer gemeinschaftliche Art und Rasse steckt jedes Heil nur in einem Sinn, der allem gemein ist. Jede Sinnlichkeit muss hierf�r also im Prinzip gleichsinnig sein. Es ist das Prinzip der Gleichschaltung einer jeden Eigenheit. Alles, was dem Gemeinsinn nicht entspricht, ist ihm eine �u�ere, fremde Gefahr. Das Fremde ist in Wirklichkeit auch blo� das Eigensinnige, das keine Kultur mehr hat, weil alle Kultur auf den Gemeinsinn bezogen ist. Rassismus macht entfremdete Verh�ltnisse zu eigentlichen, zu nat�rlichen Verh�ltnissen und erzeugt Entfremdung als Kulturentfremdung. Der Staat macht sich als Form eines kulturellen Gemeinwesens notwendig, weil er die Momente b�rgerlicher Existenz zusammenfasst, weil sich in ihm �konomische, soziale und kulturelle N�te zusammenfassen und damit erfassen lassen, dass er zum Kulturstaat wird.

Und der b�rgerliche Staat hat das n�tig, wenn die Krise der b�rgerlichen Gesellschaft total ist. Faschismus entsteht nicht aus einem b�sen Interesse von machtgierigen und vielleicht auch noch gewalts�chtigen Menschen, sondern aus einer realen Notwendigkeit des Staates, seine Kr�fte als die Kr�fte der Bev�lkerung zu b�ndeln und einzufordern, um die Krise des Kapitalismus zu meistern, um also als b�rgerlicher Staat fortzubestehen. Dass er hierf�r den kapitalistischen Sachzwang kritisiert und die staatsb�rgerliche Pers�nlichkeit zu einem Seelenwesen erhebt, ist f�r den Fortbestand seiner Glaubw�rdigkeit n�tig. Er dient allerdings in der Tat nicht mehr den nationalen Verwertungsverh�ltnissen, wenn er die staatlichen Notverordnungen und "Sozialgesetze" zu einem fast allt�glichen Regierungsmittel macht. Aber das Wertgesetz hatte selbst schon zur Desolation gef�hrt, wenn eine Staatsregierung als faschistische Position von der Bev�lkerung gew�hlt wird: Die Meinungsbildung selbst, welche sich in demokratischer Wahl zum Faschismus entwickelt, resultiert aus den Zerst�rungsprozessen, welche die Un�berwindbarkeit einer �konomischen Krise mit sich bringt. Es ist der immer noch anhaltende Glaube an den b�rgerlichen Staat, in welchem sich die Bev�lkerung ein Machtmittel gegen den Kapitalismus erhofft.

Der Kulturstaat ist als Staatskultur die reale Aufhebung der b�rgerlichen Gesellschaft zur Totalit�t einer gesellschaftlichen Burg. Darin sind ihre gesellschaftlichen Substanzen in ihrer Negation erstarrt, in ihrer Zerst�rtheit aufgehoben und als gesellschaftliche Gewalt gegen die Menschen fixiert, die nicht artig sind. Alle sozialen Verh�ltnisse der b�rgerlichen Gesellschaft werden darin zur Farce von abstrakter Gesellschaftlichkeit, zum �berlebenstrieb eines totalit�ren Kapitalismus. Demokratie wird zur Notverordnung, �konomische Ausbeutung zu Raub und Erpressung, Zwischenmenschlichkeit zum Rassismus. Faschismus ist durch und durch rational, w�hrend er sich als kulturelle, seelische und �konomische Notwendigkeit gibt. Schon die Nationalsozialisten hatten mit ihrem Rassismus nicht nur die Kultur einer arischen Rasse bereinigen wollen, sondern mit der Aneignung von Verm�gen aus j�dischem Besitz, mit einer durch Diskriminierung erwirkte Zwangsarbeit und mit Kreditaufnahme aus dem Ausland die deutsche Wirtschaft gest�rkt, Arbeitslosigkeit durch Staatsauftr�ge beseitigt und Kriege vorbereitet, die eine R�ckzahlung der Kredite unn�tig machen sollte.

Rassismus ist das wirksame Prinzip, durch welches ein Kulturstaat erfolgreich ist. Der nach wie vor kapitalistische Staat vermittelt als Staatskultur seine Macht, die er aus gesellschaftlicher Zerst�rung gewinnt, gegen gesellschaftliche St�rungen von Unartigkeiten, wird zur t�dliche Gewalt eines �berlebensprinzips, die von den Agenturen des Kapitals und der b�rgerlichen Kultur vollstreckt wird. Hierin macht sich das Heilsprinzip als Lebensperspektive einer �bermenschlichen Gesellschaft wirksam, unterordnet sich alle Wirklichkeit, um abstrakte Wirkung zu haben, um ein v�llig abstraktes Menschsein zur Wirklichkeit zu bringen, um abstrakte Arbeit und abstrakte Sinnlichkeit zur Totalit�t der Verwirklichungsinteressen des Staates als absolute Wirklichkeitsform aller Wertverh�ltnisse zu bringen. Dies kann gelingen, wenn Kultur als �konomie eines �berm�chtigen Sozialwesens funktioniert, das jeden Menschen in seinem Leben vollst�ndig bestimmen kann.

 

Das Heilsprinzip einer Weltordnung des Guten

Rassismus ist �konomisch das Heilsprinzip der Eigenheit, also das Heil des Eigenen durch die Abtrennung von Fremdem, die Herabsetzung des Fremden als Mittel f�r das eigentliche Wesen: Aneignungsprinzip von Fremdem. Das Eigene wird darin zum Guten schlechthin, zum wesentlich Guten, das durch das Fremde eben dadurch bedroht ist, dass sich ihm dieses widersetzt und sich darin in das Unrecht des Heilsprinzips versetzt. Schon die Nationalsozialisten wussten, dass sie das Heil ihres Volkes n�tig hatten, um das kapitalistische Staatswesen einer Krisen�konomie wieder in Gang zu versetzen und in Gang zu halten. Auf Dauer ist nur gut, was auch guttut. Der kleine Mann profitierte von der faschistischen Machtpolitik, denn sie brachte Werte in die Staatskasse, die nicht erwirtschaftet waren, sondern erpresst (Zwangsarbeit) oder durch Betrug (Kreditbetrug im Ausland) und Arisierung (Aneignung von j�dischem Besitz) ergaunert. Der angepasste Kulturb�rger bekam seine Pfr�nde, Familienf�rderung, Kindergeld, Steuergeschenke, Winterhilfswerk, der Andersartige geriet zun�chst in die Verbannung, sp�ter in die Todesmaschinerie der Menschenvernichtung. Die Ungeheuerlichkeit ist die tats�chliche Umsetzung eines finalen Kapitalinteresses: Die Abspaltung und Ausschaltung "�berfl�ssiger Menschen", die Ausspl�nderung ihres Besitzstandes und schlie�lich ihre Vernichtung. Ist das Kapital in seiner Krise entwertet, so ertr�gt es keine Unkosten und Reproduktionsanspr�che. Es kann Menschen im Wesentlichen nur zur Arbeit brauchen, denn das Kapital schaufelt sich hierdurch frei. F�r es gilt: "Arbeit macht frei". In den Restaurationsphasen des Kapitalismus z�hlen daher nicht Wachstum der Konsumtion, sondern der Produktion und daher auch die Elitebildung der produktiven Menschen. Die Befriedungsf�higkeit des Kapitalismus schwindet, und daher ben�tigt er letztlich die Staatsgewalt als kulturelle Macht. Der Staat kann als politische Macht sich zu dem verhalten, was nicht ins Ganze passt, die �berfl�ssigen , die fremden Menschen, die andere Kultur. Deren Auspl�nderung und Vernichtung steht in der Rationalit�t der kapitalistischen Krise.

Das Gute besteht deshalb nicht mehr als romantische Idee, sondern als knallhartes Interesse, als wirkliches Vernichtungsinteresse des B�sen. Das kann nur die Machtvollkommenheit der herrschenden Moral vollstrecken, die Aufbl�hung ihrer Selbstgerechtigkeit und die H�rte ihrer Vollstreckung als p�dagogische Ma�nahme, als schlagende Gewalt des Staates. Der Krieg gegen das B�se ist zun�chst zwar "nur" ein Krieg um Beute, ein Raubzug f�r die Restauration des Kapitalverh�ltnisses. In seiner kulturellen Wendung zum Kulturkampf wird er zum Heilsprinzip des Wesentlichen gegen fremde Unwesen. Und nur als dies kommt er in den Wohnzimmern der Kulturb�rger auch an. Aber nicht, weil er unbedingt nur verbr�men soll, was Sache ist, sondern weil er immer auch nach innen gerichtet sein muss als �berhebung des Staates gegen seine B�rger, als sein Auftritt als Besch�tzer und Verteidiger der Ideale, �bermenschlicher Werte und Rechte, als Volkserzieher und Retter, als Anstifter und Anf�hrer zu H�herem, Wichtigerem, Wesentlichen: Zum Zusammenhalt eines br�chig gewordenen Wert- und Verwertungsverh�ltnisses.

Das Heilsprinzip ist das Prinzip des Rassismus. Dies funktioniert innerhalb einer Nation zu deren Best�rkung als Ganzes gegen die Unartigen, die B�sen. Aber es funktioniert auch nach au�en. Es wendet sich dorthin lediglich in anderer Form, als Kulturalismus gegen fremde Kultur. Darin formiert sich nicht mehr nur biologisches Verst�ndnis, sondern auch kulturelles, das nicht nur Individuen, sondern ganze Nationen zu Kulturfeinden macht. Fremde Religionen sind zum Hort des Unheimlichen, des B�sen geworden, die kulturtheoretisch als Teufelswerk erkl�rt werden. Die eigene Kultur wird zu einem eigenen Menschenrecht, das im Kampf gegen fremde Kulturen au�er Kraft gesetzt ist. Der Kulturkampf soll zum Befreiungsschlag des Kapitalismus dienen, zum Eingriffsrecht in die Kulturen des B�sen, des Unmenschen, um die Krise des globalen Kapitals, der �berschu� von nicht mehr arbeitsf�higem fiktivem Kapital, zu f�rderlicher Kapitalvernichtung zu wenden: Zu "Weltordnungskriegen".

Auch dies ist durch und durch rational. Wo immer sich etwas bewegt, was eine latente Gefahr f�r die technologisch fortgeschrittenen Kulturen darstellen kann, wird es zur Artigkeit im Sinne eines westlichen Kulturverst�ndnisses gezwungen, um die M�rkte der Welt auf das Prinzip der Kapitalverwertung einzustellen, die Ausbreitung des Absatzes zu f�rdern und die Arbeits- und Rohstoffpreise zu drosseln. Die theoretische Legitimation des Kulturalismus ist l�ngst allgemein verbreitet. Der "Kampf der Kulturen" (Huntington) dient bereits zur Grundlage von Angriffskriegen. Die "Weltordnungskriege" werden als Notwendigkeit des �berlebens der Menschheit verk�ndet, als "Sicherung der Freiheit". Die Kulturen der "freien Welt" verbreiten Angst und Schrecken, weil ihre Freiheit alleine auf der Beherrschung von Unfreiheit beruht, ein Widersinn in sich (Bush bei seiner Antrittrede im Januar 2005: "Die Hoffnung auf Frieden in der Welt w�chst mit der Ausdehnung der Freiheit auf der ganzen Welt.").

"Nie wieder Auschwitz" wurde zum Kriegsgeschrei des deutschen Au�enministers im Balkankrieg. Alle v�lkerrechtlichen, diplomatischen und taktischen Mittel zur Kriegsverh�tung waren damit hinf�llig, die eigene Beteiligung an der Entstehung des Balkankriegs (fr�hzeitige und eigenn�tzige Anerkennung eines Teilstaates) weggewischt und kriegerische Legitimation durch kulturtradierte Selbstverst�ndlichkeit gewonnen. Gerade hierzu taugte Deutschland besonders gut, war es doch selbst einst Objekt einer "Befreiung". Nicht die Verw�stungen des vom deutschen Faschismus angezettelten 2. Weltkriegs und dessen Beendigung durch die �bermacht der alierten Kriegsgegner ist darin formuliert, sondern eine selbstlose Befreiungsaktion des US-Milit�rs, das jetzt zum Heldenepos der Kulturgeschichte f�r eine zivilisierte Welt gereicht. Auch die deutsche Kulturgeschichte wurde damit neu gefasst. Deutschland gilt nicht mehr als T�ter, als leibhaftige Warnung f�r dem Gr��enwahnsinn eines Kulturstaats, der das B�se im Rest der Welt bek�mpfen wollte, um sie als gro�deutsche Wirtschaftsmacht zu beherrschen, sondern als betroffenes Land, als Beispiel des Opferseins, das zwar nicht sich selbst befreit hatte, aber immerhin einen Befreier durch die USA bekommen hatte – ein Zynismus gegen alle Leidtragenden des deutschen Faschismus (z.B. auch die russische Armee und Bev�lkerung). So ist Deutschland still und leise eigereiht in die Interessen der Westkulturen, deren Einheit f�r die Durchsetzung des kulturellen Erl�sungsglaubens n�tig ist (Huntington).

Die Internationalisierung des Heilsprinzips hat seinen Nationalismus nicht aufgehoben. Kulturelle Hoheitsanspr�che sind die Basis f�r kulturelle Diskriminierung weltweit und national zugleich – eben in der Form, wie das Kapital selbst wirksam ist. Hierin verschwinden alle �konomischen Relationen wie auch ihr politisches Pendant. Was international als kulturnotwendig gilt, wird national zur Sorge um die "innere Sicherheit". Der internationale Kulturkrieg und der damit ausgel�ste Terrorismus wird unmittelbar zum Zweck der nationalen Disziplinierung gewendet. Dahinter lassen sich alle Ma�nahmen verstecken, welche f�r das Krisenmanagement zunehmend bedeutsam sind, vor allem die soziale Kontrolle und Disziplinierung der B�rger, die f�r den Selbsterhalt eines bankrotten Staatswesens n�tig sind. Nationalismus tritt damit zwar nicht mehr auf als Glaubenslehre eines Staatsganzen, aber als Notwendigkeit des Selbstschutzes und als Kulturnotwendigkeit der Staaten im Verbund der Nationen. Die Behauptungen von der Kulturbestimmtheit aggressiver Interessen in fremden L�ndern verkehrt die wirklich Konfliktlage zwischen armen und reichen L�ndern zu einer Glaubenslehre der M�chtigen gegen die Kulturen der Armut, die sie erzeugen – auch im eigenen Land. Die Kulturhoheit der "freien Welt" wird so zur legitimierten Gewalt der Freiheit, zur Staatswillk�r nach innen und nach au�en.

Die Lage ist vor allem deshalb so gef�hrlich, weil das Kapital nicht mehr in der Lage ist, seinen inzwischen sehr platt gewordenen Widerspruch aufzul�sen, dass es immer mehr Arbeit braucht, um zu wachsen und immer weniger Arbeit n�tig ist, um Reichtum f�r die Menschen zu schaffen. Es kann zunehmend �berhaupt nur noch durch die Feinsteuerung einer ungeheueren Produktivmasse wachsen, durch die optimale Bestimmung von Arbeit und Konsum durch Kulturtechnik. Wenn der Widerspruch des Wertes und dem menschlichem Reichtum nicht durch eine Ver�nderung der gesellschaftlichen Form aufgehoben wird, dann ist es durchaus denkbar, dass Kulturmacht zur Grundlage eines Weltfaschismus, zur Weltherrschaft des Guten wird, das sich als Ausbreitung der globalen Kapitalinteressen durch die Begl�ckung der Welt mit einer Scheinwelt des Kapitalismus durchsetzen will, mit einer Scheinproduktion, mit der sich fortreibenden Erzeugung und Verbreitung von Suchtmitteln. Es w�re die vollst�ndige und substanzielle Enfremdung des Menschen als Mensch, der Kreislauf zwischen Arbeitszwang und Konsumzwang. Schon kann man ihn allenthalben beobachten: Die Aufstauung von Ohnmacht und Selbstentwertung in der Arbeits- und Ausbildungszeit und die Abreaktion in der Freizeit, Abtanzen und Abspritzen, unendliche Kommunikation von Menschen, die sich nichts mehr zu sagen haben, weil sie keine wirkliche Geschichte mehr haben und leben k�nnen – Leben, das sich nurmehr im Erleben reproduziert, im unendlichen Wechsel von Ereignissen, die keine Wirkung haben, unwirkliches Leben ohne das, was Leben ausmacht: Sinnbildung als Lebens�u�erung, als Erzeugnis zur Bereicherung menschlicher Sinnesvielfalt, als menschliche Geschichte. In der Einf�lttigkeit der Selstbezogenheit der Menschen vollzieht sich Wertverwertung im Menschen selbst, ist sublime Reflexion der Kapitalkultur, Abstraktion menschlicher Sinnlichkeit, Aneignung menschlicher Lebens�u�erung zum Wertwachstum f�r wenige aber m�chtige Menschen, Politiker, Gesellschafter, Grundbesitzer und Lizensinhaber des Kapitals. Es ist insgesamt das Wachstum an fremder Macht der Sachlogik im Sachzwang der Lebensbedingungen als Weltkultur des Kapitalismus.

 

Wolfram Pfreundschuh

 

Quellen:

zu Bewertung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/be.html#bewertung)

zu Patriotismus:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/p.html#patriotismus)

zu Unheil:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/u.html#unheil)

zu Masse:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/ma.html#masse)

zu Nationalismus:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/na.html#nationalismus)

zu Gesinnung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/ges.html#gesinnung)

zu Fremdarbeit:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/f.html#fremdarbeit)

zu Fremdenfeindlichkeit:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/f.html#fremdenfeindlichkeit)

zu Rassismus:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/r.html#rassismus)

zu Ethik:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/e.html#ethik)

Ethikdiskussion in Kulturattac:
http://kulturkritik.net/forum_archiv/index_ethik.html

zu Heilsprinzip:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/hei.html#heilsprinzip)

zu Kulturstaat:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/kul.html#kulturstaat)

zu Nationalsozialismus:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/na.html#nationalsozialismus)

zu Staatsbankrott:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/begriffe/st.html#staatsbankrott)