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Die herrschenden Gef�hle sind die Gef�hle der Herrschenden
Im Grunde kann Gef�hl nichts anderes sein, als das, was man f�hlt. Ob jemand es wei� oder nicht: er f�hlt, was und wie ihm geschieht; er versp�rt, was ihm getan wird. Gef�hle setzen eine T�tigkeit voraus und nehmen diese wahr.
Das ist nicht mehr so klar. Gef�hle haben ihre eigene Wesenheit bekommen. Sie gelten inzwischen eher als eine besondere pers�nliche Qualit�t, als Begabung, als Offenbarung, als Ausdruck des Innenlebens, als Schimmer und Widerschein der Seele (vgl. Teil 1 im T�rspalt 1/82).
Durch solche Gef�hle sind sich die Menschen in ihren Empfindungen selbst eine Insel ihres Gem�ts, ihrer Stimmungen und Launen und wollen auch als solche sein. Sie ahnen ihre Einsamkeit und wenden sich zugleich hiergegen. Wenn sie wissen, was andere f�hlen, dann f�hlen sie sich selbst wieder als Mensch. Die Einsamkeit verliert ihren Schrecken, wenn sie menschlich erscheint - die Verlassenheit wird aber umso gr��er, je n�her sich die Menschen darin werden. Und es scheint, als d�rfe man gerade dies nicht f�hlen.
Das Gef�hl soll N�he schaffen, wo die Entfernung nicht mehr erkannt wird und es schafft Entfernung, wo die N�he �berfl�ssig geworden ist. Man mu� deshalb auch lernen, �mit Gef�hlen umzugehen� und �Gef�hle zu zeigen�; - so, wie man jemanden zum Beispiel auch seine Wohnung zeigt. Und wer sie nicht zeigt, dem unterstellt man ebenso leicht, da� er gar keine hat.
So haben Gef�hle an Wert gewonnen. Das hatten zuallererst die Werbepsychologen erkannt, die es tats�chlich schaffen, eine Zigarette besser zu verkaufen, wenn sie damit verbunden einen Gef�hlszauber von Stimmungen und Atmosph�ren auf der Leinwand abspulen. Das Bild eines Lebens, einer Atmosph�re oder einer Sehnsucht gen�gt, um dem Geschmack ein Gem�t zu verleihen und einen neuen Kunden an die Leimstange des Profits zu bringen. Der Geschmack, die Empfindung f�r einen Gegenstand, ist so heruntergekommen, da� er mit Zauberwelten gef�llt werden will. Gef�hle haben eben das an Wert gewonnen, was die Empfindungen an Sinn verloren haben.
Inzwischen wei� man Gef�hle in fast allen Bereichen der Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie zu nutzen. Eine spezielle Sparte der humanistischen Psychologie, die �personenbezogene Gespr�chspsychotherapie�, und die sogenannten Vegetotherapien (z.B. Schreitherapie) stellen diese Nutzbarkeit ausdr�cklich vor: Indem man einen �Klienten� mit einer Sph�re des Vertrauens, der W�rme und der Offenheit umgibt, bringt man ihn leichter dahin, �aus sich herauszugehen�.
Und er wird aus sich herausgehen, auch wenn er dabei alles von sich hinter sich lassen mu�. Er wird froh sein, diesen Ballast zu verlassen. Denn es ist ebenso abgeschmackt wie tr�stlich, doch einen Ort des Leidens zu bekommen, wenn man allem Leiden keinen Sinn ansehen kann. Wer auf Janovs Scho� �Mama� schreien durfte oder wer sich in Rogers Encountergruppen seine Seele auskotzen konnte, der wird wissen, wie wertvoll das Erlebnis des vergemeinschafteten Leids ist, das doch keine andere Gemeinschaft hat, als das (S. II/40) Leben schlechthin, Leben in h�chster Abstraktion: Erleben. Hierin allerdings kann das gegenw�rtig erscheinen, was so weit zur�ck oder so tief verborgen gef�hlt wird - Hier und Jetzt seist du Mensch ... und dann bist du's auch, weil du's ja immer bist! Sei Beispiel f�r dich selbst, du arme Wurst!
Solche Vergegenw�rtigungen �seelischer Spannungen� sind wie die Selbstvergegenw�rtigung f�r jedermann. Nur die Beliebigkeit und �bertragbarkeit der �Ausl�ser� verr�t, wie grundlos diese �Spannungen� gemacht werden m�ssen, damit man mit ihnen leben und sie auch zeigen kann. Aber das Ziel ist g�ttlich: der entspannte Mensch wird jeder Situation ebenso gewachsen sein, wie der Hindu, der die Knechtschaft durch jedes Regime ertr�gt. Es geh�rt aber allerhand Reflexion, Schirmherrschaft und Gottesf�rchtigkeit dazu, eine solch entspannte Seele zu erhalten. Nicht nur eine komplette Lebensphilosophie, meist auch noch irgendein Guru mu� helfen, dem Leben den Sinn zu geben, den die Menschen verloren haben. Es soll eben das gelitten werden, was man leiden kann. Und wer das nicht leid hat, der wird sich vor jeder �u�erlichkeit und Fremdheit bewahren, indem er ihr die Notwendigkeit des Leidens �berhaupt, des Leidens in allgemeinster Form entgegenzusetzen versteht. Er wird sich wieder leiden k�nnen, weil er alle Leidenschaft dem Gott seiner Gef�hle geopfert hat.
Alles, was einem Menschen gewi� sein kann, wird zur reflektiven Form: Das Leben als Erlebnis gefa�t, das F�hlen als Gef�hl, das Begreifen als Begrifflichkeit, der Verstand als Verst�ndnishaftigkeit wird zum Attribut des Umgangs und zugleich zu einem Gegenstand, mit dem man umgehen kann.
Je weiter ein Mensch in solcher Selbstreflektion fortgeschritten ist, desto einzigartiger und also gro�artiger mu� er sich auch vorkommen, denn sein Leben erscheint ihm in Gestalt solcher Attribute, solcher F�higkeiten zum �berleben. Er ist wirklich aus sich herausgegangen und hat alles hinter sich, was andere verstehen, begreifen, leben und f�hlen m�ssen. Ihm ist das Leben zu einer Erfahrungstatsache geworden.
Was die einen erfahren, das widerf�hrt den anderen. Was dem einen Selbsterlebnis, ist dem andern Selbstentfremdung. Und es ist kein Zufall, da� es ums Gef�hl geht. Wo Menschen ihr Leben nicht mehr gestalten k�nnen, weil ihnen die Gestaltung schon ab- und vorweggenommen ist, da haben sie ihr Leben auch nurmehr zwischen sich und untereinander. W�hrend sie sich so begegnen und unmittelbar erscheinen, vollziehen sie eine vorgegebene Lebensgestalt, welche nur durch sie selbst zur Wirkung kommt. Um diese zwischenmenschliche Wirklichkeit geht es nun.
Wenn es Gef�hle als solche, Gef�hle als Gef�hle gibt, dann ist nicht das von Bedeutung, was ein Mensch empfindet, sondern wie hierbei seine Befindlichkeit ist. Im Befinden eines Menschen wird so von der Empfindung abgesehen. Das hei�t: dem Befinden wird ein anderes Sein als dem Empfinden zugesprochen. Beides wird voneinander getrennt und zu selbst�ndigen Qualit�ten gebracht. Allerdings: Wer von einem Zusammenhang absieht, der hat eine Absicht. Er sieht es zugleich auf etwas ab.
Das Befinden w�re wohl auch nur das Gef�hl dessen, wo man sich befindet, wenn es darin nicht selbst schon um die �berwundenheit einer Empfindung ginge, einer Empfindung eben jener Isolation, die im Gef�hl so beziehungsreich erscheint. Das Ziel des Befindens kann nur Wohlbefinden sein. Und hierzu braucht man andere. Der vorgestellte Beziehungsreichtum mu� im Nachhinein eingel�st, verwirklicht werden! Was im Zusammenhang der Menschen so bedingungsreich ist, ist deshalb im Gef�hl ein bedingungsloses Verlangen nach anderen Menschen, deren wirkliches Sein jenem Verlangen nach Selbstverwirklichung unterstellt wird. Im Gef�hl werden die Menschen als Menschen, als wahrgenommenes Menschsein verlangt. Die Wahrnehmung anderer Menschen ist so zugleich der Gehalt der Beziehung auf andere. Man f�hlt sich so, wie man sich unter anderen erlebt, und man hat f�r andere das Gef�hl, welches man auch durch andere bekommt und welches zugleich Gef�hl f�r sich, Selbstgef�hl ist. Man hat es auf andere Menschen abgesehen, denn durch ihr Dasein nur kann dieses Gef�hl existieren.
Wo sich die Menschen so bedingungslos begegnen, haben sie sich selbst wechselseitig als ihre Lebensbedingung. Ein jeder lebt durch den anderen, weil dieser durch ihn lebt. In der Abwesenheit von anderen Menschen erleben sie sich unvollst�ndig, leben sie die Wesenlosigkeit und Leere, die ihre Wahrnehmung dann hat (Abwesen = ohne Wesen).
Das Verlangen nach der Anwesenheit anderer Menschen gr�ndet also auf der Leere jener Selbstwahrnehmung, die im Wesentlichen das Leiden an der Isolation, an der Gegenstandslosigkeit von Menschen ist und daher als Verlangen nach Menschen �berhaupt besteht. Im Gef�hl haben sich die einzelnen Menschen selbst als (S. II/41) Mensch schlechthin wahr, indem sie andere Menschen wahrnehmen. Was sie von anderen empfinden, ist ihnen zugleich Bedingung eigener Wahrheit. Was sie voneinander wahrnehmen ist ein Moment dessen, was sie von sich als Mensch wahrhaben. Ihre Wahrnehmung ist der Stoff ihrer Wahrheit, d.i. Identit�t aller Sinne.
Deshalb ist ihnen ihr Verh�ltnis zueinander im Gef�hl umgekehrt, wie in der Empfindung: Sie sind hierin f�reinander zuallererst Anwesenheit des Menschen, menschliche Sinne, Haut und Haar, Geschmack, Geschlecht usw.: bestimmungslose, geschichtslose Wesen, weiche gleichg�ltig gegen�ber jedem besonderen Sinn sind. Durch was sie sich als einzelne Menschen gerade unterscheiden, was sie gebildet haben, Wissen und K�nnen, was ihr Leben, ihre Geschichte hervorgebracht hat und hervorbringt, das gilt in dieser Wahrnehmung eben als Besonderung des Menschseins, wie etwa Gottes Sohn als Besonderung Gottes gilt. Im Gef�hl ist sich der Mensch in der Tat selbst zum Gott geworden: Vorweggenommener Mensch.
Diesen Menschen aber gibt es nicht. Er ist allein die Abstraktion von dem, was die Menschen wirklich voneinander haben. Im Gef�hl wird ja das eigene Leben so erkannt, wie es im anderen aufgefunden, vorgefunden und empfunden wird. Die Abstraktion von dem Inhalt dieser Beziehung ist aber der Sinn ihres Verlangens nacheinander.
So gr�nden die Gef�hle auf Empfindungen, welche ja der Stoff und Sinn jeder Erkenntnis sind. Sie selbst sind aber blo�e Form dessen, was ihrer Beziehung auf andere Menschen vorausgesetzt ist; sie sind die Form abstrakter Erkenntnis.
Indem sich die Menschen in dieser Wahrnehmung aufeinander beziehen, wird ihnen ihre Wahrheit auch wirklich genommen. Ihre Sinne wie z.B. ihr Geschmack, ihr Geh�r, ihr Geschlecht werden selbst zum Mittel dieser Bezogenheit, wenn sie sich als Menschen selbst ben�tigen. Sie haben sich eben abstrakt als Mensch wahr, wenn sie sich wahrnehmen, und deshalb abstrahieren sie auch notwendig von ihrem wirklichen Menschsein, indem sie ihre Wirkungen aufeinander, ihre T�tigkeit als Wirkung, ihre Wirklichkeit zum Gef�hl bringen und also zum Inhalt der Sinne selbst werden lassen. Sie verzehren sozusagen ihre eigene T�tigkeit, ihre sinnliche �u�erung, in ihren Sinnen selbst, in jener Innenwelt (vergl. T�rspalt 1/82), die umso unerme�licher wird, je vielseitiger ihre Wahrnehmungen, also die Beziehungen sind, welche sie im und durch das Gef�hl hatten. Was sie als Mensch wahrhaben, das tritt in Gegensatz zum Sinn ihrer Wahrnehmungen, in den Gegensatz zu jedweder Sinnlichkeit. Man fragt nach dem Sinn des Lebens, w�hrend man das Leben der Sinne genie�t. Das Gef�hl begeistert sich geradezu an den vielen Wahrnehmungen, weil es darin den Sinn hat, aus welchem es seinen Geist sch�pft: seine Seele.
Die Seele ist das Gesch�pf der Wahrnehmung, geronnene Geschichte ihrer Sinne. W�hrend der gute Christ sich selbst als Gesch�pf Gottes betrachtet, wenn er sich als Lamm seiner Herde f�hlt, l��t sich hier seine Schafsnatur leicht als Produkt seiner Selbstvergegenst�ndlichung erkennen. Die Selbstgef�hle, welche man als Gestaltungen des Seelenlebens ansieht, sind nichts anderes als das Resultat des Verlangens nach Menschen, sind die Gef�hle, die man unter Menschen eben hat. Der Lebensraum, den er durch andere Menschen hat, ist die Einl�sung der Welt, die seinen Gef�hlen n�tig ist, wenn und weil er sich darin den Allgemeinplatz des Menschlichen erworben hat.
In seinen Wahrnehmungen wird er nichts mehr von dem wissen, was er hierbei voraussetzt, was er wahrhat. Ihm ist dieses selbstverst�ndliche Lebensgrundlage, Sinn seines Lebens geworden und was Verlangen war ist jetzt die Forderung, da� es so sein und so werden soll, wie es ihm auch geworden war. Sein Verlangen ist jetzt (S. II/42) Wille. Er verlangt das bestimmte Sein anderer Menschen, bestimmte Wahrnehmung und erwirbt Ihre Beziehung so, wie er sich ihnen auch gibt, wie er sich ihnen selbst vergegenst�ndlicht. Die wechselseitige Selbstvergegenst�ndlichung macht jeden f�r sich selbst zum Willenstr�ger und den anderen zum Inhalt des eigenen Wollens. Wo n�mlich jeder sich f�r andere vergegenst�ndlicht, da ist er sich selbst auch Gegenstand. Er wei� es nicht, aber er f�hlt es. Und je nach Situation kann er sich als Herr seiner Gef�hle oder auch als ihr Knecht finden. Gef�hle wirken auf ihn, – manchmal wie ein Rausch, manchmal wie ein Vorschlaghammer. Sie sind so objektiv wie seine vier W�nde oder sein Berufsalltag; – Lebensumst�nde.
So m�ssen eben auch bestimmte Beziehungen erworben werden. Ohne es zu wissen wird jeder, der diesem Willen folgt, zum Menschenh�ndler, der eben jene Menschen braucht, die dem Gestalt verleihen, was er im Sinn hat. Ihre Regungen sind Gestalt seiner Erregung; ihr F�hlen ist Gestalt seines Gef�hls.
Dies ist ein doppelsinniges Verh�ltnis: Ihre �u�erung ist als ihre Vergegenst�ndlichung zugleich das Mittel ihres Zusammenseins. Was dem einzelnen zu �u�ern n�tig ist, gilt f�r die andern eben nur als daseiende �u�erung. So wird Ihnen ihre �u�erung zugleich �u�erlich. Dem einzelnen ist das zueigen, was ihm in der Beziehung auf andere fremd ist. Was er f�r sich bildet, ist ihm durch andere zugleich genommen. Alles, was er dem Sinn nach f�r sich ist, ist er ohne Sinn f�r andere; – die Frau f�r den Mann, die Kinder f�r die Eltern usw. Deshalb ist f�r den einzelnen seine Selbstvergegenst�ndlichung zugleich die Entgegenst�ndlichung seiner Sinne.
Dies wechselseitige Verhalten bildet ein Verh�ltnis, in welchem jeder wirkliche Sinn schon da zur�ckgenommen ist, wo er hervortritt. Er wird gerade dort auf sich verwiesen, wo er sich �u�ert und wird in den K�rper gebannt, dem er entspringt. Das sinnliche Verlangen nach einem Verh�ltnis besteht deshalb auch in seiner Wirkung als Mangelgef�hl, welches reiner Drang ist, als Hunger in der Abstraktion von seinem Gegenstand: Trieb.
W�hrend das Sinnesleben somit zur wirklichen Privatsph�re wird, zur Welt des K�rpers in jener Heimlichkeit, die f�r das �ffentliche Leben unheimlich ist, schlie�t es zugleich jeden anderen wirklichen Sinn aus. Jeder einzelne Sinn, wie z.B. Tasten, F�hlen, H�ren, Geschlecht, ist f�r sich und ausschlie�licher Sinn, so wie jede Kunst hierdurch zur ausschlie�lichen Kunst wird (z.B. Musik, Malerei, Dichten). Das Sinnenleben hat nur eigene Wirkung, wo andere Sinne keine haben und hat zugleich nur Sinn, wo es sinnliche Wirklichkeit gibt.
Dieser Widerspruch kann sich nur dadurch aufl�sen, da� sich jeder Sinn, Geschmack, Geschlecht, Geh�r usw. an dem bemi�t, was auch allgemein Sinn Sinn, ohne da� es selbst Sinn w�re: Gemeinsinn. Darin kultivieren sich die Sinne zu einer Form, der ihre Entstehung und Bildung nicht mehr anzusehen ist: Kultur. Die bestehende Kultur zeigt jene Kultivation menschlicher Beziehungen in jedem Medium, jeder Art (vergl. Pfreundschuh: Die Kultur, 1. Teil: Der Entstehungsproze� der Privatperson). In ihr ist das abstrakten Geschlecht ebenso dargestellt wie der abstrakte Geschmack, die abstrakte Sch�nheit, der abstrakte Geist: abstrakter Sinn.
Aber die Kultur ist die Sinnesform menschlicher Geschichte, also objektive Gestalt jener Sinnlichkeit, die Menschen in einer bestimmten Gesellschaft haben. Und deshalb ist auch hier die Kultur jene Welt, worin sich die Wahrnehmungen, die die Menschen voneinander haben und durch welche sie sich aufeinander beziehen, entwickeln und verwirklichen. An ihr zeigen sich deshalb auch die Krisen, welche solche Beziehungen notwendig in sich haben.(S. II/43)
Da� diese Lebensgestalt aber so getrennt von allen anderen Lebens�u�erungen, von der Arbeit und der Befriedigung, vom wirklichen Stoffwechsel der Menschen existiert, und da� menschliches Elend allein als kulturelle Verelendung auftritt, das setzt eine ganz bestimmte Existenz voraus. Bevor wir die Krisen zwischenmenschlicher Beziehungen erkl�ren k�nnen (im T�rspalt 3/82), m�ssen wir deshalb erst die Frage verfolgen, wie es �berhaupt sein kann, da� die Menschen ihre Sinne selbst zum Mittel ihrer Beziehung machen k�nnen, da� sie also sich selbst als Gegenstand und Mittel ihrer Vergegenst�ndlichung haben.
Wo Menschen arbeiten, ihr Leben gestalten, sich �u�ern, da haben sie ihre �u�erungen auch als ihren Gegenstand und Stoff ihrer Geschichte. Die Arbeit ist somit selbst Sinnes�u�erung als sinnliche Wirklichkeit. Wirklichkeit und Leben, Arbeit und Kultur sind im Grunde identisch. Erst wo sich diese Lebensgestalt von dem Sinn, den die Menschen darin �u�ern, entfernt hat, da k�nnen sie sich einbilden, selbst Sinn f�r sich zu sein. Und wenn ihnen die Arbeit nurmehr als ein ihnen fremdes Arbeitsprodukt begegnet, dann m�ssen sie es sein.
Wo weniger Arbeit ist als Geld, da gilt das Arbeitsprodukt eben auch mehr als die Arbeit. Und da mu� die Abwesenheit gegenst�ndlicher Sinne durch die Anwesenheit menschlicher Sinnlichkeit ersetzt werden! Was die Kultur voraussetzt und wovon sie zugleich absieht, das ist die wirkliche Bedingung ihrer verselbst�ndigten Existenz. Und diese enth�lt selbst Selbst�ndigkeit: Geld.
Wer Geld hat, der kann von allen lebendigen Lebenszusammenh�ngen, von allem stofflichen Leben absehen, weil er sich jeden Stoff, gleichg�ltig seiner besonderen Beschaffenheit und Erzeugtheit, aneignen kann. Nur wo Geld herrscht, kann sich ein Mensch auch durch sich und sein unmittelbares Wahrnehmen begr�ndet f�hlen. Denn mit Geld braucht man sich auf nichts zu beziehen, weil man alles auf sich beziehen kann. Geld ist die letztendliche Selbstbezogenheit. Zugleich ist Geld auch die Macht, durch welche die Produkte anderer Menschen zur Sensation der eigenen Gel�ste werden.
In Deutschland hat man Geld, viel Geld. Dieses Land ist die drittst�rkste Wirtschaftsmacht auf der Welt. Und das hei�t, da� man viel eingehandelt hat, weil man viel von dem hat, was f�r andere lebensnotwendig ist: Maschinen. Wenn man in Deutschland 100 Stunden zur Herstellung einer Maschine arbeitet, kann man gut und gern damit Lebensmittel einkaufen, die in der Dritten Welt durch 1000 Arbeitsstunden erzeugt werden. Das hei�t, da� man das Geld recht gut verwerten kann.(S. II/44)
W�hrend der gr��ere Teil der Menschheft noch am Verhungern ist und deshalb zu jedem Dienst bereit sein mu�, der ihm die einfachsten Mittel zum Arbeiten und Leben verspricht, eignet man sich in Deutschland nicht nur Bodensch�tze und Lebensmittel von �rmeren L�ndern an, sondern entzieht ihnen auch das einzige, was sie zur eigenen Entwicklung brauchten: ihre Arbeitskr�fte und ihre Kultur. W�hrend die L�ndern Lateinamerikas und Afrikas durch das Diktat des �internationalen Markts� zu Monokulturen herunterkommen, w�hrend ganze St�dte und D�rfer in der T�rkei, in S�ditalien und in Spanien ver�den, weil die M�nner fehlen, die �cker bestellen, Vieh aufziehen und H�user bauen, hat man hierzulande mehr das Problem, wie man sein Geld richtig anlegt und wie man die Wirtschaft im Wachstum - und das hei�t: Erwirtschaftung von mehr Geld - h�lt.
Der Arbeitsproze� in der Bundesrepublik hat eben seinen vorwiegenden Sinn in der Haltung und Weiterentwicklung der Vormachtstellung auf dem Weltmarkt. Dort ist der Ort, wo das meiste zu gewinnen ist. Deshalb arbeitet man auch haupts�chlich f�r den Export (jeder 3. Deutsche ist unmittelbar an der Exportproduktion beteiligt). Das ist die einfachste Art, sich mit wenig Aufwand viele Lebensmittel zu erwerben. Und man hat in Deutschland auch viel zu leben; - so viel, da� manch einer in seiner Hobbywerkstatt eine Maschine stehen hat, die f�r Menschen in der Dritten Welt lebenswichtig w�re. Die BRD ist eine Industriemacht. Und das hei�t: ein Land der Exportarbeiter, der Angestellten, der Beamten, der Techniker, Verwalter und Gesundmacher. Jenseits hiervon bleibt das Ausland: Gastarbeiter, Fischer und Bauern fremder Nationalit�t. F�r die Deutschen hat sich das Verh�ltnis von Arbeit und Verwaltung auch in der Bev�lkerung selbst umgekehrt: die Mehrheit der deutschen �Besch�ftigten� sind nicht mehr Arbeiter sondern Angestellte!
Indem es hierzulande mehr Arbeitsprodukte als Arbeit gibt, hat die Arbeit selbst auch nur den Sinn, den Menschen Geld zu verschaffen, um schlie�lich auf dem Markt einen Anteil dieses Mehrprodukt zu erwerben. W�hrend so fast jeder zu seinem Fernseher, seiner Waschmaschine und seinem Urlaub in der Sonne kommt, ist l�ngst eine allgemeine Verarmung der Menschen an dem Sinn entstanden, der ihr Leben fundamental ausmacht. Was n�mlich wirkliches und wesentliches Lebensmittel ist, Wohnraum, Rohstoff und Werkzeug, Landarbeit und Werkarbeit, das geht in diesem Land zunehmend unter.
Und grotesk ist in der Tat, da� das Leben umso bunter erscheint, je ausgeh�hlter es ist (die Farbmittelproduktion ist in der BRD in den letzten 20 Jahren um ein zigfaches schneller gewachsen als die Lebensmittelproduktion!). Die Fassaden werden umso wichtiger, je leerer der Raum dahinter ist. Fast jeder gr��ere Ort hat inzwischen seine �Fu�g�ngerzone� und die Denkmalpflege ist der Augapfel jeder lokalen Administration geworden.
Derweil ist das Leben in Deutschland sehr triste. Alle Strukturen, die ein Land h�tte, worin nicht das Wertwachstum bestimmend ist, sondern das Wachstum des Landes und der Menschen, ihrer Arbeit, ihrer Natur und ihrer Wohnung, sind hier weitgehend zerst�rt oder stehen kurz vor ihrer Zerst�rung. Weite Landstriche sind zu Stra�en, Kan�len oder Flugh�fen geworden, weil in diesem Land die Masse und Geschwindigkeit des Transports und der Connection h�chsten Rang haben. Die Bauern und Fischer k�nnen kaum(S. II/45)mehr existieren, weil ihre Produkte gegen�ber den Importierten nicht mehr standhalten k�nnen und weil deshalb die Erhaltung ihres Berufsstands, ihrer Ern�hrung in diesem Land zu teuer geworden ist. Die Infrastrukturen der St�dte und D�rfern werden beherrscht von Spekulanten, Banken, Versicherungen und Kulturagenturen, weil die Bev�lkerung selber keine autonomen und eigenen Arbeits- und Lebenszusammenh�nge haben kann, die den Bodenpreisen und Tourismusinteressen standhalten k�nnen. Das Leben selbst wird bedroht durch Energieerzeuger, die einem Energiebed�rfnis entwachsen, das die gro�e, die Exportindustrie, mit sich bringt und die in keinem nat�rlichen Verh�ltnis zur Bev�lkerung und zu den M�glichkeiten der Landschaft stehen, die den W�rmehaushalt und die Strahlung in ganzen Landstrichen auf den Kopf stellen und damit Wachstum und Anbau in diesen Gebieten denaturieren. Die Abw�sser der Kunststoffproduktion, der Waschmittel, Kosmetika und Konsumartikel k�nnen von dem kleinen Land und seiner Natur nicht mehr aufgearbeitet werden; Seen und Meere sterben. Und schlie�lich l��t sich die Vormachtstellung auf dem Weltmarkt, die Sicherung der Bodensch�tze im Ausland nur durch ein ausget�fteltes Milit�rsystem erhalten, das schon weit �ber ein Drittel des Bundeshaushaltes ben�tigt.
Auch die Arbeitspl�tze selbst sind nicht dadurch sch�ner geworden, da� sie technisiert wurden. Abgesehen davon, da� die Technik viele Arbeitskr�fte unn�tig macht, ohne da� das Land noch andere Arbeit h�tte, vollstrecken die Verwaltungshallen, die Flie�b�nder und die Computer nur noch die Abstraktion von Arbeit. Inzwischen haben die Freizeitforscher auch per Statistik herausgefunden, da� der Gro�teil der Bev�lkerung in Deutschland in der Arbeit keinen Sinn mehr sieht.
Umso mehr in der Freizeit. Hier kann sich jeder f�r den entstellten gro�en Teil seines Lebensalltags r�chen. Hier will er aber auch Sinn finden, – Sinn f�r sich.
Daf�r gibt es auch eine eigene Sparte von Spielzeug, die ihm die Freizeitindustrie zur Verf�gung stellt und wof�r er gen�gend viel Lohn erh�lt. Es ist dies der Teil seines Lohns, der ihm als Entsch�digung f�r die Sinnlosigkeit seines Alltags gilt und die subjektiv zugleich seine Teilhabe am G�terreichtum seiner Nation ist. Da hat sich eine ganze Freizeitindustrie entwickelt, die allerhand zu bieten hat. Das echte Freizeitauto oder einen �richtigen Abenteuerurlaub� werden zwar wenige erreichen, aber ein Spielcomputer, eine Hobbywerkstatt, ein Surfbrett, ein Walkman oder ein Skateboard ist f�r jedermann erschwinglich. Und schlie�lich gibt es auch noch die Palette der Kultur- und Unterhaltungsindustrie, die ihm freitags seinen Krimi, samstags seine Sportschau und Sonntags seine Erbauung frei Haus liefert. Au�erdem bleiben ihm auch noch die �freien Bet�tigungen�, die ihm wieder zu k�rperlichem (S. II/46) Gleichgewicht und vor allem zu k�rperlichem Selbstgef�hl verhelfen wie z.B. der �Spaziergang in der Natur�, Jogging, Sauna oder Trimm�bungen.
Die Verselbst�ndigung des K�rpers zeigt sich besonders an dem, was sich Sport nennt. War das, was man da macht, fr�her Ert�chtigung des Kriegers in Friedenszeiten (z.B. Speerwerfen, Ringen, Boxen, Weitspringen, Wettlaufen, Kugelsto�en usw.), so dient das heute vorwiegend dazu, �berhaupt Ereignisse und Erlebnisse herzustellen, in welchen der K�rper selbst wieder Wert hat und auch einen praktischen, sp�rbaren Rang im Land, in der Nation oder in der Welt bekommt. Aber er ist nicht mehr angespornt (Sport kommt von Sporn, Spurt) durch die Notwendigkeit zu bestimmten F�higkeiten, sondern durch das Verlangen nach Selbsterleben, das sich steigern kann bis zum Erleben der eigenen Nationalit�t im Rang der Weltlisten. Subjektiv ist es f�r die Deutschen deshalb schlimmer zu ertragen, da� sie die Weltmeisterschaft im Fu�ball verlieren, als da� sie der Teilhabe am V�lkermord bezichtigt werden.
Das Selbsterlebnis ist �berhaupt die Form, welche die Kultur jetzt abgetrennt und ohne Sinn f�r die Arbeit hat. Alle Bereiche sind vom Verlangen nach Selbsterlebnissen dahingetrieben worden, Mittel hierf�r zu sein: Musik, Geschlecht, Religion, Kunst, Psychologie usw. Fast kann man sie deshalb nicht mehr unterscheiden.
Die Menschen erkennen sich nurmehr in ihren �sthetischen Merkmalen und ver�ffentlichen darin, was sie selbst im Sinn haben. Die Mode ist nicht nur eine Lockung und Verlockung, sondern vor allem auch Darstellung eigener Ausgerichtetheit. Der Gartenzaun zum Nachbarn ist nicht nur ein juristisches Merkmal des Besitztums, sondern zugleich die �sthetische Grenze zweier Welten. Bei jedem ist ein anderer, ein exklusiver, ein ausschlie�licher Geschmack verwirklicht; in jedem Haus ist eine andere Ordnung und in jeder Liebe ein anderes Geschlecht. Das treibt seltsame Bl�ten – im Garten wie im Bett. Die Betonung des Besonderen verliert das Auge des Allgemeinen und die Hervorhebung der verschrobensten Besonderheiten sind die Stilbl�ten allgemeinster Trivialit�ten. Das K�rperliche zeigt seine Privatheit in seiner Abgetrenntheit, seiner Exklusivit�t eben auch gerade dort, wo es sein Verlangen nach anderen Menschen verwirklicht.
Durch ihr k�rperliches und einzelnes Dasein treiben sich die Menschen, die ja schon eh als Personen privat existieren, zu unterschiedlichen Pers�nlichkeiten, die – jeder f�r sich – einen ausschlie�lichen und ausschlie�enden Lebensraum repr�sentieren. Hierin verwirklicht jeder seinen aparten Sinn, den er seiner Existenz abgerungen hat und um den sich zu streiten lohnt. Denn das ist die Gestalt der Liebe, die er zum Leben gefunden hat und die er in seiner Person und Pers�nlichkeit verwirklicht sehen will. Es liegt allseits das Besondere Augenmerk auf diesem Raum der Pers�nlichkeit, in welchem die Menschen ihrem Verlangen, ihrem K�rper und sich selbst noch folgen d�rfen. Es ist auch der Raum, wo sie ihre Pers�nlichkeit erzeugen: die Familie.
Literatur zu diesem Teil:
Marx, Karl: Die philosophisch-�konomischen Manuskripte (MEW Erg�nzungsband I)
Marx, Karl: Das Kapital, MEW 23
Falk, Gerhard: Ent�u�erung und Entfremdung in den Pariser Manuskripten (A.G.Psychologie)
Pfreundschuh, Wolfram: Die Kultur l. Teil: Der Entstehungsproze� der Privatperson, (A.G. Psychologie)
Pfreundschuh, Wolfram: Der Reichtum der b�rgerlichen Gesellschaft (A.G. Psychologie)
Pfreundschuh, Wolfram: Arbeit am Wahnsinn (unver�ffentlicht)