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Der Kampf um die Persönlichkeit

 

Die Menschen kommen zwar als Junge oder M�dchen auf die Welt; - nicht aber als Pers�nlichkeit. Man wird auch lange schauen m�ssen, um eine �Pers�nlichkeit� bei Naturv�lkern oder in weniger reichen L�ndern aufzust�bern! Sie ist das Produkt unserer Kultur.

Wer eine Pers�nlichkeit ist oder hat, der f�hlt sich indes gerne so geboren. Er h�lt es f�r seinen Genius, dies abgeschlossene Besondere, dieser exclusive Mensch zu sein.

Pers�nlichkeit gibt es aber nur dort, wo sich Personen selbst zur Substanz werden k�nnen, wo sie sich als Person haben, wo sie sich von ihren Lebensverh�ltnissen abheben k�nnen, wo sie meinen k�nnen, sie seien selbst und f�r sich Ma� und Ziel ihres Lebens.

Eine Pers�nlichkeit ist der Mensch, der von seiner Gesellschaftlichkeit absehen kann. Pers�nlichkeit ist das sich als unmittelbarer Mensch d�nkende Wesen einer privat existierenden Person.

In den b�rgerlichen Rechten ist die Pers�nlichkeit, die entfaltete Person, h�chstes Gebot, eigentliches Ziel der b�rgerlichen Juristerei. Dort wird die �Freiheit der Person�, das �Recht auf freie Entfaltung der Pers�nlichkeit� gefeiert; – und nicht nur die Juristen, auch die Gesch�ftsleute, die Wohlst�ndigen und die Wohlt�ter werden einiges hiervon haben. Wer von seinen Beziehungen auf andere Menschen absehen kann, der kann seine Freiheit, seine pers�nliche Entfaltung und seine R�ckbeziehung auf sich selbst als seinen Lebensinhalt ansehen. Die ganzen b�rgerlichen Lebensstrukturen, die b�rgerliche Kultur, ist identisch mit der Lebensweise der realen Privatperson, der Pers�nlichkeit: Familie, Gemeinde und Nation.

Aber nicht jeder kann eine Pers�nlichkeit haben. Die �Freiheit der Person� ist nicht die Freiheit von Menschen in freier Gesellschaft; – sie ist das Gegenteil: die Freiheit jener, die sich in dieser Gesellschaft unabh�ngig, d.h. beziehungslos f�hlen k�nnen: die Freiheit jener, die ihr Wirken und ihre Wirklichkeit nicht erkennen m�ssen. Von seiner Beziehung auf andere Menschen kann aber nur der absehen, auf den alles bezogen ist, weil er etwas besitzt, auf was sich alle beziehen m�ssen: Geld. An und f�r sich kann es eine Pers�nlichkeit nur als Geldbesitzer geben (vgl. den 2. Teil dieser Serie im T�rspalt Nr. 8). Pers�nlichkeit w�re also so nur ein Synonym von Geldbesitz.

Aber Pers�nlichkeit ist nicht nur ein wirtschaftliches Ph�nomen und auch nicht nur das idealisierte Bild, was man sich im b�rgerlichen Recht, in der b�rgerlichen Kunst oder im b�rgerlichen Staat vom Menschen macht, - sie ist dort, wo man Geldbesitz voraussetzen kann auch die wirkliche Identit�t des privat existierenden B�rgers schlechthin. In Wirklichkeit gibt es zwar keine Pers�nlichkeit, aber es gibt dort, wo man vermittels seines Besitzstands gesellschaftlich integer ist, zugleich die Macht, den Zwang zur privaten Integrit�t.

Deshalb haben die meisten Menschen das Problem mit ihrer Pers�nlichkeit. Eine komplette Sparte der Psychologie k�mmert sich darum: die Pers�nlichkeitspsychologie. Dort soll all das ausgelotet, beobachtet, gemessen und sogar gewogen werden, was eine Pers�nlichkeit ausmacht. Der Mensch hat f�r die Pers�nlichkeitspsychologie zwar keine Eigenschaften, aber umso mehr F�higkeiten, Daseinsweisen seiner Eigenschaften: Eigenheiten. So hat sie schon einiges zusammengetragen, um diese nutzbar zu machen. Da werden die Eigenheiten gemessen, faktorisiert und schlie�lich zu einem �unverwechselbaren Pers�nlichkeitsprofil� gebracht, um die �optimale Verwendung� einer Person herauszufinden. Da eben das b�rgerliche Leben sowas �hnliches wie der N�rburgring ist, behalten die Psychologen auch Recht: ohne Profil fliegt man aus der Kurve.

Eine Pers�nlichkeit kann nur das besonders starke Individuum haben. Und das ist ein Mensch, der sich durchsetzen kann, der das erreichen kann, was er will, – ein Mensch der �in diesem unserem Lande� eben gut leben kann. Und weil er es kann, h�lt er es auch f�r sein K�nnen.(S. III/41) Was mit diesem Begriff f�r solche F�higkeiten aber geleugnet wird, das sind die vielen Beziehungen, die erst eine Pers�nlichkeit gebildet haben, Beziehungen, Lebensinhalte, Lebensbedingungen, die sich ein Mensch angeeignet hat, um als Pers�nlichkeit zu sein. Eine Pers�nlichkeit wird nicht erst von der Psychologie in isolierte F�higkeiten zerlegt, sondern ist wirklich die isolierte F�higkeit, die F�higkeit und Eigenheit, die �brigbleibt, wo die Geschichte und Bildung vieler Menschen vergangen ist. Eine Pers�nlichkeit ist eben nichts anderes als die F�higkeit, in einer bestimmten Form der Selbstbezogenheit existieren zu k�nnen, in einer Existenz jenseits aller wirklichen und sinnlichen Bezogenheit da zu sein. Eine Pers�nlichkeit erh�lt sich nur durch andere, aber als Pers�nlichkeit existiert ein Mensch in einer Beziehung ohne Sinn f�r andere. Pers�nlichkeit ist die zur Privatperson geworden Beziehung, geronnene Sinnlichkeit menschlicher Eigenschaften. Und deshalb leugnet auch die Psychologie als Anwalt dieser Pers�nlichkeit den wirklichen und gesellschaftlichen Sinn menschlicher Beziehung, der darin verschwunden ist.

Schon vom blo�en Hinschauen wissen wir, da� kein Sinn aus sich selbst gebildet ist – kein Auge w�re ohne das Licht, kein Mann ohne Frau, kein Verlangen ohne Gegenstand. Selbst die Natur w�rde es nicht geben, denn die Tiere sind nicht so heruntergekommen, wie die Menschen in den Augen der Psychologie; – kein Nest, kein Ameisenhaufen, keine Bienenwabe h�tte entstehen k�nnen, wenn auch die Viecher eine Pers�nlichkeit h�tten. Der Pers�nlichkeitsbegriff sieht selbst von allem ab, was das organische Zusammenwirken ausmacht. Durch ihn soll es nat�rlich erscheinen, da� sich Menschen in ihrer Ausschlie�lichkeit voneinander verwirklichen, da� sie als einzelne, �frei konkurrierende Wesen� ihre private Erf�llung haben. Was sie aber zu einem menschlichen, d.h. gesellschaftlichen Leben zusammengetragen, gef�gt und entwickelt haben, und woraus sie sich wiederum als einzelne Menschen begr�nden, davon wird hier ausdr�cklich abgesehen. In der Pers�nlichkeit wird die menschliche Entwicklung der Individuen zur individuellen Entwicklung des Menschen verkehrt.

Aber in der Tat: Wo Geld herrscht, da leben die Menschen wirklich verkehrt, da erscheint ihnen n�mlich ihr Verh�ltnis zueinander wirklich aus ihnen selbst begr�ndet. Und ihr wechselseitiges Ausschlie�en, die Beziehung im Ausschlu� und die ausschlie�liche Beziehung zugleich ist ihr wirkliches Lebensverh�ltnis. Dies ist das allgemeine Verh�ltnis, worin sich die Menschen hierzulande gegen�bertreten.

Diese Beziehung erscheint zwar als freies Sich-Beziehen einzelner Menschen. In Wirklichkeit gehen sie aber diese nicht freiwillig ein. Durch die Formen, welche die Lebensverh�ltnisse der Menschen hier ausmachen, sind sie dazu gezwungen, frei, d.h. unabh�ngig, also ohne wirklichen Bezug zu existieren (vergl. Teil 2). Jeder einzelne Mensch ist deshalb auch von vornherein vereinzelt; – Monade in einem ungeheueren Raum. Ohne andere Menschen f�hlt er sich als nichts und unter anderen ist er sich seiner nicht gewi�. Dieser Zwiespalt selbst zwingt ihn zu einer Gesellschaft, die von vornherein sein Mittel sein mu�, damit er im Nachhinein erkennen kann, was er darin war. Er f�hlt sich zu anderen Menschen getrieben. – Gesellschaftlicher Zwang erscheint so nicht mehr als Gewalt, sondern als innere Notwendigkeit: als Trieb.(S. III/42)

Der Trieb zur Pers�nlichkeit oder die Ohnmacht der Liebe

Wo das Verlangen des Menschen nach dem Menschen keine Gesellschaft findet und daher auch nicht gesellschaftlich verwirklicht wird, da verbleibt es im einzelnen Menschen als Hunger. Hunger enth�lt das blo�e Verlangen nach Stoff, nach dem Dasein anderer Menschen f�r sich. Was im Verlangen noch Ausdruck derselben Beziehung ist, die sich darin verwirklicht, ist im Hunger die blo�e Negativit�t, die Beziehung durch den Mangel an einer Beziehung: die durch den Mangel beherrschte Beziehung. So wie der wachsende Hunger den Geschmack, den Sinn f�r einen Gegenstand, bis �ber den Ekel hinaus �berschreiten kann, so geht die Gier nach Menschen �ber jeden Sinn f�r das menschliche Leben hinaus. Der Hunger nach menschlicher Beziehung ist der Trieb, der nur durch andere Menschen befriedigt werden kann. Wo die Menschen in ihrem Verlangen ihre Beziehung erkennen, wird durch den Trieb das Verlangen zugleich abstrakt: zum Sinn der Beziehung selbst, zum Verlangen nach menschlichem Sinn �berhaupt, nach Haut, nach Haar und Geschlecht (vgl. Teil 2).

Die Wahrheit eines selbstbezogenen Lebens tritt hier hervor: Es ist nicht das Leben, das sich auf sich selbst gr�ndet, weil es durch sich selbst auch begr�ndet ist; – es ist ein Leben durch andere. Man kann sich zwar auf sich selbst beziehen, aber man kann nicht davon leben.

Selbstbezogenheit ist kein F�r-sich-Sein. Sie findet nur in Gesellschaft statt; sie gl�nzt vor Geselligkeit, Freundlichkeit und G�tlichkeit. Die Menschen treten sich aber darin nicht als bestimmte Menschen mit bestimmten Sinnen und eigener Geschichte gegen�ber, sie begegnen sich als wechselseitiges Mittel ihrer Selbstverwirklichung, als Mittel ihrer Triebe. Sie haben im Verlangen nach anderen nicht andere Menschen, sondern den abstrakten Menschen im Sinn.

Und da erkennen sie sich auch nur in dieser Wahrnehmung: sie nehmen sich als das wahr, als das sie sich auch wahrhaben: als Mensch schlechthin. Sie verwirklichen diese Beziehung als ihre �zwischenmenschliche Beziehung�; – Beziehung zwischen Menschen. Das ist keine Beziehung der Menschen selbst: zwischen den Menschen gibt es nur Sache. In der zwischenmenschlichen Beziehung ist daher auch die Beziehung der Menschen versachlicht: menschlicher Umgang; – das Herz f�r jeden.

Die �zwischenmenschliche Beziehung� ist die Beziehung in der Form, worin sich die Menschen wahrnehmen: in der Art und Weise ihres Da-seins erf�llt sich der Sinn ihrer Beziehung. Wie jemand da ist, so wird er wahrgenommen. Umgekehrt aber ist er auch nur so verwirklicht, wie er wahrgenommen wird. Was er tut, worin er sich verh�lt und was er bewirkt, das wird allein in der Weise wahr, in welcher er wahrgenommen wird. Die Verwirklichung dieser Wahrnehmung als zwischenmenschliche Beziehung ist daher die Entwirklichung des Verhaltens zu anderen Menschen. Jedermann ist darin Subjekt und Objekt seiner Wahrheit: Wahr-genommener als (S. III/43) Wahr-nehmender; - die Wahrheit selbst bleibt hinter diesem Verh�ltnis (2).

Unter den genannten Bedingungen aber ist die Wahrnehmung tats�chlich zur Anschauung geworden und als solche getrennt von Ihrer T�tigkeit. Sie ist in die reine Leidensform versetzt. Wer etwas wahrnimmt kann wirklich meinen, da� er es eben nur anschaut. Derweil ist er von dem Gewordensein und Werden des Gegen-Stands praktisch und sinnlich unber�hrt. Aber w�hrend er von da her Wahrheit in der Form seiner Anschauung nimmt, wird ihm der Sinn des Gegenstands zugleich fremd, dem Bewu�tsein entzogen. Ihn gibt es, aber er wird nicht erkannt. Somit wird durch die Wahrnehmung dem Erkennen der Sinn und den Sinnen der Stoff genommen. Was vom Gegenstand der Wahrnehmung daher zum reinen Stoff herabgesetzt wird, wird andererseits f�r die Sinne zum reinen Geist. Der Geist in dieser Abgetrenntheit vom Stoff existiert ausschlie�lich seelisch und der Stoff ausschlie�lich sachlich.

W�rden die Psychologen Wahrnehmung als T�tigkeit, als Wahr-Nehmung von stofflichem Geist in geistigem Stoff, als Erkenntnis begreifen, dann m��ten sie ihre Psychologie bek�mpfen. Dann h�tten sie ja auch wirklich was zu tun! Wo n�mlich die Wahrnehmung als wirkliches Verhalten erkannt wird, da steht man auch wirklich vor der Wirkung eines Verhaltens der Wahrnehmung; vor dem ganzen Hintersinn der Anschauungen, der Macht �sthetischer Gebilde und endlich vor der wirklichen Ohnmacht der Menschen in solcher Gesellschaft. Man hat dann das wahr, was andere wahrnehmen! die Abstraktion des Menschen zum Kult der Menschlichkeit, zum Gegenstand der Wahrnehmung. Es ist aber die Ideologie der Psychologen, vergegenst�ndlichte Wahrnehmung als nat�rlich und den Gegenstand der Wahrnehmung daher auch als voraussetzungsloses Wesen der Natur anzunehmen. Eben weil sie selbst nur ihre Anschauung verwirklicht sehen wollen, geben sie dieser jene Gegenst�ndlichkeit, die wahrzunehmen sein soll. Aber ein Gegenstand ist immer ein Produkt, ist immer Produziertes, Gewordenes, gegen-stehendes Sein vergangener T�tigkeit. Aber das darf f�r die Psychologie eben gerade nicht gelten! Dort ist Gegenstand nur Mittel.

In der Abtrennung von ihrem Sinn setzt sich die Wahrnehmung vor allem ihren Gegenstand selbst. Wo ein Mensch wahrgenommen wird, da ist er ein Gegenstand und wird als Mittel des Wahrnehmens erfa�t. Durch ihn kommt die Wahrnehmung erst wirklich auf sich selbst, auf ihren Zweck. Er ist Objekt der reinen Anschauung und wird als solcher unmittelbar objektiv, wie subjektiv er hierbei auch sein mag. Das reine, das unt�tige Wahrnehmen setzt Subjektives unmittelbar objektiv, erzeugt subjektive Objektivit�t. - Und das ist ihre einzige T�tigkeit.

So kann auch gerade der, welcher wahrnimmt, sich seine Anschauung zur Lebenstatsache, zur objektiven Aussage machen. Wo man nicht mehr wissen mu�, was man tut, da mu� der andere nicht mal wirklich existieren, �ber dessen Leben befunden ist. Er mu� nur in irgendeiner Form, z.B. als Gef�hl, als Geistererscheinung oder als Spannung vorkommen.

Der Wahrnehmung ist in dieser Form der Gegenstand ohne Geschichte, ohne Grund, Sinn und Gewordensein gegeben. Sie macht das Leben erst wirklich zur Sache der Erfahrung, denn in dieser Gegenst�ndlichkeit ist es alles f�r sie, - sie aber nichts f�r es. Deshalb sind die Menschen durch ihre Wahrnehmungen schon voller Leben, bevor sie gelebt haben. Da schert es auch nicht mehr, da� es fremdes Leben ist. Das Leben kann damit theoretisch so unendlich werden wie der Streit um das richtige Fernsehprogramm. Praktisch allerdings wird es �de und voller Todesahnung. Es ist in seiner eigenen Form gefangen, in der Form der Erkenntnis: Formierte Erkenntnis.

Indem Menschen in der Wahrnehmung so f�r sich zu leben scheinen, weil sie dort tats�chlich f�r sich leben k�nnen, nehmen sie an einem Lebensverh�ltnis teil, das anderen zum Zwang wird - jenen, die hierdurch zur fortw�hrenden Lebens�u�erung getrieben werden, jenen also, die wirklich erkennen m�ssen, weil sie Wirkliches erleiden. Ihnen wird das ganze Verh�ltnis auf andere entzogen, w�hrend sie ihren Teil zu erbringen haben. W�hrend sie fortw�hrend als Sinn f�r andere existieren m�ssen, haben sie an ihrer eigenen Wirklichkeit nur aus der Brunnenperspektive Teil: das Licht ist ver�u�ert. Wo die Wahrnehmung den Tag bestimmt, da wird die Erkenntnis zur Nacht.

Eine Beziehung in und durch die Wahrnehmung ist daher eine vertraxte Beziehung: Die Menschen nehmen sich als das wahr, als was sie sich wahr haben. Sie sehen hierin von vornherein von ihrem Gewordensein und Werden ab; sie existieren darin ohne T�tigkeit. Menschliche T�tigkeit ist zwar in dem enthalten, was man wahrhat, aber es existiert nicht als T�tigkeit, sondern in geronnener Form: als das unbedingte, bedingungslose Gegen�ber dessen, was man zu erkennen sucht. In der Wahrnehmung erscheint die menschliche T�tigkeit und Geschichte nur in ihrer Abstraktion, als Dasein von Menschen mit Eigenschaften, die dieses Dasein zu einem Verh�ltnis werden lassen. Die einzelnen Personen k�nnen sich daher gar nicht als bestimmte Menschen begreifen. Ihnen erscheint ihr pers�nliches Dasein durch andere gegeben, daher als �berpers�nliches, als unmittelbar menschliches Leben und ihr menschliches Dasein erscheint ihnen als Leben ihrer Pers�nlichkeit.

Indem sich die Menschen so wahrnehmen, nehmen sie zugleich anderes Leben auf, ohne Sinn f�r dieses zu haben oder ihn innerhalb dieser Wahrnehmung �berhaupt bilden zu k�nnen. Anderes Leben ist f�r die Wahrnehmung eben der Stoff, den sie zugleich als ihre Bedingung wahrhat, - das Mittel, durch welches die Wahrnehmung auch nur Wahrnehmung bleibt. So ist die Bedingung ihrer Beziehung zugleich auch deren einziger Sinn.

In dieser Beziehung sind die Menschen in eigene Welten voneinander getrennt; jeder bezieht sich auf den andern, um sich vermittelst des andern auf sich selbst zu beziehen. Jeder ist Welt f�r sich, und die Welt ist ohne ihn. Was die Menschen als ihre pers�nliche Wirkung haben, ist ihnen keine menschliche Wirklichkeit, und die menschliche Wirklichkeit ist ihnen kein pers�nliches Wirken. Aber dennoch m�ssen sie in der Wahrnehmung immer �ber sich hinausgreifen, um auf sich zur�ckzukommen. Sie sind in Wahrheit bei sich, indem sie au�er sich sind.

Diese Selbstwahrnehmung ist nichts anderes als die Form, worin Triebe befriedigt werden, die Gestalt, in welcher der Zwang zum Einigsein, zur Vereinigung wirkt. Der Trieb tritt zwar als innere Gewalt auf, aber er verk�rpert �u�ere Gewalt; -und deshalb kann er �berhaupt nur in der Wahrnehmung selbst existieren: Selbstwahrnehmung als die Wahrnehmung anderer(3).

Der Trieb ist nun nicht einfach ein geschlechtliches Ereignis, sondern umfa�t alle Sinne, in welchen sich die Menschen einig sein m�ssen, um als einzelne Pers�nlichkeit leben zu k�nnen. Und da der Trieb nur in ihnen wirkt, ist ihnen ihre Wirklichkeit hierin auch vergangen. Im Trieb werden die Menschen zu den Beziehungen gezwungen, die sie in der Wirklichkeit verloren haben. Deshalb erscheint ihnen dieses M�ssen zugleich auch als ihr Wollen. In der Befriedigung kommen sie ja immerhin auf sich zur�ck und erleben und finden sich als Moment dieser ihnen entfremdeten Kraft.

So selbstverst�ndlich man daher seinen Trieben nachgeht, so stark werden sie auch. Allerdings haben sie ihre Kraft gerade nicht aus den Menschen, die sich darin gefallen: sie stellen ja weltliche Gewalt dar. Und weil diese Gewalt in ihnen als Drang wirkt, erzeugen die Triebe in der Wahrnehmung dann auch unmittelbar Angst vor eben dieser Welt, der sie entstammen, wenn sie nicht befriedigt werden. Der innerlich erscheinende Trieb, das zur Abstraktion geronnene Verlangen des Menschen nach dem Menschen erzeugt sein Gegenteil: Angst vor der Welt (4). In dieser Angst wird ihre Geschichte wahr und zur wirklichen Gewalt gegen jene, die an der Welt nicht teilhaben k�nnen, weil und solange sie den Trieben gehorchen m�ssen.

Die Welt selbst hat hierf�r ihre L�sung. Sie hat den Raum, in welchem diese abstrakte, abgetrennte innere Gewalt zur geregelten Au�enwelt kommt. Wo subjektives Leben objektiv verlaufen soll, da mu� eben objektives Dasein subjektiviert werden. (S. III/44)

Die Verwirklichung des Triebs in der Vereinigung von Menschen, in der Erf�llung des Zwangs zum Einigsein und die Aufhebung der Angst, die hierbei aufkommt, gr�ndet jene Lebensverh�ltnisse, die unsere Kultur im wesentlichen ausmachen: Ehe und Familie.

In der Angst ist die Herkunft der Regung abgeschlossen und daher auch verschlossen. Im Unterschied zur Furcht, welche noch gegenst�ndliche Angst Ist, ist die seelische Angst die selbst�ndige, k�rperlose Erkenntnis von Gewalt als ein Bedr�ngungsgef�hl, das v�llig voraussetzungslos auftritt und lediglich Situationen (nicht offene Gewalt) zum Anla� hat. Es ist die geistige Form der Erkenntnis von innerer Gewalt, die zu ihr im Kampf steht.

Angst ist das negierte Triebleben und tritt an den Menschen auf, die aufgrund ihrer �Lebenslage� deren Gewalt als Macht gegen sich erfahren m�ssen, an Menschen also, die in der Gewalt der Triebe stehen und zugleich noch im Gegensatz zu ihnen stehen (also Herrschaft erkennen k�nnen). Wird diese Angst wirklich - und das hei�t auch k�rperlich - erkannt, so ist die Revolutionierung des �Seelenlebens� begonnen: aus dem Leiden wird T�tigkeit, - Widerstand gegen psychische Herrschaft. Und da letztlich jede Angst Existenzangst ist - entsteht so auch Widerstand gegen die herrschenden Existenzformen. Ein Mensch, welcher den Sinn seiner Angst nicht erkennt, ist zum ohnm�chtigen F�hlen und Lieben gezwungen. Ihm wird sein K�rper zur eigenen T�cke: wo er sich regt, da mu� er verneint werden.

Die Aneignung des eigenen K�rpers ist daher �berhaupt nur die Erkenntnis des zur Angst vergeistigten K�rpers, die Angst vor k�rperlicher Herrschaft, vor verk�rperten Willen. Solche Aneignung ist daher zugleich die Begeisterung des K�rpers in der Entgeisterung der Angst!

Dies begr�ndet die Notwendigkeit, Innere Bewegungen der Menschen anzuerkennen, weil diese wirklich erkannt werden m�ssen. Die Kritik an der Psychologie geht bis dahin, wo sie Innenwelten als nat�rliche Wesenheiten hinstellt, und die Psychologie wird darin �berwunden, da� diese als Notwendigkeit des Lebens in der b�rgerlichen Gesellschaft erkannt werden: als ihr innerer Mangel, ihre Krise; – �berlebensnotwendigkeit der Menschen in einer Welt, die nicht menschlich gestaltet ist.

Das Wissen, da� der Mensch durch �u�ere Kr�fte zu getrennten inneren Erfahrungswelten gespalten wird, legt ja auch die Gegenkraft blo�: kollektiver Widerstand gegen aufgezwungene Lebensverh�ltnisse. Dahin kann es die Psychologie selbst nicht bringen: Sie soll ja heilen (vgl. in diesem T�rspalt [9/82]: Die Heilserwartungen der Psychiatrie). Es besteht zwar bisher vielerlei Kritik an der Psychologie durch den Verweis, da� Psychisches letztlich Weltliches sei und es daher gar keinen Gegenstand der Psychologie gibt. Hier geht es um das Gegenteil: Indem wir den Gegenstand der Psychologie anerkennen, erkennen wir sie gerade nicht an: wir bek�mpfen sie durch weltliches Wissen des Seelischen; – denn wer den Gegenstand leugnet, der macht dasselbe, was er zu kritisieren meint: Er leugnet gegenst�ndliches Leben. Tats�chlich hat sich das weltliche Leben hierzulande weitgehend in den Menschen vergegenst�ndlicht. Und wir haben es daher auch mit dieser Wirklichkeit zu tun.

Die Ehe oder der Kampf um die Liebe

Die Menschen erzeugen ihr Leben nicht nur stofflich, sondern zugleich sinnlich. Aber Stoff und Sinn sind keine verschiedenen Substanzen. Der Sinn ist genauso stofflich wie der Stoff sinnlich ist. Ebenso wenig sind Arbeit und Liebe voneinander getrennte Lebens�u�erungen. Arbeit ist genauso sinnlich, wie Liebe Arbeit ist. Die Sinnbildung und die Erzeugung menschlicher Produkte sind dem Inhalt nach identisch: Eine Sache, die lieblos erzeugt ist, erzeugt auch Menschen, die in ihrer Liebe versachlicht sind. Die Bildung eines Menschen und die Erzeugung menschlicher Gegenst�nde, die T�tigkeit der Begattung und die T�tigkeit der Gattung existieren immer im gesellschaftlichen Verh�ltnis und erneuern und entwickeln Mensch und Welt. Sowohl die Organe des Menschen, sein Verm�gen, seine F�higkeiten, seine Sprache und seine G�ter sind gesellschaftliche Produkte, gesellschaftliche Natur, die sich in der Menschheitsgeschichte gleicherma�en entfaltet wie in der Geschichte des einzelnen.

So kann sich auch ein Mensch nur dort erkennen, wo er sich auch gestaltet hat, und er kann sich nur gestalten, wo er sich erkennen kann: Im wechselseitigen Verh�ltnis der Menschen selbst, in ihrer Gesellschaft. Und so nat�rlich dieser Proze� ist, so gesellschaftlich ist er auch. Kein Rad wurde erfunden, ohne da� seine Bewegung erkannt war.

In der b�rgerlichen Gesellschaft erscheinen Liebe und Arbeit nicht nur als voneinander getrennte Wesenheiten, sondern auch als voneinander getrennte Lebensbereiche: In der Arbeit sind die Menschen dort nur au�er sich, in der Liebe nur bei sich. So kann sich kein Mensch in seiner Arbeit vergesellschaften, und in der Liebe kann kein gesellschaftlicher Mensch gebildet werden. Die Arbeit erzeugt nicht gegenst�ndliches Leben, sie vermittelt den arbeitenden Menschen nur ihr Auskommen �ber die Lohnarbeit; und Liebe kann keinen menschlichen Sinn und keinen sinnlichen Menschen erzeugen; sie erzeugt Menschen, f�r die sie keinen Sinn hat, weil sie Sinne bezeugt, die dem Menschen entrissen sind.

Ehen werden zwar aus Liebe geschlossen; – das hei�t aber nicht, da� Liebe als Ehe existiert. In der Ehe gew�hren sich die Menschen ihre Zuneigung und erf�llen darin die von ihrer Gesellschaft ausgeschlossene Sinnlichkeit durch ihre Triebbefriedigung. Das ist zwar eine Form von Liebe, aber keine, die gestaltet oder bildet, - sie ist Liebe in negativer Form. Sie setzt die Bildung der Menschen voraus und reproduziert das, was sie

gewesen waren. Es ist die leidende, gew�hrende und sorgende Zuneigung, in welcher die �ngste und Schmerzen dieser Existenz ertr�glich erscheinen: wechselseitige Aufopferung in dieser vergemeinschafteten Not. Die Ehe ist die in sich gebundene Lebensnot, in welcher sich die Eheleute liebend aufbereiten. Hierin mu� jeder in der Tat f�r den andern da sein, und er will es auch, solange ihm die �berwindung seiner Lebensnot selbst als Gl�ck erscheint.

Deshalb finden in der Ehe die Menschen gerade dort ihr Gl�ck, wo sie sich verloren haben. Was ihre Auseinandersetzung, ihre Angst, ihre Arbeit, eben alles, was sie erkennen konnten, war, wird in der Ehe zum Dasein f�r einen andern Menschen bis zur Selbstaufopferung in g�tlicher Gemeinschaft. Die Ehe ist in der Tat die h�chste Form der Triebbefriedigung. Und diese ist daher zugleich auch die Autorit�t des Ehelebens.

Wer n�mlich seinem Trieb gehorchen mu�, f�r den ist der Gegenstand seiner Befriedigung m�chtig. Nur durch ihn kann er von seinem Drang befreit werden. Das erste, was ein triebhaftes Verh�ltnis setzt, ist der Zwang zur Anpassung an den Gegenstand der Befriedigung. Die Macht des Triebs existiert eben als die Unterwerfung an seine Erf�llung. Und in der Ehe wird diese Unterwerfung gemeinsam praktiziert. Deshalb erzeugt das Eheleben auch zugleich die Pflicht, Teilhaber am erf�llten Eheleben zu sein.(S. III/45)

Aber gerade deshalb bleiben sich die Eheleute auch ihre Liebe schuldig. Man kann seine Triebe nur befriedigen, wo man sich vereinigen kann. Die einzige Einigkeit ist ein Zwang zum Eheleben - und mancher ist dar�ber auch noch gl�ckselig. So besteht die Arbeit in der Ehe im wesentlichen darin, schon in der Wahrnehmung jene Einigkeit zu schaffen, die in der Vereinigung schlie�lich auch erf�llt sein mu�. Seltsame Gepflogenheiten schleichen sich deshalb ein, um dieses Gl�ck zu erreichen: Da bauen die M�nner nicht nur H�user, sondern Eigenheime mit allem Popanz ihrer Traulichkeit, H�uslichkeit und W�rme. Frauen setzen sich Masken auf, in welchen ihr Gesicht seine Wirklichkeit verlieren und ihr K�rper die Jahre seiner Bildung abstreifen soll.

So stellt sich schnell heraus, da� ihr Verh�ltnis selbst zur Sache geworden ist. Nicht nur Mittel oder Lebensmittel; - es ist selbst ein Sinn f�reinander, der hier geschaffen wird. Aber nicht als Sinn eines Menschen f�r einen anderen, sondern als Umstand, als Lebensraum vereinigter Herzen. Die Eheleute haben mit ihrer Beziehung nicht nur ihre Wahrnehmung voneinander; – sie haben ihre vergemeinschaftete Wahrnehmung f�reinander. Ihre Auseinandersetzung geht �ber sie selbst und ist zugleich ihre Bewegung in diesem auserkorenen Raum.

Indem sie sich so um ihre Zweisamkeit sorgen, errichten sie ein Bollwerk ihrer Einsamkeit. Wie soll auch die Schuld, in der sie zueinander stehen, dadurch eingel�st sein, da� sie sich Tr�ume und Figuren schaffen? Triebe k�nnen eben nur befriedigt werden, sie erf�llen aber nicht die Liebe, die darin unterstellt ist. Im Gegenteil: Im Akt der Befriedigung, in der Erf�llung des Einigseins, geschieht ihre Aufhebung: Sie hat sich ja nur den Raum gegeben, den sie sich unterstellt hatte. Damit aber ist auch alle Bewegung untergegangen.

In dem Ma�e, wie die Menschen sich mit ihrer verselbst�ndigten, abstrakten Sinnlichkeit vereinigen, f�llen sie sich mit den fremden Inhalten, die sie alleine daf�r schaffen, um in einem Lebensraum existieren zu k�nnen, in welchem sie sich vereinigen k�nnen. Deshalb sto�en sie sich in ihrer Vereinigung zugleich ab; jeder k�mpft f�r sich um die Liebe, die der Ehe vorausgesetzt ist, dem Verlangen nach Erkenntnis seiner im anderen Menschen, nach wirklichem Leben. Hier aber ist die Liebe der blo�en Sinnlichkeit geopfert. In der Ehe hat sie ihren Geist aufgegeben.

In der Ehe kann die Ehe nicht gelingen. In dieser blo�en Form m��ten die Eheleute aneinander scheitern. Ihr Verlangen, vom anderen erkannt zu werden und Erf�llung zu finden, ihre Forderungen aneinander, ihre Bezichtigungen und Zweifel offenbaren, was sie sich schuldig bleiben.

Aber gerade weil ihnen ihre Sinne so ungegenst�ndlich geworden sind, verlangen sie jetzt nach einem Gegenstand, nach ihrem eigenen und privaten Produkt. In der Abtrennung von aller gegenst�ndlichen Welt kann dieses Produkt nur als anderer Mensch, als neue Person auf die Welt kommen.

Die einzige Gegenst�ndlichkeit, die diese Liebe in privater Form haben kann, ist die Erzeugung anderer Menschen als eigene Kinder. Darin nun wird auch in Wahrheit die Pflicht erf�llt, die die Autorit�t des Triebs zum Untergang bringt und zur Autorit�t der Eltern �ber ihre Kinder werden l��t. In der Erzeugung neuer Menschen wird die Welt der Personen erst wirklicht vermenschlicht, menschliche Pers�nlichkeit. Und erst dann ist die Welt der Pers�nlichkeit zugleich wirklich pers�nliche Welt: Familie.

(S. IV/48)

 

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