Lustprinzip

Aus kulturkritik

Inwieweit Realität lustig und Lust real ist, mag jedem Menschen zu denken geben. Doch als gegensinnige Substantive müssten sie verschiedene Lebenssubstanzen darstellen. Prinzipiell ist aber das eine wie das andere nicht voneinander zu trennen, denn beides sind Erlebensweisen desselben Lebens in seinen verschiedenen Momenten und machen nur in diesem wirklich Sinn. Aber in der Psychoanalyse wird ein Realitätsprinzip getrennt von einem Lustprinzip unterstellt, so dass demnach jedem Menschen die unsägliche Mühe zugewiesen wird, dies abgetrennt "Innere" mit einem ihm gänzlich fremden Äußeren zu "versöhnen". Als Prinzip gedacht, wird die damit als Lebenspflicht vorgestellte Realität von Freud in der Psychoanalyse subjektiviert zu einem Teil seines "Psychischen Apparats". Freud hätte mit einem solchen in sich geschlossenen Begriff die Wirklichkeit niemals als Gegenstand der Psyche und die Psyche auch nicht als Teil von ihr schlussfolgern können. Was er aus Realität zu erschließsen hätte, müsste nämlich immer das Gegenteil von Lust und dieser gänzlich äußerlich zu sein. Er hätte in ihr keine Momente der Lust in ihren wirklichen Wirkungen auf die Wahrnehmung und ihren Reizen erkennen können, so dass es auch für die Erinnerungsbilder von Befriedigungserlebnissen, die er als Triebkraft der Psyche bestimmt sieht, gleichgültig ist, ob sie Mittel oder Zweck oder bloße Momente sind. Aber die Getrenntheit von äußeren Reizen und inneren Bedürfnissen ist tatsächlich konstitutiv für die Selbstwahrnehmung des bürgerlichen Subjekts.

Das Lustprinzip bietet von daher die Möglichkeit der Beschreibung einer Widersinnigkeit der Selbstwahrnehmung als Ausdruck ihrer Selbstbezogenheit. Es ist ursprünglich nur eine triebenergetisch gemeinte Grundlage der Psychoanalyse von Sigmund Freud. Damit wird das universelle Streben der Libido im "Es" bezeichnet, die als Trieb der Psyche nach unmittelbarer Befriedigung verlangt und von daher ein "Ich" nötig hat, das diese zu ermöglichen hätte. Hiernach stellt die Psyche ihren Widersinn selbst auch strukturell dar und begründet sich in der ursprünglichen Theorie von Freud alleine aus diesem Befriedigungstreben des Lustprinzips, das aus sich keine Erfüllung finden könne. Sie gilt sozusagen als die natürliche Grundlage einer Logik, in welcher die Psyche die "Wiederherstellung eines Befriedigungserlebnisses" (Freud, Traumdeutung) gegen die Hemmbnisse einer ihr äußerlichen Realität und Kultur zu erreichen sucht. Mit der Erfahrung von Unlust und "Umwegen der Wunscherfüllung" entstünde aus diesem Streben und den Weisen der Lusterfüllung in der Befriedigung eine persönliche Integrität, die Freud den "psychischen Apparat" nannte. Darin würden die durch das Lustprinzips im Verlauf einer Persönlichkeitsentwicklung erworbenen psychischen Strukturen in Beziehung gehalten, nämlich das "Es" mit seiner kindlichen Unmittelbarkeit und dem Insistieren auf sofortige Wunscherfüllung, dem "Über-Ich", in welchem auch bedrohliche Erfahrungen in einer Art Kontrolleinrichtung niederschlagen und dem "Ich", in welchem alle anderen Persönlichkeitsanteile aufeinander bezogen und zu einer persönlichen Identität gebracht werden (siehe auch Symbiotische Selbstbehauptung). Gelingt diese persönliche Integration nicht (siehe auch menschliche Identität), so entstünde eine psychische Störung.

Die Realität erscheint vom Standpunkt des Lustprinzips als Antagonist seiner Wünsche. Sie wird in die "psychische Struktur" aber dadurch integriert, das die Wünsche immer besser auch über reale Vermittlungen zur Erfüllung gelangen. So entwickle sich im Laufe des persönlichen Erfahrens das Realitätsprinzip des Ichs mittelbar aus der Geschichte des Lustprinzips, welches daher ebenso auf den Lustgewinn hinzielt, jedoch unter Berücksichtigung der Realität.

Mit seiner Schrift "Jenseits des Lustprinzips" hat Freud eine zweite prinzipielle Grundlage seiner Triebökonomie hinzugenommen: Den Todestrieb. Ihm war es ohne diesen nicht möglich, die vernichtenden und zerstörerischen Absichten der Psyche vollständig aufzuklären. Aber mit der Einführung des Todestriebs wurde praktisch die Kulturtheorie auf eine Randerscheinung reduziert und das emanzipatorische Interesse seiner Theorie auf reine Aufklärung beschränkt. Dem Befriedgungsstreben standen nun nicht mehr nur Umwege und Zurückhaltungen im Weg, sondern ein völlig andersartiger und eigenständiger Trieb. Die Psychonalyse hatte damit ihren kulturkritischen Gehalt aufgegeben und sich auch wissenschaftlich in vielfältige Widersprüche begeben.

Es hat sich im Fortgang der Freudschen Theoriebildung auf diese Weise gezeigt, dass sich menschliche Geschichte nicht aus Trieben heraus begreifen lässt. Schon in ihrem Ausgangspunkt war die Logik der Freudschen Theorie nicht hinreichend begründet. Lust als Prinzip ist ein Unding, behauptet dies doch, Lust sei logisch. Freud wich dem über eine bloßé Wahrnehmungstheorie aus, welche ein Realitätsprinzip hinzunahm, ohne damit den tiefergehenden Antagonismus der bürgerlichen Seele begreifen zu können. Der "Todestrieb" war zu seinem theorieimmanenten Dilemma geworden, mit welchem psychoanalytische Erklärungsmuster sich im Kreise einer in sich widersinnigen Triebökonomie drehten. Dies hat der Psychoanalytiker Wilhelm Reich schon zu Freuds Lebzeit deutlich kritisiert - und wurde aus der psychoanalytischen Vereinigung von Freud ausgeschlossen.