Prägung

Aus kulturkritik

Für die bürgerliche Wissenschaft ist die Psyche das Wesen, die Seele einer gesellschaftlich isoliert begriffenen Persönlichkeit, die ihre Innenwelt aus voraussetzungslosen Lebensinhalten bezieht, aus natürlichen Bedürfnissen oder Gefühlen, die nur durch unglückselige Beziehungen oder Ereignissen in ihrer Funktionalität irritiert oder gestört werden können. Wo sie damit an die Grenze ihres Erkenntnisvermögens gelangt, ist schnell und leicht von einer Prägung die Rede. Prägung ist demnach eine über die unmittelbare Erfahrung hinausreichende Bestimmung von eigener Natur, die der allgemeinen Natur der Wesen in der Tiefe ihrer Bestimmungen - z.B. durch besondere Familienverhältnisse oder Traumata - entgegenstehen kann. Damit wird ein unendliches Argument (siehe schlechte Unendlichkeit) für jede Unkenntnis geschaffen, die keiner Erklärung mehr bedürfen soll. Solche übernatürliche Voraussetzungen entbinden nicht nur die entsprechenden Wissenschaftler ihrer Beweisführung, sondern vor allem auch die Umstände und Persönlichkeit ursprünglicher zwischenmenschlicher Beziehungen von ihrer Geschichte.

Ersatzweise wird ihre Erklärung gerne mit Tierbeobachtungen gefüllt, wonach z.B. Graugänse von der Nähe zu lebenden Subjekten gleich nach ihrer Geburt geprägt werden würden - so, als ob dies keinerlei sonstiger Erklärung verlangt. Doch gerade die dem entsprechenden Beobachtungen - z.B. von Konrad Lorenz - begründen just das Gegenteil: Sie beziehen sich auf Tiere, die aus Eiern schlüpfen und noch keinerlei körperliche Beziehung und dem entsprechende Empfindung zu ihren Erzeugern haben konnten und also von jeglicher Lebenserfahrung ausgeschlossen waren. Sie sind daher von Natur aus auf Ereignisse fixiert, denen sie durch deren Bewegung und Verhalten einen lebendigen Sinn zutrauen müssen, ganz gleich, was dessen Ursprung sein mag. Und weil sie von Natur aus wie jedes Junge auf Erfahrungen angewiesen sind, die ihnen ein Verhalten zu ihrem Leben vermitteln können, tun sie genau das, was diese Erfahrungen wie eine Prägung ihres Verhaltens erscheinen lassen. Was gerade die Bedeutung der Wahrnehmung für alle unmittelbaren Lebensprozesse erklären kann, wird durch den Begriff der Prägung dem Verstand entzogen. Und darunter fallen viele Erfahrungen, die den rein körperlich ablaufenden Verselbständigungen von Verhaltensweisen - wie z.B. Autismus oder Zwangshandlungen - und Psychosen vorausgegangen sind. Die Erkenntnis ihrer Gefühle und Stimmungen wird dadurch unmöglich, ihr Ausschluss aus jedem Erkenntnisinteresse unabdingbar und ihre Determination als an und für sich unverständliches Phänomen zwangsläufig ideologisiert (siehe hierzu auch ppsychische Krankheit).