Rationalismus
"Kein philosophischer Satz hat so sehr den Dank beschränkter Regierungen und den Zorn ebenso beschränkter Liberalen auf sich geladen wie der berühmte Satz Hegels:
"Alles was wirklich ist, ist vernünftig, und alles was vernünftig ist, ist wirklich."
Das war doch handgreiflich die Heiligsprechung alles Bestehenden, die philosophische Einsegnung des Despotismus, des Polizeistaats, der Kabinettsjustiz, der Zensur. Und so nahm es Friedrich Wilhelm III., so seine Untertanen. Bei Hegel aber ist keineswegs alles, was besteht, ohne weiteres auch wirklich. Das Attribut der Wirklichkeit kommt bei ihm nur demjenigen zu, was zugleich notwendig ist:
"die Wirklichkeit erweist sich in ihrer Entfaltung als die Notwendigkeit".
eine beliebige Regierungsmaßregel - Hegel führt selbst das Beispiel "einer gewissen Steuereinrichtung" an - gilt ihm daher auch keineswegs schon ohne weiteres als wirklich. Was aber notwendig ist, erweist sich in letzter Instanz auch als vernünftig, und auf den damaligen preußischen Staat angewandt, heißt also der Hegelsche Satz nur: Dieser Staat ist vernünftig, der Vernunft entsprechend, soweit er notwendig ist; und wenn er uns dennoch schlecht vorkommt, aber trotz seiner Schlechtigkeit fortexistiert, so findet die Schlechtigkeit der Regierung ihre Berechtigung und ihre Erklärung in der entsprechenden Schlechtigkeit der Untertanen." (MEW 21, S. 266)
Rationalismus ist die Ideologie der Vernunft. Vernünftig kann alles erscheinen, je nach dem, auf was es bezogen wird. Vernünftig ist, was für die Gebotenheiten der Sache, für ihre Wirklichkeit nötig ist, was ihrer Logik entspricht, zum Beispiel: Geld zu besitzen, wenn es erforderlich ist, auch wenn das ganze Geldverhältnis äußerst unvernünftig ist. Von daher kam Hegel auf seinen Satz, "Alles was wirklich ist, ist vernünftig, und alles was vernünftig ist, ist wirklich." Er konnte damit allerdings nur deren Logik affirmieren, jeden Widerspruch ihrer "Vernunft" ausschließen und nur die Idealität der Wirklichkeit fortbestimmen, sie also selbst als Vernunft idealisieren, weil sie nach seiner Ansicht notwendigder Idee des Geistes folgt, also auch ihr Widerspruch vernünftig ist.
Im Jahre 1819 herrschte noch der Rationalismus, welcher unter der Religion im allgemeinen die sogenannte Vernunftreligion verstand." (MEW 1, S. 10)
Nach Marx ist die Wirklichkeit selbst schon unwirklich, noch nicht menschliche Wirklichkeit, weil die Arbeit der Menschen noch nicht wirklich auf ihre Bedürfnisse bezogen ist und sich mit ihnen daher auch nicht vereinen kann. Durch deren Getrenntheit erscheint ihr Zusammenhang zwar vernünftig, aber als die Vernunft einer Mystifikaltion, eines "höheren Wesens", als dem Menschen entfremdet. Diese Vernunft erscheint in der Nützlichkeit der Dinge, in ihren Gebrauchswerten, die als Waren zirkulieren und nur in ihren Relationen allgemein sind, als einzelne Dinge, die auf einzelne Menschen bezogen sind und deren Isolation zugleich auflösen, wie sie diese auch verfestigen, verstetigen.
Rational ist jeder Nutzen, denn seine Rationalität ist das Prinzip der Nützlichkeit. Sie ist die Beziehung eines Menschen auf eine Sache, die als Ganzes vieler Eigenschaften vielerlei Gebrauchsweisen hat, die mit ihrem Verbrauch nichtig werden, auch wenn nur eine Eigenschaft vernutzt wird. So ist diese Nützlichkeit im einzelnen, wie sie nicht allgemein sein kann und muss daher eine ihr äußerliche Allgemeinheit haben, die jenseits aller Eigenschaften vermittelt, ohne sinnlichen Zusammenhang existiert (siehe hierzu Wert).
Für sich genommen ist jder Rationalismus das Vertrauen auf die Einseitigkeit eines Nutzens, ist damit deren Idealisierung und also dessen Ideologie. Von daher enthält die Vernunft der Aufklärung ihre ideellen Bestimmungen, die sie aus ihren realen Voraussetzungen, den Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft bezieht. Ihre Teleologie spricht einen Endzweck aus, den sie zugleich als real ansieht und den Menschen deren Befolgung abverlangt.
"Die Vernunft hat immer existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form. Der Kritiker kann also an jede Form des theoretischen und praktischen Bewußtseins anknüpfen und aus den eigenen Formen der existierenden Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sollen und ihren Endzweck entwickeln. Was [aber] nun das wirkliche Leben betrifft, so enthält grade der politische Staat, auch wo er von den sozialistischen Forderungen noch nicht bewußterweise erfüllt ist, in allen seinen modernen Formen die Forderungen der Vernunft. Und er bleibt dabei nicht stehn. Er unterstellt überall die Vernunft als realisiert. Er gerät aber ebenso überall in den Widerspruch seiner ideellen Bestimmung mit seinen realen Voraussetzungen." (MEW 1, S. 345)
Vernünftig ist, was dem Menschen nutzt, auch wenn er keinen Sinn hierfür hat oder wenn seine Sinne sich nur auf einen Nutzen reduzieren, zum Beispiel als Sinn des Habens die Sache zu beherrschen suchen. Es ist die Beziehung des einzelnen und vereinzelten Menschen auf eine isolierte Sache, über die er Macht hat, auch wenn er im allgemeinen ohnmächtig gegen ihren Sinnzusammenhang ist. Sie wird im allgemeinen aber nur vernutzt, wenn und weil sie sich durch diesen Zusammenhang immer wieder erneuert. Die Rationalität des Nutzens ist seine Vereinseitigung, erklärt die eine Seite eines nützlichen Gegenstands, die wesentlich für seinen Nutzen ist.
Dies ist nicht nur in der Beziehung von Menschen auf Sachen, sondern auch von Menschen auf Menschen. Die Nutzung von Menschen durch Menschn ist in zwischenmenschlichen Verhältnissen schon vor ihrer Entstehung bestimmt. Darin entstehen deren Lebensformen, der Lebensraum ihrer Liebe und Pflicht und Schuldigkeit (siehe Lebensburg). Ihre Rationalität begründet sich aus dem Mangel der Gesellschaftsform ihres Stoffwechsels, der in der Kulturform ihre eigene Logik und Substanz bekommt.