Sinnliche Gewissheit
"Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv. Daher die tätige Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus vom dem Idealismus - der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt - entwickelt." (Karl Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, Seite 5)
Sinnliche Gewissheit ist die Identität von Emfindung und Gefühl, also die Identität der Wahrnehmung mit dem, was sie mit ihrer Erinnerung wahr hat (siehe hierzu Wahrnehmungsidentität), die unzweifelhafte Erkenntnis ihrer Wahrnehmung - ganz gleich, wie und wann und wie lange diese auftritt (siehe Wahrheit). Völlig zweifelsfrei ist aber nur der Augenblick, in welchem Menschen vor dem stehen, was sie für ihr Leben durch ihre gesellschaftliche Naturmacht gebildet haben, wenn es denn auch wirklich vollendet ist. Meist gibt es die sinnliche Gewissheit daher nur als ein Moment der gegenständlichen Wahrnehmung, das allerdings wesentlich für die Geschichte der Sinnbildung ist (siehe auch Kunst).
An und für sich kann Wahrheit nicht im Ungewissen bestehen, weil sie wesentlich gegen Täuschung steht. Aber Wahrheit, die in der Wahrnehmung als Möglichkeit für wahr genommen wird, ist noch nicht frei von jeder möglichen Täuschung und ist in der Wahrnehmung nur die Form einer möglichen Erkenntnis. Sinnliche Gewissheit ist die Identität einer Wahrnehmung, die erst dann, wenn sie auf sich zurückkommt ihre Wahrheit kennen kann, die also ihre Erkenntnis über eine Vergewisserung in ungewissen Beziehungen bezieht und ihr hierüber einen Beweis ihres Zusammenhangs ermöglicht, der ansonsten zweifelhaft bliebe. Dies ist der Getrenntheit von Emfindungen und Gefühlen unter der Bedingung von Geldbesitz geschuldet, durch den es in Wirklichkeit keine sinnliche Identität, keine Einheit von Eigenschaften und Fähigkeiten, wohl aber Sinn in seiner Körperform gibt. Doch dieser Sinn ist zu unterscheiden in Organ und Bedeutung; wo ein Sinn ist (z.B. Sinn für Holz, Musik, Natur usw.), da sind unmittelbar auch die Sinne mit den entsprechenden Organen hierfür tätig (siehe Emfindung und Gefühl). Aber erst durch die Bewahrheitung ihrer Wahrnehmungstätigkeit in einer sinnlichen Gewissheit kommt das Gefühl auf seine Empfindung zurück, die es schon vor aller Erfahrung kennt und die daher nicht ihrer gefühlten Empfindung widersprechen muss und sie zu einer wahren Wissensbildung befähigt.
Die menschlichen Sinne sind menschliche Natur in der Einheit ihrer natürlichen Menschlichkeit, seinem Dasein als das Wesen einer natürlichen Intelligenz in der Äußerung seiner Natur. Darin ist er eins mit sich und der Welt, auch wenn die Welt nicht mit ihm eins ist. In diesem Sinne ist die bisherige Geschichte des Menschen die "Naturgeschichte seiner Sinne" (Marx). Alles hat für einen Menschen Sinn, wofür er Sinn hat. Aber nicht alles Sinnliche ist menschlich, wiewohl alle Menschen einen Sinn für sich haben. Was sie aber nicht für sich haben können ist das abstrakt Allgemeine ihrer Vermittlung, durch das gerade die Beziehungen aus ihrer Mitte heraus abwesend sind, die ihr Dasein bewirken, ihre Wirklichkeit bestimmen.