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Der nachfolgende Text ist eine Beschreibung der Argumentation in dem gleichnamigen Buch. (==> Verlagsinformationen hierzu <==)
132. Die Gemeinschaft der Zwischenmenschen (Der akkumulierte Selbstwert)
Selbstwertgefühle gibt es nicht allein und für sich. Ein Mensch kann sich viel einbilden, aber nur in der Gesellschaft von Menschen kann er einen Wert fühlen, den er in deren Verhältnissen hat - eben als Wert, den er in der Beziehung auf andere hat. In den zwischenmenschlichen Verhältnissen, worin sich Menschen verwirklicht haben und sich in dieser Wirklichkeit auch selbst fühlen, empfinden sie sich auch zwischen den Menschen wertvoll, gut und nützlich für andere. Ihre einzelne Selbstbehauptung und Selbstgerechtigkeit hebt sich in diesem Dazwischensein wunderbar auf und macht aus jedem einzelnen Menschen einen allgemeinen Zwischenmenschen, der im Mitgefühl ganz in anderen Menschen aufgeht und sein Selbstgefühl dort gewinnt, wo er hierdurch auch Mitgefühl erfährt. Zwar ist ein solches Gefühl ohne Grund und von daher bodenlos, doch es hält immerhin jedes grundlose Leben in einer Woge der Gefühligkeiten, worin jeder Mensch als mehr oder weniger angepasstes Individualwesen einer Gemeinschaft erscheint, die durch ihre Selbstgefühle einander aufrecht erhält und einen Selbstwert für alle darstellt, einen allgemeinen Selbstwert, auch wenn der für jeden einzelnen Menschen völlig empfindungslos ist - eben nur ist, weil er dazu gehört. Jeder Mensch ist dabei durch seine bloße Anwesenheit und auch wenn er hierbei keinen großen Eindruck mehr macht, so ist diese Anwesenheit doch immer schon ein Beitrag im Erleben dieser Gemeinschaft, worin jedwede Selbstwahrnehmung bestätigt und bestärkt wird.
Jede einzelne Selbstwahrnehmung gewinnt sich somit also in der Beziehung auf andere, auch wenn sie für sich völlig grundlos bleibt. Nur indem Menschen ihre Wirkung auf andere für sich wahrhaben, können sie Selbstgefühle in der Form haben, dass darin Selbstwert gefühlt wird, dass sie also in den Wahrnehmungsverhältnissen ihren Wert für sich finden und an Wert gewinnen, soweit sie dieser Gefühlsgemeinschaft durch ihre unbestimmte Anwesenheit dienen. In einer Gesellschaft, worin die ihr zugrunde liegenden Selbstgefühle bodenlos sind, können die Selbstwerte nicht anders existieren, als in den Selbstgefühlen selbst. Und in diesen Verhältnissen erscheint der Selbstwert übermächtig, gerade weil er bodenlos ist.
Aber in dieser Gemeinschaft der Überwertigkeiten, die nur durch ihre Bodenlosigkeit verbunden sind, ist das Leben nicht einfach - im Grunde gerade deshalb, weil sie in nichts als aus Angst um diese leere Verbundenheit besteht. Und so entsteht eine Gier hiernach, denn nur hier haben die Menschen auch einen Selbstwert für sich, ohne sich für bestimmte Gefühle wertvoll zu erweisen. Sie haben also nur für die Selbstwahrnehmung in dieser Gesellschaft einen Wert in dem Maß, wie sie und wie dicht sie füreinander da sind. Gefühlte Selbstwerte gibt es also nur in diesem gesellschaftlichen Verhältnis wirklich, worin Menschen wechselseitig ihre Beziehung als Selbstbezogenheit ihrer Wahrnehmung bestätigen und bewahren, ohne aufeinander Eindruck zu machen, ohne also sich in dieser Gemeinschaft wirklich zwischenmenschlich zu erleben.
Diese Verhältnisse selbst sind durch die leere Selbstbestätigung eines Gemeingefühls begründet, also darin, in wieweit sich jeder darin in seinem Bedürfnis nach Selbstwert angemessen verwirklichen kann oder nicht. Selbstwerte existeren also jetzt eigentlich nur noch als Selbstwertgefühle eines Verhältnisses selbst, das sie zur Existenz bringt, indem sich die Menschen darin und dafür nutzen. Diese Gefühle sind das Maß der Selbstachtung, die Menschen als Persönlichkeiten ihrer Selbstgefühligkeit in einem zwischenmenschlichen Verhältnis durch dieses selbst haben.
Diese Selbstachtung kann vollkommen anders sein, als die Achtung der Bürger in ihren Verhältnissen als Warenbesitzer. Ja sie steht oft sogar im Gegensatz hierzu, z.B. dann, wenn ein Verhalten sachlich nötig, das dem Selbstgefühl widerspricht, das den Menschen entehrt o.a. Das Selbstwertgefühl ist eine vielfach unterschätzte Komponente für die Entwicklung persönlicher Katastrophen.
Auch Selbstwertgefühle stehen nicht nur im Maß zu sich selbst, sondern bestehen im Verhältnis der Menschen, in dem Maß, in welchem sie sich gegenseitig in ihren Selbstgefühlen und in deren Ausdruck und Wirkung auf andere achten. Sie messen sich aneinander und entwickeln sich im Maß gegen andere, im Maß der Eindrücklichkeit ihres Verhaltens, - später auch im Maß der Wechselseitigkeit ihres Verhaltens (siehe Sittlichkeit).
In einem dermaßen veräußerten Selbstgefühl gibt es allerdings kein Zusammenwirken von Menschen mehr in dem Sinn, den sie wirklich füreinander haben. Nicht was sie miteinander vollbringen macht ihr Selbstwertgefühl aus, sondern wie sie es erleben. Sie können darin einen Selbstwert nur dadurch entwickeln, dass sie sich als Wert für andere zu vermitteln verstehen, als eine Art Lebensunterhalt der Wahrnehmungen, als Unterhaltungsträger, als Lebensumstand, an welchem gemessen sie Selbstgefühle entwickeln. Was ein Mensch darin für sich selbst ist, das ist er zuerst mal immer nur unter diesen Umständen und immer auch für andere. In der Beziehung zu anderen bildet er, als was er für sich gilt, was ihm wesentliches Anliegen im Bezug auf sie wird, das Dasein seiner Lebenswerte. Selbstgefühle bestehen daher nun auch als objektive Selbstwertgefühle, die mit dem Umstand des Erlebens verbunden sind.
Darauf gründen die Erlebnisse, welche das Lebensverhältnis von Lebenswerten ausfüllen. Darin fühlt man sich so wie man ist, wie man einander unter solchen Werten erlebt. Was man an Sinn einbringt, das verliert sich in der Wertegemeinschaft und besteht nur als Erleben. Die Menschen sind hierbei Umstand und Umwelt einer Unterhaltung als Lebensunterhalt, einer Sinnstiftung durch das jeweils hiervon bestimmte Erleben. Je nach Beitrag zu dieser Sinnstiftung findet sich eine Bewertung ihrer sozialen Einbezogenheit ein, die sie als Selbstwert übernehmen - oder auch als Minderwertigkeit oder Überwertigkeit, wie sie sich in dem bemessen, was sie verkörpern - ob gerechtfertigt oder nicht, das wird sich dann zeigen. In all dem hebt sich die Gier nach Selbstwahrnehmung auf, ist bestätigt und wirklich durch den Selbstwert, den Menschen als einzelne Persönlichkeiten in diesem Verhältnis erlangen.
Ihr wechselseitiges Verhältnis verschafft ihnen hierdurch eine gewisse Rolle, in der sie sich beständig so erleben können, wie sie integriert sind. Sie empfinden sich als sie selbst, während sie nichts anderes sind als das, was sie für andere tun. Aber es macht die Entwicklung ihrer Selbstverwirklichung aus. Und die verlangt erst mal Selbstbehauptung und Selbstüberwindung.
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132.1 Die allgemeine Selbstbehauptung
Weil sich die Menschen in solchen Verhältnissen der Selbstverwertung nur dann selbst fühlen, wenn sie in der Beziehung auf andere Selbstwert erwerben, also hierin auch nur ihre Selbstbeziehung gewinnen, wird ihnen diese Beziehung selbst zur Quelle ihres Selbsterlebens. Sie füllt und erfüllt die Sinne mit dem, was sie an Selbstwert wirklich machen, was sie in dieser Beziehung also als Selbstwert erst schaffen. Menschen in dieser Notwendigkeit müssen also nicht nur die Anwesenheit anderer Menschen haben und nutzen; sie müssen sich auch gegen sie behaupten, sie müssen ihre Beziehung auf andere so arrangieren, dass diese ihren Selbstwert gestaltet und zur Basis ihres Selbstgewinns dadurch wird, dass sich Selbstbewertung darin erübrigt, weil sie blankes Selbstgefühl ist, worin sich alle Empfindungen wie von selbst bestimmen. Die Selbstbeziehung hat daher keine Wirklichkeit; sie ist Wirkung durch sich, veranlasst alle Verhältnisse so zu sein, dass sie den entsprechenden Selbstwert wie von selbst empfinden. Die seelische Absicht wird zur Grundlage einer selbstwerten Wirklichkeit und die wirkliche Absicht besteht aus dem seelischen Arrangement der Selbstbewertungen in solchem Verhältnis, worin sich das Selbst zum Maßstab aller Beziehungen akkumuliert.
Ein solches Verhältnis der Selbstbewertung, in welchem sich die Beteiligten finden und empfinden, stellt die Beteiligten unter das, was hierin erlebt wird, was als Leben darin Wert hat, weil es im Erleben als wertvoll anerkannt ist. Darin wird der Selbstwert in einem Lebensverhältnis bestätigt und behauptet sich zugleich über die Gefühle, die in ihm aufgehoben sind. Da sich das Selbstwertgefühl in diesem Verhältnis als Lebensumstand akkumuliert, wird das Erleben darin zum Träger der Selbstbehauptung von Selbstwertgefühlen. Ein Mensch fühlt sich substanzialisiert als ein Selbst, als ein Wesen, das durch seine Selbstbehauptung in solchen Wahrnehmungsverhältnissn seine Selbstwertgefühle gewinnt.
Das ist nicht einfach: So wie sich die Menschen durch ihre Selbstbehauptung selbst gegenständlich, für sich selbst objektiv werden, so gefährden sie diese auch durch die Last, sich beständig objektiv machen zu müssen, sich also durch das zu begründen, was sie ware, bevor sie sich behaupten können. Sie haben zwar in der Form, worin sie Eindruck machen, ihren Selbstgewinn, zugleich jedoch verlieren sie sich darin, keine Beziehung ihrer Selbstwahrnehmung entwickeln zu können. Als objetivierte Subjekte ihrer Wahrnehmung entleeren sie sich in ihrer Selbstbewahrheitung in dem Maß, wie sie damit Eindruck schinden. Das macht sie angreifbar und dünnhäutig. Gerade dort, wo sie keinerlei wirkliche Identität haben kann, weil solche Selbstbehauptung nicht wirklich existiert, also keine andere Tätigkeit von ihr Wirkung hat, als deren Verhältnismäßigkeit selbst, muss sie sich gegen alle andere Gefühligkeit durchsetzen, sich also durch die Unterwerfung von Gefühlen in ihren Selbstwertgefühlen behaupten.
Es herrscht viel Angst und Feindschaft in dieser dünnen Luft. Selbstbehauptung als solche gibt es ja nicht, sie ist lediglich das Maß eines zwischenmenschlichen Verhältnisses, worin Selbstwert gefühlt werden soll. Ein Maß hat eigentlich immer nur etwas an einem anderen von gleicher Qualität zu messen. Und ein Maß, das seine Substanz außer sich gelassen hat, kann nur die Dichte der Selbstwerterfahrung messen. Es kann sich nur in der Annäherung der Menschen, in ihrer Anziehung und Abstoßung bis hin zu deren Extremen von Anwesenheit und Abwesenheit bewahrheiten. Es besteht also darin, zu messen, wie weit sich Menschen durch ihre Anwesenheit in solchen Verhältnissen behaupten können.
So entsteht ein verborgenes Stechen und Drängen und was an Selbstwertgefühlen hierbei gewonnen wird, wird andererseits auch verloren, sofern die Anwesenheiten gleich bleiben. Ohne Zunahmen des durch bestimmte Selbstwertgefühle getragenen Verhältnisses bilden sich darin Persönlichkeiten heraus, deren Selbstbehauptung dem Selbstwert entspricht, welche die Menschen darin suchen. Aber gerade diese Persönlichkeiten zeigen sich zwangsläufig als unmäßig gegen andere, die ihre Selbstwertgefühle bestätigen sollen und von daher in ihrer eigenen Originalität unterworfen werden. Durch Selbstbehauptung entstehen Führungspersönlichkeiten, welche das Verhältnios in sich aufsaugen, worin sie entstanden sind. Nur wer sich überwinden kann, solcher Selbstbehauptung zu entgehen, kann daher eine wirklich eigene Persönlichkeit finden.
Anwesenheit, Dichte, Abwesenheit, Selbstverwertung
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132.2 Die allgemeine Selbstdarstellung
In der Selbstüberwindung wird Selbstwert erst darin wirklich, dass er aus der bloßen Gefühlswelt heraustritt und durch Abgrenzung hiervon zu einem Bestandteil einer Person wird. Das Selbst tritt sozusagen über sich hinaus, um sich selbst als Person, als Maskerade der Selbstwahrnehmung zu gewinnen. Es streift seine Selbstwertprobleme damit ab, dass es wirklich persönlich wird, dass es also die Menschen ausschließlich als Personen wahrnimmt und wahr hat. Man könnte es auch von der Absicht her so formulieren, dass die Persönlichkeit das verwirklichte und also auch wirklich überwundene Selbst werden muss, und daher sich selbst überwinden muss. Doch in dieser Absicht handelt niemand wirklich.
Zunächst ist die Selbstüberwindung nichts anderes als ein Verzicht auf Selbstwertgefühl, ein Vorschuss an Eindruck, der keinen unmittelbaren Wert für die Selbstwahrnehmung hat. Um sich selbst wirklich zu gewinnen als Mensch, der sich nicht einfach behauptet, sondern sich in seiner Abgrenzung von anderen Menschen zugleich persönlich vertritt, sich als das äußert, was er an Selbstwert nicht wirklich hat, aber wirklich hiergegen sein will, muss er sich als Hauptsache der Wahrnehmung gestalten. Er muss sich als das veräußern, als was er für andere wahrnehmbar sein muss, um durch sie als dies objektiv Äußere wahrgenommen zu werden, durch das sie ihn wahrnehmen und wahrhaben.
Der somit entäußerte Selbstwert stellt die erste Wirklichkeit einer Persönlichkeit dadurch her, dass sich diese von der Egozentrik der Wahrnehmung, dem Verhältnis der Selbstwertgefühle, enthebt und sich als Verhältnis zu Menschen bildet, die sich persönlich füreinander einsetzen, weil sie ohne einander keinerlei Identität haben können, weil sie sich also in keiner Weise selbst äußern und auch nicht ihr eigenes Leben wirklich gestalten.
Aber die egozentrische Wahrnehmung, die Selbstwahrnehmung als Wahrnehmung ist damit nicht überwunden. Sie hat lediglich eine höhere Objektivität bekommen, indem sie sich ausschließlich selbst in ihrer Wahrnehmung wahrhat. Aus den Selbstgefühlen ist eine Empfindung entstanden, die nurmehr durch sich selbst bestimmt ist, das Selbstgefühl als allgemeines Zentrum der Ders Selbstempfingung, Gefühl als Empfindung nur für sich. Die Egozentrik erscheint daher nurmehr in der Wahrnehmungstätgkeit; nicht mehr als Wahrnehmung, die auf sich selbst gerichtet ist, sondern als Wahrnehmung deren Ausrichtung durch sich selbst tätig ist, als Wahrnehmung, die dadurch exozentrisch erscheint, dass sie als Empfindung kursiert, aber ihre ihre Empfindungen aus dem Gefühl für sich bestimmt. Sie erscheint sensibel für alles andere, weil sie sich selbst sensitiviert.
In Wahrheit ist ihre Sensibilität vollständig leer, aber dennoch voller Wahrnehmung, weil sie sich selbst in ihren Empfindungen fühlt, sich ausschließlich selbst versprürt, wenn sie sich auf anderes bezieht. Aus dem, worin dieses Hochgefühl für sich kommt, aus dem, was sie für sich gewinnt, muss sie die Macht über dass ganze Wahrnehmungsverhältnis gewinnen, um es für sich nutzen zu können. Sie muss die psychischen Bedürfnisse der Menschen erkennen, um sich als deren Mittler zu erweisen, um sich als ihr Mittel selbst zu füllen und deren Zweck durch sich zu erfüllen. Die Absicht solcher personifizierter Selbstgefühligkeit besteht in der Ausrichtung einer Vermittlung, die sich durch die leere Bedürftigkeit von zwische4nmenschlichen Beziehungen gestaltet, den Zweck ihres Bedarfs nach bloßer Anwesenheit eines zwischenmenschlichen Ereignisses erfüllt.
In der Bedürftigkeit anderer Menschen erkennt eine Person jetzt ihre persönliche Macht. Was sie persönlich beeindruckt hatte wird ihr nun zum Ausdruck ihrer Persönlichkeit, zur Aktivität der Selbstwahrnehmung, die sich dadurch behauptet, dass sie das ausdrückt, was einen Mangel der Wahrnehmung bestätigt und als Subjekt hiergegen beeindruckt. Ein solches Subjekt der Selbstwahrnehmung formiert aich gegen den Mangel an Wirklichkeit und verschafft sich dadurch Wirkung, dass es diese überhaupt überwindet.
Es ist eine fundamentale Tätigkeit der Persönlichkeit, das zu sein, was ihre Selbstgefühle dadurch zur Wirkung bringt, dass sie sich ihnen widersetzt, sie ordnet und lenkt. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit wird somit selbst vermittelst der Negation zur Wirkung gebracht und also beherrschbar. Dadurch, dass Menschen sich für die Wahrnehmunng überhaupt als nützlich erweisen und sich selbst dahin überwinden, solchen Nutzen durch ihre Person zu formalisieren, wird Wahrnehmung überhaupt kontrollierbar. Es entsteht so etwas, wie die Herstellung einer Gewissheit der Wahrnehmung dadurch, dass das Ungewisse kraft eigener Persönichkeit negiert wird. Es funktioniert vielleicht so, wie es S. Freud's Über-Ich sein wollte, aber es setzt sich nicht gegen ein Naturschicksal eines Triebkonflikts, sondern ist unmittelbar persönlich notwendig, um wirkliche Selbstgefühle zu haben, um also die Selbstwertgefühle einer Person durch Selbstverwirklichung zu überwinden, sich als wirkliche Selbstwahrnehmung zu produzieren.
Hierin macht sich das Selbstgefühl frei von jedem Maß und entwickelt sich wie von selbst bestimmt weiter aus dem Verhältnis der Selbstwertgefühle heraus zu einem selbstkritischen Verhalten, zu einer Art Selbstkontrolle, die aber nicht als Verstandeseigenschaft fungiert, sondern als Gefühl für Wirklichkeit. Das Selbstwertgefühl wird selbstlos, und damit aber zugleich unendlich selbstbezogen. Wirklichkeit als solche gerät hierüber in eine Gefühlsform, wie sie im Gedächtnis herrscht und wie sie ohne weiteren Unterschied zwischen Wahrnehmung und Welt zum Maßstab aller Selbstwahrnehmung werden muss. Was im Selbstwertgefühl noch positiv erstrebt wurde, wird darin als Unangemessenheit gegen die eigenen Sinne verspürt. Es entsteht ein Gefühl gegen die Selbstwertgefühle, welches eine gewisse Gefühlsmacht darstellt, die sich über diese erhebt. Die Unangemessenheit sich selbst gegenüber wird zu einer Gewissensinstanz, die persönliche Selbstverwirklichung erst wirklich möglich macht.
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132.3 Die Selbstverwirklichung der persönlichen Gemeinschaft (Die Gewohnheiten der Einverleibung)
Die Anstrengungen der Selbstverwirklichung in den wechselseitigen Selbstbeziehungen haben eine Lebenswelt erzeugt, die über ihre Mühe hinausgewachsen ist. In den zwischenmenschlichen Beziehungen, worin Selbstbehauptungen und Selbstüberwindungen tragend für den Selbstwert geworden sind, gewöhnt man sich daran, was man durch diese Beziehungen von ihnen hat: Eine Eigenwelt, die nur durch die Einverleibung der Lebenswelten von vielen anderen Menschen ihren Sinn erfährt, einen Sinn also, den sie nicht durch sich selbst hat, ihn also gar nicht für sich haben kann. Und gerade dies, was nicht wirklich Eigenes sein kann, bildet sich fort in Gewohnheiten, die selbst objektiv sind, weil sie nur durch ihre Objekte wirken und von daher wirklich sind. Sie graben sich als Spuren eines Verhältnisses in die Selbstwahrnehmung der Menschen, das in Wahrheit gar keines ist, weil es nur vom Standpunkt einer Person her allgemein sein kann. Sie kerben den Charakter der Gewohnheit, der Verhaltensgewohnheiten in diese ein und bilden den Zusammenhang ihrer Verhältnisse auf diese Weise auch ganz persönlich in ihr aus.
Es bilden die Eigenarten eines persönlichen Charakters. Die bestehen aus der Art und Weise, wie die Selbsterlebnisse eines Menschen in diesen Beziehungen in ihm selbst sich zusammenfinden. Er muss die Eindrücke, die er in solchen Verhältnissen von sich selbst gewinnt, auch ausdrücken, um darin für sich wahr zu werden, seine Wahrheit innerhalb dieser Beziehungen zu bewahren. Es wird dies zur Grundlage seiner persönlichen Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, Umgang schlechthin, der alle Brüche der Wahrheit umgeht, die eine solche Persönlichkeit notwendig ausmacht. Niemand wird sie dafür belangen, wenn er nur sich mit sich vereinen kann. Doch das erfordert Lebenserfahrung, die hierin als persönliche Wirklichkeit erscheint. Und die Maßgabe dieser Persönlichkeitsbildung ist die Selbstverwirklichung, welche einer solchen Person in solchen Verhältnissen möglich ist.
Die Selbstverwirklichung wendet die Eindrücke der Wahrnehmung, also alles, was einen Menschen beeindruckt, unmittelbar als Ausdruck seiner selbst um. In der Selbstverwirklichung weiß ein Menschl endlich, was er für seine Selbstwahrnehmung ist, nämlich das, was ihn beeindruckt hat und was er erleben und ausdrücken will. Er ist dabei ganz und gar nicht mit sich identisch,aber er verwirklicht sich im Ausdruck seiner Selbstwahrnehmung. Er wird, wie er sich erlebt und erfährt, wird zum Bild seiner selbst und handelt in Gleichnissen hierzu. Im Grunde wird er zu seinem eigenen Theoretiker: Er handelt, wie er sich interpretiert und fühlt sich auch entsprechend. Alle Wirklichkeit ist ihm vertraut, bevor sie wirkt, bevor sie stattfindet und kann daher auch nur die Wirklichkeit seiner Selbstwahrnehmung beabsichtigen. Von daher ist in der Selbstverwirklichung ein Selbst tätig, das alles unter sich herabsetzt, was wirklich ist, um selbst wirklich zu sein.
Das dermaßen erhöhte Selbst kennt keine wirkliche Beziehung mehr, weil es sich gegen jede Beziehung nur selbst verwirklichen kann, sich also um seine Wirklichkeit sorgen muss, wenn anderes auf es einwirkt. In und durch seine Selbstverwirkichung hebt es jede andere Wirklichkeit auf. Es lässt keinen Raum frei außer dem, den es selbst ausfüllt - oder umgekehrt formuliert: Aller Raum muss durch sie bestimmt werden. Die Selbstverwirklichung der bürgerlichen Persönlichkeit ist raumfüllend und lässt keine Luft für anderes. Was darin als Reichtum ihrer Beziehungen, Fähigkeiten und Sensitäten erscheint, verwirklicht sich nun zu ihrem Mangel. Selbstverwirklichung kann nur als ganze Wirklichkeit seiner selbst funktionieren und ist von daher total. Doch gerade diese Totalität ist weder durch Selbstbehauptung noch durch Selbstdarstellung erreichbar. Sie kann daher nur über die vollständige Einverleibung der zwischenmenschlichen Lebensumstände Bestand haben.
Das macht nötig, dass ihr Leben sich veräußert als Welt ihrer Selbstwahrnehmung, dass es sich personifiziert als Umstand für sich. Darin vollzieht sich im Grunde nichts anderes als die Kontrolle der zwischenmenschlichen Beziehungen durch die persönliche Macht und Rolle einer tätigen Selbstwahrnehmung, die sich selbst durch andere erzeugt und verwertet. Indem die Selbstwahrnehmung auf diese Weise Persönlichkeit erlangt, wird sie auch für andere wirklich. Und hierüber erfährt sie ihre Wirklichkeit auch durch andere. Es ist die persönliche Wirkungsmacht der Wahrnehmung, die sich als Verwirklichte Egozentrik in der Beziehung auf andere Menschen wahrhat. Ihre Emfindungen bestehen darin unmittelbar als Selbstgefühl und jedes Gefühl für andere ist nichts anderes, als die Gestalt einer Selbstempfindung durch andere.
Die Persönlichkeit ist von daher das Gewirke vieler Personen in einer. Es ist die als Persönlichkeit gewordene Wirkungsmacht persönlicher Beziehungen, die aneinander ihre Selbstverwirklichung in der Konkurrenz ihrer Lebensumstände füreinander betreiben. So ist eine Persönlichkeit zwar ein gesellschaftliches Produkt, in Wirklichkeit aber existiert sie in der bürgerlichen Kultur nur privat, also im Ausschluss der persönlichen Selbstwirklichkeit, als Personifikation der Selbstwahrnehmung, die sich nur in der persönlichen Beziehung wahrhaben kann.
Es ist ein emsiges Geschäft, das darin betrieben wird: Das Geschäft der Selbstgefühligkeit, die das für sich erwirbt, was die Personen durcheinander erbringen, was sie an Liebe und Lust und Erleben dadurch aufbereiten, was sie für sich nicht mehr sein und bleiben können, was also in ihren Verhältnissen nur als Selbsterlebnis möglich ist. Dabei konkurrieren die einzelnen Selbstdarstellungen um die Gunst des Selbsterlebens, und was das Glück des einen darin ist, kann leicht zum Unglück des anderen werden. Das persönliche Selbsterleben bestimmt sich aus der Beziehung dieser Konkurrenz in einem gemeinsamen Lebensraum, der für sie nötig ist, um nicht in sich selbst zu zerfallen, um also im Bezug auf andere objektiv zu sein, subjektiv allerdings in der permanenten Angst vor einem persönichen Untergang zueinander stehen. Die Personifikation der Selbstwahrnehmung gründet also auf einem Wahrnehmungsverhältnis, das höchst gesellschaftliche Wirklichkeit hat und zugleich nur private Verwirklichung der Überwindung von Lebensangst sein kann. Und dies prägt sich ein, wird charakteristisch für die Menschen in solchen Verhältnissen.
Weiter mit Buch I: 133. Die personifizierte Selbstwahrnehmung