Urvertrauen

Aus kulturkritik

Das Urvertrauen ist eine psychoanalytische Kategorie, die auf einer ursprünglichen Identität im Leben eines Menschen im Verhältnis zu seinen Eltern gründet, in welchem ein Mensch sich nicht von Anfang an verhält, sondern vor allem entfaltet. Nach diesem Verständnis entsteht die Entwicklung des Kindes nicht in diesem Verhältnis, sondern in einem bloßen Reifungsprozess, wie er von Natur aus schon vollständig begründet wäre und dieser nur zu unterstützen sei durch dementsprechende Hilfereichungen und Maßnahmen. Entwicklungsstörungen wären demnach "Entfaltungsstörungen".

Zwar hat die Entwicklung der Menschen zweifellos in jedem Lebensabsschnitt ihre natürlichen Grundlagen, die sich darin ausbilden, aber doch nur durch und in den Verhältnissen, die damit eingegangen sind und verändert werden (siehe z.B. Pubertät). Die familiäre Symbiose hat in der Tat ihre natürliche Seite in der existenziellen Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern. Im Bezug auf seine gesellschaftliche Existenz muss sich diese jedoch als ein soziales Verhältnis gestalten, die zugleich auch eine politische Symbiose im Selbstgefühl eines Menschen ist, der sich leider allzu oft ein Leben lang nicht von der vermeintlichen "Natur" seiner Herkunft lösen, der also ein Leben lang durch diese symbiotische Hörigkeit kein eigenständiges politisches Subjekt werden kann.

Mit dem Begriff Urvertrauen wird eine in ihrer Natürlichkeit wesentlich positiv behaupteten Idealität der kindlichen Entwicklung verwesentlicht, die vor aller existenziellen Wirklichkeit und Geschichte schon bestimmt ist (siehe Ontologie). Nicht ein beständigesBeziehen der Wahrnehmungen, der Ängste und Nöte, die schon von Anfang an gegeben sind, sondern eine ursprüngliche Einheit besonders von Mutter und Kind seien die Bedingung einer unbeschädigten Entfaltung eines Menschen, die dann wesentlich nur noch äußerlich gestört werden könne (sieheTrauma). Von daher geht mit dem Begriff eine individualpsychologische Wesensbehauptung ein, welche die realen Grundlagen zwischenmenschlicher Verhältnisse schon in der frühesten Kindheit angelegt sieht und letztlich den Zweck einer staatskonformen Familienideologie verfolgt.

Diese ist damit auch schon eingereiht in den Konstruktivismus einer Psychologie, die umgekehrt auch die "Störungen" als Zufügungen einer an sich guten Lebensposition ansieht und sie besonders im Kern ursprünglich aus der Eltern-Kind-Beziehungen, nicht aus den Lebensbedingungen und den Verhältnissen der Familie ableitet. Indem der persönliche Ursprung als die wesentliche Grundlage der individuellen Geschichte in der Psyche eines Menschen angesehen wird, bleibt jede gesellschaftliche Wirklichkeit, die klassenspezifikationen der Verhältnisse außen vor. Ursprung ist eine voraussetzunglose Quelle, oft gemeint imesoterischen oder wesensphilosophischen, phänomenologischen Sinn. Ursprung verweist auf eine Herkunft, die nicht wirklich erzeugt, sondern wesentlich abgetrennt von der Welt vorausgesetzt ist, Heim der Heimlichkeiten, dem Wirklichkeit �u�erlich entgegensteht (siehe auch heile Welt).