Begierde
"Die Bestimmung des sich nur zum Genuß preisgebenden, untätigen und verschwendenden Reichtums - worin der Genießende zwar einerseits sich als ein nur vergängliches, wesenlos sich austobendes Individuum betätigt, und ebenso die fremde Sklavenarbeit, den menschlichen Blutschweiß als die Beute seiner Begierde und darum den Menschen selbst, also auch sich selbst als ein aufgeopfertes, nichtiges Wesen weiß, wobei die Menschenverachtung als Übermut, als ein Wegwerfen dessen, was hundert menschliche Leben fristen kann, teils als die infame Illusion erscheint, daß seine zügellose Verschwendung und haltlose, improduktive Konsumtion die Arbeit und damit die Subsistenz des andren bedingt - der die Verwirklichung der menschlichen Wesenskräfte nur als Verwirklichung seines Unwesens, seiner Laune und willkürlich bizarren Einfälle weiß - dieser Reichtum, der aber andrerseits den Reichtum als ein bloßes Mittel und nur der Vernichtung wertes Ding weiß, der also zugleich sein Sklave und sein Herr, zugleich großmütig und niederträchtig, launenhaft, dünkelhaft, eingebildet, fein, gebildet, geistreich ist - dieser Reichtum hat noch nicht den Reichtum als eine gänzlich fremde Macht über sich selbst erfahren; er sieht in ihm vielmehr nur seine eigne Macht, und [nicht] der Reichtum, sondern der Genuß [ist ihm letzter] Endzweck. (MEW 40, Seite 555)
Die Begierde ist ein spontan auftretendes heftiges Verlangen, dessen Anlass und Absicht nicht erkennbar ist, weil es aus der selbstverlorenen Selbsbeziehungeines äathetischen Willens entspringt. Im Unterschied zum Bedürfnis bezieht sich die Begierde daher auch nur abstrakt auf ihren Gegenstand, der dann vollkommen ist, wenn er als Gegenstand einer abstrakten Wahrnehmng taugt (sihe hierzu auch Kulturbürger), wenn er für die Ästhetik einer abstrakt menschlichen Sinnlichkeitnützlich ist (siehe hierzu auch Mode, Kunst). Sie ist ein verselbständigtes Verlangen des Selbstgefühls, das durch dessen Triebhaftigkeit (siehe auch Abstraktionskraft) uneinig mit sich seinen Sinn verloren hat und in seiner Langeweile nach einem unendlich bestimmten Dasein seiner ungewissen Sinne sucht. Es ist das Verlangen nach einer ewigen Sinngestalt seiner unendich verödeten Selbstbeziehung, aus dem sich ein Begehren konstruiert (siehe Konstruktivismus), das aus einem Einfall besteht, der nicht von dieser Welt ist. Es ist das Dasein einer Enttäuschung in einem Verlangen nach dem einen, das zugleich zum Verlangen nach anderem wird, das im Grunde beliebigaustauschbar ist und von daher jedes Eine die Langeweile in sich trägt, die erst in einer allgemeinen persöniche Prominenz ihre Welt finden kann und als Kult seines ausgeweiteten und unendlichen Verlangens erfahren wird.
Im Unterschied zum Bedürfnis als notwendiges Verlangen ist das Begehren ein Verlangen, das die Getrenntheit des Subjekts vom Objekt der Begierde voraussetzt und zugleich nicht notwendig ein natürliches Verlangen, also nicht ein Verlangen, das aus der Natur eines Wesens, sondern aus der Wahrnehmungsform desselben entstanden ist. Es ist eher eine Geistesreflektion, die unmittelbar keine natürliche Not hat, auch wenn sie dieser entspringen mag. Es hat ästhetische Inhalte und ist von daher ein Verlangen der Selbstgefühle nach einer eigenen Wahrheit, die durch die Erfüllung ihrer Wünsche wahrgemacht werden soll. Von daher ist das Begehren eine Sehnsucht nach Erfüllung einer Wahrnehmungsidentität der Selbstgefühle, das Verlangen nach einer Verwirklichung einer Identität, die diese nicht haben, aber wahrmachen können, wo sich das Ziel des Begehrens als Wunscherfüllung vollziehen lässt. Sie geschieht daher in seelischer Absicht, in der Absicht "höherer Antriebe", die zu Gefühlen gelangen, die sie aus sich heraus nicht empfinden, sich ihnen also auch nicht gewiss sein, wohl aber sich wahrmachen können, in dem sie sich einverleiben, was ihnen unterworfen werden kann, Beziehungen begründen, die selbst nur psychischen Inhalt haben.
Das Begehren hat sein ausschießliches und einziges Material nur in sich selbst, geht über alle Notwendigkeit der Reproduktion der natürlichen Subsistenz hinaus. Wo und weil der Reichtum gesellschaftlich nur in der Geldform existiert, da bestimmt es sich aus dessen allgemein möglichen Eigenschaften, aus der Gleichgültigkeit seiner Beziehungspotenziale und geht leicht über alle sinnliche Eigenschaften und damit über die wirklich vorhandenen Beziehungsmöglichkeiten hinaus, die im bloßen Verlangen nach Selbstveredelung unendlich geworden sind (siehe hierzu auch Luxus). Dann ist das Begehren der verstockte Ausdruck einer Einfältigkeit, die wie ein triebhafter Edelmut die Verhältnisse zu bestimmen sucht.
Das Begehren ist ein Verlangen nach dem Besitz, dem Haben wollen einer Person oder Sache zur Einverleibung ihrer Anwesenheit. Es resultiert aus einer Vorstellungswelt, die sich selbst erst in den Selbstgefühlen entwickelt und ihrer ästhetischen Notwendigkeit, nicht aber einem wirklichen Verlangen folgt. Von daher unterscheidet sich auch seine Verwirklichungsform von den wirklichen Bedürfnissen: es kann sich nur wahrmachen in der Ästhetik einer zwischenmenschlichen Beziehung.