Edelmut

Aus kulturkritik

"Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute Wille (freilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Werth in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werthe weder etwas zusetzen, noch abnehmen." (Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Seite 394)

Edelmut ist der Mehrwert der Selbstverwertung, den Menschen in den Verhältnissen ihrer Selbstveredelung für sich im Selbstbildnis ihrer Zwischenmenschlichkeit für sich behalten können, weil und sofern sie sich als Bildungsbürger in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen prominent machen konnten. Was also von den Charakteren der narzisstischen Persönlichkeiten – den autoritären, den esoterischen und schließlich den flexiblen – in der zwischenmenschlichen Kultur zur gemeinen Sinnstiftung verbleibt ist die politische Ästhetik in der Form der edelmütigen Bildungsbürger (siehe auch ästhetischer Wille), der sich schließlich auch gerne in den politischen Institutionen und Gremien der bürgerlichen Repräsentanz (siehe auch repräsentative Demokratie) durch seine Unverwüstlichkeit nützlich macht (siehe auch Bürokratie).

Mit der Verdichtung der aufeinander bezogenen Selbstgefühle werden diese durch ihre Masse selbst schon übermütig und verlangen nach einer besonderen Qualifizierung. In den zwischenmenschlichen Verhältnissen der Selbstbehauptung wird dieser Übermut durch seine Stimmung früher oder später sinnlos, sobald er alles erfüllt hat was dem allgemeinen Gelungsbedürfnis entsprechen konnte. Weil damit das zwischenmenschliche Geltungsstreben an seinem Ende angelangt und damit unerfüllt ist, muss es über sich und andere Zwischenmenschen hinausgreifen und einen Mut entwickeln, durch den es sich übere seine Bodenlosigkeit hinausgreifend veredelt: einem innerlich fordernden Edelmut gegen die Nichtigkeit seiner Selbstwahrnehmungen folgen. Der Edelmut verlangt von da her nach einer idealen Wirklichkeit für sich selbst, einer iWirklichkeit, die immerhin der Idee seiner unsinnig gewordenen Selbstwertigkeit zufolge sein kann und deshalb zu ihrem persönlich Ziel und Glück werden muss..Von daher ist der Edelmut der kulturellle Grund für reine Ideologien, weil er das nicht Wirkliche, das Unverwirklichte seiner Behauptungen uber sein Dasein zu seinem Wesen machen muss, um das Abwesende seiner Kultur durch seinen politischen Willen zu verwirklichen, in seinem abstrakten Sinn über sich hinauszugreifen und Andere nach diesem Übergriff gegebenenfalls auch zu maßregeln. Seine Selbstgerechtigkeit teilt nun die Selbstwahrnehmungen in gute und böse Gesinnungen und entwickelt von daher die Interessierte Güte, die über die Niederlagen der bürgerlichen und persönlichen Gesellschaft hinweghilft und dem Regelbedarf einer zwischenmenschlichen Gesellschaft vorauseilt (siehe hierzu auch heile Welt).

Edelmut ist geadelter Mut, der Mut einer höheren Selbstwertigkeit, also der Mut eines Selbstgefühls, das durch einen ästhetischen Willen ein höhere Sphäre der der Eigenliebe sein soll, der nur dadurch ist, dass er als guter Wille Edles vertritt und sich darin spiegelt und sonnt. Es ist der Mut des Narzissmus, der durch den Selbstadel über sich hinauswächst und darin ein höherwertiges Selbstgefühl im Verhältnis zu Seinesgleichen empfindet und als seine besondere Liebe für sich durch andere akkumuliert, um den Selbstverlust seiner Selbstbeziehung zu verdrängen, dem er unter der Formbestimmung seiner Lebensbergungen (siehe auch Familie, Heile Welt) ausgesetzt ist.

"Der Mann des kleinen Kriegs ... braucht kein edler Mann zu sein, aber er muß doch ein edelmütiges Bewußtsein haben. Das edelmütige Bewußtsein schlägt nach Hegel notwendig in das niederträchtige um." (MEW 9, S. 489).

Was eine hierdurch bestimmte zwischenmenschliche Beziehung dann ausmacht, besteht aus dem Eindruck den diese Selbstverleugnung macht und kann deshalb auch nicht einfach durch sich selbst schon da sein. Dieser Eindruck ist ja auch nur das bloße Produkt einer Veredelung, die nichts Wirklichesdurch sich hat und auch nicht wirklich durch sich selbst da ist, Sie ist eben Produkt einerSelbstveredelung im Dazwischensein der Menschen, die kein anderes Dasein hat als es durch den Ausdruck eines fiktiv gewordenen Selbstwerts - der Wertschätzung eines ebenso fiktiven Selbstbewusstsein - gewinnen kann. Dieser besteht ja nur dadurch, dass er die Selbstachtung der Menschen für sich und andere ersetzt, um durch einen entäußerten Sinn in den Verhältnissen der Geltungsbdürfnisse in zwischenmenschlichen Verhältnissen über modischeoder kultischeBedeutungenangeeignet und einverleibt zu werden (siehe auch Körperfetischismus).

Wo die Achtung vor dem wirklichen Menschen durch Selbstveredelung ersetzt wird, ist ihr Resultat dasselbe wie ihr Ausgang, daher auch ein Selbstwert, der dem Selbstwert zwar entspringt, aber ein Mehrwert für die Selbstwahrnehmung nicht sein, sondern nur sich selbst, durch seine Selbstgerechtigkeit darstellen kann und von daher eine Selbstbeziehung aufwertet, die keinen wirklichen Sinn hat. Sie tritt edelmütig durch eine aufreizende Omnipotenz auf, um ihren Adel durch ein höherwertiges Selbsgefühlals einen zwischenmenschlichen Wert, den sie in ihrer Selbstdarstellung vorstellt, zu bestätigen und zu bestärken. Hilfreich tritt sie daher auf, schön und gut ist sie, wenn sie die Beziehungen handhabt, die sie füir sich in ihrer Eigenliebe (siehe Narzissmus) nutzen kann, um ihre Persönlichkeit darin für sich und gegen andere zu bilden und über ihre wirklichenLebensverhältnisse hinweg zu behaupten (siehe auch Selbstbehauptung).

Als Vorstellungen eines charaktervollen Menschen zirkulieren diese Selbstdarstellungen dann auch in Heilserwartungen und populistischen Medien. Folglich ist es eine innige Notwendigkeit der narzisstischen Liebe, durch als gebannt zu wissen, was Liebe ihrer Natur entsprechend sein kann. Für eine narzisstische Persönlichkeit ist sie das Mittel einer bloßen Verführung, sich auf ein anderes Wesen einzulassen, das Anderssein eines Menschen überhaupt zu akzeptieren, um durch sich selbst göttliche Fähigkeiten vorzutäuschen (siehe hierzu auch Esoterik), die letztlich in der Hölle landen. So z.B. Herr Edgar aus der "Heiligen Familie" (Nach Marx):

"Um die Liebe in den "Moloch", in den leibhaftigen Teufel zu verwandeln, verwandelt Herr Edgar sie vorher in eine Göttin. Zur Göttin, d.h. zu einem theologischen Gegenstand geworden, unterliegt sie natürlich der Kritik der Theologie, und überdem liegen bekanntlich Gott und Teufel nicht weit auseinander. Herr Edgar verwandelt die Liebe in eine "Göttin", und zwar in eine "grausame Göttin", indem er aus dem liebenden Menschen, aus der Liebe des Menschen den Menschen der Liebe macht, indem er die "Liebe" als ein apartes Wesen vom Menschen lostrennt und als solches verselbständigt. Durch diesen einfachen Prozeß, durch diese Verwandlung des Prädikats in das Subjekt, kann man alle Wesensbestimmungen und Wesensäußerungen des Menschen in Unwesen und Wesensentäußerungen kritisch umformen. So z.B. macht die kritische Kritik aus der Kritik, als einem Prädikat und einer Tätigkeit des Menschen, ein apartes Subjekt, die sich auf sich selbst beziehende und darum kritische Kritik: ein "Moloch", dessen Kultus die Selbstaufopferung, der Selbstmord des Menschen, namentlich des menschlichen Denkvermögens ist." (MEW 2,S. 21)

Edelmut verwirklicht sich auch schon zwischenmenschlich als eine sinnliche Gewalt, die rein ästhetisch sich vermittelt und eine Sehnsucht nach übermenschlicher Selbstbegründung erzeugt (siehe Ursprungssehnsucht), wie sie in den Werken für das Übermenschliche (z.B. von Friedrich Nietzsche, Leni Riefenstahl oder Richard Wagner) zum Ausdruck kommt, die doch nur als Hybris des Nihilismus oder als Kitsch einer Größenfantasie vorkommt, so wie diese auch im Prunk der Schlösser des Märchenkönigs Ludwig II hervorschienen war. Hitlers Architekten hatten hieraus dann deren kulturstaatliche Version entwickelt, indem er dem Edelmut die Güte einer völkische Gesinnung und allen anderen eine nationale Pflicht in der Gesinnung des Volksgenossen zusprach (siehe hierzu reaktionäres Bewusstsein), wenn dieser nicht über den Rand der Gesellschaft hinaus, an den "Abschaum" abgedrängt oder als Abart abgeurteilt werden will. Dabei konnte er sich durchaus auch auf Immanuel Kant berufen, der gerade im guten Willen einen Juwel glänzen sah, "das seinen vollen Werth in sich selbst hat."

Im Edelmut des guten Willens stellt sich allerdings kein Wille dar, sondern das, was gegenüber den Lebenswerten der bürgerlichen Kultur in zwischenmenschlichen Verhältnissen disfunktional geworden ist. Dahinter verbirgt sich das Gebot einer Lebenspflicht, die sich aus den Bestrebungen der Selbstverwirklichung und der ihr entsprechenden Egozentrik aus dem Scheitern ihrer Selbstbehauptung ergibt. Hieraus schält sich der besondere Charakter einer Persönlichkeit dadurch heraus, dass sie die Beziehungen zwischen ihren Empfindungen und ihren Selbstgefühlen aus dem bewerten muss, für das sie sich pflichtschuldig fühlt, um als eine zwischenmenschliche Persönlichkeit in den Verhältnissen egozentrischer Beziehungen zu gelten (siehe auch autoritärer Charakter).

Jede Egozentrik hat nämlich einen gewaltigen "Pferdefuss". Sie betreibt in ihren wirklichen Verhältnissen einen Teufelskreis der Selbstwahrnehmung. Denn sie enthält schon vor aller Erfahrung das gröbste Prinzip der Relativierung ihrer wesentlichen Bestrebungen. Weil Selbstverwirklichung nur dadurch zu betreiben ist, dass man die zwischenmenschlichen Verhältnisse hiernach bestimmt, muss man andere von sich abhängig machen, dass sie sich dem auch beugen. Ein jeder dient dem anderen, um sich selbst zu dienen, um eigene Wirklickeit dadurch zu erlangen, dass aich alle diesem Prozess der Selbstverwirklichung verpflichtet fühlen.

An sich steht der Bezug dieser Egozentrik schon über dem, worunter er sich beugt. Denn ein Selbst gibt es nicht wirklich und in der Verpflichtung der Selbstgefühle steht alles, was von daher nicht wirklich sein kann. Es entsteht Liebesschuld durch Dienstbarkeiten, die keinen anderen Gegenstand haben, als sich selbst. Doch gerade dadurch, dass jeder dem anderen dient, konkurriert er auch gegen ihn, dient er einem Prinzip, dem beide zu folgen haben. Es ist ein PrInzip wechselseitiger Pflicht, die einzelne Selbstbehauptungen gültig zu machen, ihnen einen höheren Selbstwert zuzuweseisen, als ihnen durch sich und ihre Selbstwahrnehmung zukäme. Selbstverwirklichung hat sich in eine Selbstverpflichtung verkehrt, die wie eine allgemeine Lebenspflicht wirksam wird: wer ihr nicht Folge leistet, verliert seine zwischenmenschlichen Lebensgrundlagen. Es geht aber zugleich um die Veredlung der Selbstbehauptungen im Allgemeinen, ihrer Verwirklichung, der jedes einzelne Verhältnis dieser Wirklichkeit unterworfen, damit dem Begriff nach beherrscht und zugleich beherrschend ist. Im Grunde bestrebt und betreibt in diesem Verhältnis jeder eine höhere Selbstwertigkeit als der andere und bestreitet mit der Anerkennung seiner allgemeinen Selbstbehauptung von daher zugleich auch notwendig dessen Selbstwert.

Objektiv handelt es sich bei allen Umständlichkeiten des Edelmuts um eine Vertauschung von Selbstwert und ästhetischem Willen, um eine Täuschung also. Aber die hat Wirkung. Sich selbst kann man immerhin adeln, indem man sich auf ein hochwertiges Bedürfnis oder eine Sehnsucht bezieht, deren Erfüllung oder Befriedigung durch die Umstände einer höheren Selbstwahrnehmung möglich erscheint. Diese begehrt nach der Entgegenwärtigung zwischenmenschlicher Beziehungen, die höheren Zuständen des Gemüts dienlich sind, entweder indem sie Selbstwertigkeit dadurch beschert, dass sie sich fremde Gegenwärtigkeit aneignet, sich die Anwesenheit von Menschen und Kulturgüter im Sinne eines unverwirklichten Selbstwerts und unter dessen Bestimmung (siehe Formbestimmung) einverleibt oder unterwertig wahrgenommene Eigenschaften abscheidet und hierdurch ihre Eigenheiten zu einer eigenen Art bestimmt und mit der Abwertung von Fremdem das Eigene ästhetisch hochwertet (siehe Rassismus). Das Höhere ist hierbei also einfach nur eine durch fremde Leibgegenwärtigkeit akkumulierte Selbstverwirklichung, höhere, weil fremd genährte Selbstvergegenwärtigung (siehe Fremdenfeindlichkeit), also nichts wirklich neues, sondern lediglich die Form, worin das Angeeignete, das einverleibte Leben durch seine Art der Selbstvergegenwärtigung auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zurückstrahlt, denen sie entnommen ist.

In dieser edelmütigen Beziehung wird das Selbst zum Gegenstand einer Wahrnehmung, die sich durch sich selbst heiligt. Sie wird durch ihre Ästhetik zum Inhalt der heilen Welt eigener Gewohnheiten, der Eigenschaften, die um sich selbst und um ihrer selbst Willen nötig geworden sind (siehe ästhetischer Wille), die heile Welt außer sich, absoluter Lebensraum. Weil die Wahrnehmung in der Selbstveredlung sich selbst verfallen ist, muss sie sich beständig selbst wahrhaben, um überhaupt mit sich einig zu sein (siehe Identität). Sie erträgt sich daher nur in der beständigen Veräußerung ihres Edelmuts in einem ästhetische Willen.