Methode

Aus kulturkritik

"Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.

Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des "Kapital" ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als "toten Hund". Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.

In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist." (MEW 23, S. 27f)

Methode meint vom griechischen Wortursprung her ein planvolles Verfahren, mit dem ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Im wissenschaftlichen Streit um den Fortschritt geht es immer auch um die Methode der Erkenntnis, wodurch dieser zu ergründen ist. Sie selbst enthält schon die wesentlichen Unterschiede der philosophischen Implikationen bei der wissenschaftlichen Ergründung des Gegenstands, die vom Erkenntnisinteresse bestimmt sind. Dieses ist grundsätzlich schon darin verschieden, dass ein positives Interesse an den Gegebenheiten ihren Gegenstand, so wie er qualitativ gegeben ist, quantitativ verbessern, positiv (weiter-)entwickeln wollen, und dass ein kritisches Interesse seinen Mangel qualitativ aufheben, den Gegenstand wirklich verändern will.

Der Unterschied besteht schon in der unterschiedlichen Notwendigkeit, in welcher der Gegenstand wahrgenommen wird. Eine Not, die nur als Mangel des Möglichen begriffen wird, ist schon durch Weiterführug und Anreicherung seiner Substanz oder durch Entdeckung, Erfindung und Entwicklung von Hilfsmittel hierfür behoben. Es ist das vorwiegende Erkenntnisinteresse der technischen und der Naturwissenschaft. Im Unterschied zu diesem Entwicklungsinteresse aus einem rein quantitaiven Mangel ergeht eine innere Notwendigkeit aus dem qualitaiven Mangel eines Gegenstands, der aufgehoben werden soll - nicht um ihm ein anderes Sein als andere Qualität entgegen zu halten (dieses entsteht immer schon durch positive Praxis), sondern um seine Fixationen, sein um sich selbst kreisendes, sein zirkulierendes Dasein aufzulösen. Dies erfordert zunächst die Analyse der Positionen dieser Kreisbewegung, die zumindest zweierlei Sein beinhalten, das in seinem Dasein gegensinnige Positionen einnehmen, die solange ineinander übergehen müssen, wie sie sich in ihrem Dasein gegenseitig ausschließen, also in einer widersprüchliche Einheit verselbständigt nur existieren können. Die Erkenntnis dieser Widersprüchlichkeit ist somit der Ausgangspunkt einer kritischen Methode.

Die Methode erweist sich somit selbst schon als ein Vorurteil des wissenschaftlichen Denkens, das in die Wirklichkeitserfassung eingeht, als Position aus der vorangegangenen Wahrnehmung oder auch Selbstwahrnehmung. Eine positivistische Methode geht von beliebigen Hyphothesen aus, die zu verifizieren oder falsifizieren sind. Phänomänologisch wird ein Bild vom Gegenstand umfangslogisch verallgemeinert, das als "eidetische Reduktion" in phänomenale Zusammenhänge gebracht wird. Im Idealismus wird auf eine ideale Wesenhaftigkeit hin spekuliert, durch welche die empirische Erscheinungen erklärt werden können. Die dialektische Methode gibt es selbst nicht als erkenntnisleitende Vorgehensweise, sondern in einem fortschreitenden Verhältnis des Zweifelns und Begreifens bis dahin, wo sich eine Begriffssubstanz findet, welche das Ganze der Erscheinungen wesentlich erklären kann. Von daher verfolgt sie die wirkliche Geschichte in ihren Epochen (siehe Historischer Materialismus) und aus ihren Epochen heraus als entwickelter Begriff der Logik des ganzen Verhältnisses in deren Wirklichkeit.

"Je tiefer wir in der Geschichte zurückgehen, je mehr erscheint das Individuum, daher auch das produzierende Individuum, als unselbständig, einem größren Ganzen angehörig: erst noch in ganz natürlicher Weise in der Familie und der zum Stamm erweiterten Familie; später in dem aus dem Gegensatz und Verschmelzung der Stämme hervorgehenden Gemeinwesen in seinen verschiednen Formen.

Erst in dem 18. Jahrhundert, in der "bürgerlichen Gesellschaft", treten die verschiednen Formen des gesellschaftlichen Zusammenhangs dem einzelnen als bloßes Mittel für seine Privatzwecke entgegen, als äußerliche Notwendigkeit. Aber die Epoche, die diesen Standpunkt erzeugt, den des vereinzelten einzelnen, ist grade die der bisher entwickeltsten gesellschaftlichen (allgemeinen von diesem Standpunkt aus) Verhältnisse. Der Mensch ist ... nicht nur ein geselliges Tier, sondern ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann." Marx in der Einleitung zu den Grundrissen (MEW 42, S. 20)