Psychose

Aus kulturkritik

Eine Psychose ist der Ansturm verselbständigter Gefühle gegen ein ausschließliches – weil ausgeschlossenes – Selbstgefühl, wodurch die Wahrnehmungsidentität eines Menschen beherrscht und nurmehr gewähnt werden kann. Sigmund Freud hat mal irgendwo geschrieben, dass eine heftige Verliebtheit wie eine Psychose ist. Und tatsächlich tritt diese auch oft erstmals auf, wenn ein Mensch mit diesem Zustand nicht zurecht kommt. Psychose bedeutet ja auch wortgemäß ein sich Ergießen der Psyche, die von ihren Wahrnehmungsorganen getrennt, also als eine verselbständigte fremde Kraft (siehe Abstraktionskraft) in der Wahrnehmung erscheint und die Selbstwahrnehmung bestimmt. Es ist dann, als ob ein Sturm der Gefühle die Empfindungen überschwemmt und sich hierbei als eine innere "Wahrheit", als der eigenständig gewordene Sinn einer ausgeschlossenen Selbstwahrnehmung, als in sich verschmolzenes Selbstgefühl der Psyche durchsetzt, sich vollkommen von seinen Empfindungen ablöst und abtrennt und sich in der Wucht ihrer Erinnerung totalisiert, als Teil der Wahrnehmung zu einer im Ganzen übermächtige Wahrnehmung wird.

Symbiotische Selbstbehauptungen verlangen in zwischenmenschlichen Verhältnissen nach einer Selbstbezogenheit, die über ihren Selbstwert weit hinaus greifen und einander in der Ausschliesslichkeit ihrer symbiotischen Selbstbehauptungen in ihrer Lebensburg einstimmen und sich darin mehr oder weniger selbst entäußern. Psychose ist eine Lebenswelt von Stimmungen, die solcher Übereinstimmung sich entziehen und sich in Stürmen von Gefühlen ereignen, die ihren Empfindungen enthoben und gegen diese gerichtet sind (siehe auch Verselbständigung). Darin verwirklicht sich das Selbstgefühl von ohnmächtigen Menschen, die durch entäußerte Empfindungen bestimmt sind und sich darin zu bestärken suchen. In der Psyche stellt sich die vergemeinschaftete Ohnmacht einer fremdbestimmten Gemeinsinnigkeit im Gedankensturm eines überwältigten Menschen dar, der durch die Gewohnheiten einer Hörigkeit in zwischenmenschliche Beziehungen sich selbst aufgehoben hat und seine Wahrnehmungen durch eine entfremdete Wahrnehmungsidentität beherrschen und von Erinnerungsbildern eines überwältigten Gedächtnisses aus der Lebenswelt einer erzieherischen Beziehung und den Persönlichkeiten einer symbiotischen Selbstbehauptung (z.B. Lebenspartner, Eltern, Erzieher, Lehrer, Priester oder sonstiger Kultfiguren) lebensförmiger Machtstrukturen vermittelt worden waren und – getrennt von ihrem Entstehungsgrund – wahnhaft zutage treten (siehe auch Wahnsinn).

Die Psyche hat darin eine eigenständige Wahrnehmungsidentität gefunden, die sie in die Lage versetzt, unerträgliche Wahrnehmungen nicht für sich wahr zu haben, um ein dauerhaftes oder momentanes Trauma in der Weise so für wahr zu halten, dass sie es so erkennen kann, wie es ihren Selbstgefühlen gerade noch möglich ist. Hierbei trennt sich die Psyche allerdings unmittelbar in zwei Teile auf: einer Wahrnehmungswelt, die ihre Gefühle mit einer ausschließlichen Erinnerung versieht, und einer Gedankenwelt, mit der sie diese für sich so interpretiert, dass sie damit überleben kann, auch wenn deshalb ihre Wahrnehmungen von einer permanenten Wahrheitsfrage verfolgt und gequält werden. Man könnte auch sagen, dass sie durch einen Ansturm ihrer Gefühle gegen ihre Empfindungen gezwungen ist, eine Wahrheit außer sich für sich zu schaffen, in der sie sich mit sich identifizieren kann, auch wenn sie davon verfolgt wird (siehe hierzu Verfolgungsangst).

Was unter dem Begriff "posttraumatische Belastungsstörungen" bekannt geworden ist, beschreibt die oft umfassenden, weil länger wirkenden Lebensvernichtungen im Überleben, die zerstörerischen Lebenshaltungen und Selbstwahrnehmungen, mit denen Psychologen und Psychiater auch in Friedenszeiten konfrontiert wurden. Aber die sind nichts Ungewöhnliches überhaupt. Es wird unter den Traumata wesentlicher Vernichtungserfahrungen lediglich besonders deutlich, dass Wahrnehmung kein selbständiger, unabhängiger Prozess der Erkenntnis ist, indem er schon unter außergewöhnlichen Bedingungen seine Herkunft und Gründe nicht leugnen kann.

Die Wahrnehmung verliert hierdurch ihre Gedankenwelt, ihre Erinnerung, und kann nur noch darstellen, was in dieser Ausschließlichkeit noch als abgetrennte Empfindung wahrgehabt wird, was ihr in ihrem bloßen Körper als Wahrheit verbleibt. Es ist die Unmöglichkeit der Wahrnehmung, das sinnlich abwesende, was darin noch kognitiv wahrgehabt wird, und was sich dem Wahn als das darin nurmehr Gewähnte und Verlangte so überlassen muss, wie es dem inneren Befinden geboten ist und von der Empfindungen ausgeschlossen und abgetrennt wurde. Soma und Psyche haben sich offensichtlich entzweit und stelllen in der Selbstwahrnehmung eine Einheit her, In der sie die getrennten Welten jenseits ihrer wirklichen Wahrnehmungen zusammenführt. Es ist ihr irre gewordener Sinn, der Irrsinn, der sich darin so anfühlt, wie er für den betroffenen Menschen ist, mal schlecht, mal schön und manchmal auch quälend und zwanghaft, manchmal als Stimme, die er hört oder als Wahnbild, das er vor Augen bekommt.

Es ist anfangs aber auch eine Tür zwischen Soma und Psyche noch offen, die mit Geduld und Aufwand noch eine Beziehung zwischen den vorausgesetzten Empfindungen und ihren Gefühlen zulässt. Diese Tür wird aber zugeschlagen, sobald Psychopharmaka die Empfindungen der Wahrnehmung erschlagen, durch hormonelle Fixierungen ausschalten oder lähmen. Das geschieht meist aus der Behauptung der Psychiatrie, dass Psychose eine Stoffwechselerkrankung sei, die nur durch bestimmte Stoffe, welche die Transmittersubstanzen der Nervenzellen verändern, eingedämmt werden könne. Der Zugang zu den vorausgesetzten Problemen ist damit unmöglich geworden und blockiert oder beschränkt andere Formen einer Therapie.

Mit dem Begriff Psychose soll im Verständnis der Neurologen und Psychiater ein Wahrnehmungszustand erfasst sein, der in bestimmten Phasen oder auch dauerhaft durch psychische Kräfte absolut beherrscht ist, der wie durch eine Krankheit der Nerven verursacht sei. Selbst wenn man es so wahrnimmt wäre dennoch eine Erklärung eines solchen Zustands und seiner Aufhebung nötig, die erkennen lassen könnte. was diese psychischen Kräfte und ihre verselbständigte Wirkung substanziell sind, die sie in die Lage vesetzt, die ganze Wahrnehmung der Menschen inhaltlich zu bestimmen, auch als Wirkung aus der Psyche, die ja auch sonst als eine Form der Seele aufgefasst wird. Aber gerade da, wo solche Erklärung höchste Notwendigkeit hätte, wird ihre seelische Herkunft gerne verleugnet, stattdessen fast nur noch die körperliche Selbstbezogenheit wahnhafter Zustände in den Vordergrund gestellt. Und natürlich hat man hierfür immer ein Mittel, weil nun nur noch die Physiologie der Wahrnehmung "behandelt" wird (siehe Psychopharmaka), und die besteht in dieser Abtrennung vom Seelischen (siehe Leib-Seele-Problem) nun mal in der Tat auch nur noch aus neuronalen Prozessen und Beziehungen.

Die dürftige Wahrheit dahinter ist die Entsprechung von körperlichen und geistigen Wirklichkeiten, z.B. dass bei jeder Aggression natürlicherweise auch eine entsprechenede Erregung festzustellen ist. Die Umkehrung, dass die körperlichen Vorgänge die seelischen erst auslösen würden, ist eine naturwissenschaftliche Vereinseitigung, welche immer gerno dort betrieben wird, wo andere Erklärungen nicht mehr versucht werden sollen, impliziert daher auch eine wissenschaftliche Selbstbeschränkung, wie sie in Krisenzeiten immer wieder besonders hervorgehoben wird - meist mit der Vorhaltung des Unbewiesenen, weil Unbeweisbaren. Die Hirnforschung liefert ja inzwischen auch die einprägsameren Computerbilder, welche die Stoffwechselvorgänge im Gehirn so leicht verständlich machen können, dass man selbst meinen soll, dass dies sozusagen die Dokumente einer psychischen Stimulation seien.

Von daher ist die sogenannte Psychose ein Ideologischer Begriff für Psychische Krankheit, die sich von "funktionellen seelischen Störungen" (Neurosen) dadurch absetzen soll, dass die Seele selbst im Wahnhaften entgrenzt sei: Psychose - zersetzte Psyche. Wer solche Diagnosen ausgibt, weiß keine eindeutigen Zuordnungen von Leiden und Not der Menschen und macht sie deshalb zu ihren "Symptomen", die aus der Seele selbst begründet seien. Jüngere Autorinnen haben inzwischen gewagt, die definitorischen Grundlagen der Schizophreniediagnostik infrage zu stellen, die sie immer gerne durch rein somatische Ursachen begründet sehen wollen:

"Die Schizophrenie ist die rätselhafteste von allen Krankheiten. Wohl keine ist so lange, so intensiv, nach so vielen Richtungen mit so vielen Methoden untersucht worden wie diese und dabei mit so geringem Erfolg. Erblichkeit wurde vermutet, aber ein Erbgang konnte nicht gefunden werden. Stoffwechselstörungen, Milieuschäden, traumatische Erlebnisse wurden für die Krankheit verantwortlich gemacht, doch stellte sich heraus, dass die jeweiligen Störfaktoren in der Anamnese von Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, nicht häufiger vorkommen als bei anderen Krankheiten oder bei Gesunden." ("Schizophrenie - ein Denkausbruch mit Folgen" - Gisela Roggendorf, Katja Rief)

Das Ergebnis der hieraus folgenden Beobachtungen ist nicht überraschend. Es erschließt sich Einblicke in geradezu hoch differenzierte seelische Zusammenhänge, die der Gawalt von existenzillen Gegebenheiten weichen müssen und ein inneres Anderssein als Schutz und Grenze entwickeln müssen.

"Im Unterschied zu den bisherigen Hypothesen wird keinen Defekt und keine Schwäche zur genetischen Komponente der Schizophrenie erklärt, sondern eine atypische Häufung von guten und starken Charaktereigenschaften, durch die die Betroffenen sich erheblich vom Durchschnitt unterscheiden. Durch die ungewöhnliche Persönlichkeit gerät der/die Betroffene von früher Kindheit an in Disharmonie, oft sogar in Widerspruch zur Umwelt. Die Menschen, die mit ihm/ihr leben, verhalten sich allzu oft ablehnend. Dem Kind fehlen in seiner Umgebung Verständnis und Identifikationsobjekte – die Herausbildung eines harmonischen, akzeptablen Ich wird durch den Mangel an Vorbildern und durch die Nichtübereinstimmung mit potentiellen Vorbildern erschwert, manchmal sehr stark erschwert, oft gelingt sie nicht.

Das Anderssein hat eine komplizierte Notlage zur Folge: Das Kind passt sich an, so gut es geht, leistet in dieser Hinsicht oft Beachtliches und entfernt sich dadurch von seiner ursprünglichen Persönlichkeit. Der Versuch, es allen recht zu machen, führt nach und nach in ein unlösbares Dilemma und zunehmende Verletzlichkeit, denn man kann es nicht allen recht machen. Im Verlauf des Heranwachsens entstehen Ratlosigkeit, Schuldgefühle, depressive Verstimmung und oft schon im Alter von elf oder zwölf Jahren Selbstmordgedanken. Platzt in diese Situation ein schwerwiegendes Ereignis, wie Pubertät, Militärdienst, große Reise, so entstehen zusätzliche Probleme. Die mühsame Balance bricht zusammen und das Denken gerät in Unordnung. Diese Unordnung ist kein Defekt, sondern eine Über- und Fehlfunktion. Der Verstand rast durch viele seiner Möglichkeiten, auch extreme. Der Vorgang ist dem eines Gefühlsausbruchs ähnlich, dauert aber länger – vielleicht weil er nicht wie starke Gefühle mit Aktionen und Erschöpfungsreaktionen des Körpers einhergeht und für die Mitmenschen völlig unverständlich ist." ("Schizophrenie - ein Denkausbruch mit Folgen" - Gisela Roggendorf, Katja Rief)