Leib-Seele-Problem
"Die Universalität des Menschen erscheint praktisch eben in der Universalität, die die ganze Natur zu seinem unorganischen Körper macht, sowohl insofern sie 1. ein unmittelbares Lebensmittel, als inwiefern sie [2.] die Materie, der Gegenstand und das Werkzeug seiner Lebenstätigkeit ist. Die Natur ist der unorganische Leib des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper ist. Der Mensch lebt von der Natur, heißt: Die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozeß bleiben muß, um nicht zu sterben. Daß das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur." (MEW 40, S. 515f)
Weil jeder Sinn auch seinen Geist, eine Intelligenz in seiner Natur (siehe auch natürliche Intelligenz) schon hat, ist Leib und Seele nicht unabhängig voneinander zu erkennen. Seit es philosophisches Denken gibt. kreist daher eine wesentliche Seinsfrage um das Verhältnis von leiblichen und seelischen Eigenschaften der Menschen, von Körper und Geist, wie sich diese Beziehung überhaupt begreifen lässt, wie sie sich im Menschen darstellt und was sie beeinflusst, was also wem überordnet in seiner Bestimmung sei. Von den Religionen wird sie durch deren Schöpfungsmythologien auf die Dreifaltigkeit himmlicher Gestalten reduziert, deren erste der große mächtige Gott als reiner Geist, der zweite sein irdisch leidender Körper als dessen Prophet ist, und der dritte seinen geschichtlichen Auftrag formuliert. Für die Religionen ist damit das Leib-Seele-Problem schon vor aller Ausführung aufgelöst. Anders in den Wissenschaften.
Was für das dialektische Denken lediglich in der Frage nach der Substanz eines abstrakt allgemeinen Antriebs von Widersprüchen bedacht und als Resultat seiner Analyse aus dem Wesen der wirklichen Verhältnisse eines Ganzen bezogen werden muss, ist in den positivistischen Wissenschaften eine Frage nach des Kaisers Bart, ob und warum dieser wohin wächst, was Henne, was Ei ist und was überhaupt das Leben bestimmen soll. Aber nur eine Analyse kann unterscheiden, was Inhalt und was Form, was Grund, was Folge ist, und also auch wie Leib und Seele zusammenwirken, ob z.B. ein Mensch aus psychischen Gründen oder aus körperlichen erblindet ist oder auch ob überschüssige Hormonausschüttungen ein bestimmtes Verhalten bewirkt, oder bestimmte Verhältnisse bestimmte Hormonauschüttungen verursachen.
Wenn man in einer bornierten Auftrennung von leiblichen und seelischen Eigenschaften an einen Gegenstand der Wissenschaft herangeht (siehe auch Naturbestimmung), so fallen natürlich auch ganz seperate "Probleme" ins Auge, wodurch oft nicht mehr klar ist, ob sie durch das Symptom eigenständig sind, oder es durch das Herangehen an dieses erst verselbständigt wird (vergleiche zum Beispiel den Begriff von psychischer Krankheit). In der Psychiatrie zum Beispiel ist es dann natürlich eine ganz grundlegende Fragestellung, ob sich die sogenannten psychischen Erkrankungen aus Funktionsstörungen des Körpers, besonders des Gehirns ergeben, oder dort erst soziale Lebensumstände ihre Resultate zeitigen. Von da her auch die Einschätzung der Wirkung von Psychopharmaka: Sollten sie nur zur Bestärkung eines psychotherapeutischen Heilungsprozess verschrieben werden, oder diesen erst in Gang setzen können? Auch in der Interpretation von Bildgebungen des Gehirns (MRT) sollte Einigkeit darüber herrschen, ob das Gehirn einen Willen oder ein Bedürfnis erzeugt, bevor deren Bestreben auftritt, oder ob es nur dem folgend funktioniert, ob es rein körperlich vorgegebene Triebe sich, die sich in psychischen Problemen nur darstellen, oder ob sie Verselbständigungen seelisch-geistiger Widersprüche sind. Auch alle anderen philsophischen, psychologischen, theologischen und juristischen Folgen wären unüberschaubar, wenn der menschliche Wille nur eine Resultante biochemischer Prozesse der Hirnzellen wäre.
Es ist vorwiegend ein erkenntnistheoretisches Problem des bloßen Interpretierens, das sich zur Interpretation der Erkennbarkeit verselbständigt hat (siehe hierzu auch Hermeneutischer Zirkel). Die Diskussion darüber, ob Leib oder Seele der menschlichen Entwicklung vorangestellt ist, hat sich in ganze Denkschulen und Strategien zwischen physikalischen und nichtphysikalischen Strömungen aufgespalten, und in den Systemtheorien zu einer physikalischen Metaphysik einer "Supervenienz" geführt, die letztlich das Mentale des Leib-Seele-Problems in einen "eliminativen Materialismus" (Terence Horgan) abgedrängt und auf seine bloße Entscheidungsstruktur reduziert hat. Dabei wurden Eigenschaften in einer formallogischen Reihe nach ihrer Überordnung so hierarchisisert, dass jede davon abgeleitete Eigenschaft nach ihrer Herkunft als Rangordnung formalisiert werden kann. Bei alledem ließ sich dennoch nicht klären, inwieweit das Psychische (siehe auch Seele) oder das Physische (siehe auch Körper) bestimmender für das jeweils andere ist.
Heute ist von den Naturwissenschaften als "Lebenswissenschaften" die Wirkung geistiger Einflüsse auf die körperliche Entwicklung erkannt und sogar in der Genetik als "Umstand" von Genmutationen anerkannt. Und sogar in der reinen Evolutionstheorie der Entwicklung der physischen Eigenschaften der Lebenwesen (siehe hierzu auch Darwinismus), wird deren Mutation nicht mehr nur selektiv nach einem optimierten Nutzen für das Überleben der Gattung angesehen, sondern durchaus auch als intelligente Reaktion von Einzelwesen auf ihre Umwelt und deren Veränderungen akzeptiert, die eine bloße Verallgemeinerung von veränderten Induividuen und ihrer Genfolge unterstellt - wenngleich damit auch nur auf einen sinnvollen Trieb zu einer natürlichen Allgemeinheit spekuliert wird. Nur von extremenen Sophisten oder Antroposophen wird der geistige Einfluss wie ein selbständiges Subjekt behandelt; und nur von radikalen Materialisten und den Vertretern des dialektischen Materialismus wird die körperliche Beschaffenheit einer materiellen Natur als Naturgesetzt aller persönlichen wie gesellschaftlichen Verhältnisse gewertet. Derweil wird in der Entwicklungspsychologie und Psychiatrie eine "Wechselwirkung" von Körper und Geist längst anerkannt - wenngleich nicht als dialektisches Verhältnis, sondern als Dualismus zweier Seinsweisen des Lebens. In der Psychoanalyse macht der Gegensatz von einem natürlichem Trieb und dem hiergegen positionierten kulturellem Einspruch aus einer gesellschaftlichen Verantwortung die Grundlage ihres ganzen Gedankensystems.
Mit der Formulierung eines "Leib-Seele-Problems" ist schon eine Zweiheit unterstellt, die sich in geschichtlich gewordenen Lebenshaltungen positionieren. Die Extreme gehen von einem materialistischen Naturalismus, der das Leibliche, die Natur, als reines Material des Lebens fasst, und dem Spiritualismus, der das Leibliche als Ausdruck der Seele versteht, als das Dasein im Schatten seiner Gottheit (Platon). Und wer die Entzweiung voraussetzt, schwärmt natürlich auch von seiner Einheit. Bekannt sind hierzu auch solche Nazisprüche wie: "In einem gesunden Körper lebt ein gesunder Geist" oder die esoterischen Begeisterungen der Anthroposophie, die aus einer Übernatur des Geistes die Quellen des körperlichen Lebens zu ergründen sucht, indem sie aus "der erkennenden Seele erst die im gewöhnlichen Bewußtsein und in der gewöhnlichen Wissenschaft noch nicht tätigen Kräfte entwickelt" und hierdurch ein Eindringen "in die übersinnliche Welt" ermöglichen soll (Rudolf Steiner in "Philosophie und Anthroposophie" S. 66)
Das sogenannte "Leib-Seele-Problem" betrifft die Fragestellung, ob Leib und Seele (oder Körper und Geist) zweierlei Seinsinhalte (Wesenheiten), oder nur unterschiedliche Ausdrucksformen des Lebens oder im Grunde ein und Daselbe sind. Es wird besonders von der Aufklärung als eine gegensätzliche Beziehung von körperlichen und von geistigen Impulsen diskutiert und dort als Dualismus gegensinniger Wesenheiten zwischen dem Material (dem "Ding an sich") und seiner "Vernunft" thematisiert, der als Widerspruch formuliert wird, gerne im Gegensatz von Kultur und Natur, Zivilisation und Barbarei oder dergleichen.
Die menschliche Gesellschaft ist aber selbst schon die geistige Beziehungsform eines materiellen Verhältnisses, wie es in der Natur vielfach auch anderswo existiert - aber eben nicht unbedingt geistig. Folgt man dem Naturprinzip in seinem Verhältnis von Energie und Masse, so kann man sagen, dass die menschliche Gesellschaft die einzige natürliche Beziehungsform ist, worin sich Energie begeistert verhält und also auch als Geist ihrer Kultur in ihrer Einheit erkennbar ist. Ohne diese Form, ohne den Rückbezug auf sein leibliche Dasein, wird kein Individuum zu begeistern sein und daher auch nicht geistvoll produzieren können. Es vollzieht jedoch mit seinem Stoffwechsel immer auch seine gesellschaftliche Begeisterung. Das ist der Grund, warum esoterische Anwendungen funktionieren können, jedoch versteht Esoterik nicht diese triviale gesellschaftliche Wahrheit und verlagert sie in einen Kosmos jenseits der Menschen, die allmächtige, also im Grunde göttliche Wirkung in ihnen haben soll.
Die unterschiedlichen Positionen gehen von positivistischen über identitären bis hin zu neurologischen Reflexionen der sogenannten Leib-Seele-Beziehung aus, die neuerdings auch mit einer neurologischen Position zur Willensdisposition mit der Frage "bereichert" wurde: "Haben wir überhaupt einen Willen oder ist dieser neuronal vollständig determiniert?" Man kann diese Diskussion auf alles erweitern, z.B. auch darauf, ob Aggressionen lediglich aus Ausschüttungen von Adrenalin erfolgt oder umgekehrt dieses durch soziale Konflikte mit anschließernder Kampfbereitschaft beantwortet wird oder all dies unbedingt gleichwertig nebeneinander geschieht und sich in psychosomatischer Einheit volzieht. Es bleibt vor allem die Frage, was ein solcher Ursachenstreit überhaupt an Erkenntnis bringen kann, solange keine Begründung gesucht wird. Dies impliziert auch die Begründung, wie und warum Seele selbständig als Psyche auftreten kann.
Besonders ausdrücklich wurde die Beziehung körperlicher Bestimmungen und seelischer Funktionen von der Psychoanalyse Sigmund Freuds thematisiert, der den Menschen "virtuell als Feind der Kultur" beschreibt, weil er in seinen Bedürfnissen seinen Trieben folgen müsse, aber zugleich seine Kulturfähigkeit und damit die optimierte Form seiner Befriedigung nur durch Verzicht auf unmittelbare Triebbefriedigung erreicht. Von daher versöhne er sich mit der Kultur und sublimiere darin sein Begehren auf einer "höheren Stufe". Die nötige Entwicklung zu dieser verlaufe über ein "Triebschicksal", das von Freud Ödipuskomplex genannt wird: Der Mord am Vater, um der Liebe zur Muter willen, damit die Übernahme einer selbstverantwortlichen Schuld und also die Übernahme moralischer Werte im Zweck der Selbsterhaltung. Die weibliche Umkehrung dieses "Schicksals" wird als Elektrakomplex beschrieben. Es reflektiert sich darin das Beziehungsdrama der bürgerlichen Familie als Leib-Seele-Problematik, also als ontologisiertes "Schicksal".
Neuerlich beginnt sich in der Psychiatrie der Standpunkt durchzusetzen, dass es keine eindeutigen Determinanten gibt, wodurch Psyche oder Körper zu bestimmen wären. Gerade mit der Entdeckung, dass intensive Erlebnisse (z.B. Traumata) selbst auch genetisch übertragen werden können, dass sich also das körperliche Material der Vererbung durch Erleben modifiziert, ist das sogenannte "Leib-Seele-Problem" überholt und nur noch im Prozess zu beschreiben. Es verbleibt damit der subjektiven Betrachtung vorbehalten, die dominantere Ursache eines Phänomens in Körper oder Geist vorzustellen.
Vom Standpunkt des dialektischen Denkens und dessen Erkenntnisinteresse (Wahrheitsverständnis) ist die "Problematik" der Beziehung von Leib und Seele eine kategoriale Fangfrage, die lediglich aus der Abstraktion von Körper und Geist zu eigenständigen Kategorien selbst herrührt und mit der Abweisung dieser Gedankenabstraktionen auch schon aufgelöst ist. Wenn demnach körperliche oder geistige Verselbständigungen (z.B. als Hörigkeit, Wille, Erregtheiten oder Triebe) auftreten, so muss die Verselbständigung selbst als ein Unding hinterfragt werden und Gegenstand der Analyse sein - und nicht umgekehrt die Körperlichkeit oder Geistigkeit zu einer in sich immer schon beantworteten Position hergenommen werden.