Anthroposophie
"Unter Anthroposophie verstehe ich eine wissenschaftliche Erforschung der geistigen Welt, welche die Einseitigkeiten einer bloßen Natur-Erkenntnis ebenso wie diejenigen der gewöhnlichen Mystik durchschaut, und die, bevor sie den Versuch macht, in die übersinnliche Welt einzudringen, in der erkennenden Seele erst die im gewöhnlichen Bewußtsein und in der gewöhnlichen Wissenschaft noch nicht tätigen Kräfte entwickelt, welche ein solches Eindringen ermöglichen." ("Gesammelte Aufsätze" von Rudolph Steiner Hg. "Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung" S. 66)
Rudolf Steiner (1861-1925) wollte einen "Erkenntnisweg (begründen), der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte" (ebenda, S 14). Im Unterschied zur Anthropologie, die den Menschen naturwissenschaftlich beschreibt, will die Anthroposophie eine Geisteswissenschaft sein, die den "innerlich erlebbaren Geistesmenschen" im Individuum erforscht und sich auf "konkrete geistige Erfahrung" der verallgemeinerbaren Einzigartigkeit, seinem göttlich induzierten Edelmut gründet. Es ist die Vorstellung eines innerlichen ausgestalteten Wesens, einem einzigartigen Seelenwesens, das durch die Geisteskraft seiner "Geistesentwicklung" sich zu einer ganzheitlichen Persönlichkeit entfaltet (siehe auch Esoterik). Solche Entfaltung würde sich also aus dem Geisteswesen der menschlichen Natur begründen und sich von daher in ihren wirklichen Beziehungen lediglich gestalten, wenn die Menschen ihm zu folgen bereit wären. Das bietet eine Grundlage für eine an sich geschichtslose Entwicklung, die ohne deren materielle Substanzen zum Ideal einer freien Naturpersönlichkeit zu bestimmt sei (siehe hierzu auch Ideologie), worauf sich die Menschen zurückziehen könnten. Sie bietet von daher die Grundlage einer Kultur der schönen Geister die sich politisch gegen die schnöde Wirklichkeit der materiellen Naturmächtigkeit des Menschen richtet und deren soziale Bedürfnisse zu geistig verstandene Bedürfnisse entwickeln und erziehen will. Durch den Austausch der sozialen Lebensverhältnisse gegen ihr natürlich erscheindendes Geisteswesen werden sie von ihrem materiellen Wesen getrennt und abgezogen, zur Gedankenabstraktion einer vergeistigten Natur, die sie in höhere Sphären der Selbstwahrnehmung "hinanziehen" soll. Und dies findet daher Anwendung in vielen kulturbürgerlichen Lebensbereichen einer kulturbürgerlichen Mittelschicht und Kleinbürger (z.B.als Waldorfpädagogik und Heilpädagogik, als anthroposophisch erweiterte Medizin, in der Heilmittel- und Kosmetikproduktion und der "biologisch-dynamischen" Landwirtschaft). Bekannt ist auch die aus ihr hervorgegangene Raumbewegungskunst Eurythmie.
Steiners Theorie will eine Ganzheit des Lebens als Rückbeziehung (re-ligio) gegen die Störungen des Lebens begründen, strukturieren und dazu erziehen (siehe hierzu auch erzieherische Beziehung). Durch die von ihm definierte Dreigliederung des Lebens überordnet diese sich dem Lebensalltag mit unterschiedlichen Zielen, die sich aus der Steinerschen Aufteilung der "Lebenskräfte" ergeben. So wirkt sie in das soziale Leben als Ordnungsprinzip von Sinnfragen in sozialen Gemeinschaften, in das Finanzwesen zur Vergemeinschaftung höherer Ansprüche an die Bewirtschaftung des Geldes (z.B. GLS Gemeinschaftsbank, Freie Gemeinschaftsbank), und eine so genannte goetheanistische Naturwissenschaft wendet sich an die Kirche und ihre Religion, setzt sich ein für die Christengemeinschaft als Bewegung für religiöse Erneuerung und für die laienpriesterliche Bewegung "Der freie christliche Impuls".
Die unmittelbar praktischen Anwendungen beziehen sich zum einen auf Heilpraxis und die Eingliederung von einer Natur in ein kosmisches Geisteswesen, die Auflösung des Leib-Seele-Problems, das in einer Esoterik aufgelöst sein soll, die durch das Steinersche Weltbild getragen ist, und zum anderen auf Bildung in dessen Sinn, einem Sophismus von besonders intimer Geistigkeit und Seligmachung. Zudem bietet es auch vielerlei in Wirklichkeit beliebige Grundlagen zur theoretischen Unterlegung von Hellsichtigkeit und Okkultismus und Anwendungen der so genannten Alternativmedizin, weil sie eine radikale Phänomenologie Anwendung findet. Die Unmittelbarkeit der körperlichen Wahrnehmung wird durch Allerweltbezogenheiten "vertieft", die sich per Vorstellung von einer abstrakten Natur immer versinnbildlichen lässt (siehe hierzu auch eidetische Reduktion). Das fördert zwar die praktische Erscheinung einer jeden Heilpraxis, entwirklicht allerdings alle anderen Begrifflichkeit, bzw. die Begriffsbildung überhaupt, Solche Anschauung stellt letztlich eine "natürliche Gesundheit" als Gesundheit der Natur vor, die vor den Einflüssen der wirklichen gesellschaft Machtverhältmisse zu schützen und zu bewahren ist (siehe hierzu auch heile Welt), um deren Wirkungen zu entwirklichen und sie zu einer geistigen Natur zu verwesentlichen, ihre Geister zu politisieren. Dies wurde z.B. radikal im Körperkult der nationalsozialistischen Rassentheorie ausgeführt um eine Anschauung eines entpolitiserten "Volkskörpers" für eine nationalistische Agitation über deren Entwicklungsvorstellungen politisch dienstbar zu machen.
Die Entwicklungslehre der Anthroposophie Rudolf Steiners wird in dem Buch "Wie frei ist die Waldorfschule - Geschichte und Praxis einer pädagogischen Utopie" folgendermaßen beschrieben:
"Die Anthroposophie Rudolf Steiners unterscheidet sich von modernen Wissenschaftsdisziplinen vor allem darin, daß sie ihre Erkenntnisse nicht vorrangig durch sinnlich-konkrete Anschauung und Verallgemeinern der Reflexion gewinnt, sondern sich auf Erfahrungsmöglichkeiten über Meditation und Intuition beruft. Grundlage anthroposophischen Denkens ist die Auffassung, daß der erkennende Mensch unabhängig von seiner Leiblichkeit existiere "und daß die Meinung des gewöhnlichen Bewußtseins, das Ich sei als absolut innerhalb des Leibes gelegene Wesenheit zu betrachten, als eine notwendige Illusion des unmittelbaren Seelenlebens zu gelten habe". Das erkennende Ich liegt Steiner zufolge außerhalb des Körpers. Weil man im Sinnlich-Wahrnehmbaren nur die Spiegelung des wahren Menschen vor sich habe, könne man mit den empirischen Methoden der modernen Naturwissenschaft nur einen Teil des Menschenwesens erforschen. Aufgabe des Anthroposophen sei es daher, das "gewöhnliche Bewußtsein" zu überwinden." (Martina Kayser und Paul-Albert Wagemann - Christoph Links Verlag 1991, S. 11)
Die von der Anthroposophie getragene Vorstellung eines kosmischen Ichs versetzt die Menschen in eine kosmische Gesellschaft, die über das einzelne Menschsein erhaben ist und ihm eine Weltsymbiose des Menschen zu seiner Selbstbehauptung und Selbstermächtigung anbietet (siehe auch symbiotische Selbstbehauptung), worin er seinen Selbstwert übersinnlich bestärkt finden kann. Sie veredelt ihn durch übersinnliche Ansprüche aus den Lebensverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft heraus (siehe Selbstveredelung) und hält sich durch ihren Sophismus gegen das gewöhnliche Bewusstsein zusammen, ohne sich durch dessen Kritik und Wirklichkeit als wahr zu beweisen. Für die Sinnbildung von Menschen ist jeder Sophismus eine geistige Willkür, die sich ihrer Selbstwahrnehmung beliebig zuordnen lässt. Er befördert eine Abstumpfung (Verdummung) durch Annexion ihrer kritischen Fähigkeiten zugunsten übersinnlicher Gehalte und hat bei Kindern und Jugendlichen besonders tiefgreifende Konsequenzen. Weil sie noch nicht selbst wirklich erkennen können, was vor allem von den "Erwachsenen" bestimmt ist, sind sie besonders darauf angewiesen, ihre Lebensverhältnisse in dieser Welt sich erklären zu lassen. Indem das sinnliche Leben, ihre unmittelbare Eindrücke von sich und anderen Menschen wesentlich als geistige Beziehung verstanden und durch Ausdrucksformen einer Hochkultur bürgerlichen Welterlebens vermittelt wird, wird ihnen ihre sinnliche Bezogenheit und Wirkung fremd, soweit sie sich nicht hiergegen wehren können. Unter der Anleitung anthroposophisch ausgerichteter Pädagogen, durch deren geistige Autorität, wird mit der Herausnahme wirklicher, und das heißt: sinnlicher Lebensgrundlagen ein hochveredelter Verhältnisschwachsinn absolut gemacht, der sich vor allem in psychokratischen Anwendungen durchsetzt, indem er sich den wirklichen Beziehungen überordnet. In Waldorfschulen ausgegrenzte Kinder können sich oft nur schwer in eine andere Welt einfinden, weil sie pädagogische Esoterik nicht ohne eine Hilfe von lebenserfahrenen Erwachsenen überwinden können. Es die Hybris anthroposophisch gestimmtr Erzieher, die sie innerhalb ihrer bestimmten Lebensräume oder Institutionen unüberwindbar machen (siehe auch erzieherische Beziehung).
Gerade durch ihren erzieherischen Anspruch neigt Anthroposophie in ihrer Selbstbegründung zu äußerst reaktionären Positionen, die auch zum Teil für die Ideologie des Nationalsozialismus über die Ideologie vom Übermenschen fruchtbar waren, und z.B. von Himmler begeistert adaptiert wurden und zur Legitmation einer äußerst brutalen medizinischen Forschung der Nazi-Doktoren (z.B. der radikale Anthroposoph Dr. Sigmund Rascher) hergenommen wurden, um den "Untermenschen" als wissenschaftliches Objekt rassistischer Medizin zu sezieren. Es "ging Rascher bei der Auswahl der Versuchsopfer nach einem System vor, das auf ,rassenbiologischen‘ Kriterien beruhte" ("Die Medizinverbrechen von Dr. med. Sigmund Rascher und sein personelles Umfeld", Dissertation von Matthias Janze am "Institut für Ethik und Geschichte der Medizin").
Anthroposophische Schulen wurden aber von der Nazi-Politik bald ausgewiesen, als sie sich ihrer politischen Demagogie - ähnlich wie der Katholizismus - entgegenstellten. Verbunden mit einem nationalen Kulturrassismus konnten die von hier ausgehenden Positionen politisch aber dennoch gezielt verwendet werden. Das lässt sich auch bis heute noch an einigen Waldorf-Pädagogen darstellen. In einem Artikel in der Contraste heißt es z.B. über einen Waldorflehrer namens Leber:
"Für Leber ist die esoterische Lehre von Karma und Reinkarnation "Grundlage allen wahrhaften Erziehens". Obendrein glaubt der Mann an Gespenster. 1998 organisierte er den Anthroposophen-Kongress über "Schattenwürfe des Bösen und Auferstehungskräfte" mit. Die Steiner-Jünger stützten sich auf düstere Prophezeiungen des Meisters und fürchteten, dass die "Stunde des apokalyptischen Tieres aus dem Abgrund" zum Jahrtausendende kommen würde.
Sein Buch "Die Menschenkunde der Waldorfpädagogik. Anthropologische Grundlagen der Erziehung des Kindes und Jugendlichen" (1993) ist in der Reihe "Menschenkunde und Erziehung" der Pädagogischen Forschungsstelle des Waldorfbundes erschienen. Er versucht das Geschwafel Steiners systematisch zusammenzufassen. Wer noch zweifelt, dass die Waldorfschule auf einer okkulten Weltanschauung basiert, möge dieses Werk lesen. Leber glaubt, Denken hänge mit einer "übersinnlichen Wirklichkeit zusammen". Gedanken sind dem Waldorfpädagogen nichts anderes als "Offenbarungen einer geistigen Welt". Worauf es ankommt, ist eine "Erkraftung des Bewusstseins" durch Meditation. Dem spirituell Erleuchteten winkt die "übersinnliche Wahrnehmung" bzw. "Geistesschau". ...
Leber verweist "auf die Leiblichkeit und die darin eingebundenen seelischen Eigenschaften" und meint, es gebe "vom evolutiven Gesichtspunkt Merkmale, die einem früheren oder späteren Entwicklungsstadium angehören; in dieser Hinsicht gibt es dann auch eine Wertigkeit von höher oder niedriger, von fortgeschritten und zurückgeblieben. Diese Wertung benutzte Steiner gelegentlich, wenn er im Sinn der Evolutionstheorie auf die Leibentwicklung zu sprechen kommt." ...
Leber lässt keinen Zweifel daran, was mit "niedrig" und "zurückgeblieben" gemeint ist. So verteidigt er die Ansicht des Meisters, wonach die Indianer eine "Rasse des Alters", der "gedämpften Vitalität und kontemplativen Bewusstseinsanlage" sind. Die unterstellte Vergreisung gelte für die "Kollektivseele und die ihr zugehörige Leiblichkeit". Über Afrikaner schreibt der anthroposophische Spitzenfunktionär: "Das `Triebleben' des Schwarzen mit seiner stoffwechselhaften, bewegungsfähigen Natur wird nur scheinbar abschätzig beurteilt; in Wirklichkeit erweist es sich als Überlegenheit und Vorzug, nämlich als Schutz vor dem Fall in den Materialismus dem der Weisse leicht erliegt." Anthroposophischer Rassismus ist so primitiv und sexistisch wie Stammtisch-Rassismus. Nur die Sprache ist verquaster." (aus CONTRASTE Nr.231 Dez. 2003).
Sophismus gründet im Allgemeinen auf einer Leitvorstellung Platons, wonach die Weisheit über aller Realität steht, da Reales als Verfälschung der Idealität, also auch ihrer eigenen Ursprungsideale angesehen wird. Dies ist die theoretische Formulierung einer allgewaltigen Ursprungssehnsucht. Die allgemeine Begrifflichkeit der Sophistik besteht aus der Umkehrung der Bedeutung eines analytischen Begriffs von Wirklichkeit durch Verfüllung mit einer Wesenbehauptung (siehe Phänomenologie), die als solche nicht abgeleitet und also auch nicht hinterfragbar, also Ideologie ist. Sophistische Begriffsbildung erzeugt eine intellektuelle Systematik, die politisch besonders im Zweck des Populismus funktioniert. Hierbei wird der Begriff lediglich nominell (siehe Nominalismus) aufgenommen und mit Werten ausgestattet, deren Ideologie sich in dieser so erzeugten Anschaulichkeit nicht hinterfragen lässt, besonders, weil sie einem praktischen Bedürfnis der Kultur in Krisenzeiten entgegenkommt.
Besonders verhängnisvoll ist daher jeder Bezug der Politik auf sophistische Philosophie, weil sie die philosophische Weisheit des Humanismus mit der Wesensschau auf eine menschliche Identität zu einer übermenschlichen Begründung aufrüstet (siehe auch identitäres Denken) und zur Grundlage einer Heilserwartung durch die Versöhnung der einzelnen Menschen mit ihrem kosmischen Geist verkehrt. Sie behaupt sich hierduch als politisches Prinzip gegen die Unmenschlichkeit des gegenwärtigen Menschseins. Und von daher spricht sie die einzelnen voneinander isolierten Menschen an und versetzt ihre Individualtität in das Weltenmaß einer kosmischen Ganzheit, die schon in ihrer persönlichen Identität auszumachen sei und einer Endlösung der schicksalhaften Entzweiungen entgegenstreben würde. Es war dies eine der Grundlagen der nationalsozialistischen Gesinnung, wie sie besonders von Himmler vertreten und publiziert wurde. Wo politische Möglichkeiten obsolet sind, treten immer wieder Sophisten auf, die Vorstellungen eines in sich reinen wesens als Aristokratie einer Optimatenherrschaft einbringen, die in ihren implizierten Heilsvorstellungen dem platonischen Staat ähneln und in ihrer Konsequenz den Ausschluss des Unversönbaren als Abart und Untermenschentum einbegeifen muss. Die hieraus entwickelte Moral und Sittlichkeit kann nu totalitär sein.
Der Rassebegriff (siehe Rassismus) ist von daher auch das wichtigste Beispiel für eine solche Umkehr vom Begreifen zu fanatisierten Bekenntnssen (siehe hierzu auch Populismus einerEinzigartigkeit). Auch das Aufnehmen von allgemeinen Ressentiments wird hier massenpsychologisch genutzt (siehe z.B. Antisemitismus). Sophistische Begriffsbildung erzeugt eine intellektuelle Systematik (vergl. hierzu Martin Heidegger), welche als faschistische Ideologie die Legitimationsgrundlage von Faschismus ist, auch wenn sie sich selbst antifaschistisch dünkt oder gibt (siehe z.B. den radikalen Anti-Antisemitismus der Antideutschen).