Identitäres Denken
"Ein Wesen, welches seine Natur nicht außer sich hat, ist kein natürliches Wesen, nimmt nicht teil am Wesen der Natur. Ein Wesen, welches keinen Gegenstand außer sich hat, ist kein gegenständliches Wesen. Ein Wesen, welches nicht selbst Gegenstand r ein drittes Wesen ist, hat kein Wesen zu seinem Gegenstand, d.h. verhält sich nicht gegenständlich, sein Sein ist kein gegenständliches. Ein ungegenständliches Wesen ist ein Unwesen." (Karl Marx in Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) - MEW 40, S. 578)
„Insgeheim ist Nichtidentität das Telos der Identifikation, das an ihr zu Rettende; der Fehler des traditionellen Denkens, daß es die Identität für ein Ziel hält […] Dialektisch ist Erkenntnis des Nichtidentischen auch darin, daß gerade sie, mehr und anders als das Identitätsdenken, identifiziert. Sie will sagen, was etwas sei, während das Identitätsdenken sagt, worunter etwas fällt, wovon es Exemplar ist oder Repräsentant, was es also nicht selbst ist.“ (Adorno 1966: 152, Negative Dialektik, Suhrkamp 1982)
Ein identitäres Denken ist ein positives Denken, das nur auf seine eigenen Voraussetzungen zurück kommen kann, weil es deren Widersinnigkeit nicht erkennt (siehe z.B. Tauschwert) und deren Kritik zersetzt (siehe hierzu auch kritische Theorie). Im Grunde kann sich das hieraus bestehende Bewusstsein nur mit sich selbst identifizieren (siehe auch bürgerliches Bewusstsein). Indem es lediglich das Anderssein seiner gedanklichen Form (siehe Gedankenabstraktion) zu seinem Gegenstand macht (siehe auch Phänomenologie), diesen also als eine Idee für sich als allgemein gültige Norm außer sich behandelt (siehe auch Ideologie), weist es ihr schon in ihrer Einzelheit und Vereinzelung durch eine "eidetischen Reduktion" ein Wesen zu, das sich zugleich durch seine einzelne Erscheinung verallgemeinert, sich also als eine wesentliche Abstraktion in einer ihr äußerlichen Allgemeinheit begründet (siehe hierzu auch Warenfetischismus) und von daher seine Begriffsbildung als Abstraktion einer bloßen Selbstbezogenheit nur tautologisch ist (siehe z.B. hermeneutischer Zirkel). Allerdings ist jedoch die Voraussetzung einer jeden Erkenntnis die Unterscheidung von Subjekt und Objekt der Wahrnehmung, die in jeder Norm sich aufhebt, sich unendlich entäußert.
"So wie sich der Mensch ... nur im Menschen erkennen kann, erkennt er sich erst dann im andern Menschen als eigenes Wesen, wenn sein Wesen ihm im andern auch als anderes Wesen gilt. Der Mensch als Wesen der Natur, als natürliches Wesen, hat die Natur seines Wesens in jedem andern Menschen, denn seine eigene Sinnlichkeit ist erst durch den andern Menschen als menschliche Sinnlichkeit für ihn selbst." (MEW 40, S. 544).
Die Phänomenologie versteht die Menschen wie Beispiele eines allgemeinen menschlichen Wesens, als das Je-Seinige (Edmund Husserl) eines abstrakt allgemeinen Menschen (siehe hierzu auch Martin Heideggers Fundamentalontologie). Gegen solche Gleichschaltung der Menschen, gegen die Behauptung einer allgemeinen menschlichen Identität ist festzuhalten, dass sie nur dadurch in Gesellschaft treten, dass sie sich voneinander unterscheiden, jeder den anderen dadurch bereichert, dass er ihn als Mensch ergänzt.
In ausweglos scheinenden Krisenzeiten der bürgerlichen Gesellschaft, worin jedes wirkliche Bewusstsein der gesellschaftlichen Verhältnisse für die darin isolierten Individuen nur noch sinnlos ist, erscheinen ihnen ihre unmittelbaren Beziehungen als Ausschließlichkeit einer inneren Begabung ihres individualisierten Wesens (siehe auch Autopoiesis). Dieses Wesen richtet sich schon durch seine abgetrennte Natur aus einer ihrem unmittelbar scheinenden Wesen eignen Esoterik gegen die Gewalt einer ihm fremden Wirklichkeit (siehe auch Entfremdung). Identitäres Denken erstrebt aus der Wahrnehmung des Fremden eine eigentliche Identität (siehe hierzu auch den "Sinn des Seins" bei Martin Heidegger) und verdoppelt damit die Abstraktion eines dem fremd bleibenden Denkens in der Gedankenabstraktion einer mit sich im Einzelnen schon identischen Natur (siehe auch Wesenslogik), einer bürgerlichen Ideologie, die eine Bereinigung der eigenen Existenz durch die Selbstevidenz einer übermenschlich scheinenden Gesellschaft erstrebt. Dieses Denken verfolgt die ausschließlichen Ziele einer Einheitsideologie, einer abstrakten Einheit in einer idealistischen Identitätsphilosophie (siehe auch abstrakte Allgemeinheit) durch Ausschaltung von Gegensätzen und Widersprüchen der Erfahrung. Doch eine mit sich identische Natur ist ein Widersinn in sich, die überhaupt nur selbstbezüglich sein und auch nur Selbstwahrnehmung bestärken kann (siehe hierzu auch Selbstgefühl).
Das implizite oder auch explizite Ziel eines identitären Denkens ist die Ästhetik einer gleichgeschalteten Wirklichkeit durch die Gesinnung ihrer totalen Auflösung in der Abstraktion einer verallgemeinerten Idealität eines heilen Zustands der Welt, in der Heilserwartung eines Erlösungsglaubens an die Endlösung .aller gesellschaftlichen Widersprüche durch die Bereinigung ihrer Auseinandersetzungen in einem reinen gesellschaftlichen Ideal, durch die Verwirklicung einer gesellschaftlichen Ordnung durch ein allem zur Pficht gemachten gesellschaftlichen Wesens (siehe hierzu auch Strukturalismus).
Dem kommt eine durch ihre Realabstraktionen gebeutelte Gesellschaft Im bloß informellen, im trivialen Verständnis ihrer Formation sehr entgegen, die jeden Widerspruch von Wesen und Erscheinung schon in der Ästhetik ihrer Wahrnehmung auflöst. Von daher vermag man nicht unmittelbar zu erkennen, dass sie eine wirkliche Täuschng als Selbsttäuschung durch die ihr fremde Identität einer abstrakten Sinnlichkeit, eines abstrakt menschlichen Sinns betreibt, eine Ideologie der Einheit, der Vollendung der intellektuellen Bemühung gegen das Auseinanderfallen des Vielen als "die ursprünglich gestimmte, wissende Entschlossenheit zum Wesen des Seins" führen will (Martin Heidegger).
Die bürgerlichen Wissenschaften haben diese "Vereinigung" bis in das bloße Funktionieren eines Systems (siehe Systemtheorie) getrieben . Der Begriff von Identität hat sich hierbei von selbst erledigt und scheint eher noch im in den Begriffen der verschiedentlichen Moralismen, der Lebenswerte, der Leitkulturen und Sitten und schließlich im Rassismus der Ressentiments gegen Andersdenkende auf. Dort lässt der Totalitarismus ihrer Wesenslogik einen Gemeinsinn als Autorität einer verbindlichen Vorstellung erscheinen, dem die vielen autoritären Charaktere ihre Aufwartung machen, weil sie sich aus den Widersinnigkeiten ihres Lebens darin zum Stifter einer Einheit anbieten, die aus ihrer Selbstentfremdung eine Übermacht des Fremden herbeidenken. Dadurch wird sie anschlussfähig an das Gefühl der heilen Welten, des ästhetischen Willens vieler Selbsgefühle.
Denn in der Wesensnot des Selbstzweifels, dort wo man mit sich nicht einig wird, weil es Widersprüchliches an sich, in sich oder für sich selbst gibt, herrscht das Verlangen, diese Widersprüchlichkeit aufzulösen - oft einfach in der Forderung eines einfachen Umkehrschlusses nach einer Identität. Der Begriff Identität wird in diesem Sinne zur Beschreibung eines "Einssein mit sich", einer geschlossenen Selbstbezüglichkeit verwendet, eines Wesens, das wie ein "Ich" oder "Selbst" als Subjekt seiner Erkenntnisse, seines Bewusstseins und seiner Handlungen widerspruchsfrei zu verstehen sein soll (siehe auch menschliche Identität), als Substantiv für eine "freie Persönlichkeit", die aus ihrem persönlichen Wesen heraus so agiert, als wäre sie schon in ihrer Individualität das gesellschaftliche Subjekt ihrer Geschichte.
Identitäres Denken erstrebt die Identät eines Denkens in sich und mit sich selbst, das sich gegen Unterschiedenheiten richtet und im Grunde nur ohne Gedanke sein kann, denn eine Identität kann es nur jenseits aller Bestimmtheiten geben. Es ist ein Denken, das auf Unbestimmtheit zielt und also in sich die Abstraktion sucht (siehe Gedankenabstraktion), die außer ihm schon gegeben ist.. Sein Streben steht also im Unterschied zu allem anderen, das als Gegenstand des Denkens damit disqualifiziert und ihm gleichgültig ist und dies nur sein kannn, wo der Gegenstand auch wirklich gleichgültig ist (siehe Ideologie). Solches Denken behauptet daher die Möglichkeit eine Erkenntnisidentität vor aller Erkenntnis. Nicht der Akt des Erkennens als Arbeit der Selbsterkenntnis und der Selbstverständigung, also die Abarbeitung von wirklichen Widersprüchen, macht dieses Denken aus, sondern die behauptete Einheit eines Gedankens, der sich in die Welt versetzen will. Der Identitätsbegriff ist immer eine sublime Anpassungstheorie, wenn er nicht dialektisch als Begriff einer Entfremdung verstanden wird, als Einheit der Gegensätze, die von selbst aufheben, was sie gebildet haben.
Der Vorwurf, dass bekanntes Denken Trennungen enthält (z.B. die Trennung von Körper und Geist in der Aufklärung) wird zur Behauptung von Einheit, anstatt Denken als Tätigkeit des Einswerdens zu begreifen. Aber nur dadurch, dass die Einheit als selbstverständlicher Grund der Bemühung vorausgesetzt ist, werden Getrenntheiten erkannt, die dann auch begriffen werden müssen.
Alles andere wären Selbstbehauptungen: Die Hauptsache, ich bin mit mir eins. Das ist die Tollheit identitären Denkens, die vielen Intellektuellen zu eigen ist, die mit dem Bad jedes Kind der Erkenntnis wegschütten. Hierbei dient das Erkannte im Nachhinein als Grundlage der Selbstbehauptung für alles Unerkannte. Was sie dann selbst tun, ist oft nichts anderes; - sie müssen es nur nicht mehr begreifen.