Uk3010

Aus kulturkritik

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Der nachfolgende Text ist eine Beschreibung der Argumentation in dem gleichnamigen Buch. (==> Verlagsinformationen hierzu <==)

310. Einleitung in die Selbstlosigkeit des gewohnten Menschseins

In der einfachen Selbstwahrnehmung hatten die Menschen sich zunächst vor allem zu sich als Träger eigener Wirklichkeit im Prozess ihrer Selbstverwirklichung zueinander verhalten und sich schießlich selbst an ihrer persönlichen Wirkung auf einander beseelt. In der abgeschlossenen Lebenswelt der Persönlichkeiten, in ihren Lebensburgen, wurden sie schließlich selbst pflichtschuldig, so zu sein, wie sie füreinander sein müssen, um miteinander in ihrer und durch ihre Selbstbezogenheit auszukommen. Im Widerspruch ihrer darin notwendigen symbiotischen Selbstbehauptung mussten sie sich einem objektiven Gefühl unterwerfen, welches die Psyche zum Wahnsinn, zum reinen Selbstgefühl in reiner Empfindungslosigeit getrieben hatte. In dessen Ausgeschlossenheit, im ausschließlichen Sinn für sich, in der Einsamkeit des Wahnsinns, in der absoluten Isolation der Selbstwahrnehmung, waren die zwischenmenschlichen Beziehungen gegen die betroffenen Menschen selbst verkehrt worden und deren ausschließliche Frage zur Wahrheitsfrage zwischenmenschlicher Selbstwahrnehmung schlechthin geworden. Die verrückte Wahrnehmung war selbstlos geworden und findet nun ihre Wahrheit nurmehr außer sich: Im äußeren Verhältnis der Sinne. Von daher entrückt sich die Wahrnehmung nun vollständig von ihrem Subjekt und bestimmt dieses durch sinnliche Objektivität, welche die Menschen nicht mehr durch sich, sondern nur durch Selbsttäuschung auf sich beziehen.

Es geht nun daher darum, diese Wahrheitsfrage der Selbstwahrnehmung durch Selbstbehauptung aus ihrem Zweifel heraus zu lösen, sie dadurch aufzuheben, dass sie sich in den vielfältigen Prozessen der Selbstveredelung verflüchtigt. Doch gerade diese befördert das Gegenteil von dem, was sie sein soll: Eine Selbstbeziehung kann nicht wirklich durch Selbstbehauptung bestehen, weil diese ein nicht vorhandenes Selbst nur behauptet und dies nur kann, solange es in Wirklichkeit auch nicht da ist. Indem die Menschen in solcher Selbstbehauptung äußerst selbstlos werden müssen gewinnen sie nur dadurch an Wert, dass sie sich aus der Allgemeinheit selbstloser Menschen begründen. Weil sie längst empfindungslos für andere Menschen geworden ist, kann die Selbstwahrnehmung ihren Selbstwert nicht mehr aus ihren Beziehungen heraus finden, kann sie nur noch in den äußeren Formen der Selbstbezogenheit stattfinden, an dem, was an den Menschen ist, das sich durch Selbstbehauptung herabsetzen lässt. Selbstbehauptung besteht aber nicht nur negativ gegen andere, sondern positiv auch durch ihre Zeitlosigkeit: Sie richtet sich an Gewohnheiten aus, durch die sie zumindest der Form nach überleben kann. Darin findet sie ihren Selbstwert im Kult ihrer Beziehungsform selbst, in der Gewöhnung an ihre objektive Form, an ihre allgemein gültige Vereinzelung und Einzelheit, die darin zugleich allgemein aufgehoben ist.

Selbstbehauptung als die hohe Form der Selbstlosigkeit beruht auf der Selbsttäuschung eines allgemeinen und gewöhnlichen Selbstwerts, der nur dadurch erhöht ist und überhöht wird, dass er Unwert behauptet und produziert. Sie hat daher immer das Problem ihrer eigenen Substanzlosigkeit, die sich als unendlicher Bedarf nach Substanz jedweder Art darstellt. Für sich steht daher die Selbstwahrnehmung ganz im Mangel ihrer Empfindungen: Man kann nichts mehr finden und empfinden, was man nicht in diese Verhältnisse der Kultur unmittelbar eingibt. Selbstwahrnehmung muss nun unmittelbar produziert werden. Was die Menschen für sich und was sie füreinander waren und daher ausschließlich miteinander zu tun hatten, ist jetzt getrennt von ihrer sinnlichen Wahrheit. Diese ist zum bloßen Mittel der Selbstwahrnehmung geworden, zur Vermittlung scheinhafter Weltbezogenheit durch die Selbstwahrnehmung. Und die besteht nun allein in der Form, worin das Leben der Menschen in der bürgerlichen Kultur tatsächlich sinnlich ist: In ihrer reinen Körpergestalt, in der Sinnhaftigkeit gegebener Einzelheiten, die durch das Prinzip übermenschlicher Notwendigkeiten verbunden ist. Zwischenmenschlich ist Selbstbehauptung daher auch so allgemein, wie die Gewohnheiten der Menschen als gewöhnliches Dasein denunziert und das allgemein Ungewöhnliche geadelt wird. Sie ist jetzt selbst die Grundlage ihrer Verhältnisse als Sinnesgestalt ihres Tuns und Lassens, die sich in einer besonders ungewöhnlichen Allgemeinheit errichtet. Die Menschen haben sich darin also vollständig als die Sinnesgestalt wahr, die sie nicht wirklich sein können und in der sie sich so wahrnehmen, wie sie es zu ihrem persönlichen Überleben als Sinnesmenschen nötig haben, also in dem, was sie durch sich und von anderen Menschen wahr haben ohne wirklich selbst sinnlich zu sein.

Um in sochen Verhältnissen Empfindungen zu haben, müssen sich die Menschen auf einer Ebene finden, auf der ihre Begegnung selbst schon ein Umstand ihres Erlebens ist, der durch das Gewöhnliche ihrer Verhältnisse, also durch Gewöhnung an sie gewonnen wird. Was sie für sich fühlen, ist nurmehr eine Objektivität ihrer Gefühle, ein Kosmos ihrer Gefühle, in dem sie sich einlassen müssen, um Wahrnehmung für sich zu haben. Um nicht an der Selbstaufhebung ihrer Gefühle zugrunde zu gehen, müssen sie sich selbst in ihrer Begegnung äußerlich werden, müssen sie ihre Sinne als körperliche Eigenschaften ihrer Persönlichkeit äußern, als einen Sinn, der wie ein Ding für sich genommen werden kann. Was dann als Leben ihrer Gefühle erscheint, ist nun selbst reine Empfindung, wird als das wahrgenommen, als was man sich wirklich wahr hat. Hierdurch bekommt die Selbstwahrnehmung wieder einen Sinn, der zugleich von allem sinnlichen Zusammenhang ausgeschlossen ist, worin aber die Sinne auf sich zurückkommen.

Indem die Menschen darin ihre Gefühle empfinden, wird die Wahrnehmung sich selbst zum Gegenstand und erscheint in diesem verkehrt; sie wird dekadent. In dieser dekadenten Wahrnehmungen erkennt sich ein Mensch doppelt: Als gemeine Sache der Eigenschaften seines Körpers und als Subjekt pervertierter Sinne. In der Wahrnehmung ihrer Verkehrung kommen sich die Menschen auch auf verkehrte Weise näher. Ihre Kultur selbst wird in den Zweck einer Perversion gestellt. Sie wird zum Träger einer verkehrten Selbsterkenntnis. In der verkehrten Form erkennen die Menschen zwar nach wie vor ihre Gefühle, aber lediglich in der Form, in der sie sich hierbei fühlen. Indem sie sich zu anderen und über andere zu sich verhalten, verhalten sie sich vor allem in einer fortwährenden Versachlichung ihrer Wahrnehmung. Sie wird hierdurch zu einer beschränkten Wahrnehmung, zu einer Wahrnehmung, in welcher sich die Sinne gegeneinander isolieren und sich in ihrer Trennung entfalten, für sich also unbeschränkt werden. Sie breiten sich in chaotischen Wechselwirkung wie selbständige Wesen aus und bedrohen sich zugleich durch ihr jeweiliges Selbstbehauptungsinteresse.

In dieser Versachlichung erfährt die Wahrnehmung daher jetzt erst ihre innere Notwendigkeit und Vernunft, ihre notwendige Selbstbeschränkung, um aus sich herauszutreten und zu einem wirklich in sich gekehrten Gefühl zu werden, zu einem Gefühl objektiver Notwendigkeiten, worin sie ihr körperliches Leben wähnen, weil sie sich darin körperlich erleben und wofür sie sich vor allem selbst beherrschen müssen: Eine Sittlichkeit, worin Hören und Sehen vergeht.

Aber solche Sittlichkeit besteht aus einer geringen Wahrheit, lediglich aus einer Sitte, die der pervertierten Selbstbehauptung, wie sie dem aussgeschlossenen Sinn noch möglich war, nun eine kulturelle Selbstbehauptung entgegen hält, die Behauptung einer kulturellen Sinnlichkeit, die sich schließlich gegen die pervertieren Sonne der Kultur zu einem Sinn entwickelt, der sich selbst vernünftig zu gestalten sucht. Dieser Sinn kann daher übernatürlich ist, ein Sinn ist, der so natürlich erscheint, wie er über die Natur verfügen muss, in welcher sich die Sinne verstellen.

Alles, was die Hochkultur an Gewohnheiten und Brüchen darstellt, ist der gigantische Versuch einer übersinnlichen Selbstbeherrschung, welche die Gewohnheiten aus den Gegebenheiten der Lebensumstände als voneinandr isolierte Phänomene des zwischenmenschlichen Erlebens zu den tragenden Mächten der Kultur werden lassen. Was Brauchtum und Sitte hierin entwickelt haben, worin also Menschen ihre Sinne in allgemeiner Form bewahren konnten, das wird nun zur Macht des gegebenen Lebens gegen alles, was in der Kultur selbst als sinnlos erscheint.

Es geht in der Abhandlung der Sittlichkeit darum, wie diese sich aus den Gewohnheiten bildet und zu einer abstrakten Selbstverständlichkeit wird und was sie schließlich zu einer gesellschaftlichen Substanzwerden lässt, aus der sie ihre Macht über Menschen bezieht. Es ist die erste Form einer Allgemeinheit, worin Hochkultur mächtig wird. Und dies wird auch die Grundform von dem sein, worin sich die Menschen ihrer eigenen Kulturform beugen.

Erbrachte noch im ersten Band die Entwicklung des Begriffs der Wahrnehmung eine flexible Persönlichkeit, so wird diese nun gänzlich darin verschwinden, dass sie nur durch eine gesittete Kulturverbindlichkeit unter Menschen sein kann, dass sie also in der Bindung an ihre gesellschaftliche Selbstüberhöhung nur sich behaupten kann. So kommt es, dass gerade diese Felexibilität zu einer Herrschaftsform des Allgemeinen wird. Niemand hatte das bisher besser beschrieben als George Orwell, der darin den "Großen Bruder" entwickelt sah.

Alle kulturellen Verhältnisse von Persönlichkeiten der Selbstwahrnehmung leben früher oder später hierin und beginnen, ihre Sinne zu tauschen und zu vermengen. So treten sie zwar aus ihrer Isolation heraus, aber ohne diese aufzugeben. Sie heben diese lediglich in Beziehungen auf, worin es ihnen gelingt, sich in ihrem Erleben herauszuheben, als existente Persönlichkeiten zu überleben. Denn dies allein schützt sie noch vor der allgemeinen Niedertracht, welche in der Herrschaft der Selbstigkeiten aufkommt. Die Menschen beginnen, sich dadurch fortzuentwickeln, dass sie eine überragende Existenz ihrer selbst mit einem Sinn füllen, der vor allem praktisch für das Überleben in solchen Verhältnissen ist.

Hierdurch vermitteln sie ihr Leben und bezwecken ihre Lebensvermittlung in einer höheren, einer erhabenen Sinnlichkeit. Nicht ihre Lebensäußerungen gestalten ihr Leben, sondern in der Gestalt ihrer Lebensvermittlung erleben sie es wie gottgegeben.

Doch beginnen wir erst mit der einfachen Naturbestimmung der kulturvierten Sinnlichkeit. Diese besteht daraus, dass jede Persönlichkeit in ihren Begierden nun einfach und persönlich getrieben erscheint. Diese Getriebenheit drückt sich in der Abwesenheit von der Wahrnehmungswelt nun in der Naturalform der Sinnlichkeiten aus. Die zwischenmenschlichen Beziehungen der kultivierten Persönlichkeit ist nun also wirklich das, was sie ist: Die Entleibte Natur ihrer Absicht, die ihre Absicht als ihre Natur hat. Es sind keine abwesenden Sinne, es ist die Entleibte Lebenswelt selbst, die nun die Begierden selbst zu zwischenmenschlichen Notwendigkeiten entäußert hat. Sie sind zu einem notwendigen Verlangen geworden, ihre Beziehungen in der Naturalform ihrer Sinne nicht nur zu erhalten, sondern darin ihre Kultur zu naturalisieren. Hierzu werden alle Naturalformen der Sinne durchlebt und deren Inhalte selbst zu einer zwischenmenschlichen Lebensform, z.B. zur Ehe und dergleichen, worin das Gattungsleben nun als rein natürliches Begattungsverhältnis erscheinen kann. Der Sinn aller Sinne ist der Sinn, worin der Mensch auf sich selbst unmittelbar zurückkommt und wodurch er auch sich selbst zugleich erneuert, reproduziert und vermehrt: Der Geschlechtssinn. Hierin vollzieht sich diese naturhafte Rückbeziehung der zwischenmenschlichen Natur vollständig. Er wird daher zum ersten Inhalt der zwischenmenschlichen Persönlichkeit.

Es geht nun darum, die Formverwandlung einer Kulturbestimmung zur wesentlichen Natur eines Verhältnisses des Überlebens erst mal nachzuvollziehen. Wir werden darin den Prozess der Selbstentleibung nachzuzeichnen haben, wie er im Kampf um die eigene Wirklichkeit sich gestaltet, um schließlich herauszuarbeiten, was hierbei zu einer überragenden Sinnesmacht werden kann.

Zunächst erscheint es noch absurd, dass die Flexibiltät einer Sitte zur Macht kommen kann, kennen wir doch Sitte zunächst nur als kategorisches Prinzip, als gewöhnliche Moral oder praktische Vernunft. Doch in der Kulturverhältnissen selbst ist alles anders, man lehrt dem Mores, der nicht Hören will. Aber wo alle hörig sind, da wird es die Macht einer prominenten Kultur werden, welche die Menschen in ihrem ganzen Lebenszusammenhang zusammenschließt.


Weiter mit Buch III: 311 Die Selbstlose Wahrnehmung