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Der nachfolgende Text ist eine Beschreibung der Argumentation in dem gleichnamigen Buch. (==> Verlagsinformationen hierzu <==)
313. Die Sitte (Die objektive Vernunft der Subjektivität)
Wir sind dahin gelangt, dass sich die Menschen selbst in ihrem versachlichten Gattungswesen, in den selbstlosen Begattungen ihrer mißglückten Kultur auch als Sachen wahrhaben müssen, was ihre Verhältnisse pervertiert hatte. Sie können daher einander nur leiden, wo sie in ihrer Selbstlosigkeit doch wenigstend der Form nach einen Gemeinsinn finden. Sie müssen sich ansonsten ertragen, wie sie in der Ungestalt ihrer Gesellschaft sind und sind dennoch und vor allem auch deshalb in ihrem Mißgeschick verschmolzen, weil sie dieses im Mitmachen produzieren und es zugleich auch immer von sich "persönlich" abweisen können (1). Im triebhaften Gebaren ihrer Reize ziehen sich gerade darin körperlich an, worin sie sich kulturell voneinander abstoßen. Ihre Kultur besteht aus ihrer allgemeinen Vereinzelung, die an und für sich kein unmittelbares Verhalten darin begründen kann. Es muss als persönliche Geste in einer Vernunft gäußert werden, die solche allgemeine Selbstlosigkeit zu verbinden und verbünden versteht. Die zwischenmenschliche Kultur besteht daher aus Bündnissen, die sich sittlich einig sind. Erst darin können die Menschen ihre persönlichen Hörigkeiten wirklich verlassen, ihre symbiotische Selbstbehauptungen veräußern und sich aus den Nöten und Notwendigkeiten ihrer Selbstvergegenwärtigungen entlassen. Ihre Sitten erscheinen daher auch als grundlegende Möglichkeit, die Verhältnisse in eine höhere Vernunft zu bringen, die Leben sein und Leben sein lassen kann.
Die zwischenmenschlichen Verhältnisse waren bisher von dem Unglück getrieben, das sie bis zur Perversion ihrer Wahrnehmungen selbst produzieren und in der Wahrnehmung grenzen sich die Zwischenmenschen deshalb in den Empfindungen von den Verwirklichungen der Selbstwahrnehmung dort ab, wovor sie sich im Gefühl fürchten müssen. Ihre Reize konzentrieren sich auf eine ausschließliche Wahrnehmung dessen, was aus dem Blickwinkel der besorgten Wahrnehmung zu ertragen ist, was sie nicht ängstigt und nicht bedroht. Die vielen Monster der Aufreizungen, die sie für sich wahr hat, werden ausgeschieden in Personifikationen des schlechthin Fremden, dem Anderssein der Lebenswelten der Empfindungen und Gefühle.
Die Liebe, welche ihr geschlechtliche Wirklichkeit in ihren Selbstbehauptungen verloren hat, wird nun als ästhetische Verschmelzung wahr, als die Verkörperung eigener Wahrheit, die sich gegen die Welt in ihrer symbiotischen Beziehung mit ihr einen kann, wenn sie als sittliche Übereinkunft sich ergänzt. Die Liebenden werden in diesem Widerspruch zu Trägern dieser Einheit, zu Inhabern einer geeinten Ästhetik ihrer Wahrnehmung, die ihnen nun als ihre wahre kreative Kraft und in ihrer Gegebenheit zugleich als Kraft der Kreation und Kreatur schlechthin erscheint.
Diese Wahrnehmungsform wird damit erhaben und als solche zu einer besonderesn Sphäre des Sinnlichen, zu einem Sinn, der sich in seiner Unbewältigbarkeit und Ungewissheit eine eigen Lebensgestalt des Gefühls gibt, zu einem Gefühl für alles Hintersinnige, Ahnungsvolle, das nun mächtiger erscheinen kann, als das wirkliche Leben, besonders als Verbindung des Übersinnlichen, das nun sinnlich weird, indem es als gereinigte Lebensform der Liebe und ihrer "Verstrickungen" als selbst gefühlter Sinn der Selbstwahrnehmung wahrnehmbar wird. Es ist das Gefühl für eine Allmacht, die sich in die ganze Welt hinein erspüren lässt als gefühlte Abstraktion von den wirklichen Lebensgeschicken, ein Gefühl für die Allmacht des "Schicksals", das sich als Wesen des Kosmos, als Sinn allen Seins in der Selbstwahrnehmung wirklich übermenschlich wahrnehmbar wird, dem der Mensch verpflichtet und also schuldig für die Mangelhaftigkeit seines Menschseins wird. Es ist die Grundform des religiösen Gefühls, der höchsten Form der Wahrnehmungsform der Selbstbeziehung, das nun zu einem kosmischen Ich in einer übernatürlichen Natur sich wahrmacht und sich durch die Zufälle des Geschicks in der Absicht seiner Wahrnehmung bestätigt. Die wirklichen Menschen werden darin einerseits zu Winzlingen großartiger Macht, aber zugleich als Moment übermenschlicher Subjektivität über sich selbst hinaus unendlich erhöht.
Jedes Chaos bekommt darin nun seine Ordnung, die "Ordnung der Liebe", wie sie z.B. Bert Hellinger zum Lebenskosmos schlechthin erhoben und zu Gottes Geist auf Erden erbrochen hat. Doch dieser Kosmos ist nicht so rein und schön, wie sich eine Liebesordnung für Hellinger anfühlt. Er reduziert sich praktisch auch bei ihm nur auf eine Welt der Ahnungen unendlicher Verstrickungen, die in ihrer Einfachheit lediglich die körperliche Verbundenheit der Menschen sein kann, die Genealogie ihrer Religio, ihrer hintersinnigen Verbundenheit als Grundform einer naturhaft erscheinenden Beziehung, die keinen wirklichen Sinn mehr für die Menschen hat, dafür aber alle Liebe der Menschheit in der Erhabenheit ihrer Selbstliebe. Hier erscheint sie nun von allen üblen Wirkungen befreit, aus den Widersprüchen der Kultur heraus wieder möglich zu sein, denn die Nähe und Gewohnheit eint alles in der Kultur, was dem Inhalt nach auseinanderfällt. Die "Ordnung der Liebe" soll sich aus einem aparten Sinn ergeben, der hinter allem einfach deshalb sein muss, damit es sein kann; auch im Zerfall Fortbestand hat. Was im Sinnesleben nötig geworden ist, muss in seiner kulturellen Gegenwart ausgesondert werden, um vernünftig zu sein. Die Vernunft bezieht sich auf die Gestaltung des Sinnlichen selbst, auf die Lebensformen dessen, was sich eingewöhnen lässt, was also die Verhältnisse zumindest auf einen vernünftigen Boden stellt, auf den Boden für den, der über die Liebesbeziehung verfügen kann. Sie ist eine zum Fleisch dieser Beziehung gewordene Form der Wahrnehmung, die wie eine Moral des Ästhetischen die Menschen sortiert mit dem Schleier begüterter Sinne zum Sinn für das Gute macht. Überall, wo sie zu hören sind, die Kulturbürger des guten Liebens, des höheren Liebens, das vor allem sich im Sinn des Guten zu schmücken weiß und darin seine Selbstgerechtigkeit festigt.
Selbstgerechtigkeit ist der Ausdruck eines Selbstgefühls, das sich vollständig objektiviert hat und die Gefühle anderer Menschen hiergegen unterordnet, sich durch sie für sich einrichtet. Ein derart objektives Selbstgefühl sucht seine Stütze und seinen Bestand in jedweder Objektivität und betreibt von daher eine Abschätzung und Abschätzigkeit gegen andere. Die Basis hiervon sind zwischenmenschliche Verhältnisse, in denen die Einverleibung von zwischenmenschlichen Beziehungen Gewohnheit ist. Von daher ist Selbstgerechtigkeit als Ausübung eines Rechts zu verstehen, das sich ausschließlich auf den Ausübenden als Subjekt einer allseitig einverleibten Objektivität, als Subjekt einer objektiven Selbstbezüglichkeit, als allgemein veräußertes Subjekt von Sitte und Moral verhält.
Durch dieses Selbstgefühl, das seine Inhalte nicht mehr fühlen kann, weil sie ihm selbstverständlich sind, ist eine Rechtsprechung beansprucht, eine Theorie, die zu einem Recht wird (siehe Ideologie), das die Gewohnheit seiner Egozentrik als ihren Selbstwert darstellt, d.h. für sich veräußert. So ist dies natürlich eigentlich gar kein Recht, weil es kein Unrecht kennt außer dem, was nicht für sich selbst spricht. Es ist das "Recht" der Selbstbehauptung, das Recht seinerAusschließlichkeit, das einen Selbstwert bedient, der sich nur in der Person bestärken kann, die sich durch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu veredeln versteht (siehe auch Selbstveredelung). Weil dieser Wert einerseits total auf sich selbst gründet, also auf dem, was der oder die Ausübende für sein bzw. ihr Recht hält und sich in der Beziehung auf andere zugleich als allgemein gültig behauptet, ist es das Recht einer Selbstbehauptung, die allgemein selbstverständlich sein soll - ein Widersinn in sich. Es ist im Grunde der Widersinn eines Selbstverlustes, der eintritt, wo Selbstwert seinen Grund verliert, wo er also kein Selbstgefühl hat, weil es keinen Sinn außer sich findet, also keinen Sinn empfinden kann. Von daher ist das Streben nach Selbstgerechtigkeit der Notwendigkeit einer Selbstveredelung geschuldet, die in Auflösung begriffen ist.
Wo die Selbstlosigkeit in diese Aphären sich abgehoben hat, wo der Sinn für sich selbst abgeht, stellt sich der Sinn für eine sich selbst genügsame Selbstgerechtigkeit ein. Gerade weil die Kultur sehr dicht geworden ist, muss hierin ein solcher Sinn wie der Sinn einer Kultivation des Guten aufgebracht werden, eine Vernunft der Notwendigkeiten, des Brauchs und des Gebrauchs eines allgemeinen sinnlichen Seins, das dadurch allgemein ist, dass es sich als menschliche Form begründet, welche sich der Nichtung der kulturellen Inhalte und des Gattungslebens, also der Dekadenz entgegenstellt. Es ist damit ein esoterischen Sinn selbst, der als total formalisierter Mensch nötig geworden ist, ein Sinn übergeordneter Zusammenhänge, der nur dadurch herrschen kann, dass die Kultur der Menschen ohne ihn sinnlos geworden ist. Darin erst wird Kultur wirklich allgemein und politisch in einem, zu einer politischen Kultur schlechthin, die der Politk des Kapitals Sinn verleiht. Und darin geraten schließlich auch ihre allgemeinen Inhalte unter die reelle Subsumtion des Kapitals.
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313.1 Die funktionelle Vernunft des Überlebens (Die Notwendigkeit der Gewöhnung)
Die Ein- und Ausgrenzung von gesellschaftlichen Gepflogenheiten in den kulturell notwendigen Bestand ist komplizierter, als es den Anschein hat. Man könnte meinen, es sei doch in der Kultur das einfach gut, was für alle auch vernünftig ist. Aber in Gepflogenheiten setzen sich nicht Prinzipien der Vernunft durch, die das gesellschaftlich Sinnvolle will, wie sie dieses als ihre Sache behauptet, sondern das sinnlich Notwendige, das sich gerne auch vernünftig gibt.
Das Gewöhnliche ist an und für sich sogar unvernünftig; es ist schlicht zweckhaft für sinnliche Absichten, die allgemein geworden sind. Und wo abstrakte Sinne allgemein sind, da bewährt sich ihre Herrschaft, die Herrschaft der Abstraktion.
Die Menschen entwickeln diese in ihrer allgemeinen Ausgrenzerei, also dadurch, das jeder für sich den besseren Sinn hat, als ein anderer, von daher auch besser sinnlich ist und von daher auch einen höheren Anteil an Selbstwert erfahren kann. Doch genau dieses unendliche Ausgrenzen des Einzelnen befördert eine allgemeine Notwendigkeit, sich einem Sinn zu beugen, der allgemein wirklich notwendig ist, und sei er auch für jeden einzelnen dumm und nichtig. Man muss sich an die Verhältnisse gewöhnen, solange man irgendeinen Sinn darin befriedigen kann. Es geht also nun wirklich um den allgemein gleichgeltenden Sinn, dessen einziger Ertrag ist, jeden irgendwie Befriedigung zu verschaffen: Der Sinn, der wirklich gleichgültig gegen seine Bestimmtheit ist und sich gegen alles Bestimmte auch gleichgültig verhält, von daher sich als sinnliche Allmacht bewähren muss. Ein solcher Sinn kann nur bloße Sinnesform sein, die allgemein gemacht erscheint. Es beginnt damit , eine kulturelle Allgemeinheit als allgemeine Ästhetik wirksam zu werden.
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313.2 Die objektive Vernunft des Überlebens (Befriedungskultur)
Die subjektive Vernunft der Kultur erwies sich als sinnlos, weil sie ihre eigene Allgemeinheit selbst nur willkürlich hat und von daher unvernünftig geworden ist, sich als Vernunft selbst aufgehoben hatte. Je leerer ihr Sinn und Zweck, desto nötiger wird eine Vernunft, die sich aus eben dieser Allgemeinheit selbst erhebt als allgemeine Notwendigkeit vernünftigen Seins, um siitliches Verhalten.
Es geht hierbei zunächst um eine Art Regeneration des ganzen Verhältnisses in einem Sinn, den Kultur als solche haben soll, einen Sinn, den sie schon hatte, bevor sie sich darin aufgehoben hatte. Der ist jetzt allerdings nicht mehr unmittelbar sinnlich, sondern durch Gewohnheit bewährt, vergangenes Fühlen für gegenwärtige Sinnstiftung. Von daher besinnen sich die Menschen jetzt auf ihre Gewohnheiten, auf das Vergangene, was sich darin bewährt hat. Der Rückgriff auf die Art und Weise vergangenen Lebens ist nicht nur theoretisch (als Konservatismus) und bedeutet auch nicht den Verlust eigener Geschichte, er ist praktisch lebensnotwendig, um einen wirkliche Sinn zum Mittel menschlicher Beziehung zu machen. Das macht zunächst nur die Notwendigkeit, aus der Geborgenheit herauszutreten, sich einem öffentlichen Sinn zu widmen und gesittet zu leben. Das enthält zuerst die Möglichkeit, sich so auszudrücken, wie es öffentlich verstanden wird, wie es also in öffentlicher Anerkennung vermittelbar und vermittelt ist. Dies macht die Grundlage der Sittlichkeit aus: Nicht, weil es sich gehört, ist man sittlich, sondern weil man dazu gehören will, erkennt man einen öffentlichen Sinn an. Das Heraustreten aus der Geborgenheit, das Entbergen, macht Sinne zum Träger des Öffentlichen, unter welchen die Menschen sich vermitteln, finden und bestärken.
Hierfür hat sich in der Kultur ein mächtiger Apparat herausgebildet, der nun ihre Institution wird, zu einer öffentlichen und privaten Einrichtung, welche Sinn vermittelt und hierfür vorhandene Lebensprobleme aufgreifen muss und ethische und ästhetische Bedürfnisse darin erwecken muss, die auch den Lebenswerten dieser Geselllschaft ganz allgemein entsprechen.
Zur sittlichen Öffentlichkeit des zwischenmenschlichen Zusammenlebens werden so die Lebenswerte, die der bürgerlichen Gesellschaft allgemein zu eigen sind, nicht, weil die Menschen damit belehrt werden, sondern weil sie in der Selbstaaufhebung ihrer Sinne, im Chaos verrückter Sinne nach einer sittlichen Ordnung verlangen, in welcher sich der Sinn durchsetzt, der hierfür geeignet scheint. Hierfür dienen nun alle Ordnungen, welche die Kultur zur Verfügung stellen kann und die sich jetzt als "natürliche Ordnungen" für die Probleme der Menschen einfinden. Der "Fortschritt der bürgerlichen Kultur" besteht also darin, in ihrem praktischen Lebenverhältnis eine Natürlichkeit der eigenen Lebenswerte herauszustellen und von daher auch die "Gewalt der Natur" in das gesellschaftliche Zusammenleben als Naturgewalt gesellschaftlicher Macht einzubringen. Die Selbstwahrnehmung wird dabei zu einer natürlich scheinenden Selbstigkeit entwickelt.
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313.2.1 Moral und Mores (Die Gepflogenheiten des Sinnvollen)
In der Kultur geht es inzwischen zu wie im "richtigen Leben": Ein jeder dient dem andereen nur, um sich selbst zu dienen. Das Resultat aller Dienstleistungsverhältnisse ist die allgemeine Prostitution. Und Prostitution ist die Wirklichkeit der menschlichen Entleibung durch eine allgemeine gesellschaftliche, und also auch kulturelle Macht, durch das "gesellschaftliche Faustpfand", die abstrakt allgemeine Rückversicherung des Allgemeinen im Einzelnen. In der bürgerlichen Ökonomie war es das Geld.
Für die politische Kultur hatten wir es im ersten Band als Selbstwert des Erlebens kennengelernt und nun als "Macht der Gewöhnung" bezeichnet, worin sich Selbstwert allgemein wohnlich gemacht hatte. Das Resultat ist bedrückend. Für sich hat der gewöhnliche Mensch jeden Sinn verloren. Er muss auf das Allgemeine vertrauen, das ihm Sin stiftet, das sich durch Gepflogenheit bewährt hat und von daher auch brauchbar ist: Die sinnvoll scheinende Gepflogenheit oder das Brauchtum. Dieses entwickelt sich zunächst einmal aus dem, was die gesellschaftliche Wirkung der Selbstwahrnehmung ist, aus dem Eindruck, welchen das Gewohnte macht. Hierfür muss es sich zunächst durch eine besondere Form der Bewährung auszeichnen. Und hierüber wird vielerlei auch gestritten: Welcher Brauch hat für die Menschen Sinn gegen die Prostitution, gegen die Entleibung der kulturellen Gepflogenheiten und welcher nicht.?
Natürlich kann ein Streit hierüber nicht entschieden werden: Was den Menschen innerhalb ihrer Kultur als bewährt erscheint und für den kulturellen Selbsterhalt gut ist, das wird sich durchsetzen. Es ist kulturell schlicht und einfach nötig. Es entscheidet sich über den Durchsatz von Gewohnheiten und wird eingegrenzt von den Urteilen über das Gute und das Schlechte, über die Moral. Letztlich ist Moral und Brauchtum dasselbe, das eine in illegibler Form, das andere als Sinnesform. Man könnte sagen, dass Moral die Ideologie der Gepflogenheit ist. Der Begriff kommt ja schließlich auch von dem, was Gepflogenheit ist: Mores.
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313.2.2 Die Notwendigkeit des Allgemeinsinns (Das objektive Sollen)
Die Selbstbeziehung der Menschen ist zu einer Selbstverlorenheit geworden, in welcher sie auch den Sinn für sich verlieren, wenn sie ihn für andere verloren haben. Sinn aber bewahrt sich objektiv als das, was in allem Sinn hatte: Das Selbstgefühl. In dieser Verlorenheit aber kann es nicht für sich und einzeln bestehen. Es muss sich esoterisch aus allem Selbstgefühlten heraus ereignen, sich wie von selbst als selbstverständlich einstellen, als eine über alle Gewohnheiten hinweg verallgemeinerte Erhabenheit der Gepflogenheiten, als Sinn, welcher dadurch Kraft findet, dass er im Leben sinnvoll ist, ohne für sich sinnlich zu sein.
Es ist ein Sinn, der sein soll, weil in allem, was ist, Unsinn herrscht. Er überkommt die Menschen als Begeisterung für eine Stimmung, eine Kulthandlung, ein Brauchtum, das menschlichen Sinn allgemein verkörpert.
In der Huldigung der Gebräuche, welche objektiv gewordene Gewohnheiten sind, wird ein vergangenes Selbstgefühl allgemein vergegenwärtigt, so dass es sinnliche Gegenwart alleine dadurch erfährt. Es ist die erste Form eines Allgemeinsinns, welcher die völlig divergierenden Menschen auf einer höheren Ebene wieder zusammenführt. Sie gewinnen sich nun in der Gemeinschaft eines Selbsterlebens, welche alles zurücklässt, was ihre alltägliche Belastung und Entfremdung mit sich bringt. Von daher entsteht in dem Maß, wie sich die wechselseitige Ausnützung durchsetzt, ein Halt, der seinen Boden und Grund nur durch die Notwendigkeit eines allgemeinen Slbstgefühls hat, dem sich alle unterordnen. Es ist eine ästhetisch gewordene Güte, welche sich im sittlichen Leben auch praktisch durchsetzt, weil es praktisch jedem Gemeinschaft verschafft. Der Gemeinsinn ist daher die Wirklichkeitsbestimmung einer Kulturnotwendigkeit, einer Sittlichkeit.
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313.2.3 Die Macht der ästhetischen Güte (Die naturalisierte Menschenliebe)
Die ästhetische Güte des Allgemeinsinns bewährt sich durch die Kraft, die sie den Menschen vermittelt. Für sich aufgelöst, finden sie Beziehung durch dieses allgemeine Sollen ihrer selbstlos gewordenen Sinne. Sie finden darin die Bestätigung, die sie nirgendwo sonst mehr finden können. Und von da her werden sie zu ihren eigenen Sittenwächter. Sie tragen das Sollen in sich, soweit sie darin den Sinn außer sich für sich bestätigen können.
Dieser beginnt nun alles, was der implizite Sinn einer jede Kultur dem Wesen nach ist, die praktische Menschenliebe, in den Dienst eines allgemeinen Selbstgefühls zu stellen und hierdurch einer Pervertierung der Menschenliebe zu betreiben, sie in einem Gemeingut aus ihrer Freiheit in die Notwendigkeit des Allgemeinen zu zwingen und selbst zur Sache zu machen.
Dies verschafft einen gänzlich neuen Nutzen: Den Nutzen der sich selbst erneuernden Kraft. Diese erscheint nun wie aus einer eigentümlichen Welt von außen einströmend, denn sie lässt sich nicht mehr aus dem Leben der Menschen erklären. Sie erscheint wie die Fügung eines allgegenwärtig Menschlichen, eines allgegenwärtigen Sinnes, welcher die Menschen ermächtigt, über sich hinauszuwachsen. Was im Charakter einzelner Menschen angelegt gewesen sein mag, wird nun objektiv. Die Macht des esoterischen Charakters beruht auf der kosmischen Natur der Seele, also auf einen Kosmos, in welchem die Seele natürlich erscheint. Darin findet der Allgemeinsinn seine Qualität, seine Güte, wird zur Basis eines gänzlich neuen Selbstgefühls. Die Seele erscheint darin als Naturgrund alles Übermenschlichen, als naturgegeben erscheinendes allmächtiges Selbstgefühl, als ein Selbstgefühl, worin eine pervertierte Menschenliebe zur Wirkung kommt.
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313.3 Die Religion (Die Ästhetik des Glaubens)
Auf der Erde besteht das kulturelle Erleben aus einer bunten verwirrenden Vielfalt, welche die Sinne eng macht, die Welt klein. Ihre Dichte wird unerträglich für die persönliche Selbstwahrnehmung. Mit einer zur allgemein menschlichen Natur erhobenen und sittlich veräußerten Menschenliebe wird die Güte zu einer kulturellen Determination, zur Hoheit eines überpersönlichen Grundes. Der allgemeine Sinn, der darin gefunden wird, kann in einer Welt voller Unsinn nicht mehr wahr sein. Der Glaube an einen höheren Sinn, an eine Wahrheit jenseits dieser Welt, tröstet alle Sinne, die in sich nur noch verworren und in Verwirrung sind. Eine seelische Mythologie wird zur einzigen Bestimmung, worin Wahrheit noch Sinn haben kann: Der Gottesglaube. Er ist der Glaube, dass jeder Mensch nur Sinn durch eine andere Welt hat, durch eine Welt des Jenseits.
Als durch seine zwischenmenschliche Kultur erniedrigtes Wesen muss übermenschliches befreien. So klein der Mensch sich fühlt, so groß müssen daher seine Götter werden. Im Gefühl selbst herrscht die Unterwerfung und daher muss auch Gott gefühlt werden, um hierüber erhaben zu sein. Er besteht von Anfang an aus Schmuck und Kult. Und er befriedigt die Menschen durch den Genuss ihrer Unterworfenheit. Darin unterscheiden sich zwar die Glaubensrichtungen in der Darstellung und Darstellbarkeit ihrer Inhalte. Aber das Wesen des Glaubens ist die Hoffnung, die er kultiviert. Und diese muss sich ästhetisch nicht unbedingt als barockes "Glanz und Gloria" der katholischen Lithurgie ausdrücken, in welcher sich Menschen klein und unmündig vorkommen wollen. Sie kann auch als Ästhetik der Aufklärung die triste Botschaft einer über die profane Vernunft erhabene Vernunft Gottes beeindrucken.
Vom Ästhetischen her ist Religion die Rückbindung des Menschen auf das sittliche Wesen der Selbstwahrnehmung, auf die Weihe des allgemein hervorgetretenen Selbstgefühls, das geweihte Gemüt. Hier wird die Ikone zum Gedächtnis der Entgegensetzung der Irdischen in der Würde einer Abstraktion. Doch zugleich verlässt damit jeder konkrete Mensch seine Konkrete Welt und exculpiert sein Leben, indem er es in den Dienst einer Gotteskindschaft stellt. Er kann nur noch gegen diesen höchsten und abstraktesten Sinn des Lebens nur noch gegen ihn schuldig werden. Sein Verhalten wird nun hiervon bestimmt und wird gegen die wirklichen Menschen und ihr tun wesentlich gleichgültig.
Die Selbstgefühle erfahren dadurch allerdings allerhand Macht, haben sie doch nun Anteil an der Allmacht Gottes, wie sie in der Seele erscheint und sich artikuliert. Alles, was aus ihr kommt, ist nun gotttgewollt und Gottes Wille. So auch das Wissen, dass es keine Wahrheit unter den Menschen geben kann und dass die einzige Gewissheit in der Gotteserfahrung durch die eigene Seele sein kann. ies enthebt nun alle Sinne von ihrer Grundlage und macht sinnliche Gewissheit ausgeschlossen. Und dies macht einen höheren Sinn. Dieser ist prinzipiell nicht wirklich vermittelbar und bezieht sich nur über eine Art Seelenverwandtschaft auf andere Menschen, eine Gemeinschaft der Gotteskinder, in der sie jeden Trost finden können, was immer er auch in Wahrheit sei. Die Wahrheit allein ist das Gefühl für Gott in der Seele des Menschen. Aus deren Tiefe ruft er Gott an, und Gott erhört sein Gebet, Gott, der ihn erfreut von Jugend auf. Halleluja.
"Aus der Tiefe ruf ich Herr zu Dir, erhöre oh Herr mein Flehn. Lass meine Ohren achten Dein Wort und meine Lippen Dein Lob verkünden." (Psalm).
Das Prinzip dr Religion ist Erlösung, Erlösung von Schuld, von Leid und von Missgeschick. Er vollzieht sich in einer gefühlten Anleitung, welcher der Glaube den Menschen zur Verfügung stellt und aus der sie die Kraft eines heiligen Geistes in sich verspüren. Der Prozess der Religion ist der Prozess der Totalisierung eines objektiven Selbstgefühls. Er errichtet einen unerschütterlichen Heilsgedanken, der Glaube an die unendliche Möglichkeit des Heilwerdens, Heilung schlechthin.
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313.3.1 Die Reinheit im Gottesglauben (gemeine Überhöhung der Selbstwahrnehmung zum übernatürlichen Menschsein)
Die Heilung der verwirrten Selbstgefühle durch ein übernatürlichen Menschsein vermittelt eine übernatürliche Identität nicht durch ihr einzelnes Wohlgefühl, nicht durch ihre bloße Symbiose im Glauben. Sie vermittelt vor allem eine nirgendwo sonst bekömmliche Allseitigkeit menschlicher Selbstgefühle. Der allseitig geheilte Mensch ist nun selbst übernatürlich, seine Liebe übermenschlich. Er erfährt sein Glück nicht aus dieser Welt, sondern aus dem Heil seines Heilands. Die Religion vertröstet jedes Dasein, das für sich keinen Sinn mehr macht, und erweckt alle Zeit den Gläubigen immer wieder zu höheren Wesenheiten seiner Gefühle, zum Glücksgefühl einer Geborgenheit, die es auf dieser Welt nirgendwo geben kann: Gotteskindschaft.
Wenn man unter Religion ihrem ursprünglichen Sinn folgend Rückbindung der Menschen (Re-Ligio) versteht, so ist diese Hochform der Religion im Prinzip antireligios: Versinnlichter Geist als Hochgefühl für sich. Dieses verschafft sich ihr Gefühl durch eine Bereinigung, die ihr als Befreiung gilt, durch ihr Absondern und Ausgrenzen von allem, was ihr als unbekömmlich, als unrein gilt. Allein aus der wirklichen Ausgrenzung und der über göttliche Identität bezogene Zuwendung, also durch diese pervertierte Menschenliebe, verschafft sich ein Mensch die Beziehung zur Menschheit überhaupt. Durch sein Gefühl in dieser übernatürlichen Identität findet er Gott, so wie er ihn erfunden hat.
Aber er kann es nicht dabei lassen, dass sie nur ihm notwendig geworden ist. Er muss für diese Identität werben, um darin mit ihnen in Verbindung zu treten, um den Glaubensbund dieser Selbstgefühle gültig zu machen. Hieraus erwächst durch die Verehrung des somit verfassten Gottes ein religiöses System der Selbstverehrung in einem Mythos des Fühlens und Wirkens, des Märchens eigentlicher Ursprünglichkeit im fantastischen Sein der Individuen, in einem göttlichen Dasein der inneren Regungen in allen gemeiner Regsamkeit, im Kult um ein unmögliches Menschsein.
Und dies hat weitreichende Folgen, denn eine Unnatur ist ein Unwesen und das Unwesen bestimmt alles wesentliche negativ. Aus den Bestimmungen einer Geisteswelt und Geisteskraft hieraus wird alles unmittelbar nichtig, was seinen Sinn darin nicht finden kann. Das wirklich sinnliche Leben wird zur Sünde. Was die darin lebenden Menschen überzeugt, ist die hiervon getrennte Wirkungswelt fantastischer Selbstgefühle, in denen der von der Welt verlassene Mensch sich allgemein wahr findet und als solche Wahrheit empfindet.
Reliquie, Richard Wagner, Ludwig I.
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313.3.2 Die Sinnstiftung (Der abstrakte Mensch als gesittete Menschlichkeit schlechthin)
Die Herzlosigkeit der puren Selbstwahrnehmung kann sich im Grunde selbst nicht leiden. Wer aber in seinen Gefühlen gereinigt ist, sich selbst als reine Wahrheit empfindet, ist für sich auch das ausschließliche Wesen für den Sinn dieser Wahrheit. Er erkennt sich durch die Aussschließlichkeit die Selbstbestimmung als den Herrn oder die Herrin dieser Wahrheit, als das Herz seiner Kultur und Herrlichkeit.
Erhebet die Herzen! Wir haben sie beim Herrn. Das Herz des abstrakten Menschen wird zum zwischenmenschlichen Sinn der religiösen Beziehung. Sie verlangt keine wirklichen Menschen mehr. Sie gestaltet sich durch ihre Stimmung, die den Menschen selbst in ihr konstituiert. Sie erzeugt eine hoch gestimmte Selbstwahrnehmung, das Gefühl seiner selbst als höheres Wesen in einem höhren Wesen. Das Hochgefühl der Selbstverherrlichung wird selbst zum Inhalt zwischenmenschlicher Beziehungen, zu einem Gemeinwesen jenseits der wirklichen Zwischenmenschlichkeit, zum übermenschlichen Zwischenmenschen, zum praktischen Übermenschen schlechthin.
Erst in ihrer zwischenmenschlichen Wirkung und Wirklichkeit kann der Übermensch auch wirklichen Sinn stiften. Hier verbindet er alles, was unverbunden bliebe, wird zur leibhaftigen Re-Ligio dadurch, dass Menschen sich in ihren Selbstgefühlen erhöhen und hierdurch bereichert erfahren. Erst hierdurch können sie ihren persönlichen Selbstwert aufgeben, weil er ihnen außer ihnen gewährt wird, weil er ihnen schon im Edelmut übermenschlicher Güte vorausgesetzt ist, bevor sie ihn in der Erhabenheit ihrer Gefühle erfahren, an ihm durch ihre Selbstlosigkeit teilhaben, ihn empfinden können, um sich in ihm erst wirklich zu finden.
Es ist das totale Selbstgefühl, das sich hierin verwirklicht, das alle Selbstverwirklichung dahin drängt, in seine Mission zu treten, um das Himmerlreich einer totalen Seelenherrschaft zu erreichten, "wie im Himmel also auch auf Erden". Die Religion ist nicht nur eine Heilslehre, die Heilsbotschaft sein will, sie ist die in den Menschen sinnlich gewordene sittliche Übermenschlichkeit, die absolute Selbstrettung, die auch über Leichen gehen kann.
Was die Menschen darin wirklich verbindet ist die Symbolik des Heils, an das sie glauben. Sie bekommt eine ungeheuere Gewalt für die Selbstwahrnehmung, indem sie menschliche Verehrung aufsaugt und sich ihre Demut einverleibt, um selbst als Heil der Welt leiblich bestärkt zu werden. Es ist ihr Kult des Heils, die Heiligenverehrung.
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313.3.3 Der Kult oder die Liturgie der Selbstwahrnehmung (der Persönlichkeitskult)
Im Kult des Heils finden sich die Mensch schließlich als bessere Menschen ein, als Persönlichkeiten der Heilkraft, in der sie ihre selbstlose Demut aufheben und in der Anonymität ihrer wirklichen Persönlichkeit sich persönlich, als Maske ihrer selbst gewinnen, indem sie dem Kultus des abstrakten Menschn dienen.
Ihr Kult wird nun zur Liturgie hrer Selbstgefühle, an welchen sie sich nicht nur treffen, sondern ihre Mitte finden, sich unmittelbar vermittelt spüren. Die Liturgie der Selbstwahrnehmung ist der Kult, worin die mediale Macht ihrer Religion ihr wirkliches Wesen als wirkliches Unwesen ihrer Getriebenheiten offenbart und aufhebt. Es ist zugleich die Unterwerfung der eigenen Regung unter die Prominenz dses Allgemeingefühls, das darin empfunden wird.
Es ist "der Geist einer geistlosen Welt" (Marx), der die höchste aller Sitten prägt: Das Gesetzt Gottes als die göttliche Persönlichkeit, die absolute Kultur des geistlosen Geistes. Wer an ihn glaubt, wird "Leben, auch wenn er stirbt", wenn er nur nicht wahrnimmt, woran er längst gestorben ist. In der Liturgie der abstrakten Selbstwahrnehmung herrscht der begeisterte Gotteskult, weil jeder Mensch darin sich selbst als Teil Gottes wahrnimmt. Die Naturalisierung des Geisthaften wird zur göttlichen Selbstwahrnehmung indem diese Liturgie als Selbstbewegung des Glaubens an kultureller Macht gewinnt.
Der göttliche Wille fällt auf die Erde zurück als das Gute und Schöne, das nichts anderes kann, als das Böse zu schaffen, dem er entgangen sein will. Es ist die blanke Gedankenlosigkeit dieser Geisterwelt, in der sich die "Banalität des Bösen" (Hannah Ahrendt) errichtet. Sie findet ihre Heimstatt im Schönen und Guten einer heilen Welt, die sich schließlich als Kulturform eines ästhetischen Willens gestaltet.
(1) Roger Behrens schreibt über das "Mitmachen" in Opal #11:
"Mitmachen ist die Signatur des gegenwärtigen Gesellschaftscharakters, ist der psychologische Kitt, der die Subjekte innerhalb der Masse als Individuen handeln lässt, ohne die Ansprüche auf Individualität und Subjektivität als solche geltend zu machen.
Insofern ersetzt das Mitmachen die Sittlichkeit und gerinnt zu einem kategorischen Imperativ, das Handeln einem allgemeinen Gesetz zu unterwerfen, für dessen Allgemeingültigkeit und Verbindlichkeit man so wenig verantwortlich sei wie für die Konsequenzen; der Katechismus des Mitmachens kennt keine Maxime außer der, stets glauben zu können, sich keiner Maxime unterworfen zu haben. – Das Mitmachen beschreibt insofern eine Ethik im Konjunktiv, ein Handeln im Modus permanent-potenzieller Entschuldigung, das alles tut, außer Verantwortung zu übernehmen. „Hätte ich das gewusst …“ ist der Leitspruch des Mitmachens, das schon im vornherein die Ausrede parat hat, man würde selbstverständlich nicht noch einmal mitmachen."
Weiter mit Buch III: 320. Einleitung in die Heilskultur (Die kultivierte Strenge)