Uk3020

Aus kulturkritik

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Der nachfolgende Text ist eine Beschreibung der Argumentation in dem gleichnamigen Buch. (==> Verlagsinformationen hierzu <==)

320. Einleitung in die Veredelung der Hochkultur zur Heilskultur

Der Gottesglaube hatte die Sittlichkeit einer Kultur zu einer übermenschlichen Dimension gebracht, gegen welche alle Widersprüche und Kämpfe des wirklichen Lebens nurmehr als Unheil erscheinen können, weil sie eben auch wirklich unheilig sind. Mit dem Glauben an einen höheren Sinn wollten die Heiligen das Unheil beherrschen, indem er sich als Wille Gottes an die Menschen richtet, an die Reinheit Gottes die Selbstachtung der Menschen bindet und ihre Bereinigung vermittelt. Doch die vom Himmel zur Erde gebrachte Reinheit ist nichts anderes als eine sich selbst unterwerfende Selbstlosigkeit, durch die aus jedem Bürger ein Schutzpatron, aus jedem Warenbesitzer ein Spießbürger wird, etwa so, wie dereinst Martin Luther aus der Dogmatik des Glaubens der Kirchenpäpste den Pfaffen im Menschen selbst begründen wollte:

Luther hat ... die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den Menschen von der äußeren Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum inneren Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz an die Kette gelegt. (MEW 1, S. 385)

Eine religiös gewordenen Sitte stiftet ein soziales Verhältnis, das sich im Jammertal des Diesseits an die Menschen wendet und ihrer allgemein gewordenen Selbstlosigkeit nun auch Sinn stiftet, indem sie ihre Reinheit als Maßgabe für ihre Artigkeit sozialisisiert. Im zwischenmenschlichen Verhältnis muss das Herz der Menschen von diesem hohen Geist einer ewigen Wahrheit des menschlichen Daseins getroffen werden, welche die Entwurzelung der Menschen aufzugreifen versteht und sie auf den rechten Weg bringt. Sie verschafft sich im Trubel der Selbstverleugnungen eine Reinheit der Art, indem sie in ihrem hohen Sinn das Gute vom Bösen trennt und für sich frei macht, zu einem guten Meinen bringt, zu einer Meinung, die als Gefühl für sich steht und das Meinige dafürhalten kann, wo es als allgemeine Güte auftritt und zu einem Allgemeingefühl der Heilsamkeit wird. Die Menschen sind aber nicht erst durch einen sittlichen Glauben zu sich selbst in ein mythologisches Verhältnis geraten. Es war schon mit der Selbstverwertung angelegt, welche die Psyche dazu getrieben hatte, ihre Verwirklichung in einer Selbstveredelung ui finden und zu empfinden. Ihr Edelmut wurde zum Mehrwert der Selbstwahrnehmung, der ihr Selbstgefühl mit übermächtigen Fähigkeiten ausgestattet hatte. Er aber hatte in der bürgerlichen Persönlichkeit für sich noch keine Wirklichkeit gefunden und kommt nun erst im Verhältnis und Verhalten selbstlos gewordener Menschen zur Anwendung, wird darin zur Botschaft von einer höheren Sinnlichkeit, die nun auch ihre sozialen Beziehungen neu bestimmt, sie für ein höheres Dasein verpflichtet, das alle ihre Unschönheiten, ihre Störungen und Reibereien, ihre Begierden, Verfehlungen und Verrücktheiten zusammenfasst und ins Jenseits befördert. Was zwischen den Menschen (siehe Zwischenmenschlichkeit) und in der Welt geschieht, wird nurmehr unter einer Bestimmung wahrgenommen, die von Unheil kündet und Heil verspricht. Alle Verhältnisse, so klar auch ihre verstandesmäßige Beziehungen sein mögen, sind - schon bevor sie überhaupt Gegenstand der Erkenntnis werden können - für die Menschen von einem Prinzip erfasst, das nur daraus besteht, ein seelisches Unheil zu meiden, das mit dem Unheil der Welt in dem Maße sich decken lässt, wie auch die weltlichen Konflikte mystisch werden, sich nicht mehr durchdringen lassen, immer wirrer für die einzelne Wahrnehmung werden. Es hatte sich schon in der Bildung des Religiösen im Menschen eine Ordnung zugetragen, welche durch eine höhere Sinnstiftung des Werdens und Vergehens der Natur begründet wurde. Nun geht es um die Sinnstiftung einer heilen Welt, die sich auch wirklich gegen alles Unheil stellen soll. Die Vergöttlichung der Kultur hatte die Naturalisierung des Sittlichen zur Voraussetzung. Sie hatte die Selbstwahrnehmung zum reinen Geist eines übermenschlichen Wesens herausgesetzt, dem die Menschen niemals gerecht werden können. Die einzelnen Absichten der Menschen werden auf diese Weise dem allgemeinen Übermenschen gebeugt und zu einer Ausdrucksform ihrer Sinne isoliert. Damit sind diese als eigenständige Momente des unterordneten Menschseins naturalisiert und können als allgemeine Naturnotwendigkeit nackter Individualität erscheinen, die sich an der sittlichen Allgemeinheit der Kultur relativiert. Das Sinnliche war also auf Eigenschaften der Individuen reduziert, die als Eigenschaften für sich in der Natur ihre Wesenseigenschaft gefunden haben müssen, um ihren Fortbestand als Natur von Bedürfnissen und Begierden zu bewahren, deren gesellschaftliche Natur im Grunde gleichgültig ist, weil Gesellschaft nurmehr rein geistig aufgefasst und erlebt wird. Die Natur wird damit zum Antagonisten des Geistes und der Geist zu einem notwendigen Machtfaktor der Kultur, zum Inhalt der Selbstbestimmung des Menschen, der jetzt nur noch eins erstreben kann: Die Veredelung seiner Selbst. Weil die sinnlichen Beziehungen nun ausschließlich naturgegeben erscheinen, werden die geistigen zu einem ausschließlichen Kulturphänomen der allgemeinen Selbstveredelung. Weil sie in ihrer Natürlichkeit nur unkultiviert gelten können, wird auch keine natürliche Kultur mehr in ihnen erkannt. Tatsächlich haben sie sich der Allgemeinheit einer kultivierten Natur vollständig enthoben und vergehen als Natureigenschaften schnell mit ihrer geistigen Befriedigung ins Übermenschliche. Ihre Kultur wird damit zu einer selbständigen Allgemeinheit, zu einem Sein jenseits aller Natur, das sich über deren profanes Dasein in der Kultur enthebt. Damit hatte die Kultur selbst nun die Bestimmung erworben, die zunächst nur religiös war. Im Gottesglauben und im Vollzug des reinen Gotteskultes liesen sich zwar sittliche Regeln vollziehen und vermenschlichen, aber der Mensch kann als göttliches Wesen nur Kultur haben, wenn er sich selbst zum Heiligen wird und von daher auch seine soziale Welt, und das schließt seine natürliche Erscheinung mit ein, auch wirklich zu kultivieren versteht. Seine materielle und soziale Wirklichkeit steht hiergegen aber bislang ab. Sie hat noch ihre rein sündige Gestalt, die sich im Bildungsbürgertum zu erlösen sucht. Das ganze kulturelle Verhältnis erscheint daher zunächst noch als Kränkung, als ein Verhältnis, worin sich kein Mensch erkennen kann, weil er sich darin nicht so will, wie er wirklich ist. Was als solche Kultur objektiv geworden war, war übermenschlich und kann subjektiv nicht gewollt sein. Das allgemeine Subjekt wird daher aus der Abkehr von einer objektiven Boshaftigkeit begründet: Die Heile Welt bekommt Subjektform gegen das Unheil der Welt, indem sich die Menschen an einem Heil bilden, das zunächst nur darin besteht, Unheil abzuwenden und auszuschließen. Es geht darin nicht mehr nur um eine Bergung des vor dieser boshaften Welt bewahrten oder zu bewahrenden Lebens, sondern um einen subjektiven Geist, der sich als Macht gegen die Bosheit zu entwicklen sucht, - als ein Wille, der sich zunächst als Naturrecht gegen das Böse herauskehrt, ein Naturrecht der Moral, das ein Überleben nicht nur verspricht, sondern selbst dessen Lebensform annimmt. Und das geschieht daher nicht einfach nur in der Vorstellung, sondern zwischen den Menschen selbst. Die übermenschliche Bestimmung ihrer Kultur wird nun zum Hinterhalt ihrer Sittlichkeit. Sie erfahren sich in der Wirklichkeit ihrer Überlebenskämpfe nämlich vor allem als Gegner und verschleißen ihre Beziehungen in unendlichen Konflikten zwischen Pflicht und Vergnügen. Und die sozialen Konflikte, die sich hierbei verdeutlichen, bilden den Stoff dieses natürlich scheinenden Rechts, das nun als Naturrecht auftritt, sich gegen Untergang und Vernichtung, sich gegen Unheil zu verhalten: Ein Recht im Sinne des Heils der Menschen. Die Wirklichkeit dieser Konflikte spielt dabei keine Rolle mehr; sie werden schlicht durch das Recht auf eine heile Welt ausgeschlossen, negiert und als Heilsprinzip gegen ihren Grund gerichtet. Gegen die soziale Wirklichkeit wird eine Esoterik des Guten gerichtet und diese zum Träger einer allgemeinen Sebstbezogenheit des guten Menschen, zu einer Kulturmacht der Güte. Wiewohl sich diese aus der bloßen Subjektivität des Leidens an der Welt begründet, wird sie dadurch objektiv, dass sie die Verhältnisse der Menschen bestimmt. In ihnen selbst herrscht Isolation. Diese war schon die Grundlage der Religion, um im vereinzelten Menschen Gefühlszusammenhänge zu idealisieren. Nun geht es um die Ästhetik dieser Idealisierung: die Ikonisierung des Ideals. Sie bildet sich im Medium der Idealisierung selbst durch eine Verdopplung der Gefühle jenseits ihrer Empfindungen. Indem idealisierte Wesenheiten zur einfachen Betimmtheit zwischenmenschlichen Beziehungen werden, wird die Wahrnehmung selbst wesentlich durch äußerliche Eindrücke beherrscht - nicht mehr nur gereizt, sondern zur Befriedung innerer Regsamkeiten bezwungen. Die ästhetische Maske wird das beherrschende Bild der Persönlichkeiten, die sich prominent machen, indem sie dem Alltäglichen den Sinn einer höhreren Individualität, eines Massenindividuums verleihen. Jedes wirkliche Gefühl gerät hierbei in die absurde Beziehung einer übermenschlichen Güte, die es nun auch wirklich bestimmt Diese Bestimmung ist zunächst eine esoterische Selbstigkeit, eine bloß ästhetische Konfiguration einer allgemeinmenschlichen Güte, die in der sozialen Welt dazwischentritt, wo sich Böses auftut. Es ist im Grunde ganz einfach: Das Böse erscheint selbst unbestimmt, z.B. als Verwahrlosung, Seuche, Sucht und dergleichen und wird durch eine einzige allgemeine Bestimmung bekämpft: durch ein Gesetz, das sein Auftreten verbietet, Diese Gesetz selbst erscheint wie jedes Gesetz allgemein nötig, richtet sich aber nicht gegen das wirklich Einzelne, das sich an einer allgemeinen Wirklichkeit vergeht, nicht gegen ein Verbrechen, das mit dem allgemein nötigen Verkehr bricht. Es richtet sich gegen die Möglichkeit, ein solches Verbrechen überhaupt möglich sein zu lassen - es richtet sich gegen den Kern des Bösen, das aus Prinzip verfolgt werden soll und deshalb auch als Prinzip vernichtet werden muss. Die prinzipielle Bekämpfung von sozialer Verwahrlosung jenseits ihrer Ursachen findet sich z.B. in der Theorie der Broken Windows, die in den USA besonders von dem einstigen New-Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani und seinem Polizeichef William Bratton vertreten wurde und die derzeitig in Deutschland auch von Innenminister Schäuble propagiert wird. Auf der Grundlage dieser These wurde das New Yorker Polizeimodell „Zero Tolerance“ entwickelt. Es sieht unter anderem vor, aus Gründen der Kriminalprävention frühzeitig und rigoros auch gegen Bagatellkriminalität und kleinste Ordnungsverstöße vorzugehen. Es handelt sich hierbei um eine Machtdemonstration gegen die Kräfte der Verwahrlosung, die erst mal einfach plausibel daherkommt. Es ist im Grunde eine Erstickungstheorie, wonach das Übel dort schon im Keim erstickt werden soll, wo es erscheint, seine Erscheinung also frühzeitig beseitigt werden muss, damit Übles nicht durchbrechen, sich nicht ausbreiten kann. Dies wird mit einer rein ästhetischen Begründung unterlegt: Wo ein oder zwei Fenster zu Bruch gehen, sollen sie unmittelbar und binnen Stunden ausgewechselt werden, damt die wahrnehmbare Zerstörung nicht zu weiterer Zerstörung anstiftet. Denn sind erst mal einige Fenster zu Bruch gegangen - so die Theorie - dann breitet sich Nachlässigkeit gegen die Zerstörung von Fensterscheiben aus; Verwahrlosung greift um sich. Gemeint ist damit natürlich nur das Prinzip von Erstickung der Ausbreitung durch Gegenmaßnahmen. Und dies soll vor allem die Bekämpfung sozialen Konflikten totalisieren. Durch krasse Bestrafung kleinerer Vergehen soll eine allgemeine Angst vor Betrafung überhaupt die Kriminalität überhaupt bekämpft werden. So werden z.B. Schwarzfahrer in der New-Yorker U-Bahn in Handschellen abgeführt und eingesperrt, weil dies eine drastische Wahrnehmung von Staatsgewalt vermittelt und allgemein beeindrucken soll. Es ist das billigste Mittel, um Angst vor Delikten und Abweichungen zu erzeugen. In Deutschland zeigt sich eine ähnliche Tendenz in der neueren Gesetzgebung, z.B. im bayerischen Versammlungsrecht und auch in den Durchführungsbestimmungen der Belauschung privater Daten. Die Naturalisierung des Sittlichen hat die Selbstwahrnehmung verkörperlicht und ihre Absichten ihres Sinns enthoben. Dies hat eine Selbständigkeit des Seelischen zur Folge, welches allerdings zunächst nur Sehnsucht ist. Je massiver und massiger die Sitte wird, desto seelenloser wird sie: Unschön. Die Not der Sittlichkeit ist ihre seelische Unwirklichkeit in der Masse, die dies als Unmöglichkeit einer beseelten Ethik erlebt. Sie ist damit unästhetisch, ohne irgendeine Form der Menschlichkeit, ohne Liebe. Die Güte menschlicher Gefühle steht mit der Sinnlosigkeit menschlicher Gemeinschaft in dieser Kultur wirklich in Frage - und damit ihre Basis. Was sitlich ist, muss auch gewollt werden. Der ästhetische Wille bildet sich wie von selbst aus den Widersprüchen der Selbstwahrnehmungen, die sich nur in Selbstverleugnung sittlich gestalten können. Eine rein aufklärerische Sittlichkeit gibt es nicht wirklich und schon gar nicht in der Masse. So bildet sich der ästhetische Wille auch nicht in der Körpermasse, sondern in deren Durchbrechung, in der Ohnmacht der Psyche, welche nach Seelengemeinschaft verlangt. Darin wird der Glaube, welche dem Selbstgefühl schon in der einfachen Wahrnehmung zugrunde liegt, zur gemeinen Notwendigkeit. Es ist der allgemeine Glaube an die Güte der selbständigen Gefühlswelt - nicht als theoretisches Verhalten, sondern praktisch als Sehnsucht nach einer Ganzheit des Lebens voller Sinn und Liebe. Diese Sehnsucht kann sich nur als eigenständige Ästhetik des Willens durchsetzen, und dies wiederum nur durch ästhetische Versinnlichung des Gemeingefühls. Darin erscheint die sittliche Masse sich selbst äußerst persönlich und verlangt nach einer persönlichen Gestaltung ihrer Sehnsucht und also nach einer Persönlichkeit, in welcher sie sich erkennen kann. Die Masse der Selbstgefühle werden darin zu einer Massenpsyche des allgemeinen sittlichen Selbstgefühls, werden selbst zu einer Persönlichkeit der Gesinnung..

Die Menschen sind aber nicht erst durch einen sittlichen Glauben zu sich selbst in ein mythologisches Verhältnis geraten. Es war schon mit der Selbstverwertung angelegt, welche die Psyche dazu getrieben hatte, ihre Verwirklichung in einer Selbstveredelung ui finden und zu empfinden. Ihr Edelmut wurde zum Mehrwert der Selbstwahrnehmung, der ihr Selbstgefühl mit übermächtigen Fähigkeiten ausgestattet hatte. Er aber hatte in der bürgerlichen Persönlichkeit für sich noch keine Wirklichkeit gefunden und kommt nun erst im Verhältnis und Verhalten selbstlos gewordener Menschen zur Anwendung, wird darin zur Botschaft von einer höheren Sinnlichkeit, die nun auch ihre sozialen Beziehungen neu bestimmt, sie für ein höheres Dasein verpflichtet, das alle ihre Unschönheiten, ihre Störungen und Reibereien, ihre Begierden, Verfehlungen und Verrücktheiten zusammenfasst und ins Jenseits befördert. Was zwischen den Menschen (siehe Zwischenmenschlichkeit) und in der Welt geschieht, wird nurmehr unter einer Bestimmung wahrgenommen, die von Unheil kündet und Heil verspricht. Alle Verhältnisse, so klar auch ihre verstandesmäßige Beziehungen sein mögen, sind - schon bevor sie überhaupt Gegenstand der Erkenntnis werden können - für die Menschen von einem Prinzip erfasst, das nur daraus besteht, ein seelisches Unheil zu meiden, das mit dem Unheil der Welt in dem Maße sich decken lässt, wie auch die weltlichen Konflikte mystisch werden, sich nicht mehr durchdringen lassen, immer wirrer für die einzelne Wahrnehmung werden. Es hatte sich schon in der Bildung des Religiösen im Menschen eine Ordnung zugetragen, welche durch eine höhere Sinnstiftung des Werdens und Vergehens der Natur begründet wurde. Nun geht es um die Sinnstiftung einer heilen Welt, die sich auch wirklich gegen alles Unheil stellen soll.

Die Vergöttlichung der Kultur hatte die Naturalisierung des Sittlichen zur Voraussetzung. Sie hatte die Selbstwahrnehmung zum reinen Geist eines übermenschlichen Wesens herausgesetzt, dem die Menschen niemals gerecht werden können. Die einzelnen Absichten der Menschen werden auf diese Weise dem allgemeinen Übermenschen gebeugt und zu einer Ausdrucksform ihrer Sinne isoliert. Damit sind diese als eigenständige Momente des unterordneten Menschseins naturalisiert und können als allgemeine Naturnotwendigkeit nackter Individualität erscheinen, die sich an der sittlichen Allgemeinheit der Kultur relativiert. Das Sinnliche war also auf Eigenschaften der Individuen reduziert, die als Eigenschaften für sich in der Natur ihre Wesenseigenschaft gefunden haben müssen, um ihren Fortbestand als Natur von Bedürfnissen und Begierden zu bewahren, deren gesellschaftliche Natur im Grunde gleichgültig ist, weil Gesellschaft nurmehr rein geistig aufgefasst und erlebt wird. Die Natur wird damit zum Antagonisten des Geistes und der Geist zu einem notwendigen Machtfaktor der Kultur, zum Inhalt der Selbstbestimmung des Menschen, der jetzt nur noch eins erstreben kann: Die Veredelung seiner Selbst.

Weil die sinnlichen Beziehungen nun ausschließlich naturgegeben erscheinen, werden die geistigen zu einem ausschließlichen Kulturphänomen der allgemeinen Selbstveredelung. Weil sie in ihrer Natürlichkeit nur unkultiviert gelten können, wird auch keine natürliche Kultur mehr in ihnen erkannt. Tatsächlich haben sie sich der Allgemeinheit einer kultivierten Natur vollständig enthoben und vergehen als Natureigenschaften schnell mit ihrer geistigen Befriedigung ins Übermenschliche. Ihre Kultur wird damit zu einer selbständigen Allgemeinheit, zu einem Sein jenseits aller Natur, das sich über deren profanes Dasein in der Kultur enthebt. Damit hatte die Kultur selbst nun die Bestimmung erworben, die zunächst nur religiös war. Im Gottesglauben und im Vollzug des reinen Gotteskultes liesen sich zwar sittliche Regeln vollziehen und vermenschlichen, aber der Mensch kann als göttliches Wesen nur Kultur haben, wenn er sich selbst zum Heiligen wird und von daher auch seine soziale Welt, und das schließt seine natürliche Erscheinung mit ein, auch wirklich zu kultivieren versteht. Seine materielle und soziale Wirklichkeit steht hiergegen aber bislang ab. Sie hat noch ihre rein sündige Gestalt, die sich im Bildungsbürgertum zu erlösen sucht.

Das ganze kulturelle Verhältnis erscheint daher zunächst noch als Kränkung, als ein Verhältnis, worin sich kein Mensch erkennen kann, weil er sich darin nicht so will, wie er wirklich ist. Was als solche Kultur objektiv geworden war, war übermenschlich und kann subjektiv nicht gewollt sein. Das allgemeine Subjekt wird daher aus der Abkehr von einer objektiven Boshaftigkeit begründet: Die Heile Welt bekommt Subjektform gegen das Unheil der Welt, indem sich die Menschen an einem Heil bilden, das zunächst nur darin besteht, Unheil abzuwenden und auszuschließen.

Es geht darin nicht mehr nur um eine Bergung des vor dieser boshaften Welt bewahrten oder zu bewahrenden Lebens, sondern um einen subjektiven Geist, der sich als Macht gegen die Bosheit zu entwicklen sucht, - als ein Wille, der sich zunächst als Naturrecht gegen das Böse herauskehrt, ein Naturrecht der Moral, das ein Überleben nicht nur verspricht, sondern selbst dessen Lebensform annimmt. Und das geschieht daher nicht einfach nur in der Vorstellung, sondern zwischen den Menschen selbst. Die übermenschliche Bestimmung ihrer Kultur wird nun zum Hinterhalt ihrer Sittlichkeit.

Sie erfahren sich in der Wirklichkeit ihrer Überlebenskämpfe nämlich vor allem als Gegner und verschleißen ihre Beziehungen in unendlichen Konflikten zwischen Pflicht und Vergnügen. Und die sozialen Konflikte, die sich hierbei verdeutlichen, bilden den Stoff dieses natürlich scheinenden Rechts, das nun als Naturrecht auftritt, sich gegen Untergang und Vernichtung, sich gegen Unheil zu verhalten: Ein Recht im Sinne des Heils der Menschen. Die Wirklichkeit dieser Konflikte spielt dabei keine Rolle mehr; sie werden schlicht durch das Recht auf eine heile Welt ausgeschlossen, negiert und als Heilsprinzip gegen ihren Grund gerichtet. Gegen die soziale Wirklichkeit wird eine Esoterik des Guten gerichtet und diese zum Träger einer allgemeinen Sebstbezogenheit des guten Menschen, zu einer Kulturmacht der Güte.

Wiewohl sich diese aus der bloßen Subjektivität des Leidens an der Welt begründet, wird sie dadurch objektiv, dass sie die Verhältnisse der Menschen bestimmt. In ihnen selbst herrscht Isolation. Diese war schon die Grundlage der Religion, um im vereinzelten Menschen Gefühlszusammenhänge zu idealisieren. Nun geht es um die Ästhetik dieser Idealisierung: die Ikonisierung des Ideals. Sie bildet sich im Medium der Idealisierung selbst durch eine Verdopplung der Gefühle jenseits ihrer Empfindungen. Indem idealisierte Wesenheiten zur einfachen Betimmtheit zwischenmenschlichen Beziehungen werden, wird die Wahrnehmung selbst wesentlich durch äußerliche Eindrücke beherrscht - nicht mehr nur gereizt, sondern zur Befriedung innerer Regsamkeiten bezwungen. Die ästhetische Maske wird das beherrschende Bild der Persönlichkeiten, die sich prominent machen, indem sie dem Alltäglichen den Sinn einer höhreren Individualität, eines Massenindividuums verleihen. Jedes wirkliche Gefühl gerät hierbei in die absurde Beziehung einer übermenschlichen Güte, die es nun auch wirklich bestimmt

Diese Bestimmung ist zunächst eine esoterische Selbstigkeit, eine bloß ästhetische Konfiguration einer allgemeinmenschlichen Güte, die in der sozialen Welt dazwischentritt, wo sich Böses auftut. Es ist im Grunde ganz einfach: Das Böse erscheint selbst unbestimmt, z.B. als Verwahrlosung, Seuche, Sucht und dergleichen und wird durch eine einzige allgemeine Bestimmung bekämpft: durch ein Gesetz, das sein Auftreten verbietet, Diese Gesetz selbst erscheint wie jedes Gesetz allgemein nötig, richtet sich aber nicht gegen das wirklich Einzelne, das sich an einer allgemeinen Wirklichkeit vergeht, nicht gegen ein Verbrechen, das mit dem allgemein nötigen Verkehr bricht. Es richtet sich gegen die Möglichkeit, ein solches Verbrechen überhaupt möglich sein zu lassen - es richtet sich gegen den Kern des Bösen, das aus Prinzip verfolgt werden soll und deshalb auch als Prinzip vernichtet werden muss.

Die prinzipielle Bekämpfung von sozialer Verwahrlosung jenseits ihrer Ursachen findet sich z.B. in der Theorie der Broken Windows, die in den USA besonders von dem einstigen New-Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani und seinem Polizeichef William Bratton vertreten wurde und die derzeitig in Deutschland auch von Innenminister Schäuble propagiert wird. Auf der Grundlage dieser These wurde das New Yorker Polizeimodell „Zero Tolerance“ entwickelt. Es sieht unter anderem vor, aus Gründen der Kriminalprävention frühzeitig und rigoros auch gegen Bagatellkriminalität und kleinste Ordnungsverstöße vorzugehen. Es handelt sich hierbei um eine Machtdemonstration gegen die Kräfte der Verwahrlosung, die erst mal einfach plausibel daherkommt. Es ist im Grunde eine Erstickungstheorie, wonach das Übel dort schon im Keim erstickt werden soll, wo es erscheint, seine Erscheinung also frühzeitig beseitigt werden muss, damit Übles nicht durchbrechen, sich nicht ausbreiten kann. Dies wird mit einer rein ästhetischen Begründung unterlegt: Wo ein oder zwei Fenster zu Bruch gehen, sollen sie unmittelbar und binnen Stunden ausgewechselt werden, damt die wahrnehmbare Zerstörung nicht zu weiterer Zerstörung anstiftet. Denn sind erst mal einige Fenster zu Bruch gegangen - so die Theorie - dann breitet sich Nachlässigkeit gegen die Zerstörung von Fensterscheiben aus; Verwahrlosung greift um sich. Gemeint ist damit natürlich nur das Prinzip von Erstickung der Ausbreitung durch Gegenmaßnahmen. Und dies soll vor allem die Bekämpfung sozialen Konflikten totalisieren. Durch krasse Bestrafung kleinerer Vergehen soll eine allgemeine Angst vor Betrafung überhaupt die Kriminalität überhaupt bekämpft werden. So werden z.B. Schwarzfahrer in der New-Yorker U-Bahn in Handschellen abgeführt und eingesperrt, weil dies eine drastische Wahrnehmung von Staatsgewalt vermittelt und allgemein beeindrucken soll. Es ist das billigste Mittel, um Angst vor Delikten und Abweichungen zu erzeugen. In Deutschland zeigt sich eine ähnliche Tendenz in der neueren Gesetzgebung, z.B. im bayerischen Versammlungsrecht und auch in den Durchführungsbestimmungen der Belauschung privater Daten.

Die Naturalisierung des Sittlichen hat die Selbstwahrnehmung verkörperlicht und ihre Absichten ihres Sinns enthoben. Dies hat eine Selbständigkeit des Seelischen zur Folge, welches allerdings zunächst nur Sehnsucht ist. Je massiver und massiger die Sitte wird, desto seelenloser wird sie: Unschön. Die Not der Sittlichkeit ist ihre seelische Unwirklichkeit in der Masse, die dies als Unmöglichkeit einer beseelten Ethik erlebt. Sie ist damit unästhetisch, ohne irgendeine Form der Menschlichkeit, ohne Liebe. Die Güte menschlicher Gefühle steht mit der Sinnlosigkeit menschlicher Gemeinschaft in dieser Kultur wirklich in Frage - und damit ihre Basis. Was sitlich ist, muss auch gewollt werden. Der ästhetische Wille bildet sich wie von selbst aus den Widersprüchen der Selbstwahrnehmungen, die sich nur in Selbstverleugnung sittlich gestalten können. Eine rein aufklärerische Sittlichkeit gibt es nicht wirklich und schon gar nicht in der Masse.

So bildet sich der ästhetische Wille auch nicht in der Körpermasse, sondern in deren Durchbrechung, in der Ohnmacht der Psyche, welche nach Seelengemeinschaft verlangt. Darin wird der Glaube, welche dem Selbstgefühl schon in der einfachen Wahrnehmung zugrunde liegt, zur gemeinen Notwendigkeit. Es ist der allgemeine Glaube an die Güte der selbständigen Gefühlswelt - nicht als theoretisches Verhalten, sondern praktisch als Sehnsucht nach einer Ganzheit des Lebens voller Sinn und Liebe. Diese Sehnsucht kann sich nur als eigenständige Ästhetik des Willens durchsetzen, und dies wiederum nur durch ästhetische Versinnlichung des Gemeingefühls.

Darin erscheint die sittliche Masse sich selbst äußerst persönlich und verlangt nach einer persönlichen Gestaltung ihrer Sehnsucht und also nach einer Persönlichkeit, in welcher sie sich erkennen kann. Die Masse der Selbstgefühle werden darin zu einer Massenpsyche des allgemeinen sittlichen Selbstgefühls, werden selbst zu einer Persönlichkeit der Gesinnung.

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Weiter mit Buch III: 321. Der Wille der Kultur