Verwahrlosung
"In dem Maße, wie die Arbeit sich gesellschaftlich entwickelt und dadurch Quelle von Reichtum und Kultur wird, entwickeln sich Armut und Verwahrlosung auf seiten des Arbeiters, Reichtum und Kultur auf Seiten des Nichtarbeiters." (MEW 19, Seite 16)
Verwahrung ist das abgesichererte Bewahren, das es nicht verkommmt. Sie betreibt eine fürsorgliche Handhabung, - nämlich etwas so sichern, wie es ohne femden Machteinfluss ist. Verwahrlosung ist eine Entsicherung des Bewahrten, der Verlust seiner Wahrheit, ein Zustand, in welchem sich die Gewissheit, die Gewähr der Erkenntnis und Selbsterkenntnis, aufhebt. Ohne diese gibt es keine unmittelbare Wahrheit, so dass sich darin kein Mensch mehr gewahr wird, keine Gewähr für sich hat und sich selbst nicht bewahren kann: absolute Identitätslosigkeit. Verwahrlosung ist Entgegenwärtigung, ein objektiver Prozess der Selbstauflösung, so lebendig er auch erscheinen mag. Es ist der lebende Untergang menschlichen Seins, der Tod mitten im Leben ohne zu sterben, lebender Tod. Aus der Verwahrlosung heraus ist Bewusstsein nicht mehr möglich, weil dieses immer ein bestimmtes Sein voraussetzt. Man kann nichts wissen, wo keine Gewissheit möglich ist, und sei es auch nur die Allgemeinste.
Aus der Verwahrlosung heraus gibt es die Möglichkeit passiver Wahrnehmung, die fremde Wahrheit hat und die zu eigener Wahrheit werden kann, indem sie sich als Fürsorge in objektiver Verantwortung mittelt. Durch die hierbei vergegenwärtigte Gesellschaftlichkeit wird der Verwahrlosung begegnet, Sinn von Menschen und Gesellschaft übermittelt und die Chance eigener Gewissheit wahr.
Umgekehrt bestimmt sich Verwahrlosung fort, wenn sie sich fremde Identität einverleibt, wenn sie also die Selbstauflösung aus eigener Gier betreibt und durch Zerstörung anderer vorantreibt (vergl. hierzu die Theorie der "Broken Windows"), sich sozusagen ihre eigene Lebenswelt verschafft, indem sie fremde Welten nichtet (siehe Vernichtungslogik).