Wolfram Pfreundschuh (9.3.2012)

Diskussionen rund ums Geld

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In der öffentlichen Diskussion steht derzeit vieles infrage, vor allem auch das Banken- und Kreditsystem, die Kapitalwirtschaft und auch die Marktwirtschaft, Ich will daher diese Diskussion aufgreifen und auch von kulturkritischer Seite bedenken. Deshalb beginne ich eine neue Reihe unter dem Thema "Diskussionen rund ums Geld" und beginne heute mit einer Diskussion der sogenannten Grenznutzentheorie und dem Geldwert, auf den sie sich beruft.

Deutschland geht es so gut wie lange nicht mehr. Sagt man in den Medien. Und nach den Bilanzen des BIP, des Arbeitsmarkts und der Konsumanreizung stimmt das wohl auch für den Moment. Die Exportwirtschaft brummt, der Mittelstand hat wie immer auch nachgezogen und die Banken, sogar die Sozialkassen machen hierzulande bis auf wenige Ausnahmen satte Gewinne. Das sei den Rettungsschirmen zu verdanken. Auch das mag großenteils stimmen, vermitteln sie doch durch hohe Kreditversprechungen auch einen mächtigen Rückhalt durch die Steuerzahler. Würden die Geldbesitzer nicht daran glauben können, dass alles zu ihrer Geldvermehrung weiterhin taugt, so wäre längst alles zusammengebrochen, Geld wäre schlagartig abgezogen und die Folgen wären für Deutschland zumindest ähnlich wie in Griechenland, an das niemand mehr so recht glauben will. In Glaubensangelegenheiten hat sich die "Rettung des Euro" jedenfalls gelohnt und ist zum Modell einer unendlichen Rettungsbereitschaft geworden, die ihren Tribut durch Sparpakete kassiert. Man wird damit weitermachen, weil es so was wie ein Geschäftsmodell ist, ein Kapitalgeschäft der "führenden EU-Nation" mit den anderen weniger führenden, stattdessen zur Fügsamkeit verpflichteten Nationen. Deutschland verhält sich dabei wie eine Bank. Kein Wunder, dass es auch regiert wie eine Bank und zum großen Teil auch schon von den Banken regiert wird. Zumindest von deren Berater und Gutachter.

Die Finanzkrise hat wie jede Krise eben auch ihre Kehrseite: Wer jetzt eine billige Währung haben kann, macht hohe Transferprofite auf dem Finanzmarkt. Und wer keine Kraft hierfür hat, geht zunehmend unter. Auch hier treibt sich fort, was den Kapitalismus ausmacht: Wer Geld besitzt, wird immer reicher, weil er sich immer mehr Produkte durch die Marktwirtschaft aneignen kann, die durch Geld bezahlt werden, dessen Herkunft und Entstehung völlig gleichgültig ist, solange man dafür Geld übrig hat. Und wer kein Geld übrig hat, muss für andere arbeiten bis zu Erschöftung, um wenigstans soviel zu erlangen, dass es zum Leben reicht. Es bleibt im Großen, wie es auch im Kleinen ist: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer.

Als großes Exportland mitten in Europa und großer Handelsplatz der Finanzmärkte steht Deutschland jetzt gut da. Je größer die Krise, desto mehr gilt die Bundesrepublik als der sichere Hafen in Europa. Deutschland bekommt Geld auf dem Weltmarkt fast umsonst. Der Zinsgewinn in den letzten zwei Jahren beträgt alleine schon aus der Verschuldung Griechenlands laut Berechnungen der Bremer Landesbank mindestens 45 Milliarden Euro. Wie Monitor am 1. März berichtete, hat Deutschand von Griechenland hohe Kapitaleinnahmen zu verzeichen, denen nur reale 15 Milliarden Euro an Auszahlungen gegenüberstehen, während Frankreich hohe Risiken zu tragen hat und durch die Kehrseite der Griechenlandkrise bedroht ist.

Wie ist es möglich, aus Griechenland soviel Geld abzuziehen, wo dort doch kaum eine funktionierende Industrie auszumachen ist? Ganz einfach durch ein Sparpaket, das als Wirtschaftsprogramm läuft und dem Land alles entzieht und verwertet, was ihm zu nehmen ist, also vor allem aus den Löhnen und Vorsorgungen - und aus den Gütern des Landes, z.B. den Häfen, den Inseln usw. Die Verschuldungsspirale bei Wertverfall ist unendlich, und so kann das noch lange weitergehen, im Prinzip so lang, bis die letzte griechische Insel verkauft und der letzte Ouzo geleert ist. Während in Griechenland ein gnadenloses Sparprogramm durchgezogen wird, boomt mit dem „weichen“ Euro der deutsche Export. Das Exportplus aus der Krise hat das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung mit rund 50 Milliarden Euro berechnet. Damit wachsen Steuereinnahmen und Arbeitsplätze, während sie andernorts zerfallen. Die Marktgesetze sind gnadenlos, besonders die der Finanzmärkte. Hat man kein Geld und keinen Besitz mehr, so kann man sich nur durch Arbeit retten und muss Wert zu Preisen beibringen, wie sie von denen bestimmt sind, die Geld haben.

Das war noch zu Zeiten der bürgerlichen Gesellschaft etwas anders, als der Kapitalismus noch wesentlich auf den Waren- und Arbeitsmärkten stattfand und Finanzkapital aus dem Warenhandelskapital gezogen wurde. Aber es zeigt sich auch, dass dessen Logik sich in aller Stringenz dahin fortentwickelt, wie es bereits von einem scharfsinnigen Denker längst beschrieben ist. Die Marx'sche Werttheorie erweist sich immer mehr als das tiefere Wissen, das wir heute über Geld und Kapital haben können. Und sein Hinweis, dass das kapitalistische System zur Barbarei treibt, wenn es nicht von einem zum menschlichen Lebensverhältnis gewendeten Gesellschaft abgelöst wird, steht uns längst vor Augen.

Während es der Marktwirtschaft in Deutschland momentan gut geht, geht es aber auch hier den meisten Menschen nicht wirklich besser sondern eher schlecht. Ihre Lebensarbeitszeit wird länger, ihre Vorsorge geringer, ihre sozialen Beziehungen flüchtiger, ihre Städte und Gemeinden ärmer, ihr Lebensstandard und ihre Gesundheit schlechter. Was die Wirtschaftslehren in den Universitäten sich aus der Marktwirtschaft versprechen, wird von deren Wirklichkeit schon seit vielen Jahren täglich widerlegt. Es zeigt sich, dass das Funktionieren der Märkte nicht viel über die Lebens- und Einkommensverhältnisse der Menschen aussagt. In ihrer Statistik kann vieles gut erscheinen, sofern es nur allgemein beschrieben und wissenschaftlich afgeklärt wird. Doch die gegenwärtige Geschichte zeigt zugleich eine Wirtschaftsmacht, die äußerst hinterhältig auftreten kann: Die Macht der Finanzspekulation, die mit Geld nichts andeeres machen will als Geld und die deshalb weniger mit Gebrauchsgüter als mit Geldanlagen aller Art, mit Terminen, Versicherungen, Renten usw. hantiert. Die Volkswirtschaft versagt in allen bekannten Erklärungsmustern, weil sie seit über 30 Jahren wieder daraus gesetzt hatte, dass Geld und die Spekulation mit Geld zum allgemeinen Wohlstand der Marktwirtschaft führt. Nun steht ihr ganzes System, ihr Denkgebäude und ihre Prognosen und ihre realen Wertverhältnisse wieder mal vor dem Kollaps, der doch gerade mit ihr zu verhindern sein sollte.

Die gegenwärtige Krise des Finanzsystems ist daher nicht nur eine Krise der Marktwirtschaft und nicht nur eine Krise des Kapitalismus und nicht nur eine Krise der kulturellen Beziehungen. Sie ist auch eine Krise der Theorien zur politischen Ökonomie. In ihrer Beratungsfunktion für die politische Klasse offenbart sich eine Unfähigkeit, noch irgendeine adäquate Handlungsmöglichkeit zur Blockade eines international feudalisierenden (=verschuldenden) Kapitals aufzuzeigen. Das bringt die Nationalstaaten ins Trudeln und "Staatsbankrotte" - was bisher undenkbar war - stehen auf der Tagesordnung. Die Appelle an die Regierungen, per Gesetz oder Verweigerung sich der Macht des Kapitals entgegen zu wirken, die "Gier des Finanzkapitals" zu stoppen und den Markt durch neue Regelungen wieder zu disziplinieren werden durch abergläubisches Verhalten beantwortet, um noch Regierungsfähigkeit vorzugaukeln.

Aber die Entwicklung zeigt, dass hier tieferliegende Kräfte am Wirken sind, die weder durch Sparpakete noch Rettungsschirme aufzuhalten sind, die immer noch der alte Devise der Volkswirtschaftslehre folgen, dass durch Geldzufuhr und Straffung jede Krise zu beheben sei.Geld ist der Springpunkt der kapitalistischen Produktionsweise. Und das Thema zeigt sich nun auch wieder als Springpunkt in der Kritik der politischen Ökonomie, nachdem die neokonservativen Ökonomen das Scheitern ihrer Grenznutzentheorie eingestehen mussten.Auch ist vielen Menschen deutlich geworden, dass ihre Vorstellungen von Geld als pures Zahlungsmittel schon durch den Umgang mit Staatsverschuldungen und Rettungspaketen widerlegt sind. Der Glaube, dass nur die Geldmenge erhöht werden müsse, dass Geld auf den Markt geworfen werden müsse, um die “Wirtschaft anzukurbeln“, muss der Einsicht in eine bange Realität und Zukunft weichen.

Ich will dieses Problem der Geldtheorien in mehreren Teilen auseinandersetzen:

Teil I: Über die Grenzen der Nützlichkeit hinaus

Teil II: Das große Geld und die Gewalt seiner Fiktionen

Teil III: Der Zauber der "freien Marktwirtschaft"

Teil IV: Wie bedingungslos kann ein Grundeinkommen sein?

Teil V: Wie “demokratisch“ kann eine Bank sein?

Teil VI: Wie "gemein" kann das Wohl der Ökonomie sein?

Teil VII: Das Preisdiktat des Finanzkapitals

Teil VIII: Die Subversion der Geldverhältnisse

Teil IX: Die Aneignung der entwendeten Zeit