Wolfram Pfreundschuh (11.05.2012)

Diskussionen rund ums Geld

>> Einführung  | Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 | Teil 5  | Teil 6 | Teil 7 | Teil 8  | Teil 9 | 

Teil III: Der Zauber der "freien Marktwirtschaft"

Was wir derzeit über Griechenland erfahren, hätte wohl niemand mehr für möglich gehalten. Dass heute noch ein Land in einen derart desaströsen ökonomischen, sozialen und politischen Niedergang geraten könnte, war nach den Vorstellungen, wie sie in den Medien von Journalisten, Ökonomen, Soziologen und Politiker noch bis vor kurzem dargestellt wurden, undenkbar. Doch das Undenkbare gab es in der Geschichte der Marktwirtschaft immer wieder. Und weil es so unerwartet plötzlich auftrat, kam es auch immer wieder zu einem Erschrecken, das für manchmal folgenschwere Verwirrungen des Bewusstseins bestimmend wurde. Was man auf die Schnelle nicht begreifen kann, das soll dann auch möglichst schnell durch eine simple Erklärung abgetan werden, der auch entsprechend simple Positionen und Handlungen folgen. Dazu braucht man vor allem erst mal einen Schuldigen, einen, der Fehler im System begannen hat, einen Politiker, eine Partei oder einem Fremden, denn es erscheint alles so fremd, dass dieser doch auch die einfachste Begründung sein muss, dass es eben das Eigene, das man täglich kennt, nicht sein kann. So ist es auch kein Fehler im eigenen System, sondern veredelt diese gerade zu noch dadurch, dass das Böse am Pranger steht, als etwas, das nicht von eigener Art ist, und also sich als Unart wie von selbst erklärt. Doch es ist das eigene System, das sich immer wieder selbst inadäquat wird, das irgendwann immer wieder kein adäquates politisches oder ökonomisches Handeln zulässt, weil es die ökonomischen Substanzen verbraucht hat und politisch unglaubwürdig geworden ist. Was immer dann auch getan wird, es hat immer dasselbe Resultat, die Spirale nach unten, der Würgegriff einer Nichtung, die nur fortschreitet, je mehr man gegen sie anrennt, der Würgegriff des Kreditsystems, das den zum Sparen zwingen soll, dem nichts erspart wird, weil er nichts zum Sparen hat.

Jetzt sehen wir die Konsequenzen, die man auch in Deutschland sehr gut kennen sollte: Ein Land erstickt an den Folgen einer Kontinentalwirtschaft, die sich als hilfreich angeboten hat, weil sie Geld ausgeben wollte, und sich auch immer noch anbietet, weil sie das Geld zurück haben will Es ist doch eigentlich ganz einfach so, wie es in der Betriebswirtschaft täglich vorkommt: Griechenland kann die Zinsen für die Kredite nicht mehr bezahlen, die es aufnehmen musste, weil seine Märkte nach einer zu langen Phase der schlechten Konjunktur nicht mehr erholen konnten. So geht das eben in der Marktwirtschaft, wo aller Handel auf dem Risiko beruht, das Gedeih und Verderben bestimmt und immer Gewinner und Verlierer haben muss. Auf den Verdrängungsmärkten, und das sind heute fast alle, ist der Wohlstand eines Neueinsteigers immer mit dem Niedergang eines anderen Markteilnehmers verbunden. Die Konkurrenz fordert ihren Tribut. Das Auf und ab der Konjunktur zeigt nur an, in welchem Ausmaß sich alles noch im Gleichgewicht befindet, wie viele Angebote des einen durch wie viele Käufe des anderen ausgeglichen werden können. Und das ist nicht so ganz zufällig. Nach den Phasen einer guten Konjunktur kommen die Phasen der schlechten in immer kürzeren Abständen, nämlich dann, wenn der Markt sich seiner Sättigung nähert. Am Ende steht dann der existenzielle Zusammenbruch der Schwächsten, manchmal auch ganzer Märkte. Und wächst dann ihre Verschuldung um einen bestimmten Anteil am Produktumsatz, dann werden die Kreditgeber ganz dünnhäutig und nervös. Die Banken und Aktionäre verlangen immer dringlicher ihr Geld zurück, dessen Zerstörung sie in kürzester Zeit befürchten müssen. Und dann stellen sie Bedingungen, die oft nicht mehr zu halten sind. Sie entscheiden über Anfang und Ende der meisten Marktteilnehmer.

Im Handelsrecht ist das Ende als Insolvenzrecht geregelt. Der Gläubiger muss dann zurückstecken. Doch der Gläubiger ist in diesem Fall kein Privatmann, sondern eine politische Macht, die von Machtverlust bedroht ist, wenn sie den Schuldner nicht in seiner Ohnmacht verstetigt. Er darf ihn nicht auskommen lassen. Das ist der Brennpunkt des Problems: Die politische Macht des Kapitals steht insgesamt auf dem Spiel und die Politik kämpft um jeden Euro, nicht weil sie nicht drauf verzichten könnte, sondern weil sie infrage steht, wenn sie das Kreditsystem nicht mehr durchsetzen kann, weil in kürzester Zeit das Lauffeuer der politischen Insolvenz die Runde machen würde und alle Märkte niedergehen könnten, wenn niemand mehr mit dem großen Geld spekulieren will. So hat das ja auch der Finanzminister Schäuble selbst ausgesprochen.

Die Marktwirtschaft hat eben auch ihre politischen Grundlagen, die vor allem aus dem Glauben an eine Geldschöpfung ohne Ende beruhen. Ist der Glaube in Gefahr, dann geht es der Politik wie der katholischen Kirche, wenn die frommen und keuschen Glaubensmänner sich als nicht mehr so fromm und keusch erweisen. Ohne diese Glaubensfrage wäre die ganze Geschichte ja auch nur ein ganz normaler Vorgang in der Marktwirtschaft, wie der Bankrott eines Betriebs, der gehen muss wie er gekommen war, nur um einiges ärmer und armseliger. Auf den Markt war er gelangt, weil er eine Marktlücke fand oder schlicht notwendig war. Bankrott geht er, wenn seine Marktposition überfüllt oder nicht mehr nötig ist. Wenn er kaputt geht, spricht man dann von produktiver Zerstörung, kauft sein Inventar zu Schleuderpreisen ab und freut sich am Niedergang eines Marktteilnehmers, eines Konkurrenten, und am Gewinn, den man unter diesen Bedingungen machen kann.

Bei einem Land geht es allerdings nicht nur ein Inventar und nicht nur um einen Marktplatz und es sind auch nicht nur mehr oder weniger viele Einzelexistenzen betroffen. Es geht dann um eine ganze Gesellschaft, um einen gesamten Wirtschaftskreislauf, dessen Grundsubstanz vernichtet ist. Es ist der Zerfall eines ganzen Zusammenwirkens von Menschen, die in eine extreme Notlage gekommen sind. Es ist ihr ganzer Lebenszusammenhang. Niemand kann sie mehr auffangen; die Grundlagen ihres Lebens sind ihnen genommen, jeder Neuanfang zerstört sich schon daran, dass er keine gesellschaftliche Wirkung mehr haben kann, die Märkte nicht mehr funktionieren und die produktiven Substanzen unerreichbar geworden sind. Der Streit um die Lösung in einer unlösbar gewordenen Geschichte bringt dann auch den politischen und sozialen Zerfall. Die Verelendung der Menschen wächst rasant an und die Politik wird ebenso rasant immer handlungsunfähiger. Das Land wird unregierbar. Es ist der Zerfall einer Gesellschaft, in der Lebensretter und Heilsbringer gefragt sind und die dann pünktlich auch auf der politischen Bühne erscheinen.

Die Nazis von Griechenland heißen "Goldene Morgenröte" und erreichten in der neulichen Wahl schon 7% Stimmanteile aus der Bevölkerung. Sie waren auch die einzigen, die materiell und sozial vielen Menschen helfen konnten, Nahrungsmittel aus Parteigeldern für Werbemittel beibrachten und in der allgemeinen Ratlosigkeit Rat geben konnten, einen Rat, der allerdings auch ungeheuerliche Folgen haben kann: Rassismus, Menschenverachtung und Staatsterror.

Gewählt wurde allerdings auch eine Linke, welche die einzige substanzielle Lösung formulierte: Die Abweisung jedweder Sparpläne und Einflussnahmen, Wiederherstellung eines griechischen Inlandmarktes. Aber für den Mittelstand würde das dann wohl auch das Ende bedeuten. Deshalb wurden solche politischen Konsequenzen von der bürgerlichen Mitte abgeschmettert, weil ein solches Ansinnen natürlich alle Handelsbeziehungen für die nächste Zeit stornieren würde. Niemand weiß jetzt, was noch werden soll. Das Elend geht weiter - und daran wird am ehesten eine faschistische Rechte erstarken.

Griechenland ist überall

Der Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft macht deutlich, dass von den schwarzen Löchern der Märkte ein ungeheuerlicher Sog ausgeht, der die vorangegangenen Verhältnisse aufs Brutalste umkehrt, aus der Hochkonjunktur Niedergang macht, aus der umlaufenden Geldmenge einen Totalverlust an Geld gerade dort entstehen lässt, wo es am nötigsten wäre. Was die Menschen dabei vielleicht auch an Fehler machen und Begierden haben, ist verschwindend gegen die Gewalt eines Geldes, das aus jeder Not ein Optimum an Wert für sich gewinnt. Und das betreiben nicht erst die Finanzmärkte; es ist das Resultat einer langen Geschichte, in welcher eine Produktion, die nur auf die Verwertung ihres Geldwerts ausgerichtet ist, die auf Mehrwert ausgerichtet ist, diesen auf immer absurdere Weise realisieren muss, weil es der Selbsterhalt des Kapitals so erfordert und weil Kapital sonst seinen Wert verliert. Seine Gewalt mag durch Menschen übertragen werden, sie steckt jedoch selbst schon im Wert des Geldes, das nur gedeiht, wo es nicht als Zahlungsmittel, sondern als reines Kaufmittel eingesetzt wird; mal zum Kauf von Arbeitskräften, mal zum Kauf überschießender Produktmengen und mal zum Kauf von Dienstleitungen jedweder Art. Kapitalismus ist ein durch und durch zynisches Lebensverhältnis, das auf den Märkten entsteht und durch sie auch immer wieder zerfällt.

Während wir auf den Bildschirmen die Verhältnisse in Griechenland verfolgen, können wir die griechischen Verhältnisse in Deutschland vergessen. Aber auch hier sind sie in einigen Städten schon weiter vorangeschritten, als es öffentlich preisgegeben wird. Die Situation zum Beispiel im Ruhrgebiet ist nicht sehr viel anders. Auch hier hat ein Markt seine Hochkonjunktur hinter sich und durch Verschuldung ersetzt. Zwischen dem Auf und Ab der Marktwirtschaft steht immer der Kredit und wenn dieser nichts mehr ändern kann, weil und solange es keine gesellschaftliche Alternative gibt, werden die Zinsen zum Problem. s

Eine Spirale beginnt zu kreiseln. Irgendwann lässt sie sich nicht mehr auffangen. In Duisburg und Essen wird der Niedergang der kommunalen Entwicklung bereits von den Stadtregierungen konstatiert und zum Teil sogar von Tyssen und anderen Kapitalgiganten gestützt. Es waren ursprünglich nicht die Kredite der Banken; es war die substanzielle Entwicklung der Märkte, die an ihr Ende geraten sind, weil die Konkurrenz auf den Warenmärkten ihnen den Absatz verunmöglicht hatte.

Originaltöne Beispiel Duisburg, Essen.

Was hier zu verantworten wäre, wird anderswo zu einer absurden Verpflichtung. Die Haftung soll der Bürge übernehmen, der Staatsbürger, genauer gesagt: Der arbeitende Mensch. Und der ist auch das letzte und einzig wirklich antwortende Glied in der Wirtschaftskette der Marktwirtschaft. Man kann es drehen und wenden, wie man will, alles Geld ist ein Schuldschein auf seine Existenz, egal, ob er damit seine Lebensmittel oder seine Steuern bezahlt. Und er muss sehen, dass er den ganzen Kreis am Laufen hält, sowohl als der kleine Mensch, der etwas zum Leben haben muss, als auch als Weltbürger, als Geldbesitzer auf dem Weltmarkt. Die Produktion von Waren ist ihm vorausgesetzt und seine Arbeit allein befreit ihn aus der Schuld, die dieses gesellschaftliche Medium ihm von Geburt an schon auferlegt hat. Zum Geld wird er gedrängt und vom Geld wird er angezogen. Wie er es erwirbt, ist gleich. Nur dass er Geld erwirbt ist nötig.

Man kann sich seine Arbeit verschönen, Gesellschaften oder Genossenschaften gründen, Chancen wittern und eine Weile vielleicht gut damit leben. Aber jeder Teilnehmer auf dem Markt wird sich immer wie eine Ware verhalten müssen, wenn er um Geld feilscht, seinen Gebrauchswert anpreist und seine Spezialitäten auslegt. Er mag sich als Mensch unterscheiden, aber auf dem Markt steht er ganz im Dienst seiner Angebote. Der Markt, das ist zwangsläufig Konkurrenz, die nur durch Geld entschieden wird. Die Produkte müssen schon perfekt sein, bevor sie überhaupt auf dem Markt landen können. Sie müssen wohlfeil sein, bevor sie überhaupt ausgelegt werden können. Der Markt kennt nur geldwerte Vorteile und Nachteile. Und die Konkurrenzvorteile werden in stiller Logik immer dann irgendwann zu Nachteilen, wenn die Anbieter, die Spezialisten ihrer Produkte oder Arbeitskraft zu viele sind, sich gegenseitig unterbieten. Nicht sie entscheiden über ihren Preis, dem Maßstab von Gedeih und Verderb; der Markt macht das. Die Menschen drängen sich um seine Tabellen und Zuweisungen, um seine Anzeigen und Angebote. Und rein quantitative Maßstäbe besorgen die Zusagen oder Absagen an Menschen, die in keinem anderen gesellschaftlichen Lebenszusammenhang stehen als dem des Geldes. Ihre persönliche Ausstattung, ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse sind schon sortiert, bevor sie überhaupt auf dem Markt in Erscheinung treten. Sie können dies oder jenes werden, was ihre Klassenlage, der Zufall ihrer Geburt, ihr Interesse und der ihnen mögliche Eifer ihnen zuweist, soweit sich das auf dem Markt unterbringen lässt. Und das allein ist die Gretchenfrage eines jeden sogenannten Lebensschicksals.

Solange die Marktwirtschaft die herrschende Wirtschaftsform ist, solange also die Menschen nicht ihren Lebenszusammenhang, ihren Bedarf an Lebensmittel, Entwicklung und daraus folgend ihren Arbeitsaufwand und den ihnen möglichen Arbeitsablauf zur Grundlage ihrer Produktion und Politik haben, wird sich das nicht ändern. So wie sie auf den Markt geraten sind, so können sie auch von dort wieder verschwinden. Die wirtschaftliche Katastrophe findet Tag für Tag schon im Kleinen statt, für die einzelnen Arbeitsleute, die ihre Arbeitsstelle verlieren, die kleinen und großen Unternehmer, deren Produkte nicht mehr gefragt sind oder sogar ganze Länder, deren Geldwerte ins Abseits geraten sind. Die großen Katastrophen sind nur die Aufsummierungen dieser kleinen. Marktwirtschaft kann nur für eine Zeit lang mal gut gehen, insgesamt verschluckt sie eine ungeheuere Masse an Kraft und Substanz, die auf den Märkten der Welt einfach ungenutzt untergeht, weil für eine Welt produziert wird, die sich nur aussucht, was sie davon überhaupt brauchen kann. Und wo das Geld fehlt, dort verhungern dann die Menschen. Es die Funktionsweise einer produktiven Barbarei.

Umgekehrt lässt sich jedoch leicht zeigen, wie schnell eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe, wie schnell der noch so furchtbare Zusammenbruch einer Marktwirtschaft überwunden ist, wenn die Arbeit der Bevölkerung nicht auf den Zahlungsverkehr und Werterhalt des Geldes bezogen, sondern durch eine Produktion für die Bedürfnisse der Verbraucher und von einer ihr entsprechenden Politik entschieden wird. Das nennt man dann Wirtschaftswunder, weil man sich wundert, wie durch so wenig Geld doch soviel entstehen kann. Die Geschichte ist schon alt und hat sich schon oft so ereignet, wie in Deutschland, Griechenland, oder Spanien oder sonst wo. Schon im Jahr 1815 geriet zum Beispiel die britischen Kanalinsel Guernsey in eine „unerklärlichen“ Zahlungsnot, weil ihr Handel ins Stocken gekommen war. Die Zinszahlungen an Londoner Banken und die vom englischen Mutterland eingetriebenen Steuern brachten den Zahlungsverkehr zum Erliegen. Der einst florierenden Obst- und Gemüseanbau auf der klimatisch begünstigten Insel brach zusammen und die Inselverwaltung wurde in den Konkurs getrieben. Der Schuldendienst hatte 1815 ein Ausmaß erreicht, dass das gesamte Steueraufkommen der Inselbewohner nicht mehr ausreichte, um die Zinsforderungen der Londoner Banken zu bedienen. In dieser schier ausweglosen Situation ließ der Gouverneur der Insel das fehlende Geld einfach selber drucken, brachte es als Zweitwährung neben dem englischen Pfund in Umlauf und ließ damit alles bauen was die Insel benötigte, um sich aus dem Würgegriff der englischen Banken zu befreien: eine Markthalle, Straßen, Schulen und gleich mehrere Windmühlen. Damit brauchte die Insel nicht mehr das teure englische Mehl zu importieren und konnte sich vom Diktat der englischen Mülenbesitzer befreien. In nur 10 Jahren hatte sich das Leben auf der Insel wieder vollständig erholt.

Es könnte ein Vorbild für Griechenland sein. Doch es war nicht das Regionalgeld als Geldform, welche die Situation verbesserte. Es war die örtlich durchsichtig gewordene Beziehung von Arbeit und Bedarf. Das Regionalgeld ist deshalb kein gutes oder besseres Geld. Es ist lediglich ein sich selbst beschränkendes Geld, das in Krisenzeiten gegen das offizielle Geld konkurrieren kann. Seine Selbstbeschränkung wird allerdings zu einem Problem, wenn es allgemein als Geld genommen wird: Es erscheint nur dadurch frei von Begehrlichkeiten, dass es einen zusätzlichen Ausgleich einfordert, die Zahlung eines Negativzinses. Man nennt das dann Freigeld und bezahlt für die Benutzung des Geldes und kehrt den allgemeinen Schuldschein in eine Verschuldung des Individuums gegen die Allgemeinheit.

Die veräußerte Freiheit, das Freigeld und die Freiwirtschaft

Von Freigeldtheoretikern wird gerne die Geschichte vom "Wunder von Wörgl" erzählt: In der Tiroler Gemeinde Wörgl stieg die Arbeitslosenzahl 1932 infolge der Weltwirtschaftskrise auf über 1500. Das magere Stempelgeld gab es nur wenige Monate; danach mussten die Arbeitslosen auf Kosten der Gemeindekasse leben, in der wegen sinkender Steuereinnahmen auch bald Ebbe war. Ein wahrer Teufelskreislauf war im Gange, der nicht zu durchbrechen war: Ein Geschäft nach dem anderen musste dicht machen, weil die Leute kein Geld hatten, um einzukaufen; Betriebe mussten schließen und ihre Beschäftigten entlassen, weil der Handel keine Ware mehr bestellte. Und in die Gemeindekasse kam immer weniger Geld, weil immer mehr Leute auch keine Steuern und Abgaben mehr einbezahlten und sie deshalb auch nicht mehr für Zinsen und Sozialleistungen aufkommen konnte. Überraschend schnell kam die Wirtschaft des Ortes allerdings wieder durch ein selbst gedrucktes Regionalgeld in Fluss, weil damit die regionale Arbeitskraft wieder regionale Produkte einbringen konnte und die regionale Kaufkraft stabil blieb. Durch ein Negativzins wurde sicher gestellt, dass diese Währung nur als zeitlich begrenztes Rechengeld funktionierte und nicht gehortet werden und auch nicht aufgekauft werden konnte. Es war also kein Geld zur Bereicherung, sondern Schwundgeld, ein Geld das mit seiner Zirkulationszeit selbst immer teurer wurde, einen immer höheren Preis und immer weniger Wert darstellte. Gegen den Einfluss fremden Kapitals ist der Negativzins eine Art Umlaufsicherung, ein "Entmischer", weil er jedes Spekulationsinteresse in einem bestimmten Lebensraum verleitet und dessen Grund und Boden zum Gemeingut der Geldzirkulation aufwertet. De facto ist das eine andere Form der Mehrwertproduktion, denn es wird mit solchem Geld die Geldzirkuation einer Gemeinschaft verteuert und die Arbeit darin entwertet. Es funktioniert also nur durch die regionale Abschottung und unter bestimmten Bedingungen, unter denen die Menschen dann ihr Leben bewirtschaften müssen, weil sie sich dem Gemeingut unterordnen müssen, das ihnen ihr "Freiland" verspricht. Von daher hat dieses Land die Macht einer Selbstrettung durch Selbstversorung, ohne dass die Begüterung durch Arbeit darin zu sozialisieren ist.

Die Freiwirtschaft, wie sie von Silvio Gesell vorgestellt wurde, ist ein Wirtschaftsmodell aus dem frühen 20. Jahrhundert, das auf seiner Kritik an der Finanzwirtschaft und der Grundrente beruht. Er setzt auf einer Analyse von Proudhon auf, die besagt, dass der Geldbesitzer gegenüber dem Besitzer bzw. Anbieter von Waren einen entscheidenden Vorteil besitzen würde: Durch das Lagern von Waren, Produkten, Rohstoffe und Arbeitsmittel entstünden laufende Kosten, die für Geld aber ausfallen würden. Es sei eben klein und handlich oder nur in Bilanzen vorhanden. Dadurch würde der Geldbesitzer als nachfragender Wirtschaftsteilnehmer einen systemischen Vorteil gegenüber dem Warenangebot erhalten, was dazu führen würde, dass Geld teurer verpreist würde als es Wert habe, weil die Waren, die man damit erstehen kann, durch höheren Lageraufwand belastet seien und einen schwerfälligeren Umlauf hätten. Dies würde für den Geldbesitzer von vorneherein einen Wertvorteil erbringen, sodass er diesen als Zins beim Geldverleih auch kassieren könne. Diesen quasi natürlichen Mehrwert bezeichnete er als „Urzins“ (geschätzte Höhe: 3–5 %) und richtete danach seine ganze Theorie über die Verwertungsprogression, auf Zins und Zinseszins aus, die den ganzen Geldwucher begründen würde. Dessen Grundlage sei der finanzielle Aufwand für Grund und Boden, der als Raum für die Warenkonvergenz diene und die Geldverleiher zu den eigentlichen Herren der Gesellschaft machen würde. Stelle man Boden und Geld allen frei so wären demnach auch alle Verteilungsungerechtigkeiten der bürgerlichen Gesellschaft aufgelöst.

Eine befreite Wirtschaft, eine Freiwirtschaft, beruht demnach darauf, dass sie als eine frei fließende Marktwirtschaft ohne Schatz und Grund funktioniere, also ohne den Besitz von Geld bzw. Eigentum an Boden oder Handelsrechten. Soziale Gerechtigkeit würde durch die Überführung des Bodens in ein Gemeinschaftseigentum mit zugleich privater Nutzung gegen die Entrichtung von Nutzungsabgaben an die Gemeinschaft erreicht und könne durch den politisch bestimmten Preis dieser Nutzung als „Freiland“ gelten. So werde der Boden Grundlage einer neuen sozialen Gerechtigkeit, wie sie schon im 18. Jahrhundert von den Physiokraten eingefordert worden war. "Freiland" wäre ein Gemeingut, auf welchem mit „Freigeld“, also mit hart gerechnetem Arbeitsgeld die soziale Anteilnahme gesichert wäre. Durch dessen Umlaufsicherung, also durch Negativzins für die Geldbesitzer, wäre dieses zugleich in seiner Umlaufgeschwindigkeit verstärkt und könnte zu einer kontinuierlichen Arbeitspflicht antreiben. Nicht eine Revolution der Eigentumsverhältnisse, sondern allein eine Bodenreform und Geldreform seien für eine gerechte Gesellschaft erforderlich. Und die Arbeit der Individuen wäre der Maßstab des Erfolgs, der Gewinn an Gemeinschaftsvermögen. Es war im Grunde die Theorie von einer Volksgenossenschaft. Arbeit mache frei, ist die logische Ideologie hierzu.

Allerdings waren damit wesentliche Phänomene der bürgerlichen Gesellschaft lokalisiert und mit ihrer Krisenhaftigkeit verbunden: Der Privatbesitz von Geld und Boden. Doch die wurden ebenso phänomenal aufgehoben zu einem Gemeinschaftseigentum, welches als Allgemeinbesitz über jede Individualität hinweg einem abstrakten politische Subjekt dienen sollte, sodass von den Individuen für seinen Erhalt und seine Entwicklung Anteile von individueller Arbeit eingefordert wurde. Sie wurden somit nicht selbst als Teil dieser Allgemeinheit angesehen und es wurde also auch nicht individuelle Arbeit als Teil einer allgemeinen Arbeit verstanden, als Grundlage jeglicher Allgemeinheit, sondern als deren Objekt. Wir kennen dies aus den Verhältnissen im sogenannten Realsozialismus. Das Maß der allgemeinen Forderung an die Menschen hatte lediglich einen naturalen Schleier bekommen, eine zur Natur verkehrte Pflicht gegen eine Gesellschaft, die dem einzeln als seine naturhafte Lebensbedingung und damit nicht als Natur seines Lebens vorausgesetzt wird. Nicht gegen den Geldbesitzer sollten sie verpflichtet sein, sondern gegen die Kultur, dem Allgemeingut einer Gesellschaft.

Es war die Grundidee der Staatskultur des Nationalsozialismus. Und sie entsteht leicht, wo die Not zur allgemeinen Notwendigkeit entwickelt ist. Was in dieser Form inmitten einer weltweiten Finanzkrise von Silvio Gesell als ein Projekt gegen die Finanzwirtschaft, als eine hiergegen wirksame Initiative vorgestellt wurde, funktioniert in der Not tatsächlich, soweit sie als abstrakte Notwendigkeit auch allgemein erscheinen kann. Das Freigeld wie es z.B. auch die schweizer WIR-Währung als Parallelwelt gegen die Folgen einer Finanzkrise, als Rettung lokaler Verhältnisse gegen die Verhältnisse des Weltkapitals eingerichtet wurde, kann sich gegen deren Verwüstungen behaupten und als Erfolg der Freiwirtschaft herauskehren. Aber diese Freiwirtschaft ist allgemein gesehen nichts anderes, als eine Verdopplung der Ausbeutungsverhältnisse der Arbeit durch Selbstausbeutung. Die Wirtschaftskraft der Markteilnehmer, die hier so bewundert wird, gründet darauf, dass sie nicht nur für ihr Leben und dessen gesellschaftlicher Gestaltung arbeiten, sie bezahlen auch noch für die Benutzung sozialer Einrichtungen, die ja letztlich auch nur von ihnen geschaffen und betrieben werden. Was das Geld der Marktwirtschaft war, dieser Schuldschein, der eine gesellschaftliche Verpflichtung im Vorhinein alles gesellschaftlichen Lebens darstellt, wird hier zur unmittelbaren Arbeitspflicht.

Wenn sich ein solches Modell als allgemeiner Ansatz gegen die Macht der Eigentumsverhältnisse einer Industriegesellschaft anbietet und die Marktwirtschaft von ihren Krisen befreien, für Glück und Wohlstand besonders dienlich machen will, so dient die Theorie dieser so genannten Freiwirtschaft doch eher einem Gesellschaftsverständnis, das die Arbeit der Menschen doppelt belastet: einmal als Privatheit für die Gemeinschaft und zugleich als gesellschaftliche Arbeit für den Selbsterhalt. Sie bildet ein Gemeinwesen, worin alle durch ihre Arbeit gemeinschaftlich bestimmt sind, nicht in ihrer Individualität verhandeln, sondern darin dem Wert des Ganzen unterworfen sind. Arbeit wird von daher zum Subjekt einer unendlichen Verpflichtung eines Gemeinwesens, statt dass sie zur Befreiung des arbeitenden Menschen durch ihre zunehmende Produktivität, durch die zunehmende Befreiung des Menschen von der Arbeit führen könnte. Wenn die konkrete Vermittlung der einzelnen und allgemeinen Arbeit ausbleibt, bleibt sie als Naturalform, was sie als Geldform war, und ihre Geschichte wird in der sogenannten Freiwirtschaft als Macht einer Lokalpolitik, als Macht der Bürgergemeinschaft einer Gemeinwohlökonomie festgeschrieben, die sich durch den sozialen Charakter ihres Gemeinwesens moralisch über alle Arbeit erhaben stellt, weil sie dessen Gemeinwohl als ihren persönlichen Erfolg und Gewinn ansehen kann. Der Spießer wird darin Urständ feiern. Wir kennen das ja schon zur Genüge.

Das "Raffen und Schaffen" des Geldes

Wenn man über Staatsverschuldung, Marktwirtschaft und Geld nachdenkt, stößt man immer wieder auf jahrhunderte alte Vorstellungen und Beurteilung, was den Geldwert ausmachen soll und wozu Geld nötig und gut und wann es gerecht verteilt sei. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach der Macht, die durch Geldbesitz entsteht, weil sie als Ursache angesehen wird für eine Raffgier, die nicht nur eine Eigenschaft von Geldbesitzern sein mag, sondern selbst als Grund für die Bereicherung durch Geld verstanden wird. Durch ihre soziale und politische Macht seien seien die Geldbesitzer quasi als mächtige Persönlichkeiten in der Lage, die Preise für ihre Produkte frei zu bestimmen, und hieraus ihre Profite zu ziehen. Desgleichen seien die Zinsen bloße Willkür der Geldbesitzer, mit denen sie ihre Schuldner einfach nur abzocken. Gegen das "raffende Kapital" müsse ein schaffendes gestellt werden. Es ging demnach um eine Marktwirtschaft, in welcher Geld als "ehrliches Zahlungsmittel" fungieren könne und nicht von den Geiern des Finanzkapitals ausgesaugt werde. Die Abzocke sei das ausschließliche Interesse der Finanzwirtschaft. "Ehrliche Preise" entstünden dagegen auf dem freien Markt.

Die Verhältnisse auf den Börsenmärkten beliefern die Öffentlichkeit auch tatsächlich mit Bildern und Geschichten, die von Raffgier nur so strotzen. Doch wieweit diese eine persönliche Eigenschaft ist und wieweit ihr die Personen selbst auch zum Opfer fallen, das regeln ganz eigene Verhältnisse, die auch den Finanzkapitalisten vorgegeben sind. Deren Spekulationen haben sich tatsächlich weit von der Realwirtschaft, von der Investition in industrielles Kapital entfernt. Man setzt weit mehr auf Prognosen über Preisentwicklungen, als auf Produktivität. Und was an der Börse verwettet wird ist oft verheerend für die Menschen. Doch das geschieht so objektiv, dass es in Sekundenbruchteilen von Computersystemen bewerkstelligt wird. Und Computer sind nicht gierig, sie berechnen lediglich die Stringenz einer optimalen Ausbeute. Die Subjektivität der Raffgier fällt demnach aus. Ausbeutung geschieht objektiv - und findet in der Gestalt eines Arbeitslebens statt. Dessen Produkte befinden sich zwar auf den Warenmärkten ebenso wie auf den Finanzmärkten. Aber der Wert, der dort auch als Mehrwert im Warenverkauf und Geldhandel umgesetzt wird, war schon genommen, bevor er gehandelt werden kann. Während die Waren als Produkte gehandelt werden, deren Mehrwert realisiert werden soll, handeln die Finanzmärkte mit einem Mehrwert, der nur noch im Geldhandel umgesetzt werden kann. Sie beruhen also darauf, dass überschüssiges Geld da ist, das für Kredite und Aktien verwenden wird, weil es keine Anwendung gefunden hat. Es stellt sich in einer Art Warteschleife für Investitionen und Absatzverwertung dar, wartet auf eine geeignete Zukunft, für die sich das Warten auch lohnen soll, bevor die Geldwerte verfallen. Jeder Broker mag ungeheuer gierig sein; aber was hier herrscht ist das Wahrscheinlichkeitsprinzip, die Perspektive einer Intervention auf den Weltmärkten. Und diese Verwendung von Geld lässt sich nicht verbieten (4).

Mit der Theorie von einem wuchernden Kapital, von dem Betrug am guten Geld, hat sich eine Ideologie des aufrichtigen Besitzstands verfestigt, die Logik einer Vorstellung von dem Bürger, der selbst das Opfer des Wuchers sei. Er braucht ja für seine guten Vorhaben hin und wieder auch größere Summen von Geld und nimmt es bei einer Bank auf, weil er es irgendwann nach Erfolg seiner Aktion wieder ausgleichen kann. Das muss er der Bank belegen, bevor er von Ihr Geld bekommt. Und er steht damit natürlich als selbst Profit heischender Unternehmer in der Konkurrenz zu dem Banker, der einen Anteil des zu erwartenden Mehrwerts in Form von Zinsen haben will. Doch der übervorteilt ihn nicht und überdreht auch nicht seinen Geldwert. Er will nur seinen Anteil an der Ausbeute. Darin sind sich ja auch Kreditgeber und Kreditnehmer einig. Gestritten wird höchstens über die Zinshöhe gemessen an der Ertragshöhe der Kapitalanwendung. In der Ideologie vom raffenden Finanzkapital wird der Deal um die Aneignung von Mehrwert zu einem Gegensatz von bürgerlicher Produktion und bloßer Geldverwertung. Da steht dann der brave Mann, der zwar über die Länge des Arbeitstags und die Produktionsmittel und die Produktentwicklung verfügt, aber immer redlich abgerechnet und seine Steuern bezahlt hat, im Kontor einer Bank, die aus ihm rauspresst, was die Zinsen hergeben. Dort wird Geld im Schlaf verdient, wo er sich doch Tag für Tag um seinen Betrieb kümmern muss. Er wird hierdurch zum Leistungsträger. Nicht die Ausbeutung der Arbeit, sondern die Ausbeutung des Bürgers wird zum Gegenstand der Protestation. Zinsen seien derselbe Wucher wie Profit, so scheint es dann. Und tatsächlich haben sie ja auch mit der Profitrate zu tun. Auf der Ebene des Finanzkapitals stellen sie den Mehrwert dar, der durchschnittlich in einer bestimmten Zeit als Profit zu erwarten ist, den also zum großen Teil auch ein Unternehmer durch eigene Produktion erwerben kann, wenn er hierfür einen Kredit aufnimmt. Er muss nur glaubhaft verbürgt sein. Er zahlt einen bestimmten Preis für das Geld, das ihm Profit einbringt, und das der ihm verleiht, der selbst schon seinen Mehrwert kassiert hat und ansonsten damit nichts anfangen kann. Das eben macht Geld und seinen Umlauf selbständig. Aber seine Selbständigkeit beruht nach wie vor auf dem Mehrwert, den Mehrarbeit erbracht haben musste, bevor sich der Wert des Mehrprodukts verselbständigen konnte. Nicht der Zinszahlende, sondern der arbeitende Mensch wird dabei ausgebeutet. Sein Arbeitstag wird verfügt und seine Arbeitskraft wird verbraucht für eine Produktion, die immer mehr das abwirft, als was er zum Leben braucht. Aber mit der Spezifizierung des Zinses zum Wucher erscheint das Verwertungsstreben des Kapitals von seiner Produktionsstätte völlig abgelöst und wird nur mehr als bloße Geldgier wahrgenommen (5).

Das Wertwachstum erklärt sich nicht aus den schlechten Eigenschaften von handelnden Menschen. Es ist das Übel eines kapitalisierten Wirtschaftswachstum, einem Wachstum, das in dieser Form überholt ist, nur noch deformiert, Nichtigkeiten erzeugt und hierfür dem Leben die Substanzen entzieht, die es weiterbringen könnten. Doch es wäre falsch, die Mittel dieser Wirtschaft, die durch den Kapitalismus geschaffen wurden, zu bekämpfen. Wenn man mal von der Form absieht, in der dies geschah und geschieht, war der große Fortschritt in der Geschichte der Menschheit, die der Kapitalismus immerhin mit sich brachte, die Industrialisierung der Arbeit, ihre zunehmende Automatisierung und der Ersatz der reinen Arbeitskraft durch Roboter. Hinter diesen Fortschritt zurückzufallen würde bedeuten, aus der Gesellschaft im Stand von heute, in ihrer Dichte und Potenzialen und Altersverteilung, eine Gesellschaft der Zwangsarbeit zu machen. Industrie muss sein. Aber eine industrialisierte Arbeit kann nicht durch schlichte Regularien und Verbindlichkeiten eines Geldverhältnisses oder einer Freiwirtschaft verwaltet werden. Sie verlangt ein Gemeinwesen, in welches diese Industrie auch vollständig einbezogen ist, eine Demokratie, die sich aus den wirtschaftlichen Notwendigkeiten für alle einsichtig begründet und weder durch Geld so einfach wie beschränkt abzugelten ist, noch aus einer Verpflichtung für ein unbedingtes Gemeineigentum abgeleitet werden kann.


(1) Es könnte uns doch allen dabei klar werden, dass es sich um eine anachronistische Absurdität handelt, wenn trotz der fortschreitenden Technologie der Kommunikation und des Verkehrs die Menschen immer näher zusammenrücken könnten, sie aber immer weiter auseinandertreiben, in die Ecke einer isolierten Existenz gezwungen werde, wenn trotz fortschreitender Produktivität der Arbeit, der Arbeitsersparnis schlechthin, die Menschen immer länger arbeiten müssen, trotz geringerem Produktionsaufwand ihr Lebensunterhalt relativ teurer wird, trotz immer umfangreicherem Wissen die Ausbildung immer engförmiger wird und ein großer Teil der europäischen Jugend schon gar keine Chance mehr hat, einen Lebensweg in diese Gesellschaft zu finden und sie als die ihre begreifen zu können. Es ist ein leibhaftiger Alptraum. Irgendwie leben wir noch im Altertum zwischen Himmel und Hölle und sehen zu, wie wir das überdauern können. Zuschauen ist dann einfacher, wenn auch zynisch: Griechenland erscheint doch immerhin wie ein Event aus dem Jenseits.

(2) Der Antisemitismus hat in dieser Auffassung seine neuzeitlichen Wurzeln. Doch nicht nur gegen Juden geht diese Bezichtigung, sondern gegen den Kredit schlechthin. Er selbst erscheint als Wucher, wenn die Zinsen hierfür als Erpressung der Schuldner verstanden werden. Kredit solle von Staats wegen freigestellt werden, weil jeder was Gutes draus machen könne. Durch Zinsen wäre das Gute vom Wucher ausgebeutet. Finanzkapital wird von daher unmittelbar mit dem Wucherkapital gleichgesetzt. Und das hat für das Selbstbewusstsein des guten Bürgers auch einen großen Vorteil: Mit der Theorie vom schlechten Geld der Finanzwirtschaft erscheint das gute Geld dann auch in Anstand und Würden und die sogenannte freie Marktwirtschaft als die eigentlich gesunde Wirtschaft der bürgerlichen Gesellschaft. Sie ist ja auf diese Weise von der Kapitalwirtschaft auch fein säuberlich getrennt und man müsse nur das "gute Geld" gegen das Wucherkapital schützen um die Gesellschaft zum Guten bringen, zu einer guten Gesellschaft entwickeln, in der das Gemeinwohl unmittelbar der höchste Zweck der Ökonomie wäre.

(3) Die höhere Besteuerung des Geldbesitzes kann zwar eine Umverteilung bewirken, nicht aber die Bestimmungsmacht der Wertproduktion verändern. Ist der Produzent außer Landes, so hat der Konsument natürlich auch Gewinn. Mit dem Finanzkapital als solches hat das aber nichts zu tun. Es ist lediglich eine Art Lohnerhöhung für gesteigerten Konsum. Wie das sich dann auf die sonstige Preisbildung, z.B. auf die Mieten, überhaupt auswirkt, bleibt dahingestellt, wie es bei jeder Lohnerhöhung nie sicher sein kann, dass der Lebensstandard dennoch sinkt.

(4) Es ist die simple Logik des Kapitals, das immer auf Mehrwert besteht, ob nun in der Realisierung auf dem Warenmarkt oder der Anwendung auf dem Finanzmarkt. Und darin kann es nur logisch sein, weder raffend noch schaffend. Es ist ein schlichter Verwertungsautomat, wie immer er sich auch gerade verhalten mag. Die Vorstellung, dass mit Geld selbst eben auch neues Geld geschaffen würde, dass Geld also als Geld selbst arbeiten, selbst Mehrwert erzeugen könne, hatte zur Theorie der Geldschöpfung geführt. Und die ist ein sehr alter Irrtum. Preise können nur entstehen, wo Geld vorhanden ist, um sie zu bezahlen. Und so muss selbst die billigste Arbeitskraft auch Geld haben, um ihre Lebensmittel zu erstehen. Mit Geld entstehen keine Profite durch Wucher, sondern durch systematische Ausbeutung der Menschen, durch den Mehrwert, den sie schaffen und der auch als Preis des Mehrprodukts dargestellt wird.

Es gibt unzählige Theorien darüber, welche Blüten die nun als Hauptübel erkannte Geldgier so treibt und was hiergegen zu machen sei. Da geht es dann ganz allgemein um eine gerechte Geldverteilung und hält ihrem öffentlichen Unrecht das Recht auf ehrliche Preise entgegen. Damit bewegt man sich weiterhin strikt auf dem simplen Verhältnis von Angebot und Nachfrage, aus welchem sich der Wert des Geldes bestimmen würde, wenn das Verhältnis fair gehandelt wird. Tatsächlich entstehen ja dort auch die Preise der Waren, die ihren Wert, ihre Wertgröße als Teil ihrer Wertsumme darstellen. Nur existiert diese Wertsumme nicht wirklich, sondern wird durch das Geld erst ermittelt. Daher entschwindet der Wert des Geldes immer auch schon von selbst mit der Zeit, die es in privater Tasche oder im Strickstrumpf der Oma entzogen bleibt. Geld muss immer an seine Produktionsstätte, an die tätige menschliche Arbeitskraft zurückkehren, um seinen Wert zu halten, selbst wenn es ihn nicht unbedingt vermehren muss, solange es Teil einer Mehrwertproduktion bleibt (siehe z.B. Dienstleistung). Selbst das fiktive Kapital, das auf den Aktienmärkten verwettet wird, ist zunächst mal kein wucherndes Geld, sondern lediglich ein Zuviel an Geld, das keine Anwendung mehr findet, weil es einen Mehrwert darstellt, der noch nicht weiter verwertet wird. Dieser Mehrwert bestimmt allerdings die Kostpreise der Produktion und hat von daher eine ungeheuerliche Macht, die aber auch immer wieder in Nichts zerfällt, wen es Spekulationsblasen erzeugt hat. In dieser Welt der Nichtigkeiten wird das Finanzkapital brutal, sobald es am platzen ist und darauf zurückfallen muss, dass es bloße Ausdrucksform des Mehrwerts ist. Dass es aber am Wucher gehindert wird, das liegt schon im Staatsinteresse an einer Ausweitung der Wertproduktion, wo sie ins Stocken gerät. Von daher befinden sich derzeit auch die Staatsagenten in einer Krise, soweit ihnen klar geworden ist, dass sie das nicht mehr können (3). In der Totalität der Krise stellt sich dann auch immer die Frage, ob der Kapitalismus nur mehr Verbrechen oder doch noch Fortschritte zu zeitigen hat.