Wolfram Pfreundschuh (10.02.2012)

Ergänzen statt Ausbeuten!
Auf dem Weg in eine internationale Kommunalwirtschaft

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Teil VI: Der Weg ist wie das Ziel

Es war kein geringerer als der Präsident des Weltwirtschaftsgifels in Davos höchstselbst, der diesen mit der Feststellung eröffnete, dass es fraglich sei, ob der Kapitalismus überhaupt noch eine zeitgemäße Gesellschaftsform wäre. So sprach er ziemlich wahrscheinlich aber nicht, um sich für eine sozialistische Gesellschaft stark zu machen. Es ist einfach so: Die Frage steht in allen Gesichtern, und man muss damit beginnen, Antworten zu verkünden, die zumindest Führungsstärke vorführen sollen, um die politische Klasse dennoch handlungsfähig erscheinen zu lassen. Auf den Märkten der Welt hat sich ganz offensichtlich etwas entschieden, was ökonomisch nicht mehr umkehrbar ist. Viele Politiker und Ökonomen ahnen, dass da etwas vorbei ist, was bisher immer noch Lösung versprochen hatte: Das Vertrauen in die Supermacht der Wachstumsmärkte. Selbst in Deutschland, wo der Exportumsatz über die Billionenmarke gekommen ist und man öffentlich gerne von einer boomenden Wirtschaft spricht, weiß man, dass dies wohl eine der letzten Extremphasen einer noch funktionalen Industrie ist, die zugleich die Marktpotenz ihres Handelspartners in Fernost stärkt, durch den sie zunehmend in die Kniee gezwungen werden wird. Dessen wirtschaftliche Erfolge bestimmen inzwischen den Welthandel. Gerade noch wollte man auf einen Boom mit erneuerbarer Energie setzen, schon hat China die gesamte Fotovoltaik im Griff. Dort gibt es die billigeren Arbeitskräfte und auch die seltene Erden, die dafür optimal sind. Die Märkte sind grausam und nicht zu bändigen. Und sie hängen nicht von dem Geld ab, dass man hineinverspricht, sondern vor allem von den Produkten, die gefragt sind. Das Märchen von ihrem grenzenlosen Wachstum ist ausgesponnen.

Die Politik muss sich beeilen, für ein Fortkommen der Marktwirtschaft noch Argumente zu finden. Es fehlt nicht nur in Griechenland vor allem an marktpolitischer Substanz. Der Verschuldungsstaat kann kein Programm sein und die Sparpakete können nicht halten, was sie versprechen. Im Grunde weiß man das schon lange. Wert und Mehrwert, also Wertwachstum entsteht ja nicht aus dem bloßen Glauben an die Besserung und schon garnicht an der Börse, sondern nur aus Arbeit und Brot. In den Wirtschaftskolumnen und Feuilletons wird laut darüber nachgedacht, was dieses System der Kredite und Versprechungen und Kreditversicherungen und währungspolitischen Interventionen, dieses Himmelfahrtskommando der guten Hoffnung überhaupt noch sein soll.

Tatsächlich glauben immer weniger Menschen an die Behauptung, dass Sparsamkeit noch Wert einbringen kann, schon gar nicht den Wert, der erforderlich ist, um die durch das Finanzkapital zerstörten Werte zu ersetzen. Es ist offensichtlich, dass durch sie die Zerstörung der Infrastrukturen nur noch beschleunigt wird. Immer mehr Stimmen sprechen aus, dass dieses System des Kapitals am Ende ist und dass ein anderes System zum Wohl und Fortkommen der Menschheit nötig wäre. Die Plünderungen der öffentlichen Mittel, die Brutalität der Preisentwicklungen und die Zerstörung von Infrastrukturen haben die Menschen aufgebracht. Und Wut über die herrschenden Machtverhältnisse bewegt nicht nur die Straßenbesetzer der Occupy-Bewegung. Sie nimmt auch viele gegen das ganze Geschwafel in den Parlamenten ein, das ganz offenkundig daraus besteht, dass im Grunde niemand weiter weiß, weil der Staat sich nach den Gebotenheiten einer niedergehenden Marktwirtschaft eigentlich gegen seine Bürger aufstellen muss, dafür aber noch niemand so ganz öffentlich gerade stehen will.

In der öffentlichen Meinung ist ein Machtvakkuum entstanden. Und so kommt es, dass eine ganz neue und junge Partei aus den Denkgewohnheiten und Kalkulationen der repräsentativen Demokraten ausschert und Transparenz, Basisdemokratie und Bedingunmgsloses Grundeinkommen für alle einfordert. Der Rückhalt aus der Wählerschaft kam umgehend und damit konnte die Piratenpartei rasend schnell und hochprozentig Einzug halten. Da geht es nicht mehr um politische Ideologie sondern um direktes Verhalten. Der Souverän, das sogenannte Volk erscheint jetzt quasi persönlich und argumentiert sogar um einiges intelligenter als die politische Klasse es ob ihrer verwundenen Pflichtschuldigkeiten noch wagen kann. Der Staat muss sich unter der Bedingung uneinbringlich gewordener Verschuldung, die ihm die Funktion eines Feudalherren aufnötigt, immer mehr gegen die Bevölkerung stark machen und darf sich nicht wundern, dass dies auch Reaktionen unter den davon Betroffenen hervorruft. Die repräsentative Demokratie hat nicht mehr viel zu repräsentieren. Außerparlamentarisch geht da wieder mehr.

Tatsächlich ist inzwischen eine Bewegung entstanden, die vielleicht kein Aufstand, immerhin aber eine Besetzung von öffentlichen Straßen und Plätzen ist. Ihr geistiger Ursprung ist am Besten von dem in London lebenden amerikanischen Anarchisten David Graeber in seinem Buch gegen die Schuldenkultur ("Debt - The First 5000 Years") formuliert. Es waren hauptsächlich amerikanische Studentinnen und Studenten, die mit zunächst wirkungslosen Demonstrationen aufbegehrten, aus der Sorge, dass sie ihre Ausbildungsschulden niemals zurückzahlen können, die im fünf- bis sechsstelligen Bereich liegen. Die Demonstranten bedrückt die Schuldenlast der Ausbildungskosten, die der Staat seiner Sparprogramme wegen an sie abgeschoben hat, und zugleich die Aussichtslosigkeit, in einen „sinnvollen“ Beruf eintreten zu können. Sie wollen gegen die Ungerechtigkeit der Finanzierung protestieren, hängen anarchistischen Idealen an, wollten das Bankenwesen beschränken, Konzerngelder in der Politik verbieten, Generationengerechtigkeit und „wirtschaftliche Gerechtigkeit“ (über eine Reichensteuer) herstellen.

Die Besetzung von öffentlichen Plätzen war seit der arabischen Revolution sinnbildlich geworden und ersetzte bereits schon länger die Demonstrationskultur in Isreal, Spanien und Chile. Die Anstiftung der eigentlichen Occupy-Bewegung kam in den USA dann aber im September 2011 praktisch aus der anarchistischen Ecke um die Zeitschrift "adbuster", von welcher durch eine Mailing-Aktion zur Besetzung des öffentlichen Raums im New Yorker Zuccotti-Park auch die erste "Occupy-Wall-Street" von über 90.000 Menschen schlagartig in Gang gesetzt wurde. Sie reichte von "passivem Widerstand gegen staatliche Einrichtungen" bis zur "Herausbildung autonomer und verhältnismäßig egalitärer Formen der Selbstverwaltung". Was anfangs noch rein studentischer Protest war, wurde bald schon zur Initiative gegen Gentrifizierung und den Bankrott der staatlichen und kommunalen Kasssen überhaupt. Die bürgerlichen Verwaltungsstrukturen und auch der Staat selbst solte nicht nur infrage gestellt, sondern deren Missfunktion auch faktisch ersetzt werden. Als Methode wurden Strategien entwickelt, die ohne Führungsstrukturen auskommen sollten und auf die Flexibilität und Spontaneität der Masse setzten. Es wurde damit die ganze Breite von Bürgerprotesten angesprochen, die von Eigeninitiativen zur Bewältigung von kommunalen Aufgaben (siehe z.B. "Transition-Town-Bewegung") bis zu Auseinandersetzungen und Kämpfen um Maßnahmen der Gentrifizierung (wie z.B. Stuttgart 21).

Occupy kling erst mal sehr entschlossen, nach Rechtsbruch und Besetzen, Besitz, Besitzanspruch. "Besetzen wir die Wallstreet! Besetzen wir Frankfurt! Besetzen wir Berlin!" Das soll Stärke zeigen, suggeriert ein natürliches Recht auf Eigentum, auf Aneignung. Aber ist man wirklich das, was man von sich behauptet? Wird hier wirklich eine Eigentumsfrage gestelt und hiernach gehandelt? Ja, es geht in der Tat um die Eigentumsfrage, also darum, was öffentlicher Raum ist und wem er zu eigen sein soll. Ist das vielleicht tatsächlich der Anfang einer quasi revolutionären Position oder einfach nur Ratlosigkeit, Aufforderung zur Kraft der Bewegung, die noch nicht weiß, wo es hin gehen soll. "Der Weg ist das Ziel", sagt ein buddhistisches Sprichwort - und das wird hier gerne gesprochen. Doch im Kreis kann man endlos gehn und alles wird sich nur wiederholen, bis es sich selbst abtötet. Nein! Gemeint soll sein: Der Weg ist wie das Ziel. Kein Zweck darf irgendwelche Mittel heiligen. Doch ziellos erstirbt jede Frage und damit auch jede Erkenntnis, wie es weitergehen kann.

Vorerst geht es noch um Symbole und auch die Staatsgewalt weiß, dass es nur Symbole sind. Es soll aber eine Massenbewegung werden, die schon durch das spontane Eigenengagement der Vielen und ihre Anwesenheit im öffentlichen Raum ein altes anarchistisches Ziel, die "Gesellschaft von unten" (Bakunin) zu verwirklichen in der Lage sein soll. Doch gerade das ist der Knackpunkt solcher Bewegungen schon immer gewesen. Gibt es sie wirklich, die Spontaneität, aus der sich eine neue Gesellschaft wie von selbst bildet? Darüber beginnt man sich zu streiten. Der erste Anlauf jedenfalls ist bereits zum Stocken gekommen. Der Philosoph Slavoj Zizek hat zu bedenken geben, „dass selbst führerlose Bewegungen eigentlich immer Anführer haben, die sich allerdings im Hintergrund halten“. Und genau dieser Eindruck besteht vielerorts und zeigte sich auch in den Auseinandersetzungen um Stuttgart21, dass es nämlich doch die Hinterzimmer sind, die zu ideologisch verdeckten Zentren der Entscheidungsfindung werden. Im Feuilleton der FAZ weist der Autor Uwe Ebbinghaus darauf hin:

"Inzwischen nagt an vielen auch der Zweifel, ob die Bewegung wirklich zielgerichtet genug vorgehe und ausreichend Forderungen stelle. Selbst die ihnen gegenüberstehenden Polizisten, welche die radikal-anarchistische Ablehnung staatlicher Institutionen auf sich ziehen (“Scheiß auf die Polizei, aber sei nett zu den individuellen Beamten“), wirken gelangweilt. Selbstkritisch schreibt die Filmemacherin Astra Taylor am 23. September: „An dieser Stelle muss ich sagen, dass mich die allgegenwärtige historische Unwissenheit (über vergangene Bewegungen sowie effektive Strategien und Taktiken) deprimiert.“" (FAZ vom 1.2.2012)

Es wäre deshalb schlimm, wenn die Occupy-Bewegung in dieses unergründliche Loch reinfällt, in diesen Mythos von der Masse, an den immer gemahnt wird, wenn man nicht weiß, um was es eigentlich geht. Die Frage bleibt: um welche Bewegung geht es, was bewegt sich da? Was bleibt darin individuell, was allgemein? Versteckt sich vielleicht auch nur massenhafter Individualismus oder stringenter Kollektivismus in dieser Massenformation? Was treibt sie voran, was macht sie aus? Reicht die Parole: "Wir sind die 99%" wirklich, um etwas zu ändern? Und ist sie nicht so links, wie sie auch rechts sein kann? Das Volk wird leicht zu einem Substantiv, einem Symbol, das für einen gemeinsamen politischen Willen steht, was immer dieser auch sein mag. Das wäre fatal.

Eine konkretere Auseinandersetzung über die Perspektiven eines Widerstands gegen den Kapitalismus wird in der Hoffnung auf eine Massenbewegung unwiderbringlich ausgelöscht. Wir haben jetzt noch die Gelegenheit, darüber nachzudenken. Was eigentlich ist denn Masse, dieser inhaltslose Koloss, der zweifellos als bloße Formation hohe Wirkung haben kann? Sie ist nichts andres als Formastion und wird durch eine Gegenformation beantwortet werden. Masse bewegt zweifellos alles, was von Inhalt und eigenem Grund absieht, was eben auch nur Form ist. Sie beherrscht die Produktion und den Konsum im Kapitalismus, ist Bewegungsform einer abstrakten Gesellschaft. Kann sie wirklich auch einfach als Bewegung die Welt verändern. Masse ist eine Körperlichkeit in höherer Dichte. Nichts wird sich durch die bloße Anwesenheit von Menschen auf der Straße ändern, sobald der Verkehr wieder geordnet ist. Eine solche Bewegung wird behandelt wie eine Demonstration, entweder geduldet oder irgendwann polizeilich gemaßregelt, wenn sie sachlich oder politisch tatsächlich zu einer Störung wird. Sie macht Widerstand selbst zu einer bloßen Glaubensfrage, zu einer symbolisierten Hoffnung, die durch blanken Populismus genährt wird. Und Populismus ist auch das Medium der Rechten, die sich hinter der Ordnungsmacht bereit halten. War es das dann? Nein: Widerstand wird erst dort mächtig, wo die Menschen wirklich als soziale Subjekte auftreten können, wo sie die Vernutzung ihres Lebens substanziell verweigern oder zumindest in Frage stellen können. Da gibt es einiges zu überdenken.

Protest-Populismus oder Widerstand?

Es gibt inzwischen unendlich viele Ereignisse und Phänomene, gegen die sich die Wut der Bürger wendet. Die Preise steigen, das Geld inflationiert, die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer, die Kommunen veröden und die Sozialhilfe und Gesundheitsfürsorge und Altersvorsorge immer gemeiner. Angst und Wut sind da verständlich. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber und Wut macht aus dem Gegner ein Ungeheuer, das sich nicht mehr bändigen lässt. So entstehen ziemlich schnell Totalisierungen, die aus der Konfrontation einen bloßen Machtkampf machen, in welchem nur noch Gewalt obsiegen kann. Von daher kommt das Bedürfnis nach Masse, das zwar durchaus ungeheuerliche Fakten zu repräsentieren versteht, zugleich aber auch jedweden Bezug auf diese zerstört. So sind zum Beispiel "Heuschrecken" oder "Miethaie" gute Versinnbildlichungen für ungeheuerliche Verhältnisse für die Substanzaufzehrung der Realwirtschaft, der Infrastrukturen und der Mietpreisbildung. Aber es erfolgt aus solchen Begriffen zugleich die Behauptung, dass sie durch den Protest der Masse, durch den Appell an die Parlamente zu bändigen seien, zu regulieren oder zu bestrafen wären. Es enthält damit implizit die Forderung, aus dem Massenbegehren eine starke Gegenkraft zu machen, die in dieser Unbestimmtheit nur ein starker Staat oder ein starker Mann, vielleicht auch eine starke Persönlichkeit sein müsste. Jedenfalls wäre solcher Widerstand nur eine Größe, ein Quantum, das den Gegner klein machen soll, ihn rein quantitativ zu reduzieren hätte.

Doch selbst wenn dieser Appell an die Politik Erfolg hätte: Was wäre wirklich anders, wenn die Geldgier nur zahlenmäßig beschränkt wird, die Mieten nur sachter steigen dürften und der Abverkauf regionaler Grundstücke an Finanzspekulanten mäßiger vonstatten ginge? Was ist wirklich anders, wenn die Armen mehr Geld bekommen, das weniger Wert ist, weil die Staatskasse ihre Ausgaben nur durch Zahlungsversprechen bewältigen kann? Ist der Geldmangel wirklich der Grund dafür, dass die Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht, von Hartz IV gegängelt, zu Billiglohn getrieben, zur Mehrwertproduktion gezwungen werden? War das der Grund, warum Kreditsysteme kollabieren, Geld zu teuer wird, dass die Gläubiger die Welt beherrschen können und dass die Schuldner in den Abgrund getrieben werden? Man wird leicht beweisen können, dass das Gegenteil die logische Folge ist, weil die Vergrößerung der Geldmenge wie ein Sparpaket des Widerstands wirken würde, seine Vertagung auf die nächste Generation zur Folge hätte. Solange der Widerstand sich selbst als Geld begierig begründet, beteiligt er sich auch an der Auflösung seiner Substanz durch Anpassung an die reinen Sachzwänge. Deshalb glauben daran vor allem auch die Regierenden in Stadt und Land und Bund. Bürgerprotest wird zu ihrem neuen und unerwarteten Gehilfen. Stuttgart 21 hat es gezeigt. Wo man den Protest-Populismus ins Amt bringt, lernt er schnell, dass weder das Recht noch die Mittel zulassen, was zu einer wirklichen Veränderung nötig wäre.

Auch ist Geld eine zwieschlächtige Sache. Es erweckt die Vorstellung, dass man nur mehr davon haben müsse, um alle Probleme lösen zu können. Wo Geld reinkommt, ginge es den Menschen besser, weil es ihre Verhältnisse verbessern würde, neue Wohnungen entstehen ließe, mehr Arbeitsplätze zulasse usw.. Behindert sei eine bessere Entwicklung nur durch die Gier nach Geld, das denen das Geld stiehlt, die eh keines haben. Das ist eigentlich absurd, aber es gibt dann wenigstens persönliche Bezichtigung, die zwar nicht falsch sein muss, aber nicht weiterbringt. Nicht das das Produktionsverhältnis, sondern die es tragenden Personen werden dann zum Problem und dieses wird immer undurchsichtiger. Mit Geld, so scheint es dann, lässt sich alles machen. Aber Geldgier ist nicht der Grund, sondern das Resultat eines Systems, in dem jeder glaubt, sich ihm durch Geldbesitz entziehen zu können, einem System, das keinem Leben mehr wirklich dienlich sein kann, weil die Lebensmittel nur gegen Lebensauspressung erworben werden können, weil das Leben selbst nur noch als Lebensrisiko existiert und alles Lebendige von Untergang und Tod bedrängt zu sein scheint. Das Leben selbst wird somit zu einer Mystifikation, welche nurmehr als Untergangsideologie über den wirklichen Lebensverhältnisse schwebt und zu einer seltsamen Affirmation der kapitalistischen Gesellschaft dienlich ist. Deren Grundlage ist das Geld () und Geld wird zum Fluchtpunkt der Hoffnung, Heilsprinzip schlechthin. So schließt sich der Kreis. Weil alles an ihm hängt, will alles nach ihm drängen. Und niemand wird mehr wissen wollen, wie es funktioniert und warum es letztlich nur Elend und Barbarei erzeugt, wo es doch reines Zahlungsmittel sein soll. Der Gegner ist weit umfangreicher, als er im Verhalten von Geldspekulanten und habgierigen Investoren erscheinen kann. Die Wut gegen diese Übermacht muss aus ihrem bloßen Leidenszustand herausfinden, ohne neue Mystifikationen zu erzeugen. Aus der Wut im Bauch muss Erkenntnis über die Lebensverhältnisse entstehen, die sich in Geld nur ausdrücken und durch seine Macht über die Menschen ausdrücklich werden. Dann kann das Wesen dieser Verhältnisse als ein Unwesen begriffen werden, das seine Macht nur aus der Ohnmacht der Menschen gewinnt, die ihre eigenen Verhältnisse nicht gestalten und sich erschrecken, wenn ihnen ein fremdes Verhalten auferlegt wird. Es sollte aus dem "unglücklichen Bewusstsein ein Bewusstsein des Unglücks" (Marx) werden, aus "der Leidenschaft des Kopfes der Kopf der Leidenschaften" entstehen. Es braucht keine Moralisierei und die Beliebigkeit eines guten Gewissens, wenn die Verhältnisse gewiss werden und politisches Verhalten auf Wissen gründet. Dann lässt sich auch der Grund der Entfremdung auflösen, aus ihrem abstrakten Verhältnis ein konkretes Zusammenwirken machen.

Weltweit steht immerhin schon die Frage im Raum, mit welchem Recht die Grundbesitzer, Vermieter, Energieindustriellen usw. aus den Lebensnotwendigkeiten der Menschen ihren Mehrwert erpressen dürfen, der in keiner Beziehung zu ihren Aufwendungen steht. Es muss ein natürliches Eigentum, ein natürliches Recht geben, das zur Disposition in allem steht, was hier geschieht. Konkreter geworden ist da bereits die Bewegung "Recht auf Stadt". Die Eigentumsfrage, welche die Occupy-Bewegung nur dem Namen nach und eher nur symbolisch stellt, kommt hier als praktische Folgerung: "Wem gehört die Stadt? - Der Stadt natürlich!". Wem gehört der öffentliche Raum, wem die Wohnstätten, wem die Kultur? Der Stadt natürlich, also den Menschen die darin wohnen und die ihre Lebensverhältnisse als Kommune gestalten, die darin verkehren und durch ihren Verkehr die Bedürfnisse schaffen, die immer noch vom Finanzkapital schließlich und abschließend verwertet werden. Und damit heißt die Frage schon anders: Warum kann ihnen überhaupt eine Finanzmacht ihre eigenen Lebensverhältnisse enteignen und nur noch Geld daraus machen, den Lebensraum der Menschen als Mittel besetzen, ihnen und ihrer Arbeit noch mehr Wert abzupressen? Die Gentrifizierung der Städte war der Ausgangspunkt kommunal auftretender Proteste. Dass der öffentliche Raum durch die Herrschaft des Finanzsystems bestimmt ist, wird hier als Fremdherrschaft des Privatbesitzes begriffen, dem die konkreten Lebensverhältnisse der Bevölkerung, der Stadtbewohner und Landbewohner entgegengehalten werden . Die Stadt soll als Stätte des Lebens wieder erworben werden, die Stadt als Fablik, wo die Menschen arbeiten und ihre Kultur haben und ihre Bedürfnisse entwickeln können, wie es ihnen entspricht. Hier macht das kommunale Eigentum der Menschen schon als gesellschaftliches Eigentum die Position des Widerstands. Es geht also schon nicht mehr nur um die Beschränkung und nicht nur um die Verteilung, nicht um die Menge, das bloße Quantum an Lebensmittel und Produktionsmittel und Vermögen, sondern um die Infragestellung des Privateigentums überhaupt, um das gesellschaftliche Eigentum der Individuen, also qualitativ um das, was den Menschen in der Gesellschaft, in der sie leben und worin sie ihr Leben erzeugen, ihnen und ihrer Lebenswirklichkeit zu eigen ist (6).

Wessen Welt ist die Welt?

Jedes Produkt entsteht durch eigenes Tun, das im gesellschaftlichen Zusammenwirken der Menschen, ihrer Arbeit und ihrer Bedürfnisse für sie da ist: Eigentum. Eigentum ist auf den einzelnen Menschen bezogen ebenso wie allgemein auf gesellschaftliches Sein der Menschen, ist die gegenständliche Vermittlung von Eigenem, das objektive Sein der Menschen zwischen ihren Bedürfnissen und ihrer Arbeit, das, was von Menschen und zugleich für sie ist. Der Sinn der Arbeit ist der ihrer Bedürfnisse und in dieser Identität vermittelt sich beides als Produkt und Produziertes, das eine erzeugt das Verlangen nach dem anderen und ist in dieser Beziehung ununterschiedene Gesellschaftlichkeit der Einzelnen. Die Eigentumsfrage erweist sich so schon unmittelbar als eine grundsätzliche Frage des gesellschaftlichen Seins der Menschen und der ihnen adäquaten Form, die nicht nur Form ihrer Wirtschaft, sondern auch Form ihrer Kultur ist.

Der Streit und Kampf um menschliches Eigentum als herrschende Gesellschaftsform des Reichtums macht überhaupt den Inhalt aller Klassenkämpfe aus, die auf einem Herrschaftsverhältnis des Eigentums, dem Gegensatz von Besitzenden und Besitzlosen, der Eigentumsformen von Produktionsmittel und Arbeitskraft beruhen. Aber erst in der bürgerlichen Gesellschaft war Geld zur unmittelbar gesellschaftlichen Form des Eigentums geworden, welches sich aus der Beziehung von Arbeit und Bedürfnis herausgesetzt und diese zu einer reinen Privatsache herabgesetzt und deren Verwertung zur gesellschaftlichen Macht des Geldbesitzes erhoben hat. Geld war damit zwar die erste gesellschaftliche Eigentumsform in der Geschichte der Menschheit, zugleich aber auch der Träger einer dem Menschen fremden Aneignungsform. Geld ist seitdem die Form des gesellschaftlichen Reichtums durch seine Kapitalform, der Verwertungsmacht, das Subjekt der Geldvermehrung, welches diesen Reichtum immer nur in seiner Geldform entwickelt, vor allem Geldbesitz vermehrt hat und hierdurch die Verarmung der Individuen entwickelt, die nichts anderes besitzen als ihre Arbeitskraft. Geld stellt gesellschaftlichen Reichtum dar, der den Geldbesitzern gehört. Und weil deren gesellschaftliche Beziehungen nur durch Geld vermittelt sind, vereinseitigt es jeden gesellschaftlichen Inhalt zu einem der Gesellschaft entzogenen, ihrer Wirklichkeit entwendeten Beziehung auf ihre Bedürfnisse, die für sich nur zu einer schalen Individualform ihres lebendigen Inhalts, dem Leben des gesellschaftlichen Menschen werden. Marx beschrieb dies in den Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844):

"Der Mensch wird um so ärmer als Mensch, er bedarf um so mehr des Geldes, um sich des feindlichen Wesens zu bemächtigen, und die Macht seines Geldes fällt grade im umgekehrten Verhältnis als die Masse der Produktion, d.h., seine Bedürftigkeit wächst, wie die Macht des Geldes zunimmt. ... Die Quantität des Geldes wird immer mehr seine einzige mächtige Eigenschaft; wie es alles Wesen auf seine Abstraktion reduziert, so reduziert es sich in seiner eignen Bewegung als quantitatives Wesen. Die Maßlosigkeit und Unmäßigkeit wird sein wahres Maß. – Subjektiv selbst erscheint dies so, teils daß die Ausdehnung der Produkte und der Bedürfnisse zum erfinderischen und stets kalkulierenden Sklaven unmenschlicher, raffinierter, unnatürlicher und eingebildeter Gelüste wird – das Privateigentum weiß das rohe Bedürfnis nicht zum menschlichen Bedürfnis zu machen; sein Idealismus ist die Einbildung, die Willkür, die Laune, und ein Eunuche schmeichelt nicht niederträchtiger seinem Despoten und sucht durch keine infameren Mittel seine abgestumpfte Genußfähigkeit zu irritieren, um sich selbst die Gunst zu erschleichen, wie der Industrieeunuche, der Produzent, um sich Silberpfennige zu erschleichen"
Karl Marx in Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844)
(Marx-Engels-Werke Bd.40, S. 547 bis 548)

Die Frage des Eigentums kann also nicht einfach als Verteilungsfrage, nicht nur quantitativ gestellt werden. Es ist auch nicht nur die Frage nach dem Besitz an Produktionsmittel, sondern eine Frage der Entfremdung selbst, der Übereignung von Lebenszusammenhängen in eine fremde Macht, welche die Menschen beherrscht und die in dem Maße an Herrschaft gewinnt, wie die Menschen hiergegen ohnmächtig werden, mit der Erzeugung ihres geldförmigen Reichtums die Enteignung ihrer Arbeitsprodukte vermehren. Die Sachen, die sie erzeugen stellen dann eine Gewalt über sie dar: Einerseits lebensnotwendig und anderseits fremde Lebensmacht, für das vereinzelte Leben alternativlose Lebensbedingung.

In Wahrheit aber ist nicht die Sachlage alternativlos für die Menschen; die Menschen sind alternativlos für die Sachen. Durch sie entsteht alles und wird menschliche Gegenständlichkeit als sachliches Eigentum zum Zweck der Aneignung und des Nutzens und der Schönheit ihres Daseins, ihrer Kultur. Sie erzeugen gesellschaftliches Leben durch ihre Tätigkeit, durch die Bildung ihrer Gegenstände und damit der Fortbildung ihrer Bedürfnisse, ihrer Lebensverhältnisse und ihrer Kultur. Doch das Erzeignis verbleibt in fremder Hand, weil es ihnen geraubt, privatisiert, als Privateigentum ihrer Verfügung entzogen bleibt. In Wahrheit kann Eigentum nur Ausdruck ihrer Lebenseigenschaften und ihrer Lebensverhältnisse sein, durch eigenes Tun erstellt und in menschlichem, also gesellschaftlichem Dasein zum Lebensgenuß bereitet. Eigentum gehört dem Einzelnen wie der Allgemeinheit nicht im Maßstab ihres Besitzanspruchs, sondern im Maß ihres gesellschaftlichen Aufwandes. Das Privatrecht muss als Verkehrung des indivieduellen wie allgemeinen Rechts auf das gesellschaftliche Produkt und Sein begriffen sein und alle zukünftige Politik sich hierauf gründen.

Demokratie ist keine Herrschaftsform, sondern politische Vermittlung. Eine Gesellschaft kann nur wirklich demokratisch sein, wenn sie das gesellschaftliche Eigentum poltisch verwirklicht, wenn sie die gesellschaftliche Wirtschaftlichkeit seiner Erzeugung auch in wirklicher Gesellschaft zwischen den Einzelnen und ihrer Allgemeinheit zu vermitteln versteht. Hierfür ist keine Hierarchie nötig. Weder ist das Einzelne unten und das Allgemeine oben, noch ist das Einzelne schwach und das Allgemeine stark. Eigentum bezieht sich auf allen Ebenen im Einzelnen wie allgemein, kann also weder Grund für eine Anarchie "von unten nach oben" (Bakunin) noch Diktatur einer Staatspartei, dem Verteiler eines Sozialprodukts "von oben nach unten" (Lenin) sein.

Diese Vermittlung verlangt ein Verhältnis, worin das Gemeineigentum die Individuen zusammenführt, wie auch ihre Produkte als gesellschaftliche Gegenstände für sie und andere bewahrt. Die Geschichte hat das Gemeineigentum als ursprünglichste Gesellschaftsform längst erwiesen (8). Aber sie hat sich mit dem bürgerlichen Recht auf Privarteigentum, dem Recht auf die Enteignung der gesellschaftliche Arbeit in eine Logik der Barbarei verkehrt, ihren Inhalt zu einer Formation der Sachgewalt entwickelt. Gesellschaft wurde zu deren Form, doch ihrer Natur entsprechend kann Gesellschaft nur Form ihres wirklichen Inhalts, der menschlichen Wirklichkeit und Kultur, dem Zusammenwirken von Bedürfnis und Arbeit sein. So verstanden ist eine Gesellschaft eine Form, die keine andere Bestimmung als die ihres Inhalts haben kann, die also nur ohne Formbestimmung wirklich wahr sein kann, eben da, wo sie durch Inhalt verlangt und erzeugt ist, wo sie also auch inhaltliche Entwicklung und Anpassung der Formen ermöglicht.

Dem Inhalt nach gibt es diese Gesellschaft auch unter kapitalistischen Bedingungen schon zumindest in dem, was ihre Produktivkraft und die Vielfalt der bereits entwickelten Bedürfnisse, der Sinnbildung der Menschen ausmacht. Wird diese in ein Verhältnis gebracht, in welchem sie für das Zusammenwirken der Menschen genutzt wird und nicht für den Markt, auf dem nur Geld die Verhältnisse stiftet, so kann auch die Trennung der Menschen von ihren Produkten überwunden und die Arbeit selbst anders werden. Voraussetzung hierfür ist als erstes die Aneignung des Arbeitsprozesses selbst, dessen Übernahme in die politische Kontrolle durch die Menschen, durch ihre Auseinandersetzung über das, was notwendig zum Leben und das was für dessen Entwicklung frei gelassen werden kann. Die Eigentumsfrage ist die wesentliche politische Frage und ihre Beantwortung sollte die Grundaussage jeder politischen Aktion erbringen.

"Die Aufhebung des Privateigentums ist daher die vollständige Emanzipation aller menschlichen Sinne und Eigenschaften; aber sie ist diese Emanzipation gerade dadurch, daß diese Sinne und Eigenschaften menschlich, sowohl subjektiv als objektiv, geworden sind. Das Auge ist zum menschlichen Auge geworden, wie sein Gegenstand zu einem gegenständlichen, menschlichen, vom Menschen für den Menschen herrührenden Gegenstand geworden ist. Die Sinne sind daher unmittelbar in ihrer Praxis Theoretiker geworden. Sie verhalten sich zu der Sache um der Sache willen, aber die Sache selbst ist ein gegenständliches menschliches Verhalten zu sich selbst und zum Menschen und umgekehrt. Das Bedürfnis oder der Genuß haben darum ihre egoistische Natur und die Natur ihrer bloßen Nützlichkeit verloren, indem der Nutzen zum menschlichen Nutzen geworden ist. Ebenso sind die Sinne und der Genuß der andern Menschen meine eigene Aneignung geworden. Außer diesen unmittelbaren Organen bilden sich daher gesellschaftliche Organe, in der Form der Gesellschaft, also z.B. die Tätigkeit unmittelbar in Gesellschaft mit andern etc. ist ein Organ meiner Lebensäußerung geworden und eine Weise der Aneignung des menschlichen Lebens."
Karl Marx in Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844)
(Marx-Engels-Werke Bd.40, S. 540)

Wer das Privateigentum als Herrschaftsform des Geldes und dieses als das Subjekt einer den Menschen entfremdeten Gesellschaft begriffen hat, muss auch die Produktionsstätte des Geldes, die sogenannte freie Marktwirtschaft in Frage stellen (3), denn Geld kann nur herrschen, solange es das allgemeine Mittel der gesellschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen ist. Und es wird herrschen, weil es als dieses Mittel immer in einer selbständigen Form, als Macht eines verselbständigten Quantums gesellschaftlicher Energie und Kraft fungiert. Solange man nicht die Marktwirtschaft selbst aufhebt, wird sich das auch nicht wirklich ändern, wird alles im schwarzen Loch von Angebot und Nachfrage, in der Anarchie der abstrakten Vermittlung abgehandelt und dem Macht verleihen, der Geld besitzt und den ohnmächtig machen, der hiergegen nur seine Arbeit einbringen kann. Das bleibt weiterhin die Kernfrage des Widerstands gegen die Macht der Finanzmärkte, die darauf gründet, dass das, was im schwarzen Loch der Marktwirtschaft verschwindet, auf dem Finanzmarkt als eine ungeheuerliche Geldmasse landet (7).

Es mangelt nicht an Vorstellungen zu einem besseren Leben; es mangelt an Wissen über die Herstellbarkeit einer Wirtschaftsform, welche politisch begründet ist, ohne politische Gewalt über diese Begründung nötig zu haben. Wie können sich Menschen soweit einig über das Nötige sein, dass sie in dessen Aufhebung zugleich die Freiheit ihrer Geschichte genießen? Dies ist nur möglich, wenn ihre Geschichte den Raum und die Zeit einnehmen kann, in der sie sich bildet. Die bewusse Basis ist eine Politik auf dem Boden, der ihre Wirtschaft und die hierfür nötigen Beschlüsse auch umfasst, das Gemeineigentum, das kommunale Eigentum, in welchem sich die Menschen wirklich aufeinander beziehen, ihre Arbeit und ihre Bedürfnisse entwickeln und bestimmen können. Das mag kommunal, regional, landesweit oder kontinental sein. In ihrer Elementarform ist es die wirtschaftliche Politik des eigenen Lebensraums, die natürlich auch nur im Verhältnis zu anderen Lebensräumen existienziell wirksam sein kann: Kommunalwirtschaft.

Kommunalwirtschaft statt Marktwirtschaft!

Die kommunalen Einrichtungen, die von den Städten und Gemeinden finanziert werden, belasten die Kassen der Kämmerer und verlangen daher Geldeinnahmen, deren Herkunft im Prinzip gleichgültig ist. Löhne sind immer knapp und das mittelständige Gewerbe hängt wesentlich von der Prosperität der Nationalwirtschaft ab. Mit der Krise entstehen hier die größten Finanzierungslücken. Und mit der Knappheit der Mittel wird jede Kommune wie jeder Privatmensch gezwungen, ihre Dienste gegen Geld anzubieten. Während sich die Nationalpolitik in solchen Zeiten hauptsächlich um die Exportindustrie und das Finanzwesen kümmert, weil sie dort den "Aufschwung" erhofft, geht es den Kommunen immer schlechter. Hier gehen nicht nur die kleineren Betriebe durch Rezession und Billigproduktion zugrunde, hier werden die Preise für Mieten, Energie und Vorsorge als Machtverhältnis durchsichtig, hier werden Menschen durch Armut obdachlos, verwahrlosen Jugendliche mangels Lebensperspektiven und hier wird Geldmacht als chronischer Geldmangel nachvollziehbar. Auch der ganze soziale Lebenszusammenhang, der Lebensstandard, wird offensichtlich Geringer, je mehr Geld erwirtschaftet wird. Die Infrastrukturen, die Sozialversorgung, die Vorsorge, die Gesundheits- und Altersversorgungseinrichtungen, die Kulturstätten, Feuerwehren usw. sinken auf das unterst mögliche Niveau ihrer Funktionalität. Hier ist der Ort, wo die Frage immer brennender wird, wie das alles möglich ist, wenn Geld doch ein Zahlungsmittel des Wohlstands sein soll. Und hier ist zugleich der Ort, an dem kommunales Eigentum verteidigt und auch gegen die Machtansprüche des Geldbesitzes wieder hergestellt und erzeugt werden kann.

Es gibt schon viele Alternativformen, Aktivitäten von Bürgerinnen und Bürger, die das auch versuchen. Das Buch "Cultural Practices within and across" (als kostenloses PDF erhällich über www.urbantactics.org) gibt hierzu eine guten Überblick über europäische Ansätze in kommunaler Selbstversorgung. Aber diese Ansätze bleiben meist noch im Allernötigsten und daher auch in Flickschusterei gefangen, die über neue Formen der Armutsverwaltung nicht hinauskommen, weil sie keine politische Form haben, durch welche sie auch kommunal- und landespolitisch bestimmend werden können. So bleibt die Herrschaft der Finanzmächte über die Kommunalverwaltung weitgehend unbeschadet und die Ersparnisse durch Bürgerbeteiligung werden leicht unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis freudig als Geschenk angenommen. Dies kann sich erst ändern, wenn sich die Menschen einer Kommune auch wirklich und ganz selbst versorgen können. Ohne eine kommunale Organisationsform mit eigenem Recht und eigenem Produkt ist da nichts zu machen. Hierfür ist eine Subsistenzindustrie unabdingbar. Es bleibt die Frage, wie sie in den Kommunen durchsetzbar ist und wie sie auch als eigene Lösung angenommen werden kann, wieweit sie noch erworben werden kann oder übereignet werden muss. Es bleibt jedenfalls die Grundbedingung, dass die Reproduktion der Menschen vom Geldkreislauf abgelöst und in Sach- und Zeitquanitäten vermittelt werden muss, nicht der allgemein abstrakte Zeitaufwand für durchschnittliche Arbeit, sondern der konkrete zeitliche Arbeitsaufwand in sachlichen Produkten als konkretes Quantum sich umsetzen lässt (9).

Vorausgesetzt ist hierfür ein politisches Entscheidungssystem, das nicht Dafürhaltungen gegen Degegenhaltungen oder umgekehrt durchzusetzen hat, sondern die Ziele und Betroffenheiten der Menschen aus ihrer Existenz heraus auseinandersetzt und zum Beschluss bringt. Dazu sind alle Beteiligten eines bestimmten öffentlichen Raumes berufen, die per qualifiziertem Wahlrecht für ein imperatives Mandat ihre Räte in die nächst höhere Entscheidungsebene entsenden. Qualifiziert ist eine Wahl, wenn die Stimme nach Art und Umfang der Beteiligung gewichtet ist. Solches Wahlrecht kann durch ein allgemeines Wahlrecht ergänzt werden, wo es sich um ganz allgemeine Fragen z.B. der Stadtentwicklung handelt.Politik kann weder individuell noch allgemein bestimmt sein. Eine Identität von Allgemeinheit und Einzelheit kann es konkret nicht geben. Sie existiert nur in ihrer Geschichte (1) und der Erfahrungen, die hierfür schon vorhanden sind.

Kommunalwirtschaft erfordert ein politisches Bestimmungsverhältnis, das mit einem imperativen Rätesystem vergleichbar ist. Dieses besteht nicht durch Hierarchie sondern durch Vermittlung von Einzelanliegen auf allgemeinere Ebenen, die wiederum ihre Sicht zur Entscheidung nach unten verbindlich rückvermitteln. Sie selbst entscheidet nicht, sondern kann mehr oder weniger hilfreich zur Entscheidungsfindung sein und in dieser Bewährung mehr oder weniger wiedergewählt werden. Politik wird somit zwar an ihrem wirtschaftlichen Erfolg gemessen, doch dieser ist nicht das, was Gesellschaft überhaupt ausmacht. Sie muss wirtschaftlich sein, um gesellschaftliche Wirkung zu haben, aber sie ist nicht als Wirtschaft politisch. Sie muss von daher auf einem Recht gründen, das die Auseinandersetzung der Menschen über ihr Sein und Werden fortwährend zur Disposition stellt.

Jede Entwicklung ergibt sich aus dem Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit ist zunächst durch das Nötige bestimmt, das sich in Freiheit aufhebt. Freiheit für sich wäre Willkür, Notwendigkeit purer Sachzwang. Kommunalwirtschaft muss beides in öffentlicher Beziehung verhandeln. Das setzt allerdings eine zu Grunde gelegte Verträglichkeit voraus, die sich deutlich gegen Willkür und Gewalt wendet. Sie muss daher eine Vertragswirtschaft sein, denn ein Vertrag ist die gesellschaftliche Form gegen Willkür.

"Für alle Lebewesen, die keine Verträge darüber abschließen konnten, sich gegenseitig nicht zu schaden noch schaden zu lassen, gibt es weder Recht noch Unrecht. (Diogenes Laertius X, 150.)
Ebenso aber ist es auch bei den Völkern, die die Verträge darüber nicht abschließen konnten oder wollten, sich gegenseitig nicht zu schaden noch schaden zu lassen. Gerechtigkeit ist nicht etwas an sich Seiendes, sondern im gegenseitigen Verkehr, an welchem Ort auch immer, werde ein Vertrag abgeschlossen, sich nicht zu schaden noch schaden zu lassen." (Karl Marx, MEW 40, S. 343)

Ein Vertrag soll ein verträgliches Verhältnis garantieren, also die formale Regeln in der Auseinandersetzung verschiedener Interessen um die selbe Sache konstituieren. Ein Vetrag muss nicht nur Recht sondern kann aber auch die Entwicklung bestimmen. Von da her ist ein Vertrag auch ein Plan für das Arrangement und die Verteilung von Aufwänden sowie deren Ausgleich. Und weil keine Waren mehr produziert werden sollen und also Geld unnötig gemacht werden soll, muss es auch ein Maß für die gesellschaftliche nötigen Aufwände geben, das ihrer Natur entspricht, das also sich aus dem organischen Zusammenhang der einzelnen Prozesse ergibt. Und dieser Zusammenhang kann auch nicht lokal bleiben, weil er letztlich das menschliche Leben überhaupt betrifft und allso im Kern schon weltgesellschaftlich zu sehen ist. Eine freie gesellschaftliche Entwicklung kann es letztlich nur im globalen Zusammenhang der Menschen, Kommunen und Regionen geben, in einer internationalen Vertragswirtschaft also.

Doch diese findet auch im einzelnen statt. Ein Individuum steht zu seiner Kommune in einem ähnlichen Verhältnis wie zur ganzen Welt. Es ist einerseits in diese hineingeboren, zugleich aber auch sie gestaltend. Was das hierbei Notwendige betrifft, so ist der Vertrag eine adäquate Form, dies einzuteilen und die Grundlagen des Ermessens und der Maßhaltigkeit der Verhältnisse darzulegen (siehe auch internationale Kommunalwirtschaft).

Kommunalwirtschaft ist die Bewirtschaftung einer Kommune, Gemeinde und Region in der Bestimmung durch die regionalen Interessen durch kommunale politische Gremien, die sich auf allgemeinere politischen Interessen wie auf andere Kommunen und auch größere Zusammenschlüsse per imperativem Mandat ihrer Vertreter (Räte) und Verträge beziehen. Damit soll eine Einheit von wirtschaftlicher und politischer (rechtlicher) Beziehung gesellschaftlich gewährleistet werden. Das steht gegen Marktwirtschaft (politische Ökonomie) und staatlich gelenkte Planwirtschaft und Nationalwirtschaft überhaupt, will ökonomische Politik statt politische Ökonomie sein. Es beruht auf der politischen Preisbestimmung nach den Gebotenheiten einer Region und verhandelt Arbeitsaufwand und Bedürfnisse der Selsbsterhaltung und Fortentwicklung (siehe Geschichte) nach den konkreten Maßstäben der Vertragswirtschaft (konkrete Arbeitszeit und konkreter Naturbedarf pro Bevölkerungsdichte).

Dabei werden im Allgemeinen folgende natürliche Grundlagen einer Gesellschaft wie auch einer Kommune so maßgeblich bleiben, wie sie auch schon geschichtlich maßgeblich geworden waren:

Diese bleiben weiterhin auch tragende Bedingungen einer kommunalen Vertragswirtschaft. Sie unterscheidet sich jedoch wesentlich vom Kapitalismus darin, dass sie ohne Markt auskommt und also eine direkte, eine unmittelbar politische Aufteilung der einzenen und allgemeinen Erzeugnisse ermöglicht. Geld wird zunehmend unnötig werden, wenn es nur das Maß konkreter Aufwände in Raum und Zeit vermittelt, also terminiert und lokalisiert ist. Es wird ein Maß sein, das mit den vorhandenen Gütern korrespondiert (z.B. mit ihrer zeitlichen Existenz zwischen Produktion und Konsumtion) und unterschiedliche Regionen in Beziehung bringt (z.B. durch ein aus der Bevölkerungsdichte entnommenes Maß für ihre natürlichen Ressourcen). Solches Geld gibt es nur als Vertragsgeld, das über Computersysteme (z.B. als Rechengeld wie Rechengeld) funktioniert. Es ist von daher auch ohne politische Form, weil es abhängig von Politik, Wirtschaftlichkeit und Naturgegebenheiten variiert und Unterschiede vertraglich kompensiert. Eine solche Wirtschaft weist weit über ihre Region hinausweist, weil sie auf alle Menschen und Ressourcen bezogen, also international sein muss.

Als Konzept internationaler Beziehungen soll Kommunalwirtschaft als eine interkommunale Ergänzungswirtschaft realisiert werden, also als Wirtschaftsbeziehungsgeflecht (Netzwerk) über die nationalen und kontinentalen Grenzen hinweg, als direkter Austausch der kommunalen Produkte nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Kraft und des entsprechenden Aufwands (siehe hierzu auch Vertragswirtschaft). Nicht Geld und Kapital und auch nicht die Verhältnisse von Nationalstaaten sollen hierbei bestimmend sein, sondern der reale Sach- und Arbeitsaufwand der Produkte und ihrer Entwicklung, die weltweit zur wechselseitigen Ergänzung dienen können. Der Nutzen des Einen wird somit unmittelbar auch zum Nutzen des Anderen, die unmittelbare Wechselseitgkeit zu doppeltem Nutzen - weit wirkungsvoller als Geld. Ähnliche Beziehungen gibt es auch längst schon in der Beziehung einzelner sozial engagierten Einzelunternehmungen zu Rohstoffproduzenten in der sog. Dritten Welt (z.B. Ressourcenbeschaffung für Kosmetik im Austausch mit Produktionmittel) oder auch im Konzept des fairen Handels, was allerdings den Mangel hat, nicht an die wirklichen Gemeinwesen gebunden zu sein, sondern weiterhin nur an die Geldform der Beziehung.

Internationale Kommunalwirtschaft hat folgende Grundprinzipien:

Fur eine freie gesellschaftliche Entfaltung und Geschichte durch internationale Vertragswirtschaft

Der Aufstand der Araber in Kairo hatte der Welt gezeigt, dass Widerstand möglich ist. Die Besetzung öffentlicher Plätze durch Zelte hatte als erstes in Israel mehr als 40 Zeltlager als Protest gegen Sozialabbau und überhöhte Preise zur Folge. Im Mai 2011 ging es weiter in Madrid, Chile, New York und Frankfurt. Die Occupy-Bewegung ist eine weltweite Bewegung gegen Kapitalmacht und Finanzspekulation. Man spricht wieder von Revolution, Klassenkampf, Generalstreik und Kampf. Die erste Mobilisierungswelle war gewaltig. Niemand hatte bis dahin gedacht, dass der größte Teil des Bürgertums sich dazu positiv verhalten würde. Doch so war es. Und damit war ein Unmut laut geworden, der sich über die ganze Welt erstreckt. Zwischen dem leergetretenen Selbstdarstellungen der politischen Klasse erschien es wie eine neue Erkenntnis: Es gibt eine Alternative! (10)

Geld und Marktwirtschaft kann man nicht bekämpfen. Man muss sie aufheben. Und das geht nur Stück um Stück, durch Recht und Sache, vor allem aber durch den wirklichen Lebensprozess der Menschen, durch ihre Weigerung, sich an einer Wirtschaftsform zu beteiligen, die letztlich gegen sie selbst geht, durch die Schaffung eigener Wirtschaftsstrukturen, die den Mächtigen abgetrotzt werden, ihre Trümmer sinnvoll verwenden und eigene politische Strukturen und Netzwerke schaffen. Gesellschaft kann sich nur inhaltlich ändern durch das Insistieren auf den wirklichen Lebenszusammenhang der Menschen, in den Kommunen, den Regionen, der Länder und der Kontinente. Was zum Erfolg führen wird, sind nicht isolierte Kämpfe in einzelnen Regionen oder Bereichen, sondern die Verflechtung der Lebensinteressen der Menschen innerhalb der Länder und international zugleich.

Protest und Empörung über die Entwicklung, wie sie durch Finanzspekulation und Staatsverschuldung vor Augen steht, hat weite Teile der Bevölkerung mobilisiert. Auch die Bewegung "Right To The City" ("Recht auf Stadt") ist inzwischen auf fast allen Kontinenten aktiv. Sie thematisiert die subtilen Enteignungen, welche das Finanzkapital in den Städten betreibt. Die Zerstörung der Städte wird immer deutlicher und zeigt die ungeheuere Entfremdungsmacht des Kapitals besonders direkt auf. In den Kommunen werden die Klassenkämpfe sich zutragen und sie werden selbst entweder gegen ihre Bevölkerung oder gegen den Staat entscheiden müssen. Hier spielt sich alles ab, was das konkrete Leben der Menschen ausmacht. Die Stadt und das Umland sind der unmittelbare Lebensraum und Ort der Auseinandersetzungen über die Lebensbedingungen. Zugleich vollzieht sich hier der allgemeine Widerspruche von Privatem und Öffentlichem konkret und weist über die Grenzen der Kommunen und Regionen hinaus ins Land und in die Welt.

Stellen wir uns vor, wir seien wirklich das, was wir sind: Weltbürger, Menschen, welche ihr Leben mit all seiner Natur erhalten und entwickeln, die miteinander verkehren können, weil sie wissen, wie man sich vertragen kann, die ihre Produkte gegenseitig als Bereicherung übereignen und Eigentum als weltweite Beziehung, als Lebensverhältnis des menschlichen Reichtums kennen. Was wäre dann naheliegender, als dass sich niemand übervorteilen wollte, jedem das Seine gönnen würde, weil er durch ihn auch das Seine erhält. Und wenn jeder Mensch für jeden Menschen eine Bereicherung seines Lebens darstellt, dann wird man sich nicht arm machen können, wird nicht von Überbevölkerung reden und Arbeitslosigkeit als Lebensschicksal verstehen. Die Absurdität dieser Verhältnisse liegen offen vor Augen. Ein weltweites Netzwerk von Vertragsverhältnissen könnte die bloße Geldvermittlung ablösen, weil sie ein Ergänzungswirtschaft wäre. Gerechte Maßeinheiten sind nicht nur regional, sondern überhaupt auf Dauer weit ergiebiger, stabiler und nachhaltiger, als es Geldverhältnisse je sein können. Darin liegt die Chance, die alle Menschen haben und das Ziel, das aus dem selbstzerstörerischen Kreislauf des Kapitalismus herausführt.

Ohne eine Organisationsform und ohne Plan kann es dabei allerdings keine sinnvolle Beziehung geben. Wenn Menschen aus ihrer bloßen Individualität heraustreten und ein gemeinsames Ziel verfolgen wollen, müssen sie sich darüber verständigen, Wissen und damit auch Bewusstsein bilden, Kräfte sammeln und Logistik zusammenführen. Aber sie haben einen Vorteil: Sie selbst sind der Boden ihrer Geschichte und sind das auch unter den Bedingungen des Kapitals. Da finden sie vieles vor, was über die Marktförmigkeit hinausreicht. Es sind schon die Produktionsmittel, die Technologie, die Wohnungen, die Verkehrsanlagen, die Netzwerke, die Energieanlagen usw. Auch im Kapitalismus gibt es Verträge und Absprachen und Pläne. Es müssen auch hier die Verhältnisse geregelt, die Menschen verträglich gehalten werden; - allerdings nur für den einen Zweck, dass sie verwertbar bleiben für die Entwicklung des Kapitals und der Finanzwirtschaft. Es ist schnell umgekehrt, wenn sie sich aus ihren eigenen Verhältnissen heraus vertragen und gesellschaftlich begründetes Recht gegen Privatrecht stellen, Arbeit gegen Ausbeutung, kommunale Wirtschaft gegen Kapitalwirtschaft und Lebensraum gegen Grundbesitz. Und es gibt längst auch die Organisationsformen hierzu, nicht nur die Gewerkschaften, Mietervereine, Anwälte und Gremien. Die geldförmige Lebensvermittlung dieser Welt wird schon allein dadurch überflüssig, wenn Geld durch konkrete Vertagsbeziehungen einfach unnötig gemacht wird, wenn das Maß ihrer Arbeit mit dem ihrer Bedürfnisse einig ist und wenn Arbeit von Menschen organisiert und vollzogen wird, von Menschen, die sich den Geldverhältnissen nicht mehr beugen und die zunächst über kommunale Organisatiionsformen, politische Beschlussfassungen und Subsistenzindustrie verfügen. Alles Weitere, besonders, was das Mehrprodukt und die gesellschaftliche Fortentwicklung betrifft, wird sich wie von selbst ergeben.

 

Genaueres siehe der Artikel: "Grundlagen einer Internationalen Kommunalwirtschaft" (Wolfram Pfreundschuh, 17.03.2015)


(1) Politik kann weder individuell noch allgemein bestimmt sein. Eine Identität von Allgemeinheit und Einzelheit kann es konkret nicht geben. Sie existiert nur in ihrer Geschichte, im Verlauf der Bildung gesellschaftlicher Gegenständlichkeit, Reichtum, Kultur, Verkehr, Kommunikation usw. Auch Fehler, die hierbei im Nachhinein zu erkennen sind, machen ihre Geschichte aus und verlangt Einsicht und Bewusstsein für alle weitere Geschichte. Geschichte dreht sich im Kreis, wiederholt sich, wenn sie Vorbestimmungen zu folgen hat. Von daher kann auch keine Wahrheit der einen (z.B. der Armen oder der Reichen), besser gestellt, als die der anderen. Sie kann sich nur im Verlauf, im Streit und der Auseinandersetzung auf den Grundlagen des gesellschaftlichen Verhältnisses erweisen, z.B. indem die Gründe hierfür erkennbar werden. Von daher kann der politische Entschluss auch nicht "von unten nach oben" (Bakunin) verlaufen, noch von oben nach unten. Eine "Basisdemokratie" stellt eine absurde Vorentscheidung dar, die einen Populismus der Einzelheiten erfordert, der zwangsläufig konservativ und rechtslastig wird, weil eine phänomenale Verallgemeinerung, also eine allgemeine Einzelheit erfordert, die sich als konkrete Gemeinschaft, z.B. als Volk oder Verein, einzustellen hat.

Bakunin hat in seiner Schrift "Staatlichkeit und Anarchie" (1873) eine föderative Gesellschaft vorgestellt, die sich aus assoziierten Arbeitsleuten zusammensetzt: "Die durchgehend föderative Organisation von unten nach oben der Arbeiterassoziationen, Gruppen, Gemeinden, Bezirke und schließlich Provinzen and Nationen - diese einzige Vorraussetzung für eine wahre und nicht fiktive Freiheit ... (S.428) "Wir sind davon überzeugt, daß sie undenkbar ist und eine Lüge bleibt, solange die Menschheit in eine Minderheit von Ausbeutern und eine Mehrheit von Ausgebeuteten unterteilt ist. Wenn ihr die Freiheit für alle wollt, dann müßt ihr mit uns die Gleichheit aller wollen." (S.624)

(2) "Die Tatsache ..., daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich, ein selbständiges Reich, in den Wolken fixiert, ist eben nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sich-selbst-widersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muß also erstens in ihrem Widerspruch verstanden und sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch revolutioniert werden." (MEW 3, S. 534)

(3) Durch die sogenannte freie Marktwirtschaft zielt jede Produktion auf einen Markt, an dem die Konsumenten Bedürfnisse zu befriedigen suchen. Durch Angebote auf der einen Seite und Nachfrage auf der anderen bestimmen sich zwar deren Preise, ihre Wert aber hängt von der gesellschaftlich notwendigen Arbeit ab. So vermittelt sich alles in einer unbestimmbaren Beziehung, in welcher Geld sowohl die Selbsterhaltung, das Mehrprodukt als auch den reinen Mehrwert vermittelt. Im Geldwert verschwindet alles, was ein reines Mehr an Wert darstellt, was zwar Wert, aber im Grunde unbezahlte Arbeit ist. Sie verschwindet in dem schwarzen Loch, das menschliche Lebenskraft, Geschichte, und damit Lebenzeit und Lebensraum für bloßen Geldwert und also Finanzmacht verbraucht. Dieser Wert ist so willkürlich begründet, wie die Geldmacht jeweils sein kann. Geld ist nur in der Vorstellung ein Zahlungsmittel; in Wahrheit ist es das Maß der Werte, dem alles gebeugt ist, was von Geld abhängt. Und das ist im Kapitalismus fast alles. So verschwindet, was im Einzelnen Aufwand und Kraft verlangt, im Allgemeinen zu einem großen Teil in der Verwertungsagenturen und Finanzmärkten, ohne je der menschlichen Lebenshaltung, dem gesellschaftlichen Fortschritt oder der wirklichen Lebensvorsorge zu dienen. Alles Bestimmte geht im Geld ein und wirkt als unbestimmtes Resultat auf die Menschen mit Macht zurück, weil es eben einzeln nur Privateigentum sein kann und Allgemein nur Wert ist. Es verschwindet die wirkliche Geschichte in dem Loch der tausend Möglichkeiten, das nur dem dienen kann, der Geld besitzt, das er nicht wirklich verdienen muss. Dieses Verhältnis muss durchbrochen werden, wenn sich wirklich was ändern soll. Wirkliche Geschichte bewegt sich nicht im Unbestimmten, nicht zwischen Angebot und Nachfrage, sondern in Zeit und Raum. Und darum soll es jetzt gehen.

(4) Das war schon zu Marxns Zeiten nicht anders. Er schrieb schon 1848:

"An die Stelle der kritischen Anschauung setzt die Minderheit [der Zentralbehörde des "Bundes der Kommunisten"] eine dogmatische, an die Stelle der materialistischen eine idealistische. Statt der wirklichen Verhältnisse wird ihr der bloße Wille zum Triebrad der Revolution. Während wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre Bürgerkriege und Völkerkämpfe durchzuzumachen, nicht nur um die Verhältnisse zu ändern, sondern Euch selbst zu ändern und zur politischen Herrschaft zu befähigen, sagt Ihr im Gegenteil: "Wir müssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir können uns schlafen legen."

Während wir speziell die deutschen Arbeiter auf die unentwickelte Gestalt des deutschen Proletariats binweisen, schmeichelt Ihr aufs plumpste dem Nationalgefühl und dem Standesvorurteil der deutschen Handwerker, was allerdings populärer ist. Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von Euch das Wort Proletariat. Wie die Demokraten schiebt Ihr der revolutionären Entwicklung die Phrase der Revolution unter." (Marx MEW 8, S. 412)

Siehe hierzu auch Quellen "Gegen Revolutionsmacherei" auf http://kulturkritik.net/quellen/revolutionsmacherei.html

Die Folgen eines derartigen politischen Kampfes wäre, dass der Staat zu übernehmen wäre, wie es schon Lenin gemacht hatte, und unweigerlich zu einer Diktatur werden müsste, um einen Übergang in eine bessere Gesellschaft zu gehen. Dass dies nicht mehr gehen wird, das weiß man schon. Auch wer auf den Widerstand der Araber gegen die Diktatoren dort hinweist und von einem Sieg der Revolution spricht, wird schnell einsehen müssen, dass es sich hier nicht um einen Kampf gegen die Marktwirtschaft gehandelt hatte, sondern um Machtwillkür von Tyrannen und Diktatoren.

(5) Natürlich ist das nicht so einfach zu ändern, solange alles durch Geld nur entwickelt werden kann und Geld vor allem immer wieder Geld anzieht und vermehrt. Es ist ein Teufelskreis. Und wer den auflösen will, gerät zuerst mal in einen Strudel von Macht und Ohnmacht. Wer sich gegen Marktwirtschaft verhält, stellt natürlich die Systemfrage, die Frage nach dem herrschenden Recht der Privatwirtschaft und des Privateigentums. Und das ist wohl auch der Grund, warum sich viele davor fürchten, teils weil sie noch davon zehren oder hoffen, dass sich daraus das Unrecht doch noch auflösen läst, das Sozialprodukt besser zu verteilen wäre, teils aber auch, weil sie Angst vor den Gewalten haben, die m,it solcher Infragestellung schnell bereit stehen.

(6) "Wie das Privateigentum nur der sinnliche Ausdruck davon ist, daß der Mensch zugleich gegenständlich für sich wird und zugleich vielmehr sich als ein fremder und unmenschlicher Gegenstand wird, daß seine Lebensäußerung seine Lebensentäußerung ist, seine Verwirklichung seine Entwirklichung, eine fremde Wirklichkeit ist, so ist die positive Aufhebung des Privateigentums, d.h. die sinnliche Aneignung des menschlichen Wesens und Lebens, des gegenständlichen Menschen, der menschlichen Werke für und durch den Menschen, nicht nur im Sinne des unmittelbaren, einseitigen Genusses zu fassen, nicht nur im Sinne des Besitzens, im Sinne des Habens. ...

Das Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht, daß ein Gegenstand erst der unsrige ist, wenn wir ihn haben, also als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unsrem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz, gebraucht wird. Obgleich das Privateigentum alle diese unmittelbaren Verwirklichungen des Besitzes selbst wieder nur als Lebensmittel faßt und das Leben, zu dessen Mittel sie dienen, ist das Leben des Privateigentums Arbeit und Kapitalisierung.

An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist daher die einfache Entfremdung aller dieser Sinne, der Sinn des Habens getreten. Auf diese absolute Armut mußte das menschliche Wesen reduziert werden, damit es seinen innern Reichtum aus sich herausgebäre."
Karl Marx in Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) (Marx-Engels-Werke Bd.40, S. 539f)

(7) Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, dass die versammelte Kapitalmacht, zu welcher sowohl der Finanzmarkt, der Immobilienmarkt, das Bankensystem und die Staatsverschuldung gehören, durch eine Subsistenzwirtschaft ziemlich schnell wirkungslos wäre. Sobald sich die Menschen kraft ihrer gesellschaftlichen Reproduktion, der Arbeit zu ihrer Selbsterhaltung wirklich sicher sein könnten, wäre keine Ausbeutung mehr möglich, ihre Erpressung substanzlos. Solche Sicherheit ist nicht durch Geld möglich, weil Geld immer wertabhängig ist. Wer nicht arbeiten kann oder arbeitslos gemacht wird, weil die Verwertungslage seiner Arbeit keinem Geldbesitzer taugt, ist für die Marktwirtschaft wertlos und wird durch Sozialhilfe in die Armut getrieben, weil er für die Wertbildung als Abschreckung nützlich bleiben soll, welche die Löhne auf unterstem Level halten will. Geld ist überhaupt kein Mittel, das sich damit gesellschaftlich wirklich und dauerhaft etwas ändern ließe. Es ist nur ein Verrechnungsmaßstab der Wertverhältnisse und lässt sich auf der einen Seite der Einnahmen, z.B. durch Löhne auch gerade mal wieder erhöhen, bis auf der anderen Seite der Ausgaben, z.B. der Lebensmittel und Mieten die Erhöhung nachgetragen wird. Mit der Umverteilung von Geldmengen bleibt im Grunde alles beim alten, auch wenn es vorübergehend kosmetische Wirkung haben kann.

(8) "Alle Produktion ist Aneignung der Natur von Seiten des Individuums innerhalb und vermittelst einer bestimmten Gesellschaftsform. In diesem Sinn ist es Tautologie zu sagen, daß Eigentum (Aneignen) eine Bedingung der Produktion sei. Lächerlich aber ist es, hiervon einen Sprung auf eine bestimmte Form des Eigentums, z.B. des Privateigentums, zu machen. (Was dazu noch eine gegensätzliche Form, die Nichteigentum ebensowohl als Bedingung unterstelle.) Die Geschichte zeigt vielmehr Gemeineigentum (z.B. bei den Indern, Slawen, alten Kelten etc.) als die ursprünglichere Form, eine Form, die unter der Gestalt des Gemeindeeigentums noch lange eine bedeutende Rolle spielt. Von der Frage, ob der Reichtum sich besser unter dieser oder jener Form des Eigentums entwickle, ist hier noch gar nicht die Rede. Daß aber von keiner Produktion, also auch von keiner Gesellschaft die Rede sein kann, wo keine Form des Eigentums existiert, ist eine Tautologie. Eine Aneignung, die sich nichts zu eigen macht, ist contradictio in subjecto." Marx in der Einleitung zu den Grundrissen (MEW 42, S. 23)

(9) Je mehr Menschen gesellschaftlich verbunden sind, desto mehr können sich am nötigen Aufwand zur Herstellung der lebensnotwendigen Produkte beteiligen. Es ist daher unsinnig, Überbevölkerung und Arbeitslosigkeit als demografische Naturgesetzlichkeit darzustellen. Es ist nur notwendig, die Produktionsmittel ebenso gesellschaftlich einzusetzen, wie die Menschen sie auch für die Produktion zu ihrer Selbsterhaltung nötig haben. Diese zu entwickeln und gegebenenfalls aus vorhandenen Mitteln oder unverwertbaren Industrieanlagen zu errichten, ist die erste Notwendigkeit einer Umkehrung der Marktwirtschaft in eine Kommunalwirtschaft - und damit ein wichtiges Ziel, richtige Erfordernis und Forderung.

Es sind zunächst natürlich nur Vorstellungen, was man damit alles machen könnte. An und für sich dürfte es kein Problem sein, mit der Produktivität von heute und in enger Beziehung zum Umland eine Stadt oder Region zu ernähren. Man braucht hierfür keine Marktwirtschaft; im Gegenteil: Alleine durch die Konkurrenzverhältnisse auf dem Markt sind die Händler gezwungen, schon fast die Hälfte der angebotenen Produkte zu vernichten, zum einen, weil ihr Preis oft nicht bezahlt werden kann, zum anderen, um sie rechtzeitig aus den Regalen zu bekommen, weil eine zum Betriebserhalt notwendige Menge umgesetzt werden muss. Eine Subsistenzindustrie hat dies nicht nötig, wenn sie regional organisiert wirtschaftet. Sie soll ja nur die Grundversorgung garantieren, ohne dass hierfür Marktaspekte zur Disposition stehen. Auch ein Arbeitsmarkt ist hierfür unnötig. Wird die Arbeit kommunal aufgeteilt, so könnte sie vielleicht mit einem Arbeitstag pro Mensch und Woche zu bewältigen sein, Arbeitslosigkeit unnötig oder zur Freizeit werden.

(10) Doch nach unendlich vielen Aktionen und Ideen und Diskussionen kam mit dem Winteranfang Nachdenklichkeit auf. Wie soll das weitergehen? Und wohin? Der Protest war bisher so allgemein geblieben, dass nicht mal die Rechte und die Linke richtig unterscheidbar war. Und die Forderungen und Proteste der Linken wendeten sich vor allem meist gegen das Unrecht, das sich in den Preisen der Mieten und Lebensmittel zeigten, der ungerechten Verteilung der Güter und Löhne, letztlich der Forderung, dass man mehr abhaben wollte von dem großen Kuchen. Doch einen Kuchen gibt es nicht. Das erfahrene Unrecht ist selbst nur das Phänomen eines sehr viel wesentlicheren Problems: Es gibt zwar viel Geld, doch es ist auf Dauer nichts wert. Ein einfaches Computerprogramm kann binnen Jahresfrist einen Multimillionär machen, der im übernächsten Jahr schon wieder auf der Straße rumhängt. Milliardenschwere Agenturen und Betrieben beschäftigen heute noch Tausende von Menschen, die schon bald arbeitslos sein werden, wenn ihr Betriebswert zusammengebrochen ist. Erfolg und Zusammenbruch liegen immer enger beieinander, weil nurmehr zählt, was möglichst schnell Kapital bildet und vermehrt, weil es gleich wieder zu spät sein wird, weil das wirkliche Leben, die wirklichen Verhältnissse da nicht mehr mithalten können. Der Kapitalismus verlangt ein Wertwachstum, das letztlich und in seiner Logik jede Wirtschaft zugrunde richtet. Es ist die Logik des Geldes, das inzwischen alle Lebensverhältnisse weltweit bestimmt und durch seine Quantifizierungssucht zwangsläufig alles aufsaugt, aufschwemmt und ausschwemmt, was ihm zur Wertmaximierung taugt (5). Zurück bleibt Verwüstung. Sicher kann es dazu heute keine Lösung mehr in einem Kampf oder einer Schlacht gegen einzelne Institutionen geben. Kaum jemand, der sich mit militärischen Konflikten befasst hat, wird noch glauben, das ein moderner Staat Westeuropas unmittelbar von der Bevölkerung einfach angreifen ließe. Er ist schließlich selbst das Objekt der Begierde der Geldmacher. Und es wäre eine absurde Revolutionsmacherei (4), ihm auch noch die Legitimation zur Erpressung der Bevölkerung zu verschaffen.