Emergenz

Aus kulturkritik

Emergenz ist das Hervortreten einer neuen Qualität aus der Wirklichkeit von synergetischen Beziehungen. Die emergente Eigenschaft entsteht aus der Kombination der verschiedenen Teile einer Ganzheit, die sich aus ihren noch abstrakten Beziehungen zu einer neuen Ganzheit fortbestimmen, indem sie ihr Ganzes durch die Überwindung seiner im Großen und Ganzen abstrakt gewordenen Form in einem wesentlich neuen Zusammenhang erfahren, sich aus überkommenen Formbestimmungen befreien und sich in einer neuen Qualität "wiederfinden", die durch ihre Emanzipation aus diesen gänzlich andere Eigenschaften hat und bekommt. Wesentlich ist für das Entstehen solcher Eigenschaften einerseits eine Notwendigkeit zu einer neuen Formbildung, da die Aufmassierung der alten Inhalte zur Selbstbedrängung werden, sich sozusagen "selbst im Wege stehen" (siehe Masse). Andererseits ist dem ein Reichtum an Entwicklungsmöglichkeiten unterstellt, die vielfältige Ergänzungen ermöglichen. Im Verhältnis von Notwendigkeit und Reichtum befreit sich das Leben von der Not seiner ihm inadäquat gewordenen Form in eine neue Lebensform, welche die alte nicht einfach abstreift, sondern in eine neue Ganzheit von Vielfältigkeiten (Reichtum) einbezieht, wodurch sich das ganze Leben bereichert und das anachronstisch gewordene Leben sich nurmehr als Teil eines neuen Ganzen wiederfindet und bewahrt.

Sowohl in der Naturgeschichte als auch in der Geschichte der Menschwerdung haben sich diese Neubildungen durch Ergänzungen dann als Fortschritt erwiesen, wo die neuen Qualitäten die vorhandenen Beziehungen bereichern, ihren Sinn und Zweck nicht nur ergänzen, sondern neue Bedürfnisse erwecken und höheren Genuss ermöglichen, also auf die Menschen subjektiv als Fortschreiten in Zeit und Raum "zurückkommen" und das menschliche Subjekt, der Lebenszusammenhang der menschlichen Gesellschaft vertieft und in höherem Maß befriedigt wird, sich also selbst zu einem Frieden auf höherem Niveau bestimmt.

Dies ist leicht an der Entstehungsgeschichte der menschlichen Gesellschaft nachzuvollziehen. Marx hatte die Revolutionen als die "Lokomotiven der Geschichte" bezeichnet und damit gemeint, dass die Wendung einer Gesellschaftsepoche in eine andere immer der Kraftakt war, ihre neue Qualität, ihre zum Lebensinhalt gewordene Lebenssubstanz, zu einer ihr entsprechenden Form zu verwirklichen.

Geschichte ist somit immer eine Emergenz von Lebenssubstanzen. Die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft setzte die feudalistische voraus, in welcher erstmals und überhaupt menschliche Produktivkraft durch die Herren materiell versammelt war, wodurch diese von ihren Knechten abhängig wurden. Ihr Gott konnte sie noch züchtigen, aber mit der Zunahme an akkumulierten Material wurde die Herrschsucht des religiösen Glaubens anachronistisch und ließ die Knechte gegen die schal gewordene Macht ihrer Herrschaften revoltierten. Aus einer abstrakt menschlichen Gesellschaft konnte eine Gesellschaft von Menschen werden, die ihr gesellschaftliches Material zu entwickeln hatten.

In der bürgerlichen Gesellschaft konnten sich die arbeitenden Menschen zunächst als Warenproduzenten frei fühlen, bis sie schließlich selbst als Arbeitskraft auf den Markt kamen und zu einem objektiven Moment desselben wurden. Es entstand das Proletariat einer hochentwickelten Industriegesellschaft, die sich in ihrer Wertbildung gegen ihre eigenen Grundlagen, als Produktivkraft des Kapitals in dessen Verwertungszwänge gegen die Produktivität ihrer Arbeitsverhältnisse durchsetzte und sich zu einem anachronistischen Rechtssystem von bloßen Eigentumstiteln fiktionalisieren musste (siehe fiktives Kapital). Die Bedürfnisse des arbeitenden Menschen waren durch die politische Form des Kapitals beherrscht (siehe Formbestimmung), die von seiner Arbeit getrennt, diese also nur abstrakt menschliche Arbeit war. Von daher sind sie als Objekt einer überalteten, einer toten Arbeit zum potenziellen Subjekt einer neuen Arbeit, einer durch Bedürfnisse bestimmte Arbeit geworden, die durch eine Revolution des Kapitalismus, durch die Bekämpfung seiner politischen Formation erst verwirklicht werden kann. Erst durch eine gesellschaftliche Beziehung auf die Bedürfnsisse der Menschen kann die abstrakt menschliche Arbeitwirklich überwunden sein.

In der Rezeption dieser Subjektwerdung der gesellschaftlichen Arbeit wurde allerdings mit der Zielsetzung einer "Diktatur des Proletariats" gerade die Emergenz eines erneuerten Menschseins in einer kommunistischen Gesellschaft ausgeschlossen - eine ganz verhängnisvolle Verkürzung war die Folge, welche dessen Grundlage, die Aufhebung der Teilung der Arbeit, die Verwirklichung des gesellschaftlichen Zusammenhangs von Arbeit und Bedürfnis der Menschen, in den Wind schlug.