Ergänzung
"Ein Mensch baut kein Haus, aber zehn Menschen bauen zehn Häuser" (indische Lebensweiheit)
Arbeit kann nur gesellschaftlich sinnvoll sein (siehe Ergänzungswirtschaft). Ergänzung steht im Zweck einer konkreten organischen Beziehung, um ohne eine ihr äußerliche Vermittlung einen Gegenstand als etwas Ganzes als eine Form herzustellen, in welcher sich die Teile, z.B. als Teilarbeiten, durch den Sinn ihrer Organe ungebrochen zusammenfinden. Das Kapital gründet auf einer abstrakten Arbeitsteilung, auf der Teilung der Arbeit durch Verhältnisse, in denen die Produkte der Arbeit wie auch die Bedürfnisse der Menschen isoliert, also getrennt von einander existieren und durch den Markte und der darin herrechenden Konkurrenz im Warentausch sich abstrakt über ihren Wert vermitteln.
Ergänzung ist die Grundlage einer jeden Entwicklung, weil sie inhaltliche Bereicherung (siehe auch Reichtum) in den jeweils unterschiedlichesten Formen erbringt. Sie kann von daher die unterschiedlichsten Folgen erweisen. Im Unterschied zur Symbiose, worin unterschiedliche Lebenssubstanzen zu einem Eigenleben verschmolzen werden oder ein Ganzes sich durch Einverleibung gegen Fremdes erhält (siehe z.B. symbiotische Selbstbehauptung), unterstellt Ergänzung Teile, die durch ihre bestimmte Verschiedenheit zu etwas Ganzem werden müssen, das sie für sich in ihrer Einzelheit nicht wirklich sein können. So sehr sie sich auch vermehren, ohne etwas Ganzes zu werden, werden sie unwirklich, wirkungslos und hinterhältig, weil sie von einer Substanz zehren, die sie nicht wirklich konkret haben und sie daher im Allgemeinen abstrakt nutzen, fremde Wirklichkeit verbrauchen<
Ergänzung ist immer eine qualitative Beziehung, die ganz im Gegensatz zur Gleichsetzung steht, also gänzlich Verschiedenes in eine Beziehung bringt, die etwas bilden, was qualitativ neu ist. Sie überwindet Teilung und Isolation und stellt das her, was in der Gleichsetzung im Quantum wesentlich verloren ist ("The Winner takes it all"). Sie unterstellt ein Ganzes, das im einzelnen Tun verwirklicht wird, indem dieses selbst als Teil seiner Eigenschaften begriffen, ihm dienlich ist. Es verwirklicht sich dabei immer eine Ganzheit, die alle Teile bestärkt und sie zugleich über ihren bisherigen Zusammenhang hinaushebt. Das Ganze wird einerseits in dem qualitativ vollkommen, was ihm schon wesentlicher Inhalt ist, bevor es in seiner Ganzheit auch wirklich ganz sein konnte. Es erweist sich in seinem Wesen vervollständigt und beweist dies durch die wachsende Synergie seiner Kraft. Indem diese andererseits auch neue Beziehungen zu anderen Teilen findet, kann auch eine neue Ganzheit entstehen (siehe Emergenz), die völlig neue Eigenschaften hat.
Der Soziologe und Humanwissenschaftler Norbert Elias geht im Rahmen seines Prozessmodells der Großen Evolution auf den Mechanismus ein, durch den bei Evolutionssprüngen Neues entsteht: die Integration bzw. Kombination bestehender Phänomene und die Funktionsteilung zwischen ihnen. Darin lässt sich die uralte Weisheit "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" neu begreifen. Durch die Verbindung relativ einfacher Einheiten entstehen zusammengesetzte, komplexere Einheiten, deren Teile in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander stehen, so dass kein Teil entfernt werden kann, ohne mehr oder weniger gravierende Folgen für die ganze Einheit und ihre Teileinheiten zu haben. Ergänzung befördert den Zusammenhalt der Teile und überwindet die Gewalt ihrer Isolation, indem sie die reduktionistische Wirkung der darin formatisierten Abstraktionen auflöst.
So kann auch eine Ergänzungswirtschaft sich gegen Teilung verhalten und die abstrakte Vermittlung negieren. Ergänzungswirtschaft ist daher die Aufhebung Arbeitsteilung des Wertverhältnisses in eine geschichtliche Kraft umkehren, welche die voneinande getrennten Arbeitsteile in einer gesellschaftlichen Beziehung aufhebt. Was in bürgerlicher Form nur auf der Seite des Kapitals als sogenanntes "Win-win-Verhältnis" auftreten kann, soll in dieser Wirtschaftsbeziehung (z.B. durch Vertragswirtschaft) als lebendige Synergie der Arbeit selbst gezielt verwirklicht werden, indem sie deren implizite Ganzheit verfolgt, also wechselseitige Ergänzung durch Kooperation betreibt.
"Der Kampf über die gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit wütete um so heftiger, je mehr er, abgesehen von aufgeschreckter Habsucht, in der Tat die große Streitfrage traf, die Streitfrage zwischen der blinden Herrschaft der Gesetze von Nachfrage und Zufuhr, welche die politische Ökonomie der Mittelklasse bildet, und der Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche die politische Ökonomie der Arbeiterklasse bildet. Die Zehnstundenbill war daher nicht bloß eine große praktische Errungenschaft, sie war der Sieg eines Prinzips. Zum erstenmal erlag die politische Ökonomie der Mittelklasse in hellem Tageslicht vor der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse.
Ein noch größerer Sieg der politischen Ökonomie der Arbeit über die politische Ökonomie des Kapitals stand bevor. Wir sprechen von der Kooperativbewegung, namentlich den Kooperativfabriken, diesem Werk weniger kühnen „Hände“ (hands). Der Wert dieser großen Experimente kann nicht überschätzt werden. Durch die Tat, statt durch Argumente, bewiesen sie, daß Produktion auf großer Stufenleiter und im Einklang mit dem Fortschritt moderner Wissenschaft vorgehen kann ohne die Existenz einer Klasse von Meistern (masters), die eine Klasse von „Händen“ anwendet; daß, um Früchte zu tragen, die Mittel der Arbeit nicht monopolisiert zu werden brauchen als Mittel der Herrschaft über und Mittel der Ausbeutung gegen den Arbeiter selbst, und daß wie Sklavenarbeit, wie Leibeigenenarbeit so Lohnarbeit nur eine vorübergehende und untergeordnete gesellschaftliche Form ist, bestimmt zu verschwinden vor der assoziierten Arbeit, die ihr Werk mit williger Hand, rüstigem Geist und fröhlichen Herzens verrichtet. In England wurde der Samen des Kooperativsystems von Robert Owen ausgestreut; die auf dem Kontinent versuchten Arbeiterexperimente waren in der Tat der nächste praktische Ausgang der Theorien, die 1848 nicht erfunden, wohl aber laut proklamiert wurden." (Karl Marx Oktober 1864, "Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation", MEW 16, S. 5-13)