Euthanasie

Aus kulturkritik

Überall versuchend, zu helfen und zu heilen, selbst dort, wo nichts mehr zu heilen ist, verloren die Ärzte das hohe Gefühl für die Bedeutung ihres Berufes ... [Die] Verdoppelung der Volkszahl der Gesunden ist binnen 25 Jahren unter der Voraussetzung möglich, daß der gesunde Volkskern von den kranken, belastenden Elementen befreit wird. Der Vernichtung der Ballastexistenzen stehen heutzutage keinerlei technische Schwierigkeiten, aber immer noch moralische entgegen.Es ist zwar dem Arzte gestattet, jegliche Operationen am Einzelmenschen vorzunehmen, doch wird er durch Gesetzgebung verhindert, chronische Seuchenherde im Volke durch Vernichtung der Seuchenträger zu zerstören und durch Vernichtung der minderwertigen Überwucherung der gesunden Volksbestandteile zu beseitigen. Solche chirurgischen Eingriffe in das Volksganze sind dringende Forderungen der Zeit. Wir dürfen die Vernichtung lebensunwerten Lebens nicht der nächsten Generation zuschieben . (Ernst Mann: Vom Eliteheer zum Schwertadel über die Aufgaben des Arztes im Dritten Reich zitiert nach Julius Moses: Der Kampf gegen das Dritte Reich - ein Kampf für die Volksgesundheit!)

Euthanasie meint in der griechischen Wortbedeutung die bewusste Herbeiführung des Todes. Dies war im griechischen Altertum eine sophistische Grundhaltung zu einem Leben, das sich gegen die Ideale ihrer Lebenswerte entwickelt (siehe auch Platonischer Staat). Allgemein wird dies in dem in sich schon widersinnigen Begriff von einem lebensunwerten Lebens umgesetzt, der hauptsächlich für die Massenvernichtung von Menschen durch die Nationalsozialisten hergenommen wurde. Vom obersten Mediziner der NS, dem Leibarzt Adolf Hitlers Karl Brandt, war die Euthanasie das Gebot einer aufgeklärten Vernunft (siehe Aufklärung) der sozialen Entwicklung, die in völkischem Interesse an gesunden Menschen zur Kultivierung einer Gesellschaft nötig sei (siehe auch Volkskörper). Er hat die Euthanasie zur technokratischen Durchsetzung der Rassenreinheit (siehe auch Reinheit) nach Anstoß von Hitler als Arzt der Volksgesundheit entwickelt und gegen Behinderte und Abartige zunächst als Konsequenz naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ihrer sozialen Verantwortung betrieben - auch im Sinne eines biologistischen Verständnisses von Abweichung und zur Erforschung der sozial gefährlichen Instinkte. Im Zynismus der Nazis hieß dies die Aktion Gnadentod und wurde von Brandt selbst als Ausdruck nationalsozialistischer Lebensbejahung gefeiert: Euthanasie des lebensunwerten Lebens ist konsequente Lebensbejahung!. Dies ist der Kern des Lebensverständnisses der Nazis und der daraus folgenden Begrifflichkeit, aus dem sich alle andere Tötungen ebenso ergeben, wie das absurde Lebensverständnis, welches einem ungeheuerlichen Heilsgedanken entspringt: Was nach NS-Ideologie für unschön und unwert befunden wird, befördere durch seine Vernichtung die Vollendung des nazistischen Lebensglücks, das Leben der reinen Rasse (siehe Rassentheorie).

Der Kern der nationalsozialistischen Euthanasie ist also eine Lebensästhetik, die sich als Sortierung zwischen Leben und Tod durchsetzt und die absolute Schere zwischen Gut und Schlecht ansetzt. Es ist die Logik einer Ästhetik, die sich aus dem Schlechten begründet, aus dem Unguten, dem alleine mit Macht begegnet werden soll, weil man das Gute will. Es ist der sophistische Nominalismus der Macht (siehe politischer Nominalismus), die sich in der Herrschaft über Leben und Tod durch die Kraft des Willens gegen das Schlechte begründet wissen will, der Gipfel bürgerlicher Selbstentfremdung als Zynismus der Gewalt gegen alle wirkliche Geschichte, die Stringenz des absoluten Selbstgefühls, das sich in einer reinen Volksseele verwirklicht sehen will - und koste es das Leben ... der anderen. Entsprechend auch die Unterschiede der Wahrnehmung: Während das Personal der Gaskammern von grausig entstellten Leichen berichtete, die in ihrem Kot und Erbrochenen verwunden lagen, behauptete Karl Brandt, sie seien mit einem glücklichen Lächeln gestorben.

Bei allen Diskussionen um eine bewusste Herbeiführung des Todes (z.B. in der Sterbehilfe) muss die Frage nach dem Ursprung einer solchen Tat in Bezug auf Wille, Macht und Ästhetik geklärt sein, bevor sie in den Dunstkreis des Nationalssozialismus gerückt werden kann. Natürlich besteht bei jedem unnatürlichen Tod immer das implizite Problem der Sortierung zwischen Leben und Tod, das gesellschaftlich begriffen werden muss; - und die Begründung alleine durch den Willen des Betroffenen wäre fatal, da er ja notwendig andere Menschen und das Verhältnis zu ihnen und den Eingriff in ihre Geschichte, die Abfolge ihrer Tätigkeit, nach sich zieht. Aber es kann umgekehrt auch kein Diktat der Natur des Sterbens geben, da nichts am Menschen reine Natur ist - zumal es oft auch nur die Technik ist, die solches Diktat erst ermöglicht, weil sie auch das Diktat eines Lebensverständis ermöglicht hat, bei dem allein der technische Erhalt der Lebensfunktionen durch medizinisch eingestzte Maschinen bestimmend sein soll.