Identitätsfindung
"Letztlich sind wir, was wir tun, um zu ändern, was wir sind. Unsere Identität ist kein stummes Museumsstück in einer Vitrine, sondern die Synthese unserer alltäglichen Widersprüche, die stets aufs Neue überrascht." Eduardo Galeano (Galeano 1991, 117)
Von Identitätsproblemen wird gerne gesprochen, wo man sich nicht eins mit sich ist, sich "identitäslos" findet. Da erscheint es nötig, sich endlich zu finden, eine Identität durch bestimmte Maßnahmen oder Arrangements oder sogar durch Politik zu erwerben. Aber damit kann im Grunde nur eine Selbsttäuschung betrieben werden. Das Wesen solcher Probleme wäre eher durch die Frage zu erhellen, warum man keine Empfindung für sich hat, warum die eigene Wahrnehmung nur noch ästhetischen Absichten zu folgen scheint und nur noch darin zu begreifen wäre. Denn Identitätsfindung ist eigentlich ein Widersinn in sich (siehe auch identitäres Denken): Wie kann ich etwas finden, was ich nur selbst sein kann und also nirgendwo zu suchen habe? Identitätsfindung gibt es so wenig, wie es Identität gibt, so als gäbe es eine unmittelbare Selbstgewissheit. Man findet sie nur dort, wo Identität äußerlich, also im Widerspruch vermittelt, ein Unding ist: Im Selbstgewinn. Identitätsfindung ist daher ein Begriff für die Suche nach Mitteln und Vermittlung eigener Identität, also der Prozess eines Selbstverlustes, der sich in Selbstgewinn umzukehren sucht. Dieser kann auch die Umkehrung einer Identitätsangst sein.
Identitätsfindung setzt nämlich voraus, dass Identität nicht ist, dass es etwas gibt, was identitätslos, was nichtig ist. Doch dieses gibt es nur in der Negation, also durch die Abwesenheit von dem, was nicht sein soll und sie sucht Anwesenheiten zu finden, die für ihre Empfindungen einverleibt werden können. Doch aus dem Nichts heraus ist das keine wirkliche Suche, sondern ein unumstößlicher Trieb, der sich nur durch Einverleibungen von Erlebnissen befriedigen kann (siehe z.B. Todestrieb). Von daher handelt es sich bei dem, was mit Identitätsfindung bezeichnet sein soll, um das Gegenteil von dem, was dabei besprochen wird: Um einen Verlust der Selbstwahrnehmung, der zu Ereignissen treibt, die das Verlusterleben jenseits der Wahrnehmung durch eine leibliche Wiederholung seines Erlebens wahrnehmbar macht und also auch Wahrnehmung vergegenwärtigen kann, die in der Erinnerung untergegangen war. Daraus erklärt sich die Gewalt des getriebenen Strebens, die nicht aus dem Nichts kommt, sondern aus dem Vakuum, das in der Wahrnehmung durch eine ganz wesentliche Bedrohung oder Verletzung und Schmerz entstanden war und verdrängt wurde (siehe auch Trauma).