Reliquie

Aus kulturkritik

Eine Reliquie stellt eine Mythologie der Berührung dar, ihre Selbstvergewisserung im Gläubigen eine haptische Beziehung zu den Subjekten seiner Religion als verewigte Rührung erneuert und vermittelt und ihre Bedeutung kultiviert, indem sie zugleich auch ihre Prominenz popularisiert. Sie ist eine stoffliche Kultform des Glaubens, die rein ästhetische Rückbeziehung einer religiösen Empfindung zu einem Gefühl ewiger Sinnhaftigkeit gegen alles Unheil, eine Kultform der Erinnerung als Vergötterung eines Geheiligten an sinnlichen Spuren, die mit ihm in Verbindung eines Heils gebracht (siehe auch Heilserwartung) und dadurch zu einer heiligen Sache wurden. Jeder Stoff, der in Berührung mit dem Übersinnlichen war (z.B. Knochen, Holzsplitter usw.), kann das Medium des Reliquien-Kults sein. Als dieses übermittelt sich ihm die Illusion der Stofflichkeit als Dasein des Glaubens, welches für sich zu sein scheint, weil es wirklich da ist, gleichgültig, was es in Wirklichkeit ist. In ihm stellt sich zumindest eine Geschichte dar, auch wenn sie nicht wirklich ist - es muss lediglich das Tote einer Geschichte sein, das als Leben über irgendein stoffliches Sein vorgestellt wird, ein Lebensbild, dessen Stoff gleichgültig wie jedes Medium ist. Insofern ist eine Religie die Beweisform einer religiösen Autosuggestion, ein Glaubensmedium voll suggestiver Kraft.

Ihrem Grund nach ist die Reliquie die Aufhebung der Glaubensnot in der Berührung mit der Zeit, der Endlichkeit des Unendlichen, dem Sinn des Heiligen im Fakt des Stofflichen, ein Fetisch des Heiligen, der durch die Verkörperung einer Gegenwärtigkeit des Heiligen Glaubensgewissheit erzeugt. Durch die Vergeschichtlichtlichung des Ewigen wird Glaubenszweifel aufgehoben, zugleich darin bewahrt, dass die Demut vor der Reliquie ihrem Wesen nach bigott ist.

Das Medium macht Leben sinnfällig, lässt es als beliuebige Assoziatiuon in die Vorstellung eingehen, bis das Vorgestellte vom wirklichen Leben nicht zu unterscheiden ist. Der Kult damit macht aus der Reliquie selbst den Heiligen, den sie berührt hat, den Übersinn, der leben soll, auch wenn er längst gestorben ist. Im Kult mit einem Medium wird das Leben nicht nur vorgestellt, sondern als Gefühl vollzogen, das durch die Reliquie ist. Darin wird das Heilige erlebt, weil etwas da ist, dem es zugehört, den es berührt hat. Die Berührung ist daher auch der Grund aller Rührung, die hierin eingeht, göttliche Rührung bis zur geistigen Erbauung. Hieraus erklärt sich die magische und suggestive Wirkung, die Reliquien bei gläubigen Menschen haben können, so ihr Glaube ohne dies in Zweifel steht, wenn sein spiritueller Boden nicht hinreicht. Viele "Wunderwirkungen" lassen sich aus dieser Magie erklären, die vor alle Erlösung aus dem Zweifel sucht (s.a. Zwang).