Schule
Die Schule ist ein gesellschaftlicher Ort des Lernens, an welchem sich die ältere Generation zu der jüngeren verhält, indem sie dieser Kultur und Wissen aus ihrer Geschichte als Befähigung und Förderung über die Ausbildung der gesellschaftlich notwendigen Fähigkeiten vermittelt. Dadurch erst wird eine Auseinandersetzung der Generationen ermöglicht, da diese ihren jeweiligen Verstand in einer wirklichen Beziehung erfahren und so auch neue Fähigkeiten entwickelt werden können. Von daher ist Schule eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die privat oder durch den Staat diese Aufgabe erfüllen muss. Je nach Art der staatlichen und kulturellen Verfassung wird dieses Verhältnis der Generationen bestimmt. Die Schüler begegnen daher in der Schule einer gesellschaftlichen Notwendigkeit der Bildung, die ihnen mehr oder weniger fremd ist und auch mehr oder weniger einfühlsam vermittelt werden kann (siehe auch Empathie). Eltern und Lehrer sind sich heute weitgehend darin einig, dass die Schüler möglichst freiwillig und angstfrei ihren Lernstoff aneignen können sollten, wiewohl ihnen objektive Lebenspflichtigkeiten vorausgesetzt sind. Aber im Unterschied zur Familie geht es hier nicht mehr wesentich um persönliche Verhältnisse (siehe zwischenmenchliches Verhältnis), sondern um das, was die Schüler für ihre zukünftige Existenz nutzen können und also auch als existenznotwenige Eigenschaften und Fähigkeiten erwerben müssen. Die persönlichen Beziehungen gelten hier eher als Medium der Aneignung. Unter der Bedingung des Geldbesitzes kann dies allerdings auch zusammenfallen.
Eine Gesellschaft entwickelt sich subjektiv durch die Generationen der Menschen, die sie ausmachen. Was sie an Sinnbildung ausmacht, ist nicht nur in einzelnen Menschen gegenwärtig. Es hat in ihrer Kultur auch eine allgemeine Gestalt, die sich nicht von selbst verstehen lässt. In einem Lernprozess, der diese Bildung reproduziert, nachholt und auf seine Bewährung hin überprüft, wird die gesellschaftliche Jugend von den Älteren, von Eltern und Lehrern belehrt. Umgekehrt kritisiert die Jugend auch die Selbstbehauptung der Älteren, dass sich ihre Bildung bewährt habe. Von daher ist die Schule ein höchst lebendiger Ort geschichtlicher Auseinandersetzung, an welchem allerdings die Älteren überfordert sind, solange sie Bildung nur als individuelles Vermögen übermitteln sollen, also Vermögen als rein persönliche Fähigkeit, als Leistung einer Personifikation von gesellschaftlicher Bildung aufzubauen haben.
Dies begründet die Problematik der Schule in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie ist nicht nur der Betrieb von Ausbildung, sondern auch der gesellschaftliche Ort, an dem sich alle individuellen Erscheinungsformen der Erziehung und Sittlichkeiten der bürgerlichen Kultur treffen und aus ihrer verschiedentlichen Herkunft und Bedeutung (Zukunftsperspektive) aufeinanderprallen. Im Vordergrund stehen in dieser Konfrontation nicht die gesellschaftlichen oder kulturellen Inhalte, sondern der Leistungsdruck, unter welchem sich die gesellschafliche Personifikation der Bildung, und damit das Verhältnis der Schülerinnen und Schüler zu sich, zu ihrer Welt und zu ihrer Existenz bestimmt. Die Zukunft in einer Gesellschaft, welche nicht das Leben der Menschen bewähren kann, weil sie sich selbst darin nicht bewahrt haben, in welcher also eine fremde Kraft das Leben der Menschen bestimmt, ihre Selbstentfremdung als allgemeine Entfremdung herrscht, bietet außer einer persönlichen Karriere keine wirkliche Substanz.
Die allgemeinen Wahrnehmungen des gesellschaftlich möglichen und wirklichen stehen im Gegensatz zum Stoff der Ausbildung, Lernen wird zu einem Akt der Bewältigung von Widersprüchen, in welchem die Schülerinnen und Schüler sind. Hierzu dienen Lehrmethoden (Didaktik), in welchen sie ausgerichtet und für das Lernen zugerichtet werden. Doch Lernen ist kein methodischer Progress, kein selbstloses Verhältnis einer erzieherischen Beziehung. Es ist das treibende Moment der Wirklichkeit, das sich aus sich selbst bildet und entwickelt. Wer zu einer Gesellschaft erziehen will, verleugnet zwangsläufig ihre Wirklichkeit. So war die 3. These zu Feuerbach von Karl Marx gemeint:
„Die materialistische Lehre, dass die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergisst, dass die Umstände eben von den Menschen verändert werden, und dass der Erzieher selbst erzogen werden muss. Sie kommt daher mit Nothwendigkeit dahin, die Gesellschaft in zwei Theile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist. (Z.B. bei Robert Owen.) Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Thätigkeit kann nur als umwälzende Praxis gefasst und rationell verstanden werden.” (3. Feuerbachthese siehe Karl Marx, MEW 3, niedergeschrieben in Brüssel im Frühjahr 1845, S. 533).
Und von da her hat sich Marx in der Kritik des SPD-Programmentwurfs von Ferdinand Lassalle gegen deren aufklärerisch aufgeführten Instrumentalismus (siehe Aufklärung) gewehrt:
„Der Paragraf im SPD-Parteiprogramm von Gotha über die Schulen hätte wenigstens technische Schulen (theoretische und praktische) in Verbindung mit der Volksschule verlangen sollen. Ganz verwerflich ist eine ‚Volkserziehung durch den Staat’. Durch ein allgemeines Gesetz die Mittel der Volksschulen bestimmen, die Qualifizierung des Lehrerpersonals, die Unterrichtszweige etc., und, wie es in den Vereinigten Staaten geschieht, durch Staatsinspektoren die Erfüllung dieser gesetzlichen Vorschriften überwachen, ist etwas ganz anderes, als den Staat zum Volkserzieher zu ernennen! Vielmehr sind Regierung und Kirche von jedem Einfluß auf die Schule auszuschließen. Im preußisch-deutschen Reich nun gar (und man helfe sich nicht mit der faulen Ausflucht, daß man von einem "Zukunftsstaat" spricht; wir haben gesehn, welche Bewandtnis es damit hat) bedarf umgekehrt der Staat einer sehr rauhen Erziehung durch das Volk.” (K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 30f).
Die Entwicklung der Schüler und Schülerinnen steht zudem gegen Ausbildung, wo sie ihrer Bildung nicht gelchkommt: Die Grundlagen für ihre Bildung wechseln im Fortschreiten ihrer Kulturerfahrung, besonders in ihrer Geschlechtsentwicklung. Da Schule meist der erste Ort wirklicher Gesellschaft ist, treffen hier auch erstmals die Notwendigkeiten aufeinander, sich im Ausdruck eigener Wahrhaftigkeit als eigenes Wesen gegen die Eindrücke der Kultur zu sichern, zu bestätigen und zu entwickeln. Von daher ist Schule auch der Ort der ersten Geschlechterkämpfe und ist meist ein Kulturzentrum der Jugend. Und dort entsteht immer wieder ein langer und fundamentaler geschichtlicher Prozess des Generationenwechsels:
„Die Tradition der toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen. Die soziale Revolution (…) kann ihre Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft. Sie kann nicht mit sich selbst beginnen, bevor sie allen Aberglauben an die Vergangenheit abgestreift hat.” (K. Marx, MEW 8, 115).