Selbstvergegenwärtigung

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Vergegenwärtigung ist nötig, wo Erinnerung versagt, wo sie sich den Gründen ihrer Entstehung enthoben hat, wo ihr die eigene Geschichte fremd geworden ist. Es verbleiben aber immer Bilder, Geschichten oder Konsequenzen ihrer Ursachen und Wirkungen, aus denen sie durch die Logik ihrer Beziehungen vermittelt (siehe Psychologie) und wiederhergestellt werden kann - zwar nicht als wirklich Inneres, jedoch als Analog, als Thema, in dem deren Umstände erinnert werden. Daraus entsteht eine zwar nur theoretische Gegenwart, die ihre Gewissheit aus deren Zusammenhänge rekonstruiert, die aber immerhin einen gedanklichen Zugang zu ihrer Geschichte ermöglicht und auch ihre Verdrängung erkennen und beweisen kann, wo und wie wie sie außer sich geraten ist (siehe Entäußerung). Der Verlust einer sinnlichen Gewissheit (siehe auch Selbstverlust) ist allerdings nicht ersetzbar (siehe hierzu Phänomenologie), wohl aber deren Beziehungen, wie sie sich im Ganzen der Geschichte nachvollziehen lässt.

Im Allgemeinen setzt Selbstvergegenwärtigung eine Ungegenwärtigkeit persönlicher Beziehungen voraus, also ein unwirkliches zwischenmenschliches Verhältnis, worin Zwischenmenschen durch einen Selbstwert aufeinander bezogen sind, der ihnen soziale Geltung und Anerkennung verschafft, die von zwischenmenschlichen Bedingungen abhängig ist und die zugleich ihre zwischenmenschliche Beziehungen entgegenwärtigt und ihre Selbstachtung ersetzen kann (siehe hierzu auch prothetische Beziehung). Selbstvergegenwärtigung ist von daher die praktische Erzeugung einer Selbstgewissheit in Verhältnissen, deren Geltungen von Selbstbehauptungen bestimmt sind (siehe auch symbiotische Selbstbehauptung) wodurch sie als objektive Selbstgefühle gültig sein sollen. Deren Zweck ist die Herstellung einer allgemeinen Selbstempfindung, also das Wahrmachen einer Empfindung, die unter diesen Bedingungen unmöglich wäre, die also ihren Sinn außer sich aufgehoben hat, und einen Sinn für sich herstellen muss, der sich in diesen Verhältnissen auch behaupten kann, ohne für sich wahr zu sein, aber Wahrheit für sich hat.

So ist die Notwendigkeit einer Selbstvergegenständlichung entstanden, sich in der zwischenmenschichen Beziehung auf andere Menschen gewiss zu werden, wenn die Selbstachtung ausschließlich durch sie bestimmt ist, wenn also deren Selbstwert durch ein entsprechendes Geltungsstreben die eigene Selbstwahrnehmung bestimmt. Dadurch ist die Empfindung durch Selbstgefühle beherrscht, die sich an fremdem Selbstwert fixiert haben. Es ist innerhalb dieser Verhältnisseder damit erzeugte Mangel an wirklichem Selbstgefühl, der die Selbstwahrnehmung ungegenwärtig macht und die Selbstachtung entwertet. Die Folge daraus ist, dass sich ein mangelhaftes Selbstwertgefühl vor die Empfindung stellt und eine Selbstvergegenwärtigung durch Selbsterleben nötig macht, andernfalls sie sich zu einer Selbstentfremdung entwickelt.

Selbstvergegenwärtigung ist eine Rückbeziehung auf sich selbst, die sich aus der Unwirklichkeit der Selbstwahrnehmung begründet. Es ist eine Vergewisserung einer persönlichen Identität, die in psychisch bestimmten Verhältnissen nötig geworden ist, weil sich die durch ihre Gefühle objektiv verunsicherten Menschen darin behaupten und veredeln müssen. Was der narzisstische Persönlichkeit entgangen war, wird im Nachhinein durch eigenmächtige Beziehungen über die Geborgenheiten der Selbstwahrnehmung zurück gewonnen. Ihr ausdrückliches Lebensverhältnis ist daher eine Lebensburg (siehe ierzu auch Familie), welche die darin vereinigten Selbstbeziehungen für sich behauptet und sie in der Ausschließlichkeit ihrer Selbstbehauptung bestätigt und eingrenzt und alle fremden Selbstwahrnehmung ausgrenzt. Darin entstehen schließlich die Verhältnisse der symbiotischen Selbstbehauptung.

Jeder Mensch hat seine Geschichte, die sich aus Vergangenheit (Erfahrung), Gegenwart (Erleben) und Zukunft (Glaube) entwickelt, soweit die Menschen in der Lage sind, sich in der Kraft ihrer Gegenwart geschichtlich zu finden, sich darin gesellschaftlich einzufinden, sich als einzelne Menschen in ihrer jeweiligen Gesellschaft zu vergegenwärtigen. Entscheidend ist hierzu, wie und wodurch sie ihre Wirklichkeit begreifen (siehe Begriff), sich aus ihren Widersprüchen zwischen Form und Inhalt zusammenfügen und sich darin geschichtlich durch ihr Wesen verwirklichen, ihre Vergangenheit in und durch ihre Anwesenheit aufheben.

Sie gewinnt diesen durch das, was sie von sich ausschließt: Die durch Selbstgefühl negierte Wahrnehmung dessen, was sie wahrhat. Ein Ereignis, eine Handlung oder Beziehung wird so erwirkt, dass das bestimmend wird, was ein Mensch im Ausschluss der Wahrnehmung anderer Menschen für sich beabsichtigt, um sich selbst darin wahr zu machen. Er vergegenwärtigt sich damit dadurch, dass er etwas so wahrnehmen kann, wie es für ihn sein muss, um nicht zu empfinden, wie es auf ihn wirkt und um das zu fühlen, was er für sich ist.

Die Inhalte der Psyche, die Wünsche und Sehnsüchte einer inneren Wahrnehmungswelt, werden hierfür als Gegenstände der Selbstempfindung hergenommen. Die Absichten eines Menschen werden hierdurch für andere unverständlich, da sie sich nicht mehr aus den zwischenmenschlichen Verhältnissen erklären lassen. Die Getrenntheit der Zwischenmenschen wird somit als Resultat ihrer Selbstverwirklichung offenkundig. Jeder Mensch lebt nun von seinem Reservoir vergangener Wahrnehmungen, von Gedächtnisinhalten und Erinnerungsbldern, die ihm das Material seiner isolierten Selbstentfaltung bieten. Um seine zunehmende Isolation zu überbrücken, muss er Ereignisse nach seinen Wünschen so arrangieren, dass er sich dabei empfinden kann, dass also seine Getriebenheit durch seine Selbstvergegenwärtigung zur Ruhe kommt.

Wo ein Ereignis einen Grund, keinen Sinn hat, ist Selbstvergegenwärtigung eben nötig, um Sinn zu machen. Wo man durch fremden Edelmut entgeistert ist, muss Sinn hergestellt werden, um sich der Entgeisterung, der Macht eines fremden Geistes, also der geistigen Entleibung zu entziehen, um der eigenen Entgegenwärtigung sich durch eigene Gegenwärtigkeit selbstbehauptend entgegen zu stellen. Wo aber ein ganzes Verhältnis keinen Sinn hat, ist mit der einer Selbstvergegenwärtigung hiergegen zugleich eine Erkenntnis nötig, dass solches Verhältnis nicht sein kann, dass solcher Unsinn nicht möglich ist, dass es unwirklich ist, dass es also durch eine Abstraktion nichtig bestimmt sein muss. Damit erweist sich solche Erkenntnis zugleich als Kritik und weist die notwendig scheinende Wirkung und Wirklichkeit einer frmden Selbstvergegenwärtigung von sich. Kritiklos kann sie sich nur gegen sich selbst richten, sich ihrer Sinne entleiben und für fremde Selbstvergegenwärtigung einverleibt werden. Sie errichtet sich dann gegen ihre Objektivität, verkennt ihre Gegenständlichkeit.

In der Selbstvergegenwärtigung ist die Notwendigkeit wirklicher Vergegenwärtigung eben nicht aufgehoben. Sie entledigt sich lediglich ihrer Sinnlichkeit: Alle Handlungen hierfür sind gegen die Entgeisterung gerichtet, die von einem Grund ausgelöst sind, der als solcher nicht wirklich und sinnlich da ist, der also keine Anwesenheit hat. Es kann also nur ein abstrakter Grund sein, der in einer bestimmten Beziehung Notwendigkeit hat (siehe Übersinn).

Steht die Selbstvergegenwärtigung im Widerspruch zur Vergegenwärtigung, so bedrängt sie deren Möglichkeit, Anwesenheit zu erlangen, und bildet eigene Verrückungen der Wahrnehmungstätigkeit (siehe Verücktheit), die in der Psychoanalyse als Verdrängungsmechanismen beschrieben, aber nicht als Identitätsproblem des Erkenntnisvermögens begriffen werden. Solche Selbstvergegenwärtigung entspringt einer abgetrennten Lebenserfahrung, welche durch die Absichten der Selbstgefühle beständig augehoben wird und in der Selbstvergegenwärtigung durch ein Selbst ersetzt wird, das sich hiergegen behaupten muss (siehe Selbstbehauptung). Dies ist die Grundlage einer zirkulären Selbsterfahrung, die nurmehr durch Angst, Depression oder Zwangshandlungen durchbrochen wird. Von daher kann man die Erscheinungsformen sogenannter psychischer Krankheiten als durchaus "gesunde" Reaktion, als Selbstvergegenwärtigung gegen eine Selbstbehauptung begreifen.