Sloterdijk, Peter
Sloterdijk hat sich durch sehr gegensätzliche Denkansätze hindurch entwickelt - von der Kritischen Theorie über den indischen Guru Baghwan zu einem Nietzsche- und Heidegger-Schüler -, deren Kritik am Humanismus für seine Weltsicht nicht unbedingt grundlegend, wohl aber asoziert ist, besonders was der impliziten Zustimmung zu Heideggers Humanismusbrief, der Adorno-Kritik der Kulturindustrie.und der Nietzsche-Position zur Züchtung des Menschen durch Übermenschen betrifft. Im Grunde pflegt er vor allem die Weltbetrachtung in einer Position einer sublimen Zähmung der Menschen durch Regheln für den Menschenpark (ein Titel von Ihm), in dem sie sich schon lange befänden, der aber noch keine zukunftsweisenden Instrumentarien (z.B. durch Biotechnologie und einer sozialen Kontrolle der Eugenik hätten). Darob wurde er mehrfach ausgezeichnet (1993: Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik, 2000: Friedrich Merker-Preis für Essayistik und 2001: Christian-Kellerer-Preis für die Zukunft philosophischer Gedanken) und ist heute ein gefragter Philosoph und Gastdozent in New York, Paris uns Zürich. Seine Gedanken bedienen sich ebenso der kulturkritischen Impulsen der Studentenbewegung, wie sie auch unter dem Einfluss östlicher und klassisch europäischer Philosophie stehen - von Heraklits Naturphilosophie, Platons Politeia und der buddistischen und taoistischen Weltanschauungen. Er hat sie in einem Gesamtwerk (Kritik der zynischen Vernunft) formuliert, in dem er die zynische Weltverneinung der Postmoderne mit einem kynischen Dasein im Widerstand angehen will.
Im Einkang mit Adorno und Horkheimer kritisiert er die instrumentelle Vernunft der Aufklärung, welche die alleinige Instanz des kalkulierenden Denkens, das die Welt für die Zwecke der Selbsterhaltung zurichtet (Dialektik der Aufklärung, 1947) zu einem allmächtigen Zynismus der Postmoderne gesteigert habe. Er zählt die Strukturen und Lebensinhalte der bürgerlichen Gesellschaft und Kultur (z.B. Klassengesellschaft, Militär, Kapital, Tausch, Gesundheitswesn, Sexualismus) in der Art eines modernen Zynismus auf, als rohe Tatsachen, die eine Konstante unserer Geschichte ausmachen würden, welcher der Kynismus einer radikalen Vernunft durch Entblößung und Aufdeckung entgegenzustellen sei. Von der Aufklärung unterscheidet sich dies nicht im Interesse, wohl aber in der Methode, in der Entstellung des Verstellten, wie das im Konzept von Friedrich Nietzsche entwickelt worden war.
So wie dieser wendet sich Sloterdijk vor allem gegen abstraktes Denken in der Philosophie und machte aus seinen eher bescheidenen Einwänden ein ganzes System der kynischen Vernunft, Tastbewegungen, die er in Abgrenzung gegen Positivismus, Systemtheorie und kritischen Pragmatismus als ein System einer zweiten Aufklärung ausgab, in welcher der Zirkel der instrumentellen Vernunft durch die Relationen des Tuns und Lassens zu durchbrechen sei. Aus der Kritik der Interessen der instrumentellen Vernunft lasse sich Zuwendung (sympathetisches Verstehen) entwickeln, welche in der Auseinandersetzung mit der Macht des bestehenden Zynismus sich reiben und darin eine Geschichte vorantreiben würde, die eine Realität aus sanften Tatsachen erzeuge. Diese verlangen zum einen die Einsicht in eine allgemeine Realität, zum anderen deren Einvernahme durch Subjektivität: Die Menschen sollen mit der Härte der Tasachen so vergeschwistert werden, dass sie sich darin durchaus lebendig fühlen können. Man kann dies auch als eine Theorie des Großen Bruders auffassen, wie sie im Zeitgeist angesagt ist.
Der ist aber schnell strenger geworden, als man den Ausgängen von Sloterdijks Denken entnehmen würde, das zunächst aus einer Theorie der schöpferischen Zerstörung kam, wie es dem Neoliberalismus entspricht, und von daher noch reine Geschichtsideologie war. Inzwischen geht es ihm aber auch um den Eingriff in große Zusammenhänge: Um die Zähmung des wilden Menschentiers, um die Kraft der Subjektivität, die durch eine sanfte Disziplinierung mit der neueren Spielart einer Weltbürgeraristokratie gebändigt werden müsse, eine kultivierte Art von Zucht, deren Grundlagen auf die Konstruktionen des platonischen Staateszurückgreifen. Diese Kraft könne sich nicht mehr aus Prozessen der Selbstverwirklichung bilden. Im Gegenteil: Darin selbst stecke das zynische Potential der Aufklärung, ihre Komplizenschaft mit der Rechtsnorm der bürgerlichen Gesellschaft. Man müsse umdenken: Die Gesellschaft müsse sich selbst gepflegt verhalten, um die Anwendung von zynischen Akten (Vormachtzynismen wie Besitzstands- und Rechtsprivilegien und Gewaltanwendung) zu vermindern oder verhindern. In der Einrichtung einer Art von Menschenparks könne die Kulturpflege in der direkten Konfrontation und Auseinandersetzung der Menchen mit ihrer Welt gepflegt werden und damit schon im Vorgriff ihrer potentiellen Störwirkung auf das System entgegengetreten werden. - Wer diesen Park hegen soll, bleibt wohl einer Kulturelite - wahrscheinlich also einer Administration des bürgerlichen Staats - überlassen; aber Sloterdijk sieht das alles im Prinzip der Selbstevidenz zwischen Zynismus und Kynismus und muss sich daher über den Gärtner (bzw. Tierpleger) nicht auslassen. Bös ist nur wer Böses dabei denkt. Der Gärtner ist ja schließlich selbst ein Mensch im Wechselverhalten der Menschen. Und da wird er aus irgendeinem Grund, der nichts mit dem sozialen Geburtsfehler der Menschen zu tun hat, die richtige Einstellung finden lassen. Er muss ja dann auch nur noch für die Ausreißer richtig aktiv werden. Und jeder wird das dann begreifen und sich danach richten: Gewalt wird zu einem zynischen Prinzip einer exkulpierten Macht, zu einer entäußerten Notwendigkeit, die niemanden direkt bedroht, aber jedem schlicht die Existenz verweigert, wenn er sich hiergegen stellt
Ein Park ist kein Gefängnis. Aber er hat eine Bedingung: Was nötig ist, das muss gewollt werden! Sanft wird so Nietzsches ''Wille zur Macht in den sozialen Gestus des Großen Bruders gehoben, der seinen Geschwistern eine Lebensschule ist und sie umsorgt - sicher eine gute Berufsperspektive für Philosophen als Staatsbeamte. Der Staat wird darin zu einem Kulturmodell - mit dem Begriff eines Parks ist er ja selbst als Kultur gedacht. Ganz im Gleichklang mit den neokonservativen Amerikanern (vergl. z.B. Huntington) setzt sich Sloterdijk für eine Kulturordnung ein, die zugleich Grundlage der derzeitigen Weltneuordnungthematik sein will. Wesentlich hierbei ist die Vorgriffsmacht auf das Störungspotential, das sich aus den Gräuel der unkontrollierten Kulturen begründet. Daher weist er besonders darauf hin, dass Humanismus auch nur der natürliche Komplize aller möglichen Gräuel sei, weil der Mensch für den Menschen die höhere Gewalt darstellt (siehe hierzu auch Schumpeter). Sloterdijk setzt Nietzsche zur Aufrüstung der Subjektivität als bewusster Vertreter der Westkultur ein, die in den tausendjährigen Prozessen des Überrmenschen ein nicht ganz neues Maß für seine ihm nötige Gewalt sucht. Im Prozeß schöpferischer Zerstörung können sich die Potenzen der Ökonomie folgerichtig auch am besten ausbreiten (siehe hierzu Krise). Er vertritt eine aggressive Metaphysik des Willens, die sich ohne weiteres der amerikanischen Position von Supermacht zuordnen lässt. Inzwischen zeigt er auch als Fernsehmoderator mit seinem Philosophischen Quartett, wie schöpferisch sich der Alltag auf der Fernsehcouch aufmischen lässt.