Nietzsche
"Jene grossen Treibhäuser für starke, für die stärkste Art Mensch, die es bisher gegeben hat, die aristokratischen Gemeinwesen in der Art von Rom und Venedig verstanden Freiheit genau in dem Sinne, wie ich das Wort Freiheit verstehe: als etwas, das man hat und nicht hat, das man will, das man erobert." (Friedrich Nietzsche)
"Nur wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern - so lehr ich's dich - Wille zur Macht!" "Also sprach Zaratustra" Kritische Studienausgabe (KSA) 8, S. 149
"Alles, was aus der Schwäche stammt. Was ist Glück? – Das Gefühl davon, daß die Macht wächst – daß ein Widerstand überwunden wird. Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht; nicht Friede überhaupt[1165] sondern Krieg; nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit (Tugend im Renaissance-Stile, virtù, moralinfreie Tugend)." (Nietzsche, Friedrich, Der Antichrist, 1-10<( - Zeno.org – http://www.zeno.org › Philosophie › Der+Antichrist))
Die Schopfung eines Begriffs der reinen Politik war als Begriff einer rainen politischen Gewalt von Friedrich Nietzsche (1844 - 1900) angelegt. Als Philosoph der Theorie eines gesellschaftlichen Glücks war er in der Nachfolge zu Schopenhauers Verständnis vom Irrationalismus der Welt und ihrer Dekadenz der erste postmoderne Kulturkritiker, der mit der Kritik der Aufklärung lange vor Th. W. Adorno deren instrumentelle Vernunft als ein bloßes "Gebälk von Begriffen" angegriffen hatte. Doch an die Stelle einer Vernunft traten Machtvorstellungen von Friedrich Nietzsche, wodurch Macht zum Subjekt als Objekt einer totalen Noiwendigkeit eines Willens werden sollte, der die "Ungeheuer der Welt" zu bändigen hat:
"Diese Welt: ein Ungeheuer von Kraft, ohne Anfang, ohne Ende, eine feste, eherne Größe von Kraft, welche nicht großer, nicht kleiner wird, die sich nicht verbraucht, sondern nur verwandelt..., nichts Unendlich-Ausgedehntes, sondern als bestimmte Kraft einem bestimmten Raum eingelegt, und nicht einem Raum, der irgendwo ›leer‹ wäre, vielmehr als Kraft überall, als Spiel von Kräften und Kraftwellen zugleich Eins und Vieles, hier sich häufend und zugleich dort sich mindernd, ein Meer in sich selber stürmender und flutender Kräfte, ewig sich wandelnd, ewig zurücklaufend, mit ungeheueren Jahren der Wiederkehr..., sich selber bejahend noch in dieser Gleichheit seiner Bahnen und Jahre, sich selber segnend, als das, was ewig wiederkommen muß, als ein Würden, das kein Sattwerden, keinen Überdruß, keine Müdigkeit kennt -: diese meine dionysische Welt des Ewig-sich-selber-schaffens, des Ewig-sich-selber-zerstörens, diese Geheimnis-Welt der doppelten Wollüste, dies mein ›Jenseits von Gut und Böse‹, ohne Ziel, wenn nicht im Glück des Kreises ein Ziel liegt,...: diese meine Welt, - wer ist hell genug dazu, sie zu schauen, ohne sich Blindheit zu wünschen?... Und wer das vermöchte, müßte er dann nicht noch mehr tun? Dem ›Ring der Ringe‹ sich selber anverloben? Mit dein Gelöbnis der eignen Wiederkunft? Mit dem Ring der ewigen Selbst-Segnung, Selbstbejahung?" (Friedrich Nietzsche in "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik")
Die Macht des Willens soll den Spießbürger - den Mucker, wie er ihn benannt hatte - und dessen Konsequenzen durch die Kritik seiner Güte und Demut überwinden. Das Ungeheuer wird dadurch aber nicht gebändigt, denn "ewig sich wandelnd, ewig zurücklaufend" soll es durch die Macht eines "Übermenschen" beherrscht werden.
"Vielleicht gab es bisher keine gefährlichere Ideologie, keinen größeren Unfug in psychologicis, als diesen Willen zum Guten: man zog den widerlichsten Typus den unfreien Menschen groß, den Mucker, man lehrte, eben nur als Mucker sei man auf dem rechten Wege zur Gottheit." (in "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik")
"Ich schätze die Macht eines Willens danach, wie viel von Widerstand, Schmerz, Tortur er aushält und sich zum Vortheil umzuwandeln weiß" (Friedrich Nietzsche in "Jenseits von Gut und Böse")
Friedrich Nietzsche griff sowohl die Methoden des philosphischen Denkens wie das der Religion als Verstellung, als Pervertierung der Freiheit des Lebens auf und sah in seiner antiphilosophischen Kunstform die Vereinigung und Aufhebung der Deformation bürgerlicher Werte, wenn auch in streng philosophischer Absicht, irgendwie schon im Sinne der Dekonstruktion des selbstlosen bürgerlichen Subjekts. Was aber wie eine Zuwendung zu einem nietzeanischen Anarchismus erscheinen könnte und deshalb besondes von Freigeistern verinnerlicht wurde, von "freien Intellektuellen", Künstlern, politischen Individualisten usw. verkehrte sich schnell in einen Nihilismus, der sich der Logik der absoluten Selbstveredelung folgend als Prinzip der Nichtung gegen alles zu behaupten verstand, woraus er sich begründet hatte. Was dem Bürgertum (siehe hierzu Bürgerliches Subjekt) noch im Begehren nach einem Weltenheil inne war (siehe auch Heilserwartung), verdoppelte sich in der Zielvorstellung einer nicht nur überindividuellen, sondern schon übermenschlichen Gesellschaft, die zum politichen Prinzip einer faschistoiden Ideologie und einem dem entsprechenden ästhetischen Willen wurde.
Die nietzeanische Kritik der Selbstlosigkeit der Religion, Philosophie, Aufklärung, Kitsch der Massen usw. fand in diesem Ansinnen keine gesellschaftliche Wirklichkeit, die einen Sinn vermitteln könnte. In der Zwischenwelt (siehe Dazwischensein) einer politisch veredelten Selbstverwirklichung setzte sich seine Kulturkritik allerdings vor allem in einer edelmütige Aristokratie durch und bestärkte somit das ihr eigentümliche Bedürfnis nach einer geistige Autorität und Macht (siehe hierzu auch autoritärer Charakter). So zerstörte sich der herrschende Freigeist sogleich selbst mit der Konstruktion eines "Willens zur Macht", die schlie"lich auf das Konstrukt eines Übermenschen zielt (siehe auch Religion) und zur Philosophie eines aristokratischen Radikalismus geführt hat, dessen Zynismus für eine ganze Epoche der Kulturkritik fatale Konsequenzen, weil sie ein abgehobenen und völlig unbeeindruckbare Bewertung des Lebens eingeführt hatte (siehe hierzu auch faschistische Ideologie).
"Daß irgend Etwas hundert Mal wichtiger ist als die Frage, ob wir uns wohl oder schlecht befinden ... und folglich auch, ob sich die Anderen gut oder schlecht befinden. Kurz, daß wir ein Ziel haben, um dessentwillen man nicht zögert, Menschenopfer zu bringen " (Friedrich Nietzsche in "Jenseits von Gut und Böse")
Der Übermensch soll Gott ersetzen (Nietzsche), seinen Tod ersetzen. Er ist also eine religiöse Vorstellung, eine Idee, wie der Mensch sein soll und wie er ideal wäre, was er konkret nicht ist - vor allem dort, wo der Mangel offensichtlich ist. Der Übermensch ist die Ideologie des Mangels, seine ideelle Überwundenheit. Es ist darin die Behauptung, dass es eine menschliche Subjektivität als eine menschliche Identität gebe, die nicht ist, aber sein soll oder muss. Die Ideologie vom Übermenschen als dies objektive Sollen setzt eine allgemeine, konkret menschlich unerfüllte Subjektivität voraus, die sich in der Notwendigkeit der subjektiven Philosophie umkehren soll, um sich diesen Übermenschen in einer Erlösungshoffnung als Heilserwartung vorzustellen. Hieraus ergibt sich zwangsläufig die Bestrebung nach der Verirtklichung dieses Heils, da sich der Übermensch nur als jenseitige Subjektivität vorstellen lässt, als Heiland, in welchem Geschichte Sinn bekommen soll, wenn sie sich verwirklichen könnte, einen Sinn, der allerdings in seiner Wirklichkeit nur übersinnlich bleiben, Sinn einer unwirklichen Wirklichkeit sein kann.
Seine Kritik der Religion endet in einer Kritik des Humanismus überhaupt, der sich durch seinen Moralismus der Lebensfreude verweigere und "wahre" Lebenskraft zerstöre. Nietzsche suchte eine Moral jenseits bestehender Normen und Werte (Nietzsche: "Jenseits von Gut und Böse"), die nicht an die historische, von der Religion beeinflusste Tradition gebunden ist. Sein Gegenentwurf war eine neuartige Philosophie der "Immoralität", die an die jeweiligen Perspektiven des Menschen gebunden ist. Diese verband er mit dem Konzept des Willens zur Macht, der das alle Menschen und die ganze Natur bestimmende Prinzip sei. Zugleich übte Nietzsche eine grundlegende Kritik an der Gesellschaft seiner Zeit, aus der heraus er eine Umwertung aller Werte forderte, die sich am Willen zur Macht und einem vornehmen Leben orientiert (siehe hierzu auch die Fundamentalontologie von Martin Heidegger).
Aber die grundsätzliche Abweisung von Moral verlangt nach anderen Grundsätzen im Urteil, denn dem dionysischen Prinzip des Lebens seien die Menschen selbst nicht gewachsen. So wäre daher eine Macht nötig, die es ihnen ermöglicht, eine Entwicklung vom vollständigen Menschsein zu begehen. Dionysos (auch Bacchus genannt) steht als "Gott des Rausches" in der griechischen Götterwelt für die Quellen der Lebenskräfte, die für Nietzsche als das "Urprinzip der Kunst" zugleich die Impulse zur "Rettung der Kunst und des Lebens" und die "Bändigung der Wissenschaft" im Sinn hatte. Nietzsches Gesamtwerk ist von Anfang an hiervon ergriffen und zum wesentlichen Widerspruch seines "Grauens" zwischen "Wonne und Schrecken" in und vor der Welt getrieben.
"Nun feiern wir, vereinten Siegs gewiss, das Fest der Feste: Freund Zarathustra kam, der Gast der Gäste! Nun lacht die Welt, der grause Vorhang riss, Die Hochzeit kam für Licht und Finsterniss..." (Friedrich Nietzsche, Nachgesang in "Jenseits von Gut und Böse")
Dieser Widerspruch zwischen Lebenskunst und dem "Willen zur Macht" bestimmt sein ganzes Werk und auch die Inhalte seines Weltverständnisses. Einerseits wandte er sich radikal gegen herrschende Werte und den Glauben an eine übermächtige Güte (Religion), anderseits verstand er sich selbst als Begründer einer neuen, einer vornehmen und zugleich kritischen Moral jenseits aller kulturellen Verformungen, der die "Umwertung aller Werte" (Nietzsche zu seinem Buch "Der Wille zur Macht") betreiben wollte. Es ist der Widerspruch des Kulturbürgertums, der von ihm als Widerstreit des Lebens schlechthin ausformuliert wurde und von daher seiner wirklichen Emanzipation entzogen bleibt.
Demzufolge verhalten sich in der Welt immer Kulturansprüche, die von der Übermenschlichkeit einer hochwertigen Klasse vorangetrieben und durchgesetzt werden will, gegen eine tierische Horde von Menschen, der ein "Stachel" (Nietzsche) gesetzt werden müsse, um sie aus dem "Grauen" (Nietzsche) des Unmenschen zum Guten und darüber hinaus in die Freiheit eines kultivierten Lebens zu führen.
Nietzsche vereint in seiner Kulturkritik Kunst und Philosophie im Anspruch eines Willens gegen die Getriebenheiten des oberflächlichen Menschen. Er kritisiert dessen "wilde" Selbstbezogenheit als Tierfom eines durch sich selbst schon verlebten Menschen, der zu keiner Entwicklung fähig sei, solange er seinen Gelüsten und bloßen Begehrungen folgt, die im Glauben an sich und die Erlösung durch das Leiden sich nur selbst affirmiert und sich in einer höheren Vernunft und ihren Prinzipien aufgehoben fühlt.
Nietzsche setzt hiergegen vor allem auf die Kunst, die sich gegen die Entstellung der menschlichen Kultur verstellt, deren Verstellung quasi verdoppelt und damit zerstört - ähnlich dem Dekonstruktivismus, der aus seiner Nachfolge durch französische Poststrukturalisten entwickelt worden war. Er greift damit besonders den "Wahrheitsbegriff" der Aufklärung an:
"Die Welt scheiden in eine "wahre" und eine "scheinbare", sei es in der Art des Christenthums, sei es in der Art Kant's (eines hinterlistigen Christen zu guterletzt) ist nur eine Suggestion der décadence, – ein Symptom niedergehenden Lebens... Dass der Künstler den Schein höher schätzt als die Realität, ist kein Einwand gegen diesen Satz. Denn "der Schein" bedeutet hier die Realität noch einmal, nur in einer Auswahl, Verstärkung, Correctur... Der tragische Künstler ist kein Pessimist, – er sagt gerade Ja zu allem Fragwürdigen und Furchtbaren selbst, er ist dionysisch." (Nietzsche: "Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben." S. 179)
Seine Philosophie wendet sich gegen die Metaphysik, namentlich der christlichen Religion, wie auch gegen die Aufklärung. Erstre hält er für "die größte Lüge der Menschheit", letztre für ein "Gebälk von Begriffen". Menschliches Leben gründe nicht wesentlich auf gegenständlicher Lebensäußerung, Gesellschaft, Arbeit und Bedürfnissen, sondern auf dem Willen, der sich gegen die im Menschen angelegte Naturgewalt der Selbstzerstörung richte. In ihrem tieferen Sinn sind sie nur Barbaren, Menschentiere. Ein Instinkt, eine "Urform des Willens" bewahre sie davor, ihr barbarisches Wesen zu erkennen, indem er ihre Oberflächlichkeit bestärkt.
"Wer tief in die Welt gesehen hat, errät wohl, welche Weisheit darin liegt, dass die Menschen oberflächlich sind. Es ist ihr erhaltener Instinkt, der sie lehrt, flüchtig, leicht und falsch zu sein (Nietzsche "Jenseits von Gut und Böse, WW IV, S. 620).
Menschen seien daher zuallererst Tiere, die einer Zügelung bedürften, die nicht praktisch, theoretisch, gesellschaftlich, also kulturell in ihnen selbst als Resultat ihrer gesellschaftlichen Naturgeschichte entwickelt ist, sondern durch eine Macht ihnen "eingebrannt" werden müsse, ein Gedächtnis, das sie nicht so sein lässt, wie es ihre Triebe und Begierden von ihrer Natur her verlangen.
"Wie macht man dem Menschen-Tiere ein Gedächtnis? Wie prägt man diesem teils stumpfen, teils faseligen Augenblicks-Verstande, dieser leibhaften Vergeßlichkeit etwas so ein, daß es gegenwärtig bleibt? ... Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, wehzutun, bleibt im Gedächtnis – das ist ein Hauptsatz aus der allerältesten (leider auch allerlängsten) Psychologie auf Erden. ... Es ging niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen (Nietzsche: Genealogie, WW IV, S. 802f).
Die Entwicklung der Menschheit sei nur durch einen Willen erklärlich, der sich über die Niedertracht der menschlichen Natur stellt - auch, indem er Gewalt hiergegen setzt. Er selbst sei unmittelbar sinnliche Notwendigkeit des Begehrens:
"Der Mensch sucht nicht Lust und vermeidet nicht Unlust (...) Lust und Unlust sind bloße Folge, bloße Begleiterscheinung - was der Mensch will, was jeder kleinste Teil eines lebenden Organismus will, das ist ein Plus von Macht. ... Die Unlust, als Hemmung seines Willens zur Macht, ist also ein normales Faktum, das normale Ingrediens jedes organischen Geschehens; der Mensch weicht ihr nicht aus, er hat sie vielmehr fortwährend nötig: jeder Sieg, jedes Lustgefühl, jedes Geschehen setzt einen überwundenen Widerstand voraus". (WW VI, Nachlass, S. 712).
Damit sei ein Gegensatz in der Menschheitsgeschichte quasi natürlich ausgemacht, der sich zwischen Herrenmenschen und Sklavenmenschen austrägt und die Geschichtsepochen ausfüllt, die Herren dekant werden lässt, und die Sklaven zu Herren macht. Die Geschichte ergebe sich letztlich aus dem Prinzip des Übermenschlichen schlechthin, das sich als Wille zur höheren Entwicklung darin durchsetzt, sich durch Geisteskraft gegen die Niederungen der Masse Mensch verhält und gegen diese auch Gewalt setzt. Es sei der Übermensch, der seine Welt zu gestalten trachtet, indem er seiner "höheren Natur" Folge leistet.
Dieser Übermensch ist die Vorstellung von einen besonderen, über die Masse hinausragenden Menschen, der sich nicht in ihrer Gemeinschaft auflöst, sondern diese durch seine individuelle Radikalität befeuert. Darin wird das Allgemeine durch das aus ihm herausgesetzte besondere Einzelwesen zu sich ins Ungleiche versetzt und in seiner Bildung und Verwirklichung zum Mittel und Maß der Selbstverwirklichung der Einzelnen bestimmt und vorangetrieben. Es ist der Begriff für einen Avantgardismus durch Individuen, ein individualistischer Avantgardismus, in welchem sich das Individuum selbst allgemein macht. Friedrich Nietzsche hat dies zu einer Philosophie der Kulturelite ausgeführt, die durch den Nationalsozialismus zu einer Herrenmenschen-Ideologie entwickelt wurde.
Und dies kam nicht von ungefähr, denn es war schon Nietzsche selbst, der sich mit seinem Übermenschen von dem Gewohnheitsmenschen, den gutgläubigen "modernen Menschen" absetzen wollte und ihnen das Grauen der Macht und Gewalt einer Art Naturgeschichte der menschlichen Spezies entgegensetzte. So schrieb er in Ecce homo (1888), worin er eine seinerzeit "moderne Rezeption" des Übermenschen kritisierte:
"Das Wort »Übermensch« zur Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgeratenheit, im Gegensatz zu »modernen« Menschen, zu »guten« Menschen, zu Christen und andren Nihilisten – ein Wort, das im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkliches Wort wird – ist fast überall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werte verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustras zur Erscheinung gebracht worden ist: will sagen als »idealistischer« Typus einer höheren Art Mensch, halb »Heiliger«, halb »Genie« – Wem ich ins Ohr flüsterte, er solle sich eher nach einem Cesare Borgia als nach einem Parsifal umsehn, der traute seinen Ohren nicht."
Schließlich finden sich in Nietzsches Schriften auch durchaus darwinistisch-biologistische Ansätze, oft verbunden mit Gedanken zur Eugenik. In Wikipedia ist dies im Artikel zu "Übermensch" gut herausgestellt worden:
"Bereits im Zarathustra vergleicht Nietzsche die Entwicklung vom Affen zum Menschen mit der Entwicklung vom Menschen zum Übermenschen. In einem Notizbuch von 1884 schrieb Nietzsche, dass man durch Züchtung und durch "Vernichtung von Millionen Mißrathener" den "zukünftigen Menschen" gestalten soll. In der Genealogie der Moral (1887) findet sich der Gedanke, dass die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer einzelnen stärkeren Species Mensch geopfert werden könnte. Ziel sei es, eine Herrenkaste zu züchten, welche zur Herrschaft über Europa berufen sei. Schließlich spricht er in Ecce homo von der "Partei des Lebens", welche die Höherzüchtung des Menschen und die Vernichtung alles "Entartenden" und "Parasitischen" in die Hand nimmt. "
Nietzsches Philosophie wendet sich an die Menschen, die zu einem übergesellschaftlichen Individuum, nach einer besonderen Kreativität als Ausdruck ihrer Selbstverwirklichung streben und begründet sich zugleich hiergegen negativ aus dem "schwachen Menschen", wendet sich also nicht an die "Sklavenmenschen", die sich aus ihrer Notemanzipieren müssten, sich in den Notwendigkeiten der Gegenbenheiten gegen die Herrschaft der Not zu wenden hätten, sondern an die kulturellen und geistigen Eliten, die sich zu Höherem berufen fühlen, gerade weil sie den Gründen der Selbstunterwerfung in den Niederungen der Selbstverwertung enthoben sind. Zusammen mit Heideggers Existenzphilosophie war damit ein politisches Subjekt konstruiert, das nicht sein Grauen auflöst, sondern die Welt das Grauen lehren wollte.
Praktisch ist solches Ansinnen daher auch das Gegenteil von dem, was es für sich geltend macht:: Es ist die Philosophie der Kulturbürger, die sich selbst schon veredelt haben, ihre Selbstveredelung zum Maßstab der Welt machen und sich in einem übermenschlichen Edelmut zu vergesellschaften suchen (siehe hierzu die nationalsozialistsche Konsequenz mit dem Begriff Herrenrasse). Nietzsches Theorie ist die Ideologie einer elitären Subkultur, die durch ihre Ideologiekritik an den herrschenden Verhältnissen sich ihnen entzieht und zugleich bereit ist, sich mit der ideologischen Macht eines politischen Willens zu einer "besseren Welt" zu assoziieren und dessen Gewalt gegen die "blinde Meute" durchzusetzen. Und das hatten wir schon und kennen die Resultate.
Die bleibende Aktualität Nietzsches liegt an seiner antibürgerlichen Radikalität als Nihilist, die besonders in Krisenzeiten der bürgerlichen Gesellschaft belebt wird - und so auch das Fundament faschistoider Ideologie ausmacht. Einerseits verleiht er ihr eine unmittelbare Sinnlichkeit, die auch in weiten Kreisen der Kunst und Philosophie gerne aufgenommen wird, andererseits kritisiert er die verkrustete und lebensfremde Begrifflichkeit des aufgeklärten Bürgertums. Dessen Vernunft kritisiert er aus der negativen Totalität seines Nihilismus, aber er entflässt sich darin selbst in eine unmittelbare Lebenspraxis als eine Art philosophische Psychologie für elitäre Kulturbürger (siehe hierzu auch Psychoanalyse, Seele, Gedächtnis, Psychokratie). Philosophisches Denken ist für ihn bloße Selbsterkenntnis - nicht als Moment eines menschlichen Selbstbewusstseins, sondern als Herschaftsform gegen die blanke Begierde, deren Sinn und Trieb davon abgespalten werden müsse. Von daher ist der durch sich selbst geläuterte Mensch schon vor aller Erkenntnis in seinem Edelmut als der "bessere Mensch" vorausgesetzt. Er habe sich zwischen seiner wilden Urtümlichkeit (s.a. Trieb) und einem übermenschlichen Willen entschieden, was ihm eine geschichtliche Disposition verleihen soll.
DieVorstellung einer unverwirklichten Gegenwart des Menschen hat äußerlich eine scheinbare Ähnlichkeit mit marxistischer Entfremdungstheorie und ihrer Dialektik (vergl. hierzu Türcke, "Der tolle Mensch"). Sie will daraus aber nicht die Beschränkung des geschichtlich vorhandenen Lebens erschließen, sondern den Menschen zum subjektiven Hort seiner notwendigen Beschränktheit, zu einem Prinzip der Selbstbeschränkung durch innere Antagonisten (z.B. Trieb und Ästhetik, Sklavenmensch und Herrenrasse) machen. Die Überwindung der Aufklärung sieht Nietzsche im Fortbestehen einer Genealogie, die ihre geistesgeschichtliche Substanz permanent bezweifelt und sich wesentlich unweltlich in einer eher nominalistischen Typologie des Verstandes fortbestimmt. So wird ihm der philosophischen Zweifel an der Welt zum Schmerz und zum Prinzip und auch zur Position gegen alle Formationen der Wirklichkeit und ihrer Macht.
Bis heute hat dieses Lebensverständnis sein Echo in vielen praktischen Theorieansätzen von rechts bis links (z.B. Leo Strauss, Martin Heidegger, Horkheimer, Foucault, Sloterdijk). Wird dort auch sein Werk oft umgedeutet, seine Theorie der Macht als Erkenntnis von Ohnmacht empfunden (oder umgekehrt), so geschieht in der Kritik der Macht dasselbe wie in der Macht der Kritik: Es bleibt beim Streit um die Macht, also beim Machtkampf, der bei Nietzsche zugleich ein Willensentscheid sein soll. Der Antagonismus fügt sich positiv formuliert zu dem, was Nietzsches Denken von Anfang an in der Tragödie seiner antigöttlichen Gotteskindschaft enthielt, auch wenn er es erst später hervorkehrte: Der Mensch ohne Gott hat die Notwendigkeit, sich selbst zu ermächtigen, gegen die Macht Gottes zunächst ohnmächtig, dann durch die Entdeckung eigenen Strebens im Machtstreben sein Leben zu gewinnen. Wille wird so zur ontologischen Lebensbehauptung und Macht seine geschichtliche Notwendigkeit und Erfüllung. Nietzsche hatte das sophistische Kunststück eines Intellektuellen zustande gebracht, in der Gegebenheit des Willens durch die Verfügung über gesellschaftliche Macht, den Willen zur Macht als seinen Lebensausdruck aufzustellen, sein Äußerstes als sein Innerstes begreifen zu wollen. Was Marx noch als Gegensatz der Wirklichkeit untersuchte als Positionen des Rechts und seiner Begründung, also als gegensätzliche Rechtsgrundlagen, ist bei Nietzsche subjektiv als Lebensquelle allen Rechts ein permanenter Kampf um den mächtigen Willen.
Als widersprüchlicher Theoretiker des Willens, des Strebens zur Macht und des Übermenschlichen wurde Nietzsches Philosophie zur Begründung einer Theorie des Grauens. Diese Begründung bestand in der Behauptung einer Unauflösbarkeit des menschlichen Widersinns von ungezügelter Wildheit und der Sucht zur Selbstzerfleischung. Hiergegen sei der Seele ein Gedächtnis "einzubrennen", das unmittelbare Erfahrung zu überbrücken versteht. Durch die Vorstellung einer Elite, welche dies zur Aufgabe haben soll, wurde Nietzsches Philosophie zur Gesinnung des Nationalsozialismus, der diesen Elitegedanken politisch umsetzen wollte. Seine Vorstellungen von einer Herrenrasse, die sowohl urtümlich wie auch kultiviert und als Welt herrschaftlicher, elitärer Ästhetik nach Verwirklichung strebt, prägte das Bild faschistischen Selbstverständnisses besonders in seiner deutschen Ausprägung sowohl begründet wie auch entwickelt hat. Vielleicht war es ein Missbrauch der empfindsamen Momente seiner Intention, eine Formalisierung seiner Antagonisten, aber ein "Missverständnis" war das nicht.
Nietzsches Kunst ist die Brillanz seiner Sprache und sein Vorstellungsvermögen; seine Philosophie ist die eine Kulturkampfes zwischen Horde und Herrschaft. Darin geht es ihm um eine Wahrheit, die unter aller Wirklichkeit und zugleich über ihr ist. Diese geriet ihm zum Zynismus gegen die Widersprüche der Menschen selbst, zum Herrschaftsbewusstsein der Bohème, das mit der Kritik am Glauben zugleich die subjektive Kraft jeder gesellschaftlichen Veränderung zerstört: Die Menschenliebe. Die Kritik der Täuschung muss die Ent-Täuschung in der Erkenntnis überstehen, dass sie selbst nicht wahrer ist als sie.
Nietzsche fasziniert vor allem durch seine Dichtung, welche für ihn zugleich Philosophie war. Das aber macht auch das Problem: Kann dem Philosophen recht sein, was dem Dichter heilig ist? Wo der Dichter in seiner Verdichtung konkreter und abstrakter zugleich nicht sein kann, erhellt er den Geist als Lebensfunke, der eigentümliche Nähe hat. Philosophie verlangt Entfernung, fast Abwesenheit. Das Feuerwerk, welches die Vereinigung von Dichtung und Philosophie ausmacht ist gefährlich und kann leicht zum Großfeuer werden: Es war nicht zufällig, dass Nietzsches Denken in Mode war, als sich diese ungeheuerliche Unmittelbarkeit des Rassenwahns, dieses über alles stehende Prinzip der Reinheit und Klarheit der intellektuellen Nazis entwickelte. Natürlich kann Nietzsche hierfür keine "Schuld" treffen, so, als hätte er das ausgelöst oder als wäre es ohne ihn nicht entstanden. Aber eine Ähnlichkeit seiner Dekadenz- und Führungstheorie und jene der Nazis ist nicht zu übersehen, die vor allem aus seiner Nähe und Verachtung des "kleinen Menschen" besteht. Und die fantastischen Rassen seiner Dichtung hat er ohne Umstände in seine Philosophie wie ein ewig gültiges Geschichtsprinzip des Übermenschen übernommen. Es gab für ihn da gar keinen Unterschied. Er sah den Führer kommen und ersehnte ihn schon viele Jahrzehnte vor seinem Erscheinen, wo noch kein Mensch wusste, was dies bedeuten sollte - und es war nicht Nietzsches Wahn, sondern die Konsequenz seiner philosophischen Dichtung als eine bis zur Unkenntlichkeit verdichtete Philosophie. Es scheint, als sei er in seine eigene Falle gefallen, als er seine letzten Werke schrieb. Dichtung und Philosophie sind wohl die Extreme der Erkenntnis, die ihre Vermittlung finden müssen, die er ausgeschlossen haben wollte.
Nietzsche setzt sich selbst mit seiner Philsosophie als Literatur aus der Welt heraus, die er zu überzeugen sucht und dabei praktisch so nebenbei die Rhetorik der Reaktion erfindet. Er ist ein Priester des Nichts, ein belehrender Nihilist, der seinen Gott abgeschafft hat und dessen Wirkung dennoch neidet.
"Textauszug zu Friedrich Wilhelm Nietzsche.
"Also sprach Zarathustra."
Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden?
Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.
Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe.
Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu Gespenstern oder Pflanzen werden?
Seht, ich lehre euch den Übermenschen!
Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!
Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht.
Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren!"
Einst war der Frevel an Gott der grösste Frevel, aber Gott starb, und damit auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen höher zu achten, als der Sinn der Erde!
Einst blickte die Seele verächtlich auf den Leib: und damals war diese Verachtung das Höchste: - sie wollte ihn mager, grässlich, verhungert. So dachte sie ihm und der Erde zu entschlüpfen.
Oh diese Seele war selbst noch mager, grässlich und verhungert: und Grausamkeit war die Wollust dieser Seele!
Aber auch ihr noch, meine Brüder, sprecht mir: was kündet euer Leib von eurer Seele? Ist eure Seele nicht Armuth und Schmutz und ein erbärmliches Behagen?
Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein zu werden.
Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist diess Meer, in ihm kann eure grosse Verachtung untergehn.
Was ist das Grösste, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der grossen Verachtung. Die Stunde, in der euch auch euer Glück zum Ekel wird und ebenso eure Vernunft und eure Tugend."
Nietzsches Wirkung enstand wohl in der Faszination eines radikalen Selbstverständnisses intellektueller Selbstbezogenheit, die sich in ihrem Nihilismus dem Übermenschen nahe fühlt. Ihr Selbstgefühl ist getrieben wie radikales Selbst und erscheint als unerschöpfliches Potenzial ihrer Selbstverwirklichung, welche die unmittelbare individualisierten Denkens als Gedanke absoluter Individualität haben kann, wenn es sich als Allgemeingedanke des Menschseins Dichter denkend und Dichter fühlend zugleich vorstellt und dennoch zu verbergen versteht, dass es im Grunde doch nur populär ist. Es ist eben der Populismus der Elite, die ihren Weltschmerz an den von ihr verkleinerten Menschen wendet und ihm den Übermenschen in eigener Person vorzustellen versteht. Nietzsche ist Dichter und Denker in einem, der wunderbare Gleichnisse als Basis umfassender philosophischer Gedanken in antitheologische Radikalität darzulegen weiß, indem er theologische Rhetorik sich nutzbar macht. Es ist ein Nihilismus in seiner deutlichsten Mystik als künstlerische Mythologie, als schärfste Blendgranate des reaktionären Bewusstseins. Viele "großen Denker" und Künstler waren durch sie zerborsten und Martin Heidegger konnte so zu ihrem schwungvollsten Glücksritter werden. Mit seiner Fundamentalontologie und Nietzsches Weltschmerz vereint wurde der Tod zu einem "Meister aus Deutschland" (Célan).
Solches Denken erscheint ungemein radikal, ist es aber nur dadurch, dass es alles begriffen haben will und sich mit einer verselbständigten, völlig überhobenen Allgemeinheit jeder Begriffsbildung entgegenstellt, dass es ohne Begriff von Existenz, also ohne die Erkenntnis der Wirkung von formalisierten Lebensbedingungen (siehe Formbestimmung), ohne Wirklichkeit überhaupt auskommt und sich hierbei noch übermenschlich zu verherrlichen versteht (siehe Selbstveredelung). Von daher wendet sich Nietzsche als psychologischer Zyniker, als der er sich selbst begreift, nur an die Menschen, die er zugleich ob ihrer Bedürftigkeit verachtet.
Dies befriedigt die Selbsterregung sich unabhängig dünkender Intellektualität, die sich nur als Stachel - letztlich als Vernichtungswille - gegen die Menschen wendet, welche die gesellschaftlichen Grundlagen schaffen. Dies ist Nietzsche nicht nur bewusst, er will es auch so (die Macht des Willens). Mit solchem Stachel der konsequenten Notwendigkeit kann sich bis heute noch jeder Intellekt mit einem Sinn füllen, den er für sich nicht hat und vielleicht auch deshalb nicht mehr zu Ende denkt, weil er wirklich hiervon getrennt lebt. Die letztliche Beliebigkeit dieses Denkens bringt jeden Gedanken - besonders in der Form von Aphorismen - zu vielfältigen Sophismen. So wird Reflektion schnell zu einer Gesinnung, die sich als Gedanke gibt. Sie hat Nietzsche nötig, um an der Scharlatanerie unendlicher Seinsvergessenheit (Heidegger) teilzunehmen.