Totalitäres Denken

Aus kulturkritik

"Es gibt kein richtiges Leben im falschen." (Theodor Wiesengrund Adorno)

Keine Aussage über das Leben kann totalitärer sein als die [[Vorstellungeines "richtigen Lebens". Ein solcher Spruch vonAdornowidmet diesem eine eigeneWahrheitzu, indem er ihm schon in seinemisoliertenDaseindie Vollständigkeit einesWesensseinerWahrheitals Richtigkeit gegen dasFalschebehauptet (siehe hierzu auchNegative Dialektik). Was daran falsch wäre sei eine bloße "Beschädigung" seinerWahrheitdurchTäuschung, durch einen "Verblendungszusammenhang" der "Kommunikationsindustrie" (siehe hierzuMedien). Das "richtige Leben", das für sich und durch sich schon in jedereinzelnenErkenntnisganzwahrzubegreifenwäre (siehe hierzu auchPhänomenologie). Die Behauptung was inWahrheitrichtig, wasRecht,PrinzipundSitteist (siehe hierzu auchEthik) setzt allerdings immer schon eineAnalyseüber einen Fehler und dessen Darstellung in seinenwirklichenZusammenhängen (siehe hierzu auchDialektik) voraus. DochAdornoerledigt dies durch den gedanklichen Wisch, dass es für dasbegrifflicheDenkenschon nichtsGanzes, keine Weltgeschichte im Großen undGanzenals natürlicheGrundlagedesBegreifensderGegenwartgeben dürfe - dass diese in derSubstanzihrerBeweisführungfür einenganzenLebenszusammenhang der internationalen Menschheit schon einemtotalitären Denkenentsprungen wäre. Mit diesem kühnen Schwung gegen Hegel und Marx unterstellte er ihnen somit eineOntologiederGeschichte(siehe hierzu auchhistorischer Materialismus) und stellt sich faktisch - allerdings implizit und blind für das Problem einerwissenschaftlichenWahrheitsfindung- auf die Seite derFundamentalontologieMartin Heideggers, den er ansonsten zumindest in seinem "Jargon" zu kritiseren verstand.]]

Mit seiner negativen Dialektik ist Adorno - und das macht seinen spezifischen Ansatz im Unterschied zu anderen Wissenschaften aus - der Täuschung als einer bloßen "Unwahrheit des Ganzen" so entgegengetreten, als geben es die Täuschung auch schon an und für sich. Hierfür erklärte er den Widerspruch der bürgerlichen Welt selbst zum Ganzen ihrer Unwahrheit, zu einer Verfälschung der Subjektivität schlechthin, zu einem Fetisch, dem alleine durch die Erkenntnis seiner Negativität zu entkommen sei. "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" ist die saloppe Formulierung einer Wahrheitsbehauptung über das Leben an sich, welche Leben in seinem Eindruck wie Ausdruck als Kunstform fasste, als unmittelbares Sein von Wahrheit gegen die Unwahrheit (Täuschung), als ein im Kapitalismus unmögliches Leben. Der "totale gesellschaftliche Bann" (Adorno, "Ästhetische Theorie", Suhrkamp, S. 342) trifft das Wahre, das sich "als Eigenes in sich kristallisiert, anstatt bestehenden gesellschaftlichen Normen zu willfahren" (ebd.. S. 335). Nicht die Wahrheit eines widersprüchlichen Lebens war ihm Gegenstand, sondern die Wahrheit des Lebens selbst, welches durch eine hiervon abgetrennte Form, durch das Kapital an sich bedrängt sei.

Totalitäres Denken bewegt sich im Kurzschluss einer Totalisierung des Denkens in der einzelnen Anschauung mit einem Begriff, der diese phänomenal verallgemeinert (siehe auch Phänomenologie), der also eine Allgemeinheit fixiert, in der die Einzelheiten in einer begrifflich verstandenen Totalität willkürlich untergebracht sind (siehe auch Strukturalismus). Totalität an sich wäre eine bloße Ganzheit des Denkens in einem Kreislauf von Einzelnem im Allgemeinen. Solange darin sich die Unterschiede aufeinander beziehen besteht sie im Prozess der Geschichte nur verschwindend. Sobald aber in dieser Totalität das Einzelne im Allgemeinen verschwindet, weil es damit identifiziert, bzw. gleichgesetzt wird, wird der Kreislauf der Geschichte zur Selbstbeziehung eines abstrakt Allgemeinen, zu seiner totalen Verselbständigung, zu einer "schlechten Unendlichkeit" (Hegel), in der sich das Einzelne immer nur auf sich selbst allgemein beziehen kann (siehe hierzu auch Hermeneutischer Zirkel). Seine Einzelheit kehrt allgemein immer wieder und kehrt sich von daher auch gegen sich selbst. Denn im Allgemeinen ist Einzelnes unmittelbar aufgehoben, wenn es sich dort nicht zu anderem verhält.

Jede Ontologie verführt dazu, alle Einzelheiten einer Geschichte in ihrer Allgemeinheit aufzulösen, ganz besonders die Fundamentalontologie Martin Heideggers, die das geradezu programatisch betreibt, indem das sich selbst verstehende Sein "immer schon" Selbstverständlich, also nsur nachvollziehbar war. Dieser Nachvollzug beließ das Einzelne nur im Bezug zum Ganzen verstehbar und das Ganze ließ sich zugleich nur am Einzelnen zeigen. Dieser "Hermeneutische Zirkel" (Heidegger) galt bis zu Heideggers "Kehre" als reines Seinsverständnis, das für sich bedenkenlos sei und es keiner Erkenntnis, keines erkenneden Subjekts bedürfe. Warum dann dieser Gedanke über das Selbstverständliche? Weil der Sinn von Sein und Dasein einander bedingen: "Nur solange Dasein ist, gibt es die ontische Möglichkeit von Seinsverständnis, »gibt es« Sein". Dem Sein ist also ein Sinn eingeschrieben und "Sinn ist das, worin sich die Verständlichkeit von etwas hält." (Heidegger in "Sein und Zeit" (GA 2), S. 151). Das Sein ist im Selbstverständnis total; Geschichte hat darin keinen Platz.

Totalitäres Denken treibt die Verabsolutierung einer relativen Bezogenheit zu einem geschlossenen Ganzen. Sie beruht auf einer Gleichsetzung eines Teils mit einem Ganzen wodurch eine Verwechslung oder Auswechslung einer Beziehung mit ihrer Form betrieben wird (z.B. "der Russe"). Es ist die Grundlage einer Fremdidentifikation durch Vertrautes, das Vertauschen eigener Absichten durch die Formalisierung eines Fremden, also der Selbsttäuschung durch Selbstgeborgenheit (siehe Lebensbergung), Antrieb des reaktionären Bewusstseins, Grundbefindlichkeit für Rassismus. Im autoritären Charakter wird Totatilsierung genutzt, um eine Identität aus der Aneignung fremder Lebensinhalte zu gewinnen.