Gutmensch

Aus kulturkritik
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Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man läßt. Wilhelm Busch (1832 - 1908)

Mit dem Begriff Gutmensch wurden und werden Absichten abgehandelt, die auf eine hohe moralische Integrität abzielen, um die Durchsetzbarkeit und Verwirklichung einer besseren oder guten und schönen Welt durch die Aufhäufung von Protest in einem durch seine Allgemeinheit politisch korrektem zu erreichen (siehe Political Correctness alias Politische Korrektheit). Gekennzeichnet soll ein solcher Gutmensch dadurch sein, dass er an eine Güte des Menschseins glaubt, an eine Entwicklung, in der die Abwendung des Schlechten durch die Vernunft eines guten Willens bestimmt werden kann. Er glaube an die Befriedung der Menschheit durch eine vernünftige Ethik.

Dadurch, dass sich ihm Vernunft aus der Güte des Menschseins, aus einer selbstgerechten Ideologie begründen würde, wird das Ungute, das Schlechte zugleich auch das Böse. Aufklärung begründet sich ja tatsächlich letztlich aus einem Imperativ des guten Willens: Sie will das Böse verhindern, indem sie das Gute als menschlichen Allgemeinzweck setzt. Die Vernunft überhaupt ist die allgemeine Kategorie des Guten als Grundlage dieser Ethik. Ihr allgemeinster Imperativ ist: Handle so gut, wie du behandelt sein willst. Ihre Schlussfolgerung: Dann geht es allen gut.

Das Gutmenschentum wird gerne von der Rechten den Linken vorgeworfen. Aber gerade das reaktionäre Bewusstsein setzt auf die Güte seiner Lebensverhältnisse. Es entspringt den Gewohnheiten einer heilen Welt, die sich angegriffen sieht von einen äußeren Feind, als Organ fremder Mächte tätig ist und Schutz vor ihm nötig macht (siehe auch ästhetischer Wille). Der Reaktionär begreift sich selbst als Opfer böser Machenschaften, einer Willkür, die ihm aus einem Chaos fremder Interessen entgegenscheint und als originäre Verursacher eines Übels, als Macht des Bösen begriffen wird (siehe Fremdenfeindlichkeit), - oft nicht mal innerhalb der eigenen Lebensverhältnisse begründet erscheint, sondern lediglich die Prinzipien seiner Selbstgerechtigkeit artikuliert (Wir sind das Volk).

Die Reaktion begründet sich vor allem aus der Wertschätzung der eigenen Welt, der aus einem ästhetischen Willen heraus ein Vermögen zugesprochen wird, das sie nicht hat. Weil im Unvermögen jede Veränderung nur verschleißen kann, sollte die Bildung und Ausbildung (siehe auch Sinnbildung) der Fähigkeiten zu ihrer Verwirklichung vorausgesetzt sein. Wo weder stofflich, noch menschlich ein Vermögen vorhanden ist, herrscht die bloße Reaktion als reaktionäres Bewusstsein. Gerade weil es sich gegen das Vermögen als guter Wille für sich stellt, kann dieser Wille sich gegen das kehren, was er zu bezwecken vorgibt. So kann auch der Kategorische Imperativ von Immanul Kant zur Grundlage der Reaktion werden, wie dieser in der Grundlegung seiner Metaphysik schreibt:

Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Wenn gleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde, und nur der gute Wille (freilich nicht etwa als ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Werth in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werthe weder etwas zusetzen, noch abnehmen. (Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 394)

Dadurch, dass sich mit Kant die Vernunft selbst schon aus der Güte des Menschseins begründet, ist das Unvernünftige auch das Ungute, das Schlechte zugleich auch das Böse. Aufklärung begründet sich letztlich aus einer Reaktion, die zu einer Vorstellung gewendet wird, die den Absichten der Reaktion unterlegt werden kann: Sie will das Böse verhindern, indem sie das Gute als menschlichen Imperativ setzt. Es ist die Grundlage der westlichen Ethik, die das Böse nur moralisch zu beantworten sucht und es nicht wirklich aufheben kann, weil es das Gute von ihm getrennt hält, es nicht zu integrieren vermag, einbezogen in die Gründe und Zusammenhänge der Widersprüche zwischen Gutem und Schlechten, weil es nur ausgeschlossen sein soll und damit - in der Ausschießlichkeit einer Hölle auf Erden ausgewiesen - sich durch sich selbst bestärken muss.

Dem überzeugtem Aufklärer ist nichts selbstverständlicher, als dass das Schlechte unvernünftig ist und im Verstoß gegen den Imperativ der Vernunft naturgemäß amoralisch sein und schon deshalb bekämpft und sanktioniert werden muss. Das Gute bewegt sich im Zirkelschluss seiner Selbstdefinition und bleibt somit nur in der Selbstwahrnehmung befangen, in der Kenntnis von sich, also ohne wesentliche Erkenntnis von dem, was anders ist oder anders sein könnte (siehe auch Hermeneutischer Zirkel). Das mag das Problem jeder Aufklärung sein, doch ihr deshalb einen Humanismus zu unterstellen, der diesen allgemein verwerflich macht, ist ein absurder Umkehrschluss, den Martin Heidegger in seinem Humanismusbrief eingebracht und damit reaktionäre Kulturkritik überhaupt totalitär gemacht hatte.