Böse
"Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär's, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, Mein eigentliches Element." (Mephistopheles in Faust I. Eine Tragödie von Johann Wolfgang von Goethe, Vers 1338 ff. )
Das Böse ist der Hinterhalt des Guten, der Bewertung einer Moral, eines allgemein anerkannten Lebenswerts, der aus den Gewohnheiten der Menschen sich selbständig gemacht hat. Die Macht der Güte ist ja schon immer als "Macht der Gewohnheit" sehr vermittelt und ihre Selbstgerechtigkeiten bestimmen sich aus einer schlechten Negation gegen das Böse der Macht. Über das so genannte Böse wird daher meist wie über eine fremde Macht geredet, die Menschen beherrscht und sie "unberechenbar" macht, aus ihnen Bestien oder Monster macht, die das "Gute im Menschen" abtötet, bzw. sich aus der Güte seiner Tötung begründet. Es hat daher etwas "Satanisches", das die Menschen zerstört, ohne dass sie sich dem erwehren könnten. Allerdings verläuft die Zerstörung nicht durch etwas Böses selbst.
Hannah Arendt hat die "Banalität des Bösen" dagegen gehalten, die keinerlei Tiefgründigkeit hat, sondern durch eine Systematik (siehe z.B. Bürokratie) bestimmt ist, schlicht aus der Gleichgültigkeit von Menschen durch die Verhältnisse entsteht, denen sie damit zu entkommen glauben, dass sie ihrem hieraus begründeten Selbstgefühl nachgehen, weil sie darüber hinaus nichts mehr denken. Von da her ist das Böse in keiner Weise so radikal, wie es in seiner Mythologisierung verstanden wird; es besteht aus der bloßen Unfähigkeit, sich in die eigenen Verhältnisse zu vertiefen, sie denkend zu begreifen und hierüber Bewusstsein zu bilden. Das scheinbar Radikale daran ist die Totalität, in der die Selbstentfremdung der Menschen zirkulär wird, wenn sie ihre Bewusstlosigkeit nicht durchbrechen und von daher zu keiner Kritik mehr fähig sind. Aus einer im Grunde verzweifelten Selbstbehauptung pervertieren sie ihre Selbstveredelung zu einem autoritären Charakter, der aus den Selbstgefühlen von Massenmenschen in Menschenmassen seinen Narzissmus totalisiert.
Das Böse ist, was Nichtung betreibt und zur Vernichtung bestimmt. Es ist eine herrschende Negation, die aus der Gleichgültigkeit entsteht, indem das Gute als Prinzip bloße Gewohnheit ist (siehe abstrakt Allgemeines), als Gegebenheit des Alltags nur noch für sich funktioniert. Wo nichts mehr einen Sinn für die Menschen hat (siehe abstrakt menschlicher Sinn) wird das Unheil mächtig und wendet sich in eine Heilserwartung, die selbst nur noch als Funktionalität eines Ganzen, das nicht heil sein kann, herrscht. Der Glaube an diese Funktion, der Glaube an die Güte leerer Gegebenheiten ist der subjektive Trieb des Bösen. Er ist schlicht und trivial, weil es selbst als Glaube schon ganz das ist, was nicht wirklich sein kann, diese "Banalität des Bösen" (Hannah Ahrendt) ist, und die deshalb auch von allem absieht, was wirklich ist. Seine Absicht ist die bloße Macht des Seienden über das Sein, das Menschsein als Dasein schlechthin (siehe hierzu auch Martin Heideggers Fundamentalontologie).
Nur wo die Guten herrschen, kann es das Böse geben, denn es bestimmt sich aus der Macht einer Güte, der es unterworfen wurde, weil nicht wirklich sein kann, was gut sein soll. Im objektiven Sollen kann sich der Mensch nur fremd sein und seine Entfremdung als Selbstentfremdung leiden.
Dadurch, dass sich Vernunft aus der Güte des Menschseins begründet, ist das Unvernünftige auch das Ungute, das Schlechte zugleich auch das Böse. Aufklärung begründet sich letztlich hieraus: Sie will das Böse verhindern, indem sie das Gute als menschlichen Imperativ setzt. Es ist die Grundlage der westlichen Ethik, die das Böse nur moralisch zu beantworten sucht und es nicht wirklich aufheben kann, weil es das Gute von ihm getrennt hält, es nicht zu integrieren vermag, einbezogen in die Gründe und Zusammenhänge der Widersprüche zwischen Gutem und Schlechten, weil es nur ausgeschlossen sein soll und damit - in der Ausschließlichkeit einer Hölle auf Erden ausgewiesen - sich durch sich selbst bestärken muss.
Dem Gutmenschen als überzeugtem Aufklärer ist nichts selbstverständlicher, als dass das Unvernünftige schlecht ist und das Schlechte im Verstoß gegen den Imperativ der Vernunft naturgemäß amoralisch ist und schon deshalb bekämpft und sanktioniert werden muss. Das Gute bewegt sich im Zirkelschluss seiner Selbstdefinition und bleibt somit nur in der Kenntnis von sich, also ohne wesentliche Erkenntnis von dem, was anders ist. Aber gerade was die Menschen nicht kennen, könnte äußerst interessant für sie sein und ihre Neugier und ihren Forscherdrang beflügeln. Dies macht schließlich Entwicklung und Geschichte aus. Aber wo das Böse ausgeschlossen sein und bleiben muss, ist jede Ungewissheit bedrohlich und so begründet sich das Gute nur in der Vergangenheit, im Heil des Erreichten. Vom Standpunkt einer heilen Welt, in der die Beherrschung des Ungewissen vor allem anderen steht, kommt es ihnen ungewöhnlich, nicht heimisch, unheimlich vor. Dort, wo sie ihre Gewissheit verloren haben (z.B. in einer Krise), wird das Ungewisse zur Macht gegen sie und also zum allgemeinen abstrakten Gegner, zum Bösen schlechthin.
In fast jedem Streit um des Schönen und Guten willen, wird die Entgegensetzung von Gut und Böse fortgetrieben, oft aus stringenter Ableitung aus dem Guten, bis hin zu einer Konstatierung des Abscheulichen, des Monsters, der Lebensbedrohung durch das Anderssein des Anderen. Was Liebe war, wird zu Hass, um ihrer Beschränkung eine Grenze zu verleihen, um Wesensunterschiede festzustellen, die zuvor bedeutungslos waren. Es geht hier eigentlich um die Erkenntnis eines mittelbaren Wesens, was hinter dem Streit steckt, also um die Erkenntnis eines Begriffs, in welchem sich Menschen, die sich wirklich geliebt haben, im Streit entzweien. Er könnte dann für jeden fruchtbar sein, wenn sich der Streit als notwendig erklären lässt.
Bleibt es bei der Selbstgerechtigkeit von Gut und Böse, so bleibt es auch dabei, wer gut und wer böse zu sein hat: Der Streit ist unendlich. Das Böse ist daher auch keine Projektion, sondern die notwendige Einfältigkeit eines Kampfes um die rechte Moral, die zu klären hat, was immer unerklärbarer wird. Das Verhältnis verliert mit der Moral seine Liebe und Kultur: Die Zerrüttung selbst wird das Unheil, das keine Parteien haben kann; das Heil erscheint als Notwendigkeit für jeden - sei es durch Trennung, Entfernung aus dem Streit oder durch die Ausschaltung des Gegners in sich oder durch sich. Er muss hierbei allerdings notwendig seine eigene Realität aufgeben, seiner eigenen Wirklichkeit und Wirkung entkommen, um für sein Seelenheil weiter zu leben. Nur in seinem Seelenbunker bleibt ihm das Böse wirklich äußerlich und ermöglicht die räumliche Entfernung und die Entfremdung hin zur Selbstentfremdung.
Was zwischenmenschlich geschieht, wird in der Politik gerne benutzt, um gänzlich andere Interessen (z.B. Machtinteressen, Besitzansprüche) zu realisieren. Hier jedoch geht es nicht um Liebe und schon gar nicht um Kultur, sondern um Krisenmanagement. Das Böse wird hergenommen zur Verbrämung von Machtinteressen, zur Vorbereitung eines Angriffs in einem Kulturkampf, hinter dem diese Interessen durchgesetzt werden sollen. Was im Volk zwischenmenschlich geschieht wird also zum Legitimationsmuster politischer Interessen und wird daher auch von Populisten und ihrer Presse (siehe Propaganda) besonders an "den einfachen Menschen" und dessen Lebenspraxis getragen, um höchst komplexe "Lösungen" für ihre Machtpolitik zu erzielen. Es zeigt sich besonders dort die scheinbare Interessengleichheit des praktischen Bewusstseins mit der politischen Praxis der Kulturpolitik (siehe auch Kulturstaat) als besonders fatal.
Der Moralismus, der im Begriff des Bösen steckt, ist immer vernichtend, weil er die Achtung vor dem Gegner aufhebt. Er kann also nur in der Missachtung der Auseinandersetzung mit ihm sich umsetzen und setzt ihn als Verurteilten, als Schuldiggesprochenen vor das eigene Gericht, wie immer er das auch begründen mag (z.B. auch durch das Menschenrecht). Die politische Verwendung dieses Begriffs zeugt immer von absolutem Vernichtungsinteresse. Dies weiß auch dessen Objekt und wird sich auf eine Vernichtungsschlacht mit all ihren Folgen einstellen (siehe auch Terrorismus).