Archetyp

Aus kulturkritik

"Das Unbewußte ist das eigentlich reale Psychische, uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das Reale der Außenwelt und uns durch die Daten des Bewußtseins ebenso unvollständig gegeben wie die AußenweIt durch die Angaben unserer Sinnesorgane." (S. Freud, 1900, Traumdeutung, S. 580, S. Fischer-Verlag, Studienausgabe)

Nach Carl Gustav Jung sind Archetypen "a priori vorhandene, vererbte und verbreitete Gegebenheiten" der Wahrnehmung, die als deren "Faktoren ... menschliches Verhalten beeinflussen, ... keine unerhebliche Rolle" spielen (ebd. S, 141). Ihre Wirkung erkläre sich daraus, dass sie "typisierte Lebenssituationen darstellen", deren Verarbeitung damit schon vorgegeben ist, wie es Jung an Nietzsches Zarathustra zitiert. Sie sind Gebilde von Massengefühlen – nach dem Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung "urtümliche Bilder" – die wie inhaltliche Verdichtungen psychischer Grundwahrnehmungen (etwa wie überindividuelle bilder) hinter allen bewussten Wahrnehmungen liegen (siehe hierzu auch Fundammentalontologie) und die psychischen Verarbeitungen der Menschen bestimmen oder beeinflussen (z.B. Totems oder Kulttypus).

Was eine Psychologie zu emanzipieren sucht zeigt sich in dem, was sie von ihrem Gegenstand, von der Psyche begriffen haben will. Im Unterschied zu Husserls Phänomenologie, die sich aus einer Einfühlung über eine Teleologie der Wahrnehmung begründet (siehe eidetische Reduktion) gibt es für Jung ein überhistorisches Unbewusstes, das als "kollektives Unbewusstes" in jedem Menschen so ist, wie seine allgemeine Natur auch kollektive Natur der Individuen sei (vergl. Jung: "Dynamik des Unbewussten" S. 128). Archetypen sind also Bezeichnungen aus der Analytischen Psychologie, die dem "kollektiven Unbewussten" verallgemeinerter sinnbildungen, der Seele zugehörig vermuteten Grundstrukturen menschlicher Vorstellungs- und Handlungsmuster (siehe Muster und Bilder) entsprechen sollen, wie sie seit Generationen mit ähnlichen Emotionen assoziiert sind und als solche auch z.B. in der Kommunikationsindustrie als Bilder für das "Storytelling" (z.B. als Apple-Logo) verwendet werden.

Die Verdichtung von kulturellen Inhalten, wie sie in Gewohnheiten allemal anzutreffen ist, wird hier zu einer phänomenologischen Wesensbestimmung, zu einer allgemeinseelischen Grundlage des Menschseins, die sich in der Individualseele nur noch mehr oder weniger deutlich verwirklicht und sich aus dem "psychischen Ahnenleben" tradiert. In diesem Sinne hat Jung eine Esoterik des Unbewussten verfasst (siehe hierzu auch Mustertheorie).

Die Verdichtungen im Archetypus, die von aller Form absiehen und die Inhalte ihrer Bilder als eine dichterischen Schöpfung begreifen will, sieht sich selbst als Gleichnis wie ein literarisches Wesen des Immergleichen, dem selbst seine Herkunft aus der Dichtung nur Beispiel ist. Die Dichtkunst müsste sich solchen Gebrauch verbieten, wenngleich sie durch ihre Verewigung geschmeichelt ist. Aber vor allem wird hier die Anwendung zu einem Moment der Selbstverewigung, indem von dem psychologischen Interesse der Anwendung solcher Typologie vollständig abgesehen wird. Dass die "Lebenssituation" zum Lebensgleichnis geworden ist, beschert solcher Psychologie geradezu höchste Zufriedenheit: Leben scheint somit inhaltlich fassbar, verifizierbar, dimensionierbar usw.... Eine Genealogie der Traumbilder schien für Jung ein erstrebenswertes Ziel zur Diagnostik und Prognostik für seine "Patienten" (etwa wie ein Lebenontologisch unterlegter Rorschachtest).

Archetypen oder die Erfassung des "kollektiven Unbewussten" wurden im Nationalsozialismus zu Grundmustern einer "Volksseele", für die sich auch Jung gerne einsetzte. Darin kann jeder seelische Ausdruck vor allem zu einer "gesunden" Seele ausgerichtet werden, die ja in der Maßgabe der Archetypen als "wissenschaftlich" erfasstes Wahrnehmungsmuster vorgegeben ist.

Es spielt bei solcher "Wissenschaftlichkeit" immer eine erhebliche Rolle, dass sie besonders aus den Selbstwahrnehmungen einer Oberschicht in der Reinform ihrer kulturellen Abstraktion als eine phänomenales Subjektivität gewonnen und als Maßstab der Menschlichkeit gegen die Anarchie der Unterschicht gehalten wird - wie eine Tröstung der herrschenden Wahrnehmung im Allgemeinmenschlichen gegen die Gefahren ihrer zwischenmenschlichen Störung (Unordnung). Es war damals schon so, wie heute bei Hellinger mit seiner "Ordnung der Liebe" - damals allerdings nicht als Massenveranstaltung, sondern als Befassung mit dem Einzelwesen über ein "tiefsinniges Gleichnis" des menschlichen Wesens.