Derrida, Jacques
Derrida (geb. 1930 in El-Bair, Algerien) war ursprünglich Sprachphilosoph, der im Verhältnis von Schrift und Stimme der abendländischen Philosophie und Literatur einen "Logozentrismus" sah (in "De La Grammatologie"), welcher nach seiner Auffassung eine Erniedrigung der Schrift (und das ist für Derrida Philosophie und Literatur) zur "Hilfsform der Sprache" entwickelt habe. Das Schriftwerk sei ganz allgemein seiner Bildhaftigkeit wesentlich enthoben und zu einer Funktionalität der Vernunft geworden (siehe hierzu Phänomenologie), die sich in Struktur und Konstruktion einer sich selbst verstellten Wahrnehmung überordnet (siehe hierzu auch Bildungsbürgertum)
Dem so zur logischen Konstruktion gerronenen Ausdrucksvermögen der Menschen setzte Derrida seine ideologie- und sprachkritische Bemühungen unter dem Begriff der Dekonstruktion entgegen, die er aus dem Existenzialismus Martin Heideggers im Verhältnis von Sprache und Schrift nachvollzieht. Ihm ging es dabei zunächst um die in der Schrift durch die Vermassung der aktualistischen Sprache unterdrückte Textualität, welche die "Urspur" des Seins ausmachen würde. Durch diese Trennung von Wort (Logos), Sinn und Seele sei der Bruch der menschlichen Identität gegründet und fortgesetzt, weil darin Bedeutung und Bild der Sprache ihrem Text entzogen seien.
Heidegger, der eine wahre menschliche Identität in seinem Dasein begründen wollte, wandte sich 1929 in seiner Freiburger Antrittsvorlesung "Was ist Metaphysik?" entschieden gegen die Philosophie als Geistesströmung der Modernen, die sich den Gegebenheiten des Verstehens überlassen habe und daher nicht die Vergessenheit des Seins (siehe Seinsvergessenheit) in den Oberflächlichkeiten des modernen Lebens als Selbstverlust des Menschen begreifen könne: "Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst macht den Menschen zum Platzhalter des Nichts." Seine hieraus gegründete Fundamentalonologie wollte den "Sinn des Seins" in seiner "Ekstase" (siehe Existenz) erfassen und hieraus einen radikalen Existenzialismus gründen.
Mit der existenzialen Gegenwärtigkeit einer Sprache, die das Sein im Dasein hervorkehrt und "lichtet", wird allerdings jede Allgemeinheit im Wort besondert, ihre Worte zu Begriffen einer Kritik verwesentlicht, die Wesentliches schon im Wort "entbirgt", jede Diskrepanz von Wesen und Erscheinung sowohl aufgehoben wie bestärkt, alles Wesentliche, Wesen als Grund einer Folgerung praktisch abgeschafft hat. Übrig bleibt daher die Kritik der Sprache, eine Sprachkritik, die nach ihrer Bedeutung sucht und als Deutung der Sache zu formulieren sei, welche eine Unmittelbarkeit der Entgegnung suggeriert, die keinen Begriff von ihrer Sache nötig hat, weil sie ihren Gegenstand schon aufgehoben behauptet, bevor sie sich ihm entgegenstellt. Aus der Sprache heraus ist das begrifflose Wort selbst dadurch schon als Kritik des Seienden zu verstehen, dass es nicht mehr Begriff der Sache sondern unmittelbare Erkenntnis aus den Weisheiten der zwischenmenschlichen Kommunikation heraus darstellen würde.
Da Derrida ganz in der Sprachphilosophie verharrt, beharrt er auch auf dieser Trennung des Wortes selbst und verkennt dessen Wirklichkeit, die es nur in der Empfindung und dem Gefühl des damit Gemeinten haben kann, das sich auch als Trennung von Empfindung und Gefühl reflektiert. Die Bemühung, den Menschen selbst als in sich gespalten durch Sprachtheorie zu begreifen, gerinnt ihm zur Subjektivität einer Sprache, die keinen Gegenstand hat und benötigt. Die ganze abendländische Kultur besteht für ihn daher auch nicht mehr aus der Trennung von Subjekt und Objekt als menschliche Selbstentfremdung, sondern aus einer Trennung von Äußerlichkeit und Innerlichkeit schlechthin, welche als "Verstellung" der menschlichen Natur überhaupt, als Verbergung des Menschen zu begreifen sei (siehe Phänomenologie).
Daraus entwickelte er eine Kulturkritik, die sich an Nietzsche und Rousseau anlehnte. Schon für Rousseau war die Repräsentation der Schrift eine falsche Präsentation der Sache, nicht als Irrtum, sondern als Trug im Herrschaftsinteresse. Im Gegensatz von Stimme und Schrift vollziehe sich darin der herrschende Widerspruch von Präsenz und Absenz, von Knechtschaft und Freiheit. Mit seinem Dekonstruktivismus will Derrida die für die herrschende Präsenz-Metaphysik charakteristischen Gegensätze von Drinnen/Draußen, Böse/Gut, Repräsentation/Präsenz und Schrift/gesprochenes Wort auflösen und an ihre Stelle die Ursprünglichkeit und Irreduzibilität der Schrift einbringen. Dieses von aller Konstruktion befreite "Ursprungssupplemenrts" widersetze sich jeder Ontologie und soll das postmoderne Denken als post-logozentrische Philosophie eröffnen, die sich besonders gegen alle Theorien wendet, die systematisch denken (besonders gegen Kant, Hegel und Marx).
Dieser Angriff auf das begriffliche Denken verbraucht allerdings gerade jene Begrifflichkeit, die dort entstanden ist, weil es lediglich negativ darauf gründet, also eine Kulturkritik ohne eigenen Sinn darstellt. Wo sich Derrida gegen Begriffe wendet (z.B. Homosexualität) und ihre Plakation angreift, zerstört er zugleich das Nachdenken über diese, wird selbst zur Plakation der Negation. Darin entsteht das Unvermögen einer Kritik, die sich letztlich immer nur selbst zum Gegenstand haben kann. So unterliegt dieses Denken seiner eigenen Plakation und dient implizit, faktisch und wirklich einem Machtinteresse, das sich aus Ohnmacht legitimiert: Aus dem Unvermögen der Kritik gegenüber einer fremden Wirklichkeit, die im Begriff von Konstruktion subjektiviert und zugleich abgewiesen, also schon überwunden geglaubt, dekonstruiert ist. Ein solches Entmachtungsbewusstsein steht allerdings im Einklang mit den Entwicklungen der postmodernen Globalisierung und auch - gegen ihren eigenen Willen - deren Ideologie, dem Neoliberalismus. Denn dieser besagt, dass jede politische Struktur selbst schon eine Konstruktion gegen die freie Entfaltung der Gegebenheiten sei.
Mit Derrida hat sich eine Psychologisierung der Philosophie ergeben, die sich zu einem allgemeinen Vorwurf gegen menschliche Wirklichkeit selbst erhebt, gegen menschliches Wirken, das sich vergegenständlicht. Indem solche Gegenständlichkeit selbst schon als Konstruktion der Macht genommen wird und Dekonstruktion als einzig mögliches Verhalten hierzu verstanden ist, will der Dekonstruierende eben auch an die Macht - aber eben in der Leugnung von dieser. Um solches Denken umzusetzen müsste eine permanente Selbstzerstörung stattfinden. Dies wird aber dadurch verhindert, dass die individuelle Sinnbildung hierüber als Anspruch mit psychoanalytischer Unterlegung allgemein gesetzt wird, als allgemeine Selbstverständlichkeit, die allem vorausgesetzt gelten muss. Was Kritik an objektiver Bedingtheit sein wollte, müsste sich also gegen sich selbst wenden, weil sie das Subjekt objektiviert. Jedes Denken ist mit Derrida damit eigentlich am Ende, bevor es beginnen kann. Denn indem er die Unterscheidung der wirklichen Gegensätze angreift und damit Einheit als menschliche Selbstverständlichkeit schlechthin unterstellt, greift er die Erkenntnis der Einheit der Gegensätze, das Begreifen von Widersprüchlichkeit an, die Grundlage des begrifflichen Denkens. Zudem vollstreckt er damit auch nur, was er überwinden will: Ontologie, - die Ontologie psychoanalytischer Begrifflichkeit. Nichts anderes als dies aber ist gerade seine "Urspur des Seins".