Doppelcharakter

Aus kulturkritik

"Diese Spaltung des Arbeitsprodukts in nützliches Ding und Wertding betätigt sich nur praktisch, sobald der Austausch bereits hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit gewonnen hat, damit nützliche Dinge für den Austausch produziert werden, der Wertcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst in Betracht kommt. Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der Produzenten tatsächlich einen doppelten gesellschaftlichen Charakter. Sie müssen einerseits als bestimmte nützliche Arbeiten ein bestimmtes gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen und sich so als Glieder der Gesamtarbeit, des naturwüchsigen Systems der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit, bewähren. Sie befriedigen andrerseits nur die mannigfachen Bedürfnisse ihrer eignen Produzenten, sofern jede besondre nützliche Privatarbeit mit jeder andren nützlichen Art Privatarbeit austauschbar ist, also ihr gleichgilt." (MEW 23, S.87)

Weil der Inhalt des Prodkts einer Privatarbeit sich beim Warentausch in gegensinnigen Beziehungen verwirklicht, in der Form seines Daseins weder in der einen noch in der anderen Beziehung von Verkauf und Einkauf bleiben kann, verdoppelt sich seine Bestimmung (siehe z.B. Wertform und Äquivalentform) und wird sich in seiner Allgemeinheit wesentlich gleichgültig. Durch seine innerliche Gespaltenheit (siehe Trennung), durch die dadurch doppelt bestimmte Form ist er wechselweise im Einen wie im Anderen abwesend und zugleich anwesend. Von da her abstrahiert er von seiner Substanz und identifiziert seine bloße Form mit sich selbst und erscheint sich einig im Maß seiner Verhältnisse und als Maßstab seines Verhaltens (siehe z.B. abstrakt menschliche Arbeit, abstrakt menschlicher Sinn), worin sein gespaltenes Wesen seine Wirklichkeit bestimmt. In einem Doppelcharakter stellt ein in sich gespaltenes Wesen sich dar, das in gegensinnigen Bestimmungen seines Dazwischenseins wie aus zwei Charakteren entstanden erscheint. Was seinen Inhalt ausmacht erscheint abgetrennt in einer ihm fremden Form. Es hat eine Form, welche im allgemeinen Dasein ihrer Einzelheit widerspricht (siehe auch Äquivalentform). Es hat gegensätzliche Ausdrucksweisen ihres Wesens, verwirklicht einen Zwiespalt zwischen seiner allgemeinen und seiner einzelnen Seinsweise (siehe z.B. Tauschwert und Wert).

Einen Doppelcharakter hat also ein Ding mit widersprüchlichen Eigenschaften, die für sich und alleine nicht wirklich wahr sein können, weil sie inhaltlich bestimmt und durch ihre Form zugleich gleichgültig gegen ihre Bestimmtheit sind. Und weil sie einander in ihren verschiedenen Existenzformen ausschließen, können sie inhaltlich auch nur gegen einander bestimmt sein. Sie verhalten sich im Großen und Ganzen widersinnig, weil sie ihre Beziehungen aus einem zweifelhaften Wesen aufheben und dadurch in ihrer jeweiligen Form verwirklichen müssen, weil sie aus einem Wesen begründet sind, das einen Grund ihrer Formbestimmung in einem abwesenden Wesen hat, von dem es getrennt erscheint. Weil sich solche Eigenschaften in ihrem Dazwischensein nicht zweifelsfrei verhalten können (siehe hierzu auch Tauschwert), kann sich ihr gemeinschaftliches Wesen nur widersinnig, nur tautologisch darstellen und auf ein drittes Wesen verweisen, auf das Wesen, von dem seine Inhalte absehen und auf das sie es zugleich absehen (siehe Absicht): auf die reine Form eines abwesenden Wesens, auf das Wesen ihrer Abstraktion (siehe hierzu auch Dialektik).

An und für sich geschieht jede Entwicklung durch einen Inhalt, der seine Form gestaltet. Von daher hat jeder Inhalt eine Form und ist durch sie gegenständlich - sei er sinnlich oder geistig, materiell oder immateriell - und bestünde er auch nur aus einem Buch, einer Kapelle, einem Konzert, einem Film, einem Haus, einem Spiegelei oder was auch immer. In der Form eines Gegenstands ist dessen Inhalt objektiv und daher können sich auch nur hierüber Inhalte mitteilen und vermitteln und nutzen lassen. Wenn ihre Vermittlung aber nicht ihrer Natur gemäß sich verhält, das einzelne Dasein der Naturalformen nicht in ihrer gesellschaftlichenFormallgemein verwirklicht ist, so verwirklicht die Verallgemeinerung der bestimmten Inhalte mit ihren Inhalten eine Reduktion ihrer Gewissheit, ein abstrakt Allgemeines, das die Wirklichkeit ihrer einzelnen Formen durch das bestimmt, wovon es mit oder ohne Absicht, subjektiv oder objekiv, ideologisch oder wirklich absieht (siehe auch Bewertung). Als diese Formbestimmung, ist es eine durch die Abwesenheit ihrer Naturalform wirksame Abstraktion, die durch die Reduktion der darin vermittelten gesellschaftlichen Beziehungen zu einer abstrakten Naturalform, zu einer Abstraktionskraft wird.

Diese bestimmt deren Verhältnisse mit einer ihnen fremden Wirkung (siehe hierzu auch fremde Kraft) und verleiht jedem einzelnen darin bezogenen Körper einen dem entsprecheden Doppelcharakter, der in seinen Verhältnissen auch deren Formen verdoppelt. Eine Formbestimmung ist eine aus der Form der gesellschaftlichen Verhältnisse herausgesetzte Bestimmung, eine durch deren Verdopplung hervorgerufene Abstraktion ihrer Substanz (siehe hierzu Begriffssubstanz), die aus der Reduktion ihrer Inhalte eine Abstraktionskraft entwickelt. Mit jeder von ihrem Inhalt isolierten Quantifizierung (siehe hierzu auch Dialektik) vergrößert sie die eigentümlichen Entfremdungsmacht ihrer Abstraktionskraft.

Der Doppelcharakter stellt daher durch diese Bestimmung zwischen Form und Inhalt ein zwieschlächtiges Wesen einer Ware dar, das sich in gegensinnigen Eigenschaften darstellt, also nicht nur zweifach bestimmt ist, sondern eine positive Bestimmung als Form ihres Inhalts, wie eine negative Bestimmung zur Formbestimmung im Widerspruch zu ihrem Inhalt hat (siehe hierzu auch Dialektik), die einander in ihrer Wirkung aufheben und es dennoch durch ihr substanzielles Dasein als einfach bestimmtes Wesen (z.B. als Ausdruck einer abstrakt menschlichen Arbeit) erscheinen lassen, das für sich nur ein widersinniges Sein haben kann.

Als Naturalform existiert die Ware isoliert, getrennt von jeder anderen als Gebrauchswert. Als Gesellschaftform kann sie sich aber nur durch das Material ihrer Entstehung begründen. Dieses existiert aber nur in der Gleichgültigkeit gegen ihren natürlichen Gehalt, als Wertform ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse - als Wertgröße einer abstrakt menschlichen Arbeit. Von daher erscheint ihr Tauschwert als bloße Relation ihres Tauschverhältnisses, als ein Preis, der mit den Umständen des Warentausch je nach Angebot und Nachfrage unentwegt variiert. Ihre Naturalform erscheint von daher gesellschaftlich nur im Verhältnis ihrer Tauschwerte, wodurch ihr Gebrauchswert überhaupt sich nurmehr als Erscheinungssform ihres Werts verwirklichen kann (siehe hierzu auch Warenfetischismus).

"Die Ware ist Gebrauchswert und Tauschwert, so war dies, genau gesprochen, falsch. Die Ware ist Gebrauchswert oder Gebrauchsgegenstand und "Wert". Sie stellt sich dar als dies Doppelte, was sie ist, sobald ihr Wert eine eigne, von ihrer Naturalform verschiedene Erscheinungsform besitzt, die des Tauschwerts, und sie besitzt diese Form niemals isoliert betrachtet, sondern stets nur im Wert- oder Austauschverhältnis zu einer zweiten, verschiedenartigen Ware." (MEW 23, Seite 75)

Die Geldform der Ware verschleiert ihre Herkunft und mystifiziert ihre Substanz. Sie funktioniert aber gerade deshalb doppelt, weil sie sowohl das eine wie das andere verkörpert, also einen Gegensatz dadurch vermittelt, dass sich Geld als Mitte von gegensätzlichen Beziehungen auf sich bewährt, die sich zwischen ihrem Entstehen und Vergehen also auch zweimal darin bewegen und ereignen. Am Beispiel des Geldes hat Marx durch seine doppelte Beziehung als Kaufmittel einerseits und Zahlungsmittel andererseits gezeigt, einmal als Subjekt, ein andermal als Objekt ein und des selben Verhaltens in der gegensinigen Beziehung eines objektiven Subjekts, bzw. als subjektive Objektivität wie objektive Subjektivität in einem. Weil es sich als beides zugleich verhält, ist es zweimal in Funktion, während jede andere Waren beim "Händewechsel" nur einmal in die Beziehung zu Geld eintritt. Geld wird dadurch mächtig, dass es doppelt so viel bewirken kann, wie der Gebrauchswert der Waren, den es eintauscht. In der Form Ware gegen Geld und Geld gegen Ware bleibt sich Geld gleich und verdoppelt dadurch seine Funktion, denn jede Ware tritt nur einmal hiergegen an und verschwindet zu ihrer Konsumtion vom Markt, während Geld durch die Beständigkeit seiner Funktionen auf dem Markt verbleibt - wenn auch nur als allgemeine Wertform, die für sich inhaltslos aber in vielfältiger Beziehung ist.

Ein Doppelcharakter ist zwar als die bloße Erscheinung einer gleichförmigen Bestimmtheit da, in seinem Dasein aber eine Mystifikation, weil er in der Dopplung seiner Funktion von seinem Gehalt abstrahiert und seine Herkunft verheimlicht und daher unheimliche Wirkungen hat, eine Mythologisierung darstellt. Darin verbirgt sich eine Eigenschaft in einer ihr fremden Eigenheit, die im Grunde zweierlei in einem wahrhat, einen Doppelcharakter reflektiert. Darin erscheint ein Wesen widersinnig und hierdurch wesentlich abwesend, auch wenn es der Form nach körperlich da ist.

Mit Doppelcharakter bezeichnet Marx die zwiespältige Daseinsweise der Ware, die als Form natürlicher Beziehungen zugleich die Form abstrakter Verhältnisse in einem ist, ihre doppelte Natur im Warentausch, in den gesellschaftlichen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft, in ihrer Marktwirschaft verwirklicht. Die ist durch ihre Wertform bestimmt, worin der Reichtum, den sie darstellt, zugleich als Verhältnis eines Mangels auf sich bezogen ist. Wert kann nur haben, was nicht Eigenes ist und Not entsteht aus der Ausgeschlossenheit vom Eigenen: Entfremdung. In dieser Ausschließlichkeit, in der Isolation, der Trennung von Mensch und Sache, von Arbeit und Produkt, besteht das Eigentum in dieser Gesellschaft aus einem notwendigen Mangel, der sich durch private Aneignung gesellschaftlich gebildeter Produkte unaufhörlich erneuert.

Es realisiert sich in dem Reichtum, der "als eine ungeheure Warensammlung erscheint" (Marx) menschliche Arbeit, die seinen Wert bildet, der auf dem Warenmarkt in den Preisen erscheint, die sich an der Nachfrage, der Konsumtion, reflektieren. Jedes Ding als Ware ist als Produkt der Arbeit Naturaneignung und als Objekt des Marktes ein bloßer Wertgegenstand, weil er seine gesellschaftliche Natur nur in seinem Tauschwert, im Geldwert der Gebrauchsgüter und Lebensmittel, der Gebrauchswerte finden kann. Man muss Geld besitzen, um Lebensmittel für sich eintauschen zu können, und man muss arbeiten, um Geld zu erdienen. Jeder Mensch in dieser Gesellschaft ist für sich als Individuum sein Leben schuldig, weil er für fremde Zwecke arbeiten muss, um seine Lebensmittel zu verdienen und zugleich durch seine Arbeit den Reichtum erzeugt, der die Verfügungsmacht über seine Arbeit bestärkt und meist auch vermehrt. Das isolierte Einzelwesen Mensch, das vereinzelte Individuum, erscheint sich daher schon als "seines Glückes Schmied", wenn es diesen gesellschaftlich gesetzten Mangel des Privateigentums für sich aufheben kann: Es muss dieses nur haben und seinen "Sinn des Habens" (Marx) ausgestalten. Wer dies nicht schafft, gehört zur Überbevölkerung dieser Gesellschaft, zu ihrer Randgruppe.

Und so ist die Arbeit selbst durch diesen Mangel bestimmt. Während die Produktion der Ware ihre organische Form im Wertverhältnisses privat hat, verwirklichen ihre Produkte ihre gesellschaftliche Bestimmtheit auf dem Markt als Verhältnis der Waren zueinander, in den Tauschwerten, den Relationen, die sie im Warentausch eingehen. Ihre Daseinsform ist also in einem Gegensatz bestimmt, einem Inhalt, der im einzelnen ein anderer ist, als er gesellschaftlich allgemein verwirklicht wird. Es besteht ein zweifacher Inhalt ihrer Formt: Naturalform und Gesellschaftsform, die jeweils gegensinnig formbestimmend und formbestimmt ist. Ihrer Natur nach ist jede Ware Form eines Lebensverhältnisses von Arbeit und Bedürfnis, in ihrem gesellschaftlichen Verhältnis existiert sie zugleich in ihrer "zweiten Natur" durch die Formbestimmheit des Tauschwerts. Der muss seinen Wert gesellschaftlich allgemein jenseits hiervon darstellen, solange es kein menschliches Verhältnis einer Gesellschaft gibt, in welchem Form und Inhalt von Arbeit und Bedarf übereinstimmt.