Gattungsbegriff

Aus kulturkritik

"Der Mensch ist ein Gattungswesen, nicht nur indem er praktisch und theoretisch die Gattung, sowohl seine eigne als die der übrigen Dinge, zu seinem Gegenstand macht, sondern – und dies ist nur ein andrer Ausdruck für dieselbe Sache, – sondern auch indem er sich zu sich selbst als der gegenwärtigen, lebendigen Gattung verhält, indem er sich zu sich als einem universellen, darum freien Wesen verhält." (MEW 40, S. 515)

"Daß der Mensch ein leibliches, naturkräftiges, lebendiges, wirkliches, sinnliches, gegenständliches Wesen ist, heißt, daß er wirkliche, sinnliche Gegenstände zum Gegenstand seines Wesens, seiner Lebensäußerung hat oder daß er nur an wirklichen, sinnlichen Gegenständen sein Leben äußern kann. Gegenständlich, natürlich, sinnlich sein und sowohl Gegenstand, Natur, Sinn außer sich haben, oder selbst Gegenstand, Natur, Sinn für ein Drittes sein, ist identisch." (MEW 40, S. 578).

Der Gattungsbegriff besteht aus einer nominalistischen Zuordnung einer bestimmten Daseinsweise von einer näher bestimmten Natur im Bezug auf ihr ganzes Sein. Die Gattung kann aher nicht durch sich, durch ihre Allgemeinheit bestimmt und dadurch beschränkt sein, wie es einer enstprechenden Naturideologie oder Rassentheorie zu entnehmen wäre. Ein Gattungsbegriff beschreibt das Überindividuelle, das Überleben des Individuums. Das Wesen eines Ganzen innerhalb des allgemeineren Zusammenhangs seiner Beziehungen, in der Totalität seiner Verhältnisse kann man Gattung nennen, wenn dabei bedacht wird, dass es diese nicht absolut, sondern nur relativ in ihrem geschichtlichen Dasein gibt und sich nur seinen wirklichen Beziehungen mitteilt. Darunter ist dann der Zusammenschluss von Wesensmerkmalen in einem Begriff zu verstehen, wie er nach der Analyse dieser Merkmale als deren allgemeine Wesenheit ihrer Kultur gefasst wird. Denn Kultur ist das geschichtlich entwickelte Dasein des Gattungswesens. das nicht ontologisch als ewige Seinsbestimmung, sondern als Lebensform seiner geschichtlichen Entwicklung in ihrem Lebensprozess anzusehen ist.

Der Gattungsbegriff wird von Marx im historischen Materialismus als Wesensbegriff menschlicher Geschichte verstanden, wonach diese sich aus der Lebensproduktion der Menschen ergibt, aus der Produktion des Lebens als Reproduktion der Gattung und ihrer Produktivität zugleich, letztlich also die konsequente Begattung, welche die Kultur ihrer Bedürfnisse ist. Indem der Mensch sein Leben produziert, reproduziert er sich selbst als Gattungswesen seiner Natur: Indem er sich produktiv zu seiner Natur als Gattungswesen verhält, verwirklicht er seine Kultur überhaupt, sich als Naturnacht innerhalb seiner geschichtlichen Natur, sich als Individduum in seiner Gesellschaft, seine Gesellschaft als Ganzes seiner Individualität. Letztres ist diese dann auch die Einheit der Gattung, worin alle menschliche Natur gesellschaftlich ist, gesellschaftliche Wirklichkeit ausmacht. Und diese soll das Ziel der menschlichen Emanzipation sein.

"In dem Verhältnis zum Weib, als dem Raub und der Magd der gemeinschaftlichen Wollust, ist die unendliche Degradation ausgesprochen, in welcher der Mensch für sich selbst existiert, denn das Geheimnis dieses Verhältnisses hat seinen unzweideutigen, entschiednen, offenbaren, enthüllten Ausdruck in dem Verhältnisse des Mannes zum Weibe und in der Weise, wie das unmittelbare, natürliche Gattungsverhältnis gefaßt wird. Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe. In diesem natürlichen Gattungsverhältnis ist das Verhältnis des Menschen zur Natur unmittelbar sein Verhältnis zum Menschen, wie das Verhältnis zum Menschen unmittelbar sein Verhältnis zur Natur, seine eigne natürliche Bestimmung ist. In diesem Verhältnis erscheint also sinnlich, auf ein anschaubares Faktum reduziert, inwieweit dem Menschen das menschliche Wesen zur Natur oder die Natur zum menschlichen Wesen des Menschen geworden ist. Aus diesem Verhältnis kann man also die ganze Bildungsstufe des Menschen beurteilen. Aus dem Charakter dieses Verhältnisses folgt, inwieweit der Mensch als Gattungswesen, als Mensch sich geworden ist und erfaßt hat; das Verhältnis des Mannes zum Weib ist das natürlichste Verhältnis des Menschen zum Menschen. in ihm zeigt sich also, in[wie]weit das natürliche Verhalten des Menschen menschlich oder inwieweit das menschliche Wesen ihm zum natürlichen Wesen, inwieweit seine menschliche Natur ihm zur Natur geworden ist. In diesem Verhältnis zeigt sich auch, in[wie]weit das Bedürfnis des Menschen zum menschlichen Bedürfnis, inwieweit ihm also der andre Mensch als Mensch zum Bedürfnis geworden ist, inwieweit er in seinem individuellsten Dasein zugleich Gemeinwesen ist." (Marx-Engels-Werke Bd. 40, S. 535)

Das wesentliche Gattungsverhältnis menschlicher Subjektivität ist das Verhältnis der Generationen, das Verhältnis von Mann und Frau und Kinder (siehe auch Geschlecht). Es ist das Verhältnis der Lebenserzeugung schlechthin, wie es sich in jeder Kultur darstellt, aus dem sich ihre Form ergibt, auch wenn sie durch eine Formbestimmung ihnen fremd erscheint. Allgemein lässt sich sagen, dass sich dabei Mann und Frau als Erzeuger ihrer Geschichte verhalten und ihre Kinder von ihnen erwarten, das zu erfahren, was zum Leben unter den Bedingungen ihrer Zeit, nötig, was hiervon auch objektiv wahr ist. Von daher sind ihre geschichtlichen Lebensbedingungen das Material und Mittel ihrer Begattung, ihre Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung die Grundlagen ihres Bewusstseins und Selbstbewusstseins, ihres Wissens und Gewissens überhaupt, auch wenn ihnen ihr eigenes Wesen fremd, als Dasein ihrer Entfremdung, als Entfremdung des Menschen vom Menschen, als allgemeine Selbstentfremdung des Menschen erscheint.

Die Zurückführung der objektiven Gespaltenheit des menschlichen Lebens als Wirklichkeit seines Gattungswesen, auf ein Wesen, in welchem der Mensch sich allgemein subjektiv anerkennt und daher auch erkennt, was davon abwesend ist, bietet die Grundlage menschlicher Emanzipation. Nicht, dass sie erreichen müsste, was sie nur gedanklich unterstellt (siehe Gedankenabstraktion), sondern dass sie ihre Wirklichkeit selbst in ihrem Widersinn begreifen kann, macht hierbei Geschichte, indem die Erkenntnis einer Realabstraktion darin bereitet und deren Notlage als Notwendigkeit der Emzipation, der Befreiuung aus einer menschlichen Wesensnot begriffen ist (siehe hierzu auch Freiheit).

"Alle Emanzipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst.

Die politische Emanzipation ist die Reduktion des Menschen, einerseits auf das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, auf das egoistische unabhängige Individuum, andrerseits auf den Staatsbürger, auf die moralische Person.

Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine eigenen Kräfte als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht.“ (Marx, Zur Judenfrage, Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 370)