Mann

Aus kulturkritik

"Sie hatten sich beide so herzlich lieb, Spitzbübin war sie, er war ein Dieb. Wenn er Schelmenstreiche machte, Sie warf sich aufs Bett und lachte.

Der Tag verging in Freud und Lust, Des Nachts lag sie an seiner Brust.Als man ins Gefängnis ihn brachte, Sie stand am Fenster und lachte.

Er ließ ihr sagen: O komm zu mir, Ich sehne mich so sehr nach dir, Ich rufe nach dir, ich schmachte – Sie schüttelt' das Haupt und lachte.

Um sechse des Morgens ward er gehenkt, Um sieben ward er ins Grab gesenkt; Sie aber schon um achte Trank roten Wein und lachte."

(Heinrich Heine, "Ein Weib")

Es gibt keine Frau an und für sich, wie es auch keinen Mann an und für sich gibt. Beide können nur durch einander gesellschaftlch und in Gesellschaft sein. Doch in den zwischenmenschlichen Verhältnissen der bürgerlichen Kultur erscheint jeder für sich als ein Wesen mit selbständigen Eigenschaften und Fähigkeiten, das sich durch diese definiert und gegen sein Anderssein behauptet, durch dieses sich schon bedroht fühlt, bevor es sich darauf einlassen kann. In der Abtrennung von ihrem gesellschaftlchen Sein, aus dem sie begrifflich herausgenommen und abstrahiert werden, werden beide abgesondert und einem politischer Nominalismus der Geschlechter unterworfen, durch den sie verglichen und also auch gleichgemacht werden.

Natürlich sind die Geschlechter nicht wirklich gleich und also in ihrer Lebenswirklichkeit auch nicht für einander gleichgültig. In der bisherigen Geschichte waren sie durch das Patriarchat des Staatswesens politisch gegeneinander bestimmt. Über seinen Formalismus haben sie sich ihm allerdings schon weitgehend angeglichen, soweit ihr gesellschaftliches Wesen dies möglich und nötig gemacht hat. Von daher bereichern sich die Geschlechter in Wirklichkeit gerade durch ihre natürlichen Eigenschaften, wenn sie sich ihm entziehen. Sie können also nur jenseits ihrer politischen Formbestimmung subversiv gesellschaftlich wesentlich sein (siehe hierzu auch Frauenbeweegung). Wo sich Frauen und Männer der politischen Form unterordnen, verhalten sie sich wesentlich gegen sich selbst. Ihre politische Gleichsetzung ist daher auch eine Farce, die dem Unvermögen des bürgerlichen Staats geschuldet ist, sich wesentlich durch die Menschen zu bestimmen, die ihn nötig haben, weil und solange sie kein wirklich menschliches Gemeinwesen für sich und durch sich haben (siehe z.B. internationale Kommunalwirtschaft).

Natürlich sind die Geschlechter nicht wirklich gleich und also in ihrer Lebenswirklichkeit auch nicht für einander gleichgültig. Von Natur aus unterscheiden sich Frauen von Männern schon dadurch, dass sie bei allem, was ihrem Körper zugeführt wird, sehr viel vorsichtiger sein müssen, als Männer, die schon immer eher zum Kampf um die Existenz befähigt sein mussten und körperlich rücksichtsloser waren. Doch alle diese Unterschiede sind heute ohne Belang, wenn das Verhältnis von Mann und Frau als ein historisches gesellschaftliches Verhältnis begriffen wird. Den Mann als Mann und die Frau als Frau kann es nie geben ohne das wirklich gesellschaftliche Sein von Frau und Mann. Im Dasein für sich gibt es sie nur als Kult ( z.B. als Frauenkult oder Männerkult), durch den Geschlechtseigenschaften für sich ästhetisiert und zu einem Fetisch geschlechtlicher Selbstbehauptung werden (siehe Körperfetischismus). Darin wird Kultur als Erlebensform der Geschlechter aufbereitet und Geschlecht überhaupt zum Design eines ästhetischen Verhältnisses und wie ein Modeartikel als Sexualität schlechthin konsumierbar.

Einen Begriff für Mann kann es ebenso wenig geben, wie einen für Frau. Mann ist die Benennung von Geschlechtseigenschaften, die ohne den Geschlechtspartner wesenlos werden, weder ein Wesen für sich noch an sich haben. Allerdings ist dies auch das Problem: in zwischenmenschlichen Verhaeltnissen können Männer und Frauen sich weder in einer Symbiose, noch in bloßer Selbstbezogenheit. verhalten. Aber wo Mann und Frau ohne einander leben, weil sie durch ihre Existenz voneinander getrennt sind, ihre gesellschaftliche Arbeit (siehe z.B. auch Familienarbeit) getrennt vom anderen Geschlecht besteht, da treiben ihre Geschlechtseigenschaften wirklich sonderbare Unwesen hervor, Verrücktheiten entstellter Naturempfindungen.

Versteht man den Menschen als Gattungswesen, das seine Natureigenschaften durch seine Gesellschaftlichkeit, durch sein gesellschaftliches Zusammenwirken zu einer Naturmacht entwickelt hat, so sollte Mann und Frau auch als unzertrennlich begriffen sein. Sie sind im Ganzen eins und also im Geschlecht auch ganz. Wie immer sich dies im Einzelnen darstellen mag: Alle Trennungen sind ein gesellschaftliches Produkt, resultieren aus Formbestimmungen ihrer Kultur. Ohne ein lebendiges Geschlechtsverhältnis, also ohne das Verhalten der Geschlechter, geht jede Gesellschaft zugrunde. Denn Mann und Frau verhalten sich wie Äußeres und Inners ihrer Geschlechtlichkeit nur, indem sie beides füreinander sind - auch wenn es auch für sich genommen ausschließlich erscheinen mag, der Mann als äußerliches Geschlecht, die Frau als innerliches.

"In dem Verhältnis zum Weib, als dem Raub und der Magd der gemeinschaftlichen Wollust, ist die unendliche Degradation ausgesprochen, in welcher der Mensch für sich selbst existiert, denn das Geheimnis dieses Verhältnisses hat seinen unzweideutigen, entschiedenen, enthüllten Ausdruck in dem Verhältnisse des Mannes zum Weibe in der Weise, wie das unmittelbare, natürliche Gattunsverhältnis gefaßt wird. Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe. In diesem natürlichen Gattungsverhältnis ist das Verhältnis des Menschen zur Natur unmittelbar sein Verhältnis zum Menschen, wie das Verhältnis zum Menschen unmittelbar sein Verhältnis zur Natur, seine eigne natürliche Bestimmung ist. In diesem Verhältnis erscheint also sinnlich, auf ein anschaubares Faktum reduziert, inweiweit dem Menschen das menschliche Wesen zur Natur oder die Natur zum menschlichen Wesen des Menschen geworden ist. Aus diesem Verhältnis kann man also die ganze Bildungsstufe des Menschen beurteilen. Aus dem Charakter dieses Verhältnises folgt, inwieweit der Mensch als Gattungswesen, als Mensch für sich geworden ist und erfaßt hat; das Verhältnis des Mannes zum Weib ist das natürlichste Verhältnis des Menschen zum Menschen. In ihm zeigt sich also, inwieweit das natürliche Verhalten des Menschen menschlich oder inwieweit das menschliche Wesen ihm zum natürlichen Wesen, inwieweit seine menschliche Natur ihm zur Natur geworden ist. In diesem Verhältnis zeigt sich auch, inwieweit das Bedürfnis des Menschen zum menschlichen Bedürfnis geworden ist, inwieweit er in seinem individuellsten Dasein zugleich Gemeinwesen ist." (Karl Marx,Hl. Familie, MEW Bd. 40, S. 535)

Nur für sich und abstrakt genommen, also in der Abtrennung ihrer Beziehungen zu Frauen, verselbständigt sich für Männer ihre Wirklichkeit durch die Anwesenheit von Frauen zu einer allgemeinen Wirkung ihrer Abgetrenntheit, ihrer geschlechtlichen Eigenschaften und Bedürfnisse, durch die sie sich getrieben fühlen (siehe auch Geschlechtstrieb). Das männliche Unwesen hat sich besonders darin hervorgetan, in der Entwicklung der Industrie (und damit als Organ des Kapitals) sich wesentlich selbständig verwirklicht zu begreifen und somit die Frau als darin unterordnetes Wesen anzusehen, quasi als "Opfer" einer geschichtlich notwendigen Entwicklung. Mit der Verselbständigung des Weltmarktes (siehe Globalisierung) kommt dieses Verständnis zum Ende. Hierfür sind eher Eigenschaften gefragt, die bisher eher als weiblich angesehen wurden: Kommunikative Kompetenz, Haushaltungswissen, Wissen über Körperbedürfnis und Konsum u.a.m.. Es zeigt sich, wie geschichtsabhängig die Verwendung von Geschlechtsbegriffen ist, eben abhängig vom Verhältnis der Gattung (s.a. Mensch) überhaupt: Gesellschaft.

Ursprünglich, d.h. in der Epoche der Naturunterworfenheit und der beginnenden Erhebung des Menschen aus der Natur war die Wortbedeutung für Mann gleich Mensch (mhd "man": Mensch; Krieger, Mann). Urbedeutung "Mensch" ist erhalten in "jemand", "niemand", "man". Auch Frauen waren damit in den alten Sprachen gemeint (vergl. engl. "woman"). Ausgangsbedeutung war hierbei möglicherweise indogermanisch men = denken, geistig erregt sein - oder: men = hervorragen, aufrecht gehendes Wesen (lat. mons, Berg). In dieser Bedeutung gibt es heute noch viele Worte, die für für beide Geschlechter verwendet werden (wie z.B. "man", "Manns genug sein", "mit Mann und Maus", "eine Ware an den Mann bringen", "alle Mann an Bord"). Die geschichtliche Trivialität der Wortherkunft sollte nicht zu einem Wesensverständnis werden. Der Gott der Germanen hieß eben mannus (aus dem Germanischen: Stammvater) und war der Allgemeinbegriff für alles, was Sinn macht. Vielleicht hat sogar der Begriff der Manufaktur mit der Wortbedeutung im Sinne von Umsetzung, Verwirklichung, Handhabung, Technik auch noch damit zu tun. Es ist das Wort für sich nur das, was seine Geschichte herbringt. Und deshalb ist seine Negation nicht unbedingt ein geschichtlicher Fortschritt. Es ist vielleicht besser darauf hinzuwirken, dass Begriffe für angeblich weibliche Eigenschaften in gleicher Weise (oder auch origineller) zu einer gesellschaftlichen Bedeutung gelangen (z.B. die Liebe, die Erkenntnis, die Leidenschaft, die Fürsorge).