Linksfaschismus

Aus kulturkritik

"Während wir speziell die deutschen Arbeiter auf die unentwickelte Gestalt des deutschen Proletariats binweisen, schmeichelt Ihr aufs plumpste dem NationalgefÜhl und dem Standesvorurteil der deutschen Handwerker, was allerdings populärer ist. Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von Euch das Wort Proletariat. Wie die Demokraten schiebt Ihr der revolutionären Entwicklung die Phrase der Revolution unter." (MEW 8, Seite 412)

Rudi Dutschke (siehe Studentenbewegung) bezeichnete zu Recht den Ostblock seit der Ära des Stalinismus als Linksfaschismus. Alle Merkmale des Faschismus waren dort entwickelt: Absolute Macht einer in sich einigen Einheit (Einparteiensystem), Staatskapitalismus, Kapitalbildung durch die Staatskasse, Mehrwertproduktion aus unbezahlter ArbeitÜber die VorschÜsse aus Steuern und Staatspapieren und Schuldverschreibungen. Zentraler Dirigismus Über alle Belange der Ökonomie und Kultur, der durch Ausgrenzung von Andersdenkenden gesichert wurde, völkische Propagande, die Gesinnung zur Basis der Meinungsbildung machte und beschnÜffelte, direkte Einflussnahme auf die Kultur (Kontrolle der Kunst und Kommunikation) und die Inhalte der Bildung zur Selbstbestärkung des Staates und schließlich Verfolgung von kritischen Intellektuellen, Arbeits- und Vernichtungslager als Todesdrohung der Staatsmacht gegen das "Volk". Was ursprünglich eine Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung als Kritik der politischen Ökonomie, ihre Befreiung vom Joch der Entfremdung ihres Lebens von ihrer Gesellschaft sein sollte, war zum Totalitarismus der Politik gegen die Wirtschaftlichkeit der Arbeit geraten.

Die Katastrophe des Marxismus, auf den Stalin sich berief, war schon durch die politische Verselbständigung des "Realsozialismus" angelegt und wurde besonders durch ihn offenbar: In der politischen Entgegnung auf die Tendenzen der Kapitalrestauration hatte der Arbeiter- und Bauernstaat versagt, die Teilung der Arbeit über eine doktrinären Staatsmacht zur Trennung der Bewirtschaftung der Arbeit einerseits und dem Konsum der Produkte einer Planwirtschaft des Staates andererseits verselbständigt. Aber noch bis heute beanspruchen viele Marxisten die wahren Verfechter des "richtigen Lebens" zu sein (siehe reaktionärer Marxismus). Der Totalitarismus ihrer "Subjektkritik" ist unÜbersehbar, wenn sie sich bequemen, der Bevölkerung einfach nur ein falsches Bewusstsein vorzuhalten (siehe subjektiver Objektivismus), ohne deren wirkliches Sein sich zum Gegenstand ihrer Kritik zu machen und dessen subjektive wie objektive WidersprÜchlichkeit anzugehen (siehe hierzu auch reaktionärer Marxismus). Wie konnte das geschehen? War der Marxismus eine Fehlgeburt?

EineDemokratie in dem Sinn, dass sich eine Gesellschaft aus der Auseinandersetzung der Individuen über ihre Arbeit im Verhältnis zu ihren BedÜrfnisse in einer dem entsprechenden gesellschaftlichen Lebensform entwickelt, in wirklich gesellschaftlichen Lebensverhältnissen verwirklicht, hat es bisher noch nie gegeben (siehe Realsozialismus), weil die bisherige Geschichte immer noch eine "Geschichte der Klassenkämpfe" (Marx) war (siehe historischer Materialismus).. Letztlich hatte sich immer die Macht einer abstrakten Allgemeinheit als politische Machteiner gesellschaftlichen Totalität gegen die Ohnmacht der besonderen Interessen und BedÜrfnisse der Individuen durchgesetzt und sie von sich und ihrer Gesellschaft entfremdet - weil die bisherigen Gesellschaften bis heute eben immer wieder einen ihrer Zeit und Produktivkräften entsprechenden Klassengesellschaften, eine Vergesellschaftung von Klassengegensätzen waren.

Nach der Auffassung von Lenin war Sozialismus eine Übergangsphase der Klassengesellschaft Über einen Staatssozialismus (siehe Übergangsgesellschaft), indem die Arbeiterklasse als eine Art proletarischen Souverän die "Staatsmaschine" und ihre BÜrokratie Übernehmen und deren Funktion Über eine proletarische Partei bestimmt und verwaltet werden sollte. Der so genannte "Realsozialismus" ersetzte die "freie Marktwirtschsft" durch eine staatlich verwaltete Planwirtschaft, deren Produkte zur Wohlfahrt aller "gerecht verteilt" werden sollte. Diese "Verteilungsgerechtigkeit" vollzog sich Über Zuteilungen in der Masse, die aus der Macht einer bÜrokratischen Avantgarde bestimmt war und deren Zugang von der GefÜgigkeit der einzelnen Menschen abhing. Der "Arbeiter- und Bauernstaat" war von daher ein Gesinnungsstaat, dessen Kapital sich in einer poltischen Ebene anreicherte und rein politisch auch vermittelt wurde, folglich in einer unglaublichen GesinnungsschnÜffelei unterging und die allgemeine Wirtschaftskraft lähmte und kassierte.

Zunächst hatte die Entwicklung des so genannten "Realsozialismus" geschichtliche Gründe. In Russland war Industrie überhaupt noch nicht im gesellschaftlichen Durchschnitt entwickelt und also auch keine alLgemeine Wertbestimmung der Produkte möglich; der Markt also bei weitem noch nicht kapitalisiert, die ProduktivkräftenGrundrente noch in Feudalverhältnissen bestimmt. Sozialismus hatte hier zu allererst das zu entwickeln, was ihm vorrausgesetzt ist: Industrie. In Wahrheit konnte es zunächst nur um die Aufholung der Moderne gehen. Die Oktoberrevolution war eher eine Revolte der ProduktivkräftenArmut gegen Feudalgewalt, die unmittelbar in sozialistische Verhältnisse übergeführt werden musste, um sich gegen die westlichen Entwicklungen und Interessen zu bestärken, die schon die russische Revolution selbst und unmittelbar mit Waffengewalt niederschlagen wollte (14 Armeen westlicher Allierten waren in das Land eingedrungen). Die Machtinteressen der kapitalistischen Länder waren in der Zeit der Weltkriege und Wirtschaftskrisen evident. Mit Hitler trat ein Mann in die Politik, der weite Gebiete des Ostens einnehmen wollte und offen für sein "Volk ohne Land" für Okkupation und Anexion der "slawischen Völker" und ihrer Länder eintrat. Die Entwicklung des Ostblocks war auch ein Westprodukt (wie ebenso sein Untergang - siehe Bretton-Wood)

Aber auch begrifflich wurde durch Engels und Lenin eine Ausrichtung des Marxismus bestärkt, die eine absolut objektivistische Geschichtsauffassung als quasi politische Leitlinie zur Anwendung brachte: Das Dogma einer ewigen Wahrheit der "wissenschaftlichen Methode" des Dialektischen Materialismus. Daraus bezogen Intelektuelle Marxisten ihren Maßstab fÜr die "Natur des Menschen", wie er auch von den Rechten geteilt worden war und verwechselte Ideologiekritik mit einer Subjektkritik, die der Bevölkerung vor allem ein falsches Bewusstsein vorzuwerfen hatte (siehe hierzu auch reaktionärer Marxismus), was die Unfähigkeit zu einer analytischen Aufklärung kaschieren sollte. Und das Proletariat, das bei Marx noch für die Verarmung des arbeitenden Subjekts und als gesellschaftliche Negation des Lebens gegen die Privatform der toten Arbeit gedacht war, das also als eine Subjektform des gesellschaftlichen Menschen zu begreifen war, der seine eigenen Lebensbedingungen produzierte und von daher auch zu deren Veränderung zu einer subjektiv bestimmten gesellschaftlichen Objektform befähigt war, wurde nominalistisch zur Avantgarde des Industrieproletariats verklärt und als Individuum wie eine gesellschaftliche Potenz behandelt, die durch sich selbst schon die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft darzustellen hätte. So wurde Sozialismus zum Diktat dieser Potenz, zur sich selbst bestimmenden und erfüllenden "Diktatur des Proletariats". Aus einem philosophischen Aphorismus des kommunistischen Manifestes war ein politisches Programm geworden.

Der Linksfaschismus beruhte auf einem Avantgardebegriff, der lohnarbeitende Industriearbeiter zu einem einzigen gesellschaftlichen Subjekt in einem sozialistischen Staat zusammenfasst und somit einen Gesellschaftsbegriff verwirklichte, in welchem die Industriearbeit als Motor eines zentralistischen Staatswesen verstanden wurde, das in der Erwartung seiner Aufhebung, also als Entwicklungsziel sozialistisch genannt wurde. Solche Propaganda verkehrte jegliche Geschichtsbildung: Was werden sollte, war Bedingung, und als diese mussten die Menschen erfüllen, was noch nicht wirklich sein kann - eine Absurdität schlechthin! So blieb alles beim alten und wurde doch ganz anders: Alles, was im Kapitalismus bloß Wert war, das Wertgesetz überhaupt, wurde nicht aufgehoben, sondern nur politisch umgewidmet, sollte also "sozialistisch" dadurch werden, dass alles gleich verteilt, gleich gemacht und schließlich auch gleich geschaltet wird. Ein solcher Begriff von Gleichheit kann nur die Verwirklichung von Bürgeridealen sein, wie er auch im Faschismus umgesetzt wurde: Die Unterwerfung durch Gleichschaltung, die Objektivierung aller Subjektivität in einem Willen der Staatsgewalt. Hier wie dort müssen die Menschen zum Gesinnungsträger eines Gewaltstaates werden. Dies macht aus dem Staat eine Kultform, eine Staatskultur, die sich als Rute gegen das Volk (Faszies) betätigen muss. Es ist das Kulturmittel der bürgerlichen Kultur, die an die Stelle ökonomischer Bestimmungen tritt, wo die ökonomischen Verhältnisse insgesamt versagen. Auf diese Weise können durch mortalischen, psychischen und technologischen Druck auf die Menschen Krisen überwunden werden, indem die Produktion auch bei geringer Produktivität aufgeheizt wird, die arbeitenden Menschen - wenn nicht ökonomisch, so doch politisch - unter den Druck des menschlichen Höchstmaßes gegen das eigene Leben gesetzt werden.

Dieser "Sozialismus" sollte daher auch nicht die Industriearbeit ablösen, sondern musste sie zu einem staatstragenden Mittel machen und die kapitalistische Produktions- und Gesellschaftsform in die Fixierung an einen Staat treiben, der wie ein bewusster Gesamtkapitalist funktionierte. Es war die Staatsform einer staatskapitalistischen Gesellschaft, die sich in der Anwendung von Staatsgewalt nicht vom Faschismus der politischen Rechten unterschied, denn in der Identität von Staat und Fortschritt löst ein solcher Gesellschaftsbegriff alle Gegensätze zur blanken Staatsgewalt auf. Der Staat selbst wurde zu einer Partei, zur Partei schlechthin, die sich als Einheitspartei der "Diktatur des Proletariats" ausgab und sich in diesem Begriffsterminus auf den Marxismus berief. Es war die geschichtliche und begriffliche Katastrophe des Marxismus, nicht aber sein Scheitern, wie es allenthalben aufgetischt wird.

In diesem Staatskapitalismus wurden die Menschen namenlos, der Reichtum reines Staatsmittel zur Fortschrittserzeugung des Staates und das Recht der einzelnen zu einem gesellschaftlichen Dogma, das gegen die Staatsbürger unendlich und beliebig gewendet werden konnte.

"Die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen." (MEW 17; 336)

Es kann und darf keinen Sozialismus geben, in welchem nicht der einzelne und die Gesellschaft durchsichtig und wechselseitig als Erzeuger und Vermittler ihres Lebens und der Schaffung von menschlichem Reichtum, also als menschliches Lebensverhältnis vermittelt sind und die Gewalten, in denen sie hierbei stehen, sich aus ihrer beidseitigen Lebensnotwendigkeit ergibt (z.B. als Notwendigkeiten des Stoffwechsels mit der Natur, der Verhältnisse der Menschen zueinander und dem Verhältnis zu andern Gesellschaftsformen).

Wolf Biermann: Die hab ich satt! https://www.youtube.com/watch?v=tdmA8r_U3rg