Meinung
"Der Konsument ist nicht freier als der Produzent. Seine Meinung hängt ab von seinen Mitteln und seinen Bedürfnissen. Beide werden durch seine soziale Lage bestimmt, die wiederum selbst abhängt von der allgemeinen sozialen Organisation." " (MEW 4, Seite 75)
Meinung ist eine einseitige Interpretation in der Urteilsbildung, das Dafürhalten des Meinen, eine Position zu bestimmten Gegebenheiten im eigenen Lebensraum, den Lebensbedingungen, Ereignissen oder Sachen. Sie wird aus einer Dafürhaltung oder Dagegenhaltung aus dem bloßen Verstand oder einer Stimmung der Selbstgefühle begründet, in der das Gemeinte substanziell als unüberwindbar einbegriffen zu sein scheint. Von daher geht die Meinung in eine Entscheidung über, ohne dass ihre Sache begriffen sein muss. Als Position ist sie daher wesentlich begrifflos. Es ist die Position des Meinen, die ich vom Standpunkt des Besitzes aus habe. Ich meine immer etwas zu etwas, zu diesem oder jenem das eine oder das andere, je nachdem, wie ich davon durch das Meine, durch meinen Besitz betroffen oder selbst besessen bin. Was ich weiß, kann ich nicht meinen, auch nicht, was ich glaube, fühle oder empfinde. Ich kann ihm aber unermessliche Bedeutungen übertragen und von daher mir eine Meinung als Gleichnis oder Bildnis meiner Selbstbezogenheiten (siehe hierzu auch Narzissmus) zu machen.
"Die ‚Einbildung‘, die ‚Vorstellung‘ dieser bestimmten Menschen über ihre wirkliche Praxis wird in die einzig bestimmende und aktive Macht verwandelt, welche die Praxis dieser Menschen beherrscht und bestimmt." " (MEW 3, Seite 39)
Die Meinung hat ihre Begründung immer im Erleiden von Gegebenheiten, in den Gewohnheiten der Erfahrung und ist eine Haltung, ein Dafürhalten oder Dagegenhalten zu einem Sachverhalt, wie immer diese auch entstanden sein mag im Dafür und Dagegen zu dessen Wirkungen auf den Menschen. Sie kann hierbei fiktiv oder real sein; aber sie hat nicht unbedingt im Sein der Sache ihre Bezogenheit, ist damit auch nicht Bewusstsein, also Wissen und Gewissheit, nicht Erkenntnis und auch nicht Theorie. Meist ist sie eine Art von Bewertung der eigenen Verhältnisse. Wo sie aber über die Vernunft der sachlichen Existenz hinausgreift, entspringt sie einem Gefühlsurteil, das sich im psychischen Verhältnis des Zwichenmenschlichen zur Wahrnehmung ergibt.
Es sind daher auch keine Gedanken, sondern Meinungen, woraus sich das politische Verhalten ergibt. Das Meine ist so frei und gleich und wechselseitig, wie es die Meinung dann auch zu artikulieren vermag. Die Meinungsbildung ist entsprechenende Reflexion der unterschiedlichen Sachnotwendigkeiten, die keiner Erkenntnis des menschlichen Zusammenhangs mehr bedürfen, weil der Lebenszusammenhang der Personen in der bürgerlichen Gesellschaft allein im Verhalten zu ihren Sachen und vermittelst ihrer Sachen gesellschaftlich besteht (siehe Warenfetischismus). Entsprechend gründet die bürgerliche Demokratie daher auch auf der sogenannten freien Meinung, die jedem Menschen als Wählermeinung per se und voraussetzunglos zugestanden wird, damitt er artikulieren kann, was ihm sachlich nötig erscheint. Er ist damit zwar frei, also nicht mehr "in Ketten geboren", aber politisch artikuliert er in seiner Meinung zugleich auch nur, was ihm nötig ist im Unterschied und Gegensatz zu anderem, im Widerspruch von Eigenem und Fremden. Die bürgerliche Demokratie ist die Vertragsform aller Meinungen, worin sich die gesellschaftlichen Notwendigkeiten der Sachverhältnisse repräsentieren und sich durch politische Entscheidungen und Entschlüsse vertragsgemäß einigen müssen, das Bestehende also immer wieder und im Nachhinein der Entzweiuung in eine verträgliche Form zu bringen haben (z.B. im Unterschied zu einer Beschlussfassung, die aus einem bestimmten gesellschaftlichen Ort heraus sich zu einem gesellschaftlichen Anliegen als Bedürfnis erzeugt und in der Produktion der Mittel hierfür vereinen will - siehe etwa Rätedemokratie). Der Wille ist darin das Meinen in der Verträglichkeit mit allem anderen, welches die Allgemeinform dessen ist, was das Meine für sich nicht sein kann (siehe hierzu Kapitalkompendium Textstelle 44).
Eine Meinung hat man, oder auch nicht. Und so besitzt man sie, oder auch nicht. Sie ist in sich abgeschlossen und ausschließlich, zunächst als ein Dagegenhalten gegen das Gewohnte, eine Haltung aus dem Selbstgefühl, das als ein Gefühlsurteil zusammenfasst, was in den gewohnten Umstände mangelhaft erscheint. Jede Meinung setzt diese voraus und reflektiert sie im Verhältnis zu dem Meinen, an dem sie sich festhält und das sie für sich erhält und das auch zu ihrer Lebenshaltung werden kann. Doch als Haltung ist das Meinen schnell brüchig, sobald es auf weitergehende Beziehungen gerichtet wird. Und in der Diskussion über das, was die einen Meinen und die anderen anders meinen, lässt sie sich oft auch ändern. Aber als Meinung kommt sie zunächste aus dem Meinen, dem Besitz an eigener Wahrnehmung von dem, was sie wahrhat, das aber in der Meinung für sich steht und somit vorausetzungslos als bloßes Dafürhalten erscheint. Wenn sie dies nicht durch Wissen (siehe auch Bewusstsein) überwindet, grenzt sie sich vor allem von allem Fremden ab und kann sich dadurch totalisieren, dass sie ihre Eigenheiten verselbständigt. Doch schon die Bildung einer Meinung ist nicht so frei und vor allem nicht so voraussetzungslos, wie sie sich gibt. Zunächst ist es nur der eigene Horizont einer von ihrer Gesellschaft abgetrennten Lebenssituation, die darin ihre Stimmungen je nach Vermögen, nach Eigenschaften und Fähigkeiten erfährt, was nichts mit einem bestimmten Willen zu tun hat, wohl aber Absichten verfolgt, die vor allem Mutmaßungen, Hoffnungen, Ressentiments und Vorstellungen enthalten, die sich aus den persönlichen Verhältnissen der Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung und auch ihrem ästhetischen Willen ergeben.
In Meinungen sind aber dennoch Ideen formulierbar, mit denen Entscheidungen gefällt werden können, ohne dass überprüft werden muss, was hierfür materiell verfügbar ist. Die politischen Repräsentanten mögen aus persönlichen Sympathien gewählt werden. Doch objektiv sind sie dazu da, einen ideologisch verfassten politischen Willen der vorherrschenden Wählermeinungen zu vertreten, aus denen sich der bürgerliche Staat konstituiert und durch den er sich auf die sachlichen und kulturellen Verhältnisse der durch ihre Nationalität bestimmten Lebensräume bezieht. Von daher bezieht sich Politik unter kapitalistischen Bedingungen auf das, was die Menschen politisch als ihr allgemein "Meiniges", auf ihr allgemeines Privateigentum, auf das Privatrecht der Warenbesitzer, die im Allgemeinen nur Geldbesitzer sein können, weil Geld die einzig wahre Allgemeinform, die allgemeine Wertform ihrer kapitalistischen Lebensverhältnisse ist.
Auch umgangssprachlich unterliegt eine Meinung einer relativ unbestimmten Ausdeutung (siehe auch Bedeutung). "Was meint der eigentlich?" wird oft gefragt, weil man eine Aussage oder ein Urteil nicht unmittelbar versteht. Es ist die Frage nach ihrer Bedeutung für die Sprache, die verwendet wird, was sie eigentlich sagen will. Bedeutung ist in der Sprache objektiv, was Meinung subjektiv ist: Der Sinn einer Aussage, das, was eine Stimme zu sagen hat, welchen Willen sie formuliert. Von daher ist sie politisch verstanden auch eine Stimme, die sich in einer Bestimmung verwirklichen soll, also eine Form des politischen Willens, zum Beispiel als Wählermeinung. Doch als diese lässt sie sich objektiv nicht unterscheiden von der Stimmung, aus der heraus sie abgegeben ist, wieweit sie überhaupt die Sache kennt, die sie beurteilt, wie weit ihr das Verhältnis bewusst ist, in welchem diese Stimme zählt. Politisch ist eine Meinung ein bloßes Dafürhalten, in welchem sich rein Subjektives rein objektiv ausdrückt.
Man könnte daher meinen, dass eine politische Meinung eine Vorstellung sei, die gegen andere Vorstellungen steht und genauso wieder verschwinden könnte, wie sie aus einem beliebigen Vorstellen entstanden war. Aber eine Meinung will sich allgemein verstehen, und somit nicht nur gegen andere Meinung stehen, sondern sich gegen diese durchsetzen. Sie steht in einem wesentlichen Widerspruch, dass sie jedem seine Meinung lassen muss, um zugleich das "Meine" gegen das "Deine" in Stellung zu bringen und zugleich sich an ihm zu relativieren, also es sein zu lassen, da jeder darin etwas Eigenes meint. Auch wenn unterschiedliche Meinungen für ihre Durchsetzung einen Kompromis im Handeln ausmachen können, kann jede Meinung für sich nur kompromisslos sein. Aber im Dafürhalten können sie sich als Vorstellungen ausgeben, die dann auch diskutierbar wären, wenn sie nur hier dafür und dort dagegen sein können. Als Meinung jedoch ist es eine Position, die eigentlich keine Diskussion eröffnen kann, weil sie sich schon als Meinung ausschließlich darstellt und diese somit nicht notwendig hat. Was hierfür bleibt ist eine Repräsentation von allgemeineren Vorstellungen, unter denen sich die gegensätzlichsten Meinungen versammeln könnten. Das macht die repräsentative Demokratie aus.
Wo Kultur sich nurmehr aus ihrem Design begründet, existiert alles Eigene in der Refexion und Abweisung des Fremden, in der Rückbeziehung auf das Meinige als Meinung, die aber nur einzeln sein kann, vereinzelte Reflexion ist. Sie trifft sich mit anderen daher auch nur an einzelnen Ereignissen, die in den Meinungen der Bevölkerung jenseits ihrer Wirklichkeit als Eigenes verfasst, in der Meinung zugeignet werden. Im Meinen und Dafürhalten kann sich der Mensch unter Menschen nun in Gesellschaft fühlen, wenngleich auch seine Meinung gegen andere Meinung steht. Die Meinungen verhalten sich insgesamt objektiv als Form eines Zweifels an der Begründbarkeit von Handeln, wie es sich für Kulturbürger aus ihrer Kultur heraus ergeben müsste. Es macht ja gerade das Meinen aus, sich als Entgegnung zu verstehen und entgegen zu setzen, ohne als Kritik aufzutreten. Sie erscheint als persönliche Freiheit, weil ein Mensch als wirklicher Mensch hierbei ungebunden und unverbindlich ist. Und gerade deshalb kommt es darauf an, wie sich Meinungen selbst verbünden und bündeln. Sie müssen prominent werden, um sich über ihre momenthafte Aussage zu bewahren. In der Wählermeinung erst findet sich eine Beziehung zu ihrer Wirkung in der Wirklichkeit, auch wenn sie sich dabei nur im politsch Allgemeinen repräsentieren kann. Von daher ist deren politisch allgemeine Form auch die repräsentative Demokratie, die Demokratie per Repräsentation hierin prominent werdender Meinungen.
Eine Meinung reflektiert unmittelbar praktisches Dasein in der Form individueller Selbstbestimmung. Sie ist keine Selbstbestimmung, sondern eine Reflektion, ein Dafür- und Dagegenhalten zu etwas Bestimmtem an Gewohnheiten und Gefühlen, ist eine Position zu eineere gefühlten Objektivität (siehe auch objektive Gefühle). In diesem Sich-Halten bestimmt sich die Meinung nicht als Gedanke, sondern als Beharren, sich Sein-Lassen gegen anderes. Und dies im doppelten Sinne: Sich Seinlassen als Bestätigung und Bewahrung des eigenen Daseins und sich Seinlassen als unergründliches sich Gehenlassen, eigene Grundlosigkeit. Meinung hat ihre Wahrheit also immer nur als Gegenmeinung, nicht als Grund, so begründet sie erscheinen mag. Von da her ist sie auch nur ein Moment der bürgerlichen Politik, Thesis des Daseins, welche in der Antithesis der Formulierung besteht. Als solches bestätigt sie vor allem und allgemein die scheinbare Grundlosigkeit dieses Daseins, den Schein des Bestehenden und arbeitet die Gegensätze der Gegebenheiten ab.