Uk2031

Aus kulturkritik

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Der nachfolgende Text ist eine Beschreibung der Argumentation in dem gleichnamigen Buch. (==> Verlagsinformationen hierzu <==)

231. Die entäußerte Symbiose (Der Wahrnehmungszustand als wirkliche Entgegenwärtigung)

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Es war durch das ausgeschlossene Selbstgefühl einer symbiotischen Selbstbeherrschung die Wesensnot der Wahrnehmung zu einer existenziellen Lebensangst geworden, welche in den Ereignissen ihrer erzieherische Beziehungen personifiziert und also subjektiviert worden war. Diese Angst hat die Beziehung auf Menschen überhaupt in der Weise gespalten, wie sie sich in der Beziehung auf diese Ereignisse entwickelt hat. Ihre Selbstwahrnehmung wurde dadurch so an sie gebunden, dass sie sich gegen die eigenen Lebensverhältnisse wendet und einen Sinn herauskehrt, der ihre bloße Negation ist und die Wahrnehmung überhaupt gegen sich kejhrt. Eine in sich verkehrte Wahrnehmung war die letzte wirklich persönliche Beziehung der Selbstwahrnehmung in dieser Angst, durch die sie einen unmittelbar subjektiven Ausweg zu finden suchte. Jetzt wird die verkehrte Selbstwahrnehmung zum Grund für sich selbst, indem sie sich in eine äußere und eine innere Seite im Bezug auf die Ereignisse ihrer Begegnungen so aufspaltet, wie sie sich in dem Lebensraum ihrer Symbiose auch stetig ereignet hat, in welchem sich das Gedächtnis der Selbstwahrnehmung entwickelt und fortgebildet hat. Es hat sich auf diese Weise eine Verarbeitungsweise der Psyche entwickelt, sie sich einerseits von den Ereignissen selbst aus Angst abwendet, um sie sich andererseits im Ungewissen zu lassen und für sich zwanghaft zu werden. Sie wird ihre Wahrnehmungsverhältnisse schließlich dadurch überwinden, dass sie aus sich selbst heraus sich ihre Wahrheit gegen Angst schlechthin verschafft und aus ihrem Körpergedächtnis eine Gewissheit bezieht, die sich gegen die Bedrohlichkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen überhaupt stark macht und sich durch entsprechende Selbstwahrnehmungen in den Ereignissen dieser Beziehungen bestärkt. Doch im Jenseits der Angst ist sie weder aufgelöst noch aufgehoben. Sie ist sich lediglich in dem ungewiss geworden, was ihre Wahrheit ist.

Was das Gedächtnis in den Ereignissen seiner Wahrnehmung erinnert, hat nun kein Auskommen in den Lebensverhältnissen, die hier auf es einwirken. Es bleibt Erinnerung ohne Dasein, ein inneres Sein, das im Dasein keinen Sinn findet, ihn also auch nicht empfinden kann. Ohne diese ereignet sich daher ein Gefühl, das alle Selbstgefühle außer sich findet, sich selbst also nur fremd empfindet. Es entsteht eine sich selbst bedrängende Wahrnehmung, die Wahrheit einer zur Wirklichkeit gewordenen Selbstentfremdung. Die Empfindungen haben keinen Sinn in ihren Gefühlen und die Gefühle keinen Sinn für das, was sie vorfinden. Die Spaltung von Empfindung und Gefühl in getrennte Seinsweisen beengt die ganze Wahrnehmung und so wird ihre Getrenntheit zu einer Angst, die keinen Grund und Boden finden, sich nicht erden kann.

Darin manifestiert sich schließlich die Lebensangst, die sich nurmehr ohne Wahrnehmung selbst wahrhat und also existenziell wird. Wovor die Menschen in ihrer Lebensburg geborgen, also bewahrt sein wollten, das wird nun selbst zum Verhänglis ihrer Wahrheit, weil diese zunehmend ihrem Lebensverhältnis unterworfen wird.

Das Verhältnis der Menschen wird zum Verhalten ihrer Angst, in der sie sich in dem Maß vertiefen, wie sie durch ihre Beziehung sich hieraus zu entziehen suchen. Ihre Lebensangst lädt sich darin auf, dass sich ihre Bodenlosigkeit verdoppelt und die Sinnbildung in solchem Verhältnis immer unbestimmter, ungewisser wird, eine negative Identität erfährt, Vermeidung von sinnlicher Wirklickeit betreibt, Erzeugung unsinnlicher Wirkungen, die - für sich sinnlos, bzw. eigensinnig - nurmehr die Bewahrung und Aufbewahrung ihres Lebensverhältnisses bezwecken. Ihre wechselseitige Erziehung betreibt nun selbst die Pervertierung ihrer Psyche, die ihren Lebensverhältnissen dort zu entfliehen sucht, wo sie sich auch psychisch festhalten. Es handelt sich daher jetzt um die vollständige Perversion der Lebensverhältnisse ihrer symbiotischen Selbstbehauptung.

In der Eigenständigkeit der symbiotischen Selbstbehauptung schien ursprünglich gerade diese unmitelbare Lebensangst dadurch aufgehoben, dass sie in den geschlossenen Lebensräumen burgherrlicher Lebensburgen zum Nutzen von unmittelbar zwischenmenschlichen Verhältnisse geborgen wurden. Damit allerdings wird keine Angst bestimmter und keine Bestimmung angstfrei. Im Gegenteil: In diesen Verhältnissen gedeiht eine durch sich selbst schon aufgelöste Angst vor dem, was kommen mag. Kein Weg in die wirkliche Welt tut sich hier auf und keine Bewegung aus der Welt findet sich hier ein. Indem die Selbstwahrnehmung in den darin gegenwärtigen Gefühlen, also in dem Gefühl ihrer Selbstbeschränktheit nun auch wirklich allgemein in den Mauern dieser Geborgenheit verschwinden, verlieren sie auch ihr Gefühl für sich. Was in den Perversionen noch gegenwärtig war, gibt sich hier als Schutzraum in einer in Alarmbereitsschaft befindlichen Lebensburg vor gerade solcher Gegenwärtigkeit. Damit aber wird die heimliche Geborgenheit nicht heimisch sondern unheimlich, weil sie nurmehr ein Vakuum ihrer Beziehungen verwirklichen können, sich als Wahrnehmung gegen die Selbstwahrnehmung wenden. Sie müssen ihre Bestimmtheit erst finden, die sie schon verloren haben und bewegen sich daher in einem subjektiven Zirkel. Hierdurch werden die Mauern dieses Lebensraumes selbst subjektiviert, denn sie wurden zum Subjekt ihrer Wahrnehmbarkeit bestimmt. Sie selbst bekommen menschliche Eigenschaften, die sich in ihren Selbsterlebnissen verstetigen und erinnern. Sie bilden ein Gedächtnis, das sich diesem Lebensraum unterworfen hat und sich gegen dem äußerliche Beziehung verschließt. Es begründet eine Verarbeitungsweise, die zum Gefängnis der Selbstwahrnehmung wird.

Die daraus erwachsenden psychischen Krisen beruhen allesamt darauf, dass sie aus ihren unbestimmten Wahrnehmungen eine bestimmte machen und an dieser nun völlig abstrakten Selbstbestimmtheit irre gehen. Denn sie müssen darin alle Regungen verdichten, die ihnen darin verlorengehen. Diese Dichte vergegenwärtigt sich in einer sich selbst begründenden Lebensangst, die nurmehr psychische Substanz hat, z.B. als Angstt vor öffentlichen Plätzen, Insekten, Schlagen usw. oder in zwanghaften Verhalten oder in zwischenmenschlichen Beziehungen, worin der Selbstverlust zum allgemein herrschenden Prinzip wird und die Beziehung zu anderen Menschen und der Beziehungsarbeit jenseits dieser Lebenswelt bestimmt, oft auch erst, nachdem sie auch wirklich verlassen wurde, bezw. durch veränderte Umstände die Menschen entlassen musste.

Was nun fast in geronnerner Form endlos erscheint ist aber dennoch nicht allzuweit weg von der Welt, die ja selbst auch räumlich ist. So war dieser Lebensraum auch schon vor seiner Nutzung als Lebensburg ja auch schon in der gesellschaftlichen Notwendigkeit bestimmt, sich jenseits gesellschaftlicher Wirklichkeit subjektiv überhaupt reproduziern zu können, sich zu erneuern und sich auf eine Welt zu beziehen, von der die privaten Verhältnisse abgetrennt existieren. Der Nutzen dieser Verhältnisse reflektiert sich auch in den allgemeineren zwischenmenschlichen Beziehungen, steht dadurch aber negativ zu ihrer Herkunft, zum gesellschaftlichen Ausschluss von Privatwelten. In Partnerschaften, Vereinen, Familien, Fürsoregeinrichtungen usw. sind die Menschen in dieser Weise auf sich selbst verworfen, um die gesellschaftlichen Mängel ihrer Reproduktion in einer Gemeinschaft auszugleichen, für die sie an sich keinen Sinn mehr haben und finden, ihn nicht empfinden können. Für sich selbst müssen sie sich so haben und nehmen, wie sie gesellschaftlich sein müssen, um leben zu können, ohne dass Gesellschaft hierin gegenwärtig ist. Von daher sind sie wesentlich von außen, durch den gesellschaftlichen Nutzen ausgeschlossener Sinne bestimmt. Ihre subjektiven Verhältnisse können hier im Grunde nur als Objektbeziehung einer Gesellschaft verwirklicht werden, in der die Menschen selbst sich als Objekte dieser Bestimmtheit verhalten und ihre Gegenwärtigkeit aufheben, entgegenwärtigt leben müssen.

Die Selbstwahrnehmung der Menschen hat sich in solchen Verhältnissen, besondern in familiären Beziehungen, nun in doppelter Weise veräußerlicht und darin ihren Grund verkehrt: Diesymbiotische Selbstbehauptung, in welcher sie ihre Liebe gegen die Lebensformen einer pervertierten Selbstbezüglichkeit durchzusetzen suchten und dem entsprechend sich selbst veranstalteten, wurde zur Selbstbehauptung ihrer Symbiose mit den darin eingeschlossenen Menschen und damit zu einem Selbstverlust, der ihre Selbstgefühle den Empfindungen unterwarf, die sie in solchen Verhältnissen vor allem nur noch in ihren Schuldgefühlen als Mangel ihrer Selbstwahrnehmung wahrhatten.

Ihre Selbstwahrnehmung hat sich zum einen ihrer gesellschaftlichen Grundlage enthoben und ist zu einer Welt symbiotischer Gewohnheiten geworden, die das Leben mit Pflichten bestimmte, welche die Reproduktion der Liebesverhältnisse mit sich bringt. Der darin ausgeschlossene Sinn wirkt als ausgeschlossenes Grundgefühl dieser Verhältnisse fort, die zum zweiten jetzt sich selbst aufheben, sich bedrängen durch die veräußerte Liebe erzieherischer Beziehungen, die sich selbst aus den Persönlichkeiten des Lebensraums begründet, ja nach dem, was ihre Selbstwahrnehmung nötig hat. In dieser doppelten Negation ist jedes Selbstgefühl fremdbestimmt und als objektives Selbstgefühl in diesen Verhältnissen wirksam, je nach dem, wie es in ihrem ausgeschlossenen Sinn und den Persönlichkeiten, die darin tragend sind, sich vergegenwärtigt.

Nicht immer muss sich siese Selbstentfremdung auch wirklich wahrmachen, besonders dann nicht, wenn die Persönlichkeiten dieses Verhältnisses selbst auch weltlich auftreten können, diese Lebenswelt als wirklich Welt noch erleben, z.B. als Wohngemeinschaft oder Interessensverhältnis. Wo sie sich damit aber vollständig identifizieren und ihre Rolle selbst subjektiv für sich wenden, sie zu einer objektiven Gewohnheit machen, wird jeder Sinn darin selbst zu einer objektiven Gewalt gegen die Wahrnehmung. Was sich darin gebildet hat, versetzt die Wahrnehmung in einen Wahrnehmungszustand, sobald sie für sich und durch sich da sein soll. Der ausgeschlossene Wahrnehmungshintergrund und die ausschließlichen Personifikationen der Gewohnheit entziehen ihr die Gegenwart. War schon die soziale Lebenslage bedrängt, so ist es nun auch die Wahrnehmungsidentität. Das soziale Lebensproblem in diesen Verhältnissen wird zu einem unmittelbar wirksamen Wahrnehmungsproblem.

Unmittelbar kann ein Selbstgefühl niemals objektiv sein, auch wenn es direkt - z.B. als Kunstwertk, Gebäude oder Literatur - geäußert ist. Ein objektiven Selbstgefühl besteht nur durch seine Vermittlung, durch die Wirkung, die Menschen aufeinander haben, weil sie füreinander darin bestimmend sind. Diese Wirkung besteht daraus, dass sie als einzelne Menschen für einander nicht erreichbar sind, wohl aber in gemeiner Einverleiblichung identisch leben und in solcher Identität verkehren, also sich selbst gemeinsam verkehren, ihre Empfindungen durch ihre Gefühle tauschen und vertauschen. Objektiv sind sie als Subjekte identisch, eine symbiotische Einheit, während sie sich subjektiv gegenseitig bestimmen, das Sollen des Einen dem Anderen als Lebensinhalt zumuten. Während sie in Wahrheit gegensinnig bestimmt sind, nehmen sie sich nur in ihrer Einheit wahr. Von daher ist auch ihre Wahrnehmung zur Selbstwahrnehmung in ein verkehrtes Verhältnis geraten.

Verhältnisse, die auf objektiven Selbstgefühlen gründen, haben daher sehr subjektiv auftretende Konsequenzen in der Gegenwärtigkeit der Wahrnehmung: Sie selbst wird von dem bestimmt, was sie wahrhat, von einem Gefühl, das sie in ihrer Wahrheit ausschließt. Ihre Gegenwärtigkeit hat eine doppelte Seinsweise, die gespalten ist, sich nicht positiv aus einem Selbstgefühl ergibt, das in der Empfindung gegenwärtg ist, sondern aus einem Selbstgefühl, was es ausschließt, wozu sich die Wahrnehmung nicht verhalten kann, weil es als ein Sein ausgeschlossen ist, das gerade unter der Bestimmung wahrgehabt wird, wie es nicht sein kann und also auch nicht sein darf. Es ist aber keine verdrängte Wahrnehmung, die durch moralische oder persönliche Machtverhältnisse verursacht ist, wie in der Psychoanalyse behauptet, sondern eine eigenständige Wirklichkeit der Wahrnehmung, die zwar ihren geschichtlichen Grund in geborgenen Verhältnissen hat und über Persönlichkeiten vermittelt ist, der aber als gegenwärtige Wahrnehmungsidentität, als eigenständige und notwendige Wahrheit in der Wahrnehmung nur durch seine ausschließliche Lebensform wirksam werden konnte. Solche Identität ist in den Räumlichkeiten der zwischenmenschlichen Verhältnisse erzieherischer Macht als eigenständige Gefühlsidentität entstanden, soweit diese Verhältnisse von anderen isoliert und gegen sie bestimmt waren. Die Selbstwahrnehmung hat sich in einem Sinn veräußert, der als psychische Formation die Wahrnehmung entgegenwärtigt und die eigenen Gefühle und Empfindungen gegeneinander bestimmt. Von daher gibt es Selbstgefühle, die sich den Beziehungen zu Menschen in anderer Wirklichkeit überstellen und ihren Sinn durch ihr objektives Selbstgefühl dazu bestimmen, sich in dem einzuschließen (bzw. isolieren), was außer sich negiert ist, was also nicht sein darf, solange die negierte Wahrnehmungsidentität herrscht. Diese verhält sich daher nun aus ihrer Formbestimmung unmittelbar zum Ausgeschlossenen, indem es dieses für sich vereinnahmt und die Selbstentfremdung der Wahrnehmung so betreibt, wie es ihr die eigenen Umstände und Bedingungen aufnötigen.

Wahrnehmungszustände, die wie ein Fremdbeherrschung über die Wahrnehmung herfallen treten daher meist in den Übergängen verschiedener Gefühlswelten auf, worin gewohnte Gefühle oft ganz plötzlich von Ängsten oder Befürchtungen überfallen werden, ohne dass ein Grund sichtbar wäre. Die Wahrnehmung enthält den Gegensatz von Isoliertem und Ausschließlichem eben nicht als Wahrnehmung, sondern in dem, was sie wahrhat. Dieses bewirkt eine Störung geschützer und wohlvertrauter Gepflogenheiten, die längst nicht mehr empfunden werden, weil sie durch die Verhältnisse selbst ersetzt und für die Wahrnehmung eigentlich unersetzbar sind. Die Aneignung des Ausgeschlossenen kann daher eine längere Prozedur sein.

Das isolierte Selbstgefühl wirkt nun wie eine objektive Gegegenheit der Psyche und bestimmt von daher vor allem die Selbstwahrnehmung der Menschen in diesen Verhältnissen zu einem Zirkelschluss gegen sich selbst, zu einem Zustand, in welchem ihre Substanz, ihre Anwesenheit und Gegenwart, sich gegen sich selbst richtet und so zu einer Identitätskrise wird. Die Wahrnehmungszustände der Menschen, die von der Psychiatrie oder Psychologie als Verhaltensstörungen oder Psychische Krankheit oder durch Beschreibungen von Unfähigkeiten als Geistesprobleme oder als neurophysiologische oder psychosomatisch Störungen behandelt werden, drücken dieses unmöglich Seiende, das ausgeschlossene Sein der Selbstwahrnehmung aus. Wie es dahin kommt, dass sie auch ohne die Gegenwart des Ausschlusses fortbestehen können, also sich bei ganz anderer Wahrnehmung durch deren Entgegenwärtigung wahr machen, soll nun auseinandergesetzt werden.

Die unterschiedlichen Bestimmungen im Ausschluss der Selbstwahrnehmung ergeben sich aus der Art der Symbiose, in welcher das objektive Selbstgefühl vereint war. Sie haben daher auch unterschiedliche Zustände des Wahrhabens zur Folge, die sich als unterschiedlich bestimmte Formen der Entgegenwärtigung der Wahrnehmung geltend machen: Zustände der Bedrängung (Angst, Depression, Sucht), des Selbstverlustes (Zwang, Austismus, Borderline) und des Irrsinns (Paranoia, Wahnsinn, Schizophrenie). Im ersten bestimmt ein objektives Selbstgefühl die Selbstwahrnehmung durch Bedrängung, den betroffenen Menschen durch Auflösung seiner Gegenwärtigkeit durch hierdurch subjektiv aufgehobene Selbstgefühle, welche seine Empfindungen bestimmen. Im zweiten bestimmt die Verschmelzung mit der Objektform selbst die Auflösung seiner Selbstentfremdung durch objektive Selbstvergewisserungen (negative Selbstvergegenwärtigung). Und im dritten verschmilzt die Wahrnehmung überhaupt in einer Auflösung, in einer temporär absoluten Entgegenwärtigung der Wahrnehmung, worin sich die Selbstwahrnehmung der Psyche durchsetzt.

Wir hatten bereits erläutert: Allem voraus geht die absolute Bestimmung der Lebensverhältnisse durch einen Lebensraum der Selbstgefühle, wodurch sie nicht einfach nur sind, sondern vor allem bestimmend sind für die, welche darin leben. In den Beziehungen darin verwirklichen sich zum einen erziehende Pflichten und hierin entstehen die Subjekte dieser Gefühle, welche darin aufgehen und sich verwirklichen, indem sie die Lebenspflicht dieses Verhältnisses verkörpern. Zum anderen sind die Menschen, die als deren Objekte existieren, selbst zu objekten ihrer Gefühle, indm sie in ihrer Beziehung auf diese Subjekte beibringen müssen, was dem Geminsinn nützlich ist, der darin nötig ist, was also auch zum Erhalt des Lebensraums selbst nötig ist und von daher mehr oder weniger erzwungen wird. Durch die Geschlossenheit des Raumes ist dies bestimmt, durch die unmittelbar zwischenmenschliche Beziehung wird es entwickelt. Erst durch die Raumbestimmung wird also die erzieherische Beziehung absolut. Von daher verwirklicht sich die Selbstwahrnehmung der einen durch eine objektive Wahrnehmung der anderen Menschen, die darin eingebunden sind. Letztre werden zu Trägern objektiver Selbstgefühle und müssen sich in dieser Bestimmung zum Erhalt des ganzen Verhältnisses denen unterwerfen, die hierin subjektiv sind.

Während aber durch die Selbstwahrnehmung die Menschen in diesem Lebensraum ihre objektivierten Selbstgefühle in gegensinniger Bestimmung sich zu eigen gemacht und damit totalisiert haben, kann der objektiv betroffene Mensch seine Empfindungen - ganz oder teilweise - nurmehr wie einen fremden Sinn erleiden. Während also die einen ihre Subjektiität quasi objektiv betreiben, indem sie die Subjekte des Verhältnisses sind, wirkt dieses als das verinnerte Gefühl in den anderen als vorausgesetzte Objektivität gegen das objektive Selbstgefühl, das es vergegenwärtigt. Im Gemeinen ist es zugleich von seiner Subjektivität abgespalten und hebt sich von daher darin auf, dass seine Selbstwahrnehmung davon beherrscht wird - nicht nur im Augenblick, sondern im ausgeschlossen bleiben selbst: Die Wahrnehmung kennt nur sich als anderes, als Fremdes und nimmt in dieser Kenntsnis sich auch ausschließlich wahr. Es gibt für die Wahrnehmung keine Identität, weil das Ausgeschlossene durch eien entfremdete Kenntnis ersetzt wird. Sie erkennt sich nur in der Selbstentfremdung, also in der Kenntnis seiner als sich selbst Ungewisses, dessen Gewissheit das entfremdet sein ist, als fremde Kraft, die nur durch ihre Vergegenwärtigung in der Wahrnmehmung wahr wird. Als derart aufgehobene Wahrnehmungsidentität wird die Empfindung durch ihre Negation, durch die Kraft und Wirkung ihrer Abstraktion, soweit bestimmt, wie die Totatilät dieses Verhältnisses ausschließlich fortwirken kann, also solange, wie sie sich keine wahre Kenntnis desselben aneignen kann, was in ihr fremd erscheint.

Diese Kraft der Abstraktion erklärt sich nicht aus einer Verdrängung wie bei Sigmund Freud - obwohl es hier auf den ersten Blick so scheinen mag. Sie hat kein traumatisches oder kulturell sanktioniertes Ereignis als Erfahrung zur Voraussetzung, sondern gründet ganz allgemein auf einem von erzieherischen Beziehungen bestimmten Lebensverhältnis, das höchst normal und gewöhnlich sowohl in Familien oder auch in anders institutionalisierten Lebensräumen (z.B. Schule, Beruf) vorkommt. Gerade indem die Psychoanalyse dies auf Ereignisse reduziert verkennt sie den gesellschaftlichen Charakter dieser auch heute noch oft als Psychische Krankheit deklarierten Wahrnehmungszustände und ideologisiert sie zu einer individuellen Verschuldungsmythologie, bei der die auftretenden Personen nicht im Vollzug ihrer Lebensbedingungen, sondern durch ihre persönlichen Absichten selbst schon as Verursacher solcher Zustände gelten.

Wenn die Wahrnehmung ihre Gegenstände nurmehr unter der Bestimmung dieser sinnlichen Kraft der Negation ihrer Wirklichkeit auffassen kann, dann verliert sie ihre Gegenwärtigkeit, weil sie durch einen Sinn bedrängt wird, der für sie ausgeschlossen ist und weil sie gegen diesen zugleich eine ausschließliche Wirkung behaupten muss. Er überfällt sie, sobald sie etwas wahr hat, das der Wahrnehmung entzogen, nicht mehr wirklich anwesend sein darf und das für das Selbstgefühl nötig war oder ist, um das Anwesende in diesem Raum der Geborgenheit wie selbstverständlich wahrzunehmen. Auch wenn dieser Raum längst verlassen ist, so wirkt die Erfahrung auch in ihrem Gedächtnis als innerlich abgetrennte Wahrheit fort. die gerade dort Wirklichkeit nur erleiden kann, wo sie am, besten an ihre eigene Ausgeschlossenheit erinnert wird.

Von daher wird Gegenwärtiges als fremd wahrgenommen, ohne dass darin Entfremdung erkennbar ist - eben weil die Wahrnehmung durch sich selbst schon entgegenwärtigt wird. Entfremdung wird nicht mehr geltten, sondern vollzogen. Sie besteht aus der Unmöglichkeit der Selbstvergegenwärtigung, weil ihr der Sinn hierfür entzogen ist, durch die Selbstaufhebung der Gefühle im Widerstreit objektiver Gefühle mit objektiven Selbstgefühlen ausgeschlossen wurde. Sie wirkt nun im Wahrnehmungsprozess selbst, erzeugt einen Zustand der Wahrnehmung, in welchem sie gegen das Gegenwärtige zu ist - und zwar: solange sie nicht in der Lage ist, ihre Fremdbestimmtheit zu erkennen und anzugreifen.

Die Sinne selbst sind daher jetzt wirklich in zweierlei Seinsweisen gespalten zwischen dem, was sie wahrhaben, und dem, was sie wahrnehmen. Was sie wahrhaben, bedrängt ihre Wahrnehmungsidentität und fügt ihr die entzogene Wahrheit wie eine fremde Kraft zu. Oft gerade dann, wenn die Wahrnehmung ihrem sie begründenden ursprünglichen Lebensraum entkommen ist, wird sie unfähig, dieser Attacke zu entkommen. Sie ist jetzt erst vollständig eingeschlossen in die Bestimmungen eines Gefühls, das nur gegen die eigene Wahrnehmungsidentität wahr sein kann.

Der vom objektiven Selbstgefühl ausgeschlossene Sinn hinterlässt das Ausgeschlossene als Bestimmung der Selbstwahrnehmung, als eine bestimmte Form des Wahrnehmens, als eigenständiges, also subjektiv erzeugtes objektives Gefühl, wodurch die Selbstwahrnehmung im Gegensatz zur gegenständlichen Wahrnehmung bestimmt ist. Die Wahrnehmung sucht durch eine bestimmte Gegenständlichkeit zu sich zu kommen, zu einem Gefühl zu gelangen, in welchem das entgegenständlichte Selbst sich als Stimmung manifestiert. Es ist keine bestimmbare Stimmung, sondern ein Grundgefühl, worin sich wahrmacht, was die Menschen in den entgegenständlichten Verhältnissen ihrer Selbstwahrnehmung in Wirklichkeit wahrhaben. Sie fühlen ihre Wirklichkeit nurmehr in ihren Empfindungen, während sie empfinden, was sie nicht fühlen können. Das Fremde und das Eigene lässt sich nicht mehr unterscheiden, weil sich die Wahrnehmung selbst fremd geworden ist.

Die Wahrheit der Wahrnehmung besteht jedoch als eine Grundstimmung, welche die Wahrnehmung ausschließlich macht, alles von ihr ausschließt, was sie durch ihr Bestimmtheitheit nicht fassen kann. Darin wirkt der Sinn, der nicht wirklich sein kann, sich nicht beziehen lässt, als eine Empfindung, die sich gegen das Gefühl für das verschließt, was sie nicht wahrhaben kann. Die Form der Wahrnehmung, ihre Gegenwärtigkeit, vollzieht diese Wahrheit ihrer Identitätslosigkeit, indem sie diese als eine Stimmung durchsetzt, die alle Wahrnehmungen durchzieht, in der Wahrnehmung das Gefühl zur Wirkung selbst bringt, in welchem die Empfindungen vereint erscheinen.

Dies ist aber nicht ein verdrängtes Gefühl, - so, als wäre es ein bestimmtes Gefühl gewesen und würde im Nachhinein unterdrückt. Es ist ein wirklich aufgehobenes Gefühl, eine unbestimmte Gewissheit, ein Widersinn selbst, - die Gewissheit, dass eine unbestimmte Wahrnehmung sehr bestimmte Verhältnisse vermittelt. Der Raum, worin sich diese Verhältnisse vollziehen, wird selbst zu einer Form, zum Raum einer Bestimmung, indem sich darin die Stimmung reflektiert, worin er wahrgehabt wird. In der Entgegenwärtigung der Wahrnehmung durch diese Stimmung vollzieht sich der Kurzschluss ihrer Wahrheit: Sie erscheint gerade dort bestimmt, wo sie völlig von sich entfremdet ist. In ihrem Gedächtnis birgt sie den Sinn eines Lebensraums, den sie nur außer sich haben kann und daher auch nicht empfindet, wenn er sich gegen sie selbst richtet.

Solche Wahrnehmung hat ihre Gewissheit alleine aus einer Unmöglichkeit, die sie wahrhat und die in einer bestimmten Identitätslosigkeit in einem ausschließlich bestimmten Verhältnis entstanden war. Es ist eine Gewissheit, welche die Wahrnehmung selbst ungewiss macht, sich als eine Stimmung in die Wahrnehmung einführt, für die es keinen erkennbaren Grund gibt.

Sie besteht aus einer völlig grundlos scheinenden, einer bodenlosen Angst - keine Angst um etwas oder vor etwas, sondern Angst als Zustand der Nichtigkeit, als Gefühl der Vernichtung, welches pure und totale Identitätsloskeit ausgelöst hat. Es ist dies die Wahrheit eines Selbstgefühls, welches die persönliche Wahrnehmungsidentität ausgemacht hatte und nun seine vollständige Entleerung erfährt, ohne dass es deren Wirklichkeit erkennen kann, also darin aufgehoben ist, dass es sich selbst auch aufhebt. In ihm selbst wirkt die Entwirklichung durch eine Kraft, die sich lediglich in rudimentärer Ästhetik begreifen lässt - z.B. als panisches Gefühl des Selbstverlustes, als totale Beengung, als unbegreifliche Höhenangst, Erdrückung usw.. Nicht dass eine Lebensituation eines Menschen beengend wirkt, wacht dieses Gefühl aus, sondern dass diese Situatiion nur als totale Beengung der Wahrnehmung erfahren werden kann, weil es zur Erkenntnis der beengenden Inhalte keinen Sinn mehr gibt. So wird das, wodurch in bestimmten Beziehungen Gefühle geborgen wurden, zu einem Gefühl, worin sich das Verborgene in einer Form durchsetzt, worin es unerkennbar geworden ist. Es erscheint nun in der Form eines Lebensraums, worin die Wahrnehmung nur noch um sich selbst kreisen kann, also keinen Gegenstand und keine Gegenwart mehr findet.

Das Selbstgefühl ist unter der Entgegenwärtigung durch objektive Gefühlsbildungen in einen Aufhebungsprozess geraten, worin sich nurmehr dieser Prozeß selbst wahrhat, Subjekt wie Objekt eines Sinnes ist, der in diesem Raum nicht mehr anwesend sein kann, weil er darin wirklich ausgeschlossen und selbst ausschließlich wurde. Diese Selbstauflösung der Wahrnehmung hat keinen Sinn; - aber sie ist durch und durch sinnlich, prozessierende Selbstentfremdung in einem Zustand, in welchem sich Wahrnehmung lediglich als Stimmung gegen sich selbst bewahrheitet. Schon Figurationen und Gestalten, ästhetische Sinnbilder der Selbstauflösung, können solche Wahrnehmungszustände hervorrufen. Es genügt, wenn sie eine Grundstimmung darstellen, welche der Wahrnehmung nun vorausgesetzt ist, welche also objektive Gefühlswelten ihr zugrunde gelegt hatten - mal sind es z.B. geschlossene Räume oder öffentliche Plätze oder Insekten oder auch Menschen überhaupt, worin sich die Angst um die eigene Gegenwärtigkeit manifestiert. Aber nicht diese Manifestation macht das Wesen der Angst aus, sondern das, was sie als Negation formuliert, was also dem Gefühl sinnlich entfremdet ist: Weite, Entfaltung, Penetranz, Selbstgewissheit usw.. In der Negation ist der Grund aufgehoben, wodurch sich solche Selbstgefühle entwirklicht haben. Es sind die Wahrnehmungsformen einer verkehrten Wahrnehmung, worin diese lediglich sinnbildhaft erkennbar sind, weil sie deren Stimmung beschreibt.

Die Grundstimmung, welche in der Wahnehmung selbst nur wahrgehabt wird, ist als solche nicht wahrnehmbar. Niemand wird einen Raum als solchen wirklich bedrohlich empfinden, wenn er unter einer unerträglichen Klaustrophobie leidet. Aber in der Grundstimmung seiner eigenen inneren Beengung kann ihn die Wahrnehmung räumlicher Beengung um den Verstand bringen. Was die Wahrnehmung jetzt also bestimmt, ist nicht ihr Inhalt und Gegenstand, sondern die Grundstimmung, welche sie durch ihre eigene Formbestimmtheit wahrhat. Das Verhälnis ausgeschölossener Sinne ist damit selbst zur Bestimmung eines Wahrnehmungszustands geworden, an welchem Menschen leiden.

In der Wahrnehmung ist damit vor allem ein bestimmtes Selbstgefühl ausgeschlossen. Dieses Selbstgefühl wird dadurch in einer bestimmten Form negiert, dass sein Inhalt sich zur Wahrnehmungsform selbst wandelt. Alles, was sich in ihm regt, wird von ihm ausgeschlossen und stellt sich als eine Erregung heraus, die für sich keinen Sinn mehr hat, wiewohl das Ausgeschlossene für den Menschen innerhalb eines bestimmten Verhältnisses durchaus Sinn hatte. Die Sinne der Wahrnehmung erweisen selbst einen sich erregenden Sinn, der ihrem Inhalt nach im wahrsten Sinne des Wortes verkehrt ist, weil er die Aufmerksamheit der dadurch bestimmten Menschen zur Sinnverkehrung bestimmt.

Es ist wohl diese Nervosität, die der Ausgang von Sigmund Freuds Forschung war und ihn den Verkehrungsprozess einer Wahrnehmung erkennen lließ. Aber in seiner phänomenologischen Art des Begreifens musste er sie als Verdrängung eines Triebgeschehens begreifen, welche die Objektbesetzungen einer bestimmten Beziehung in einer bestimmten Kultur erforderlich machen würde. Er musst diese Sinnverkehrung in einer Verdrängung substantivieren, weil ihm dialektische Erkenntnis substanziell verschlossen war. Dennoch waren seine Beobachtungen zu seiner Zeit hervorragend, gerieten aber gerade dadurch in seiner Theorie zu einem grotesken Widerspruch zwischen Seele und Wahrnehmung, dass er Seele nicht aus einer abstrakten Wahrnehmung abzuleiten wusste, sondern ihr die bestimmte Wahrnehmung, das Errinnerungsbild eines Befriedigungserlebnisses (Traumdeutung, 1900) vorraussetzte.

Doch in der Wahrnehmung ist der negierte Sinn des Selbstgefühls zunächst erst als selbst als Gefühl wirksam. Bestimmte Gegenstände, Beziehungen oder Raumverhältnisse werden durch diesen Sinn als eine gegen ihn mächtige Lebensform wahrgenommen. Sie wirken auf den Menschen dadurch verändert, dass sie in der Empfindung nicht als das wahr sein dürfen, was sie für die Menschen sind. Seine Wahrnehmung verrückt sich gegen solche Gegenständlichkeiten, fühlt darin das von ihr ausgeschlossene Verhältnis als Nichtigkeit und sich selbst gerade durch die Empfindung im Gefühl nichtig.

Das bringt Menschen zu Wahrnehmungszuständen, in welchen sich oft ihr ganzes Leben so bestimmt, dass sie zu den ihnen nötigen Entwicklungen sich selbst im Wege zu stehen scheinen. In Wahrheit aber ist, was so bedrohlich bestimmt erscheint, lediglich der verkehrte Inhalt eines verschlossenen Sinns. Dieser kann dann aber durch bestimmte Entwicklungen von den Menschen erschlossen werden - manchmal auch mit fremder Hilfe (Therapie), wenn sie denn keine neue Sinnverkehrungen durch Professionalisierung mit neuen Hörigkeiten erzeugt. Jeder Wahrnehmungszustand ist die verkehrte Form einer bedrängten Wahrheit durch eine mächtig gewordene Beziehungshörigkeit. Angstzustände überfallen den betroffenen Menschen zu Anlässen, die er nicht begreifen kann und Gefühle der Umnachtung (Depressionen) überwältigen ihn aus Gründen, die keinen Sinn mehr zu haben scheinen, und Autismen (z.B. Sprachlosigkeit, Empfindungslosigkeit u.a.) entstehen aus Gründen, die lediglich als organische Disfunktion der Wahrnehmung, als ihre Lähmung spürbar werden. Um sich hiergegen zu bilden, verlangt es von den beteiligten Menschen ein objektives Bedürfnis, sich gegen Täuschung zu verhalten und die Konsequenz eigener Wahrheit in zwischenmenschlichen Beziehungen umzusetzen.

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231.1 Angstzustände

Die erste Formverwandlung, welche die Wahrnehmung erfährt, ist die plötzliche und unmittelbar unbegreifbare Aufhebung des Selbstgefühls, die Empfindung einer Bedrohlichkeit durch etwas, das nicht erkenntbar ist und als allgemeine Beengung gefühlt wird. In Angstzuständen und unbegreiflichen Panikattaken wird dieser Prozess zuerst augenfällig. Oft wie aus heiterem Himmel werden die Menschen von Gefühlen der Selbstauflösung überfallen, fühlen, wie ihre Gegenwärtigkeit sich aufhebt, in ein endlos scheinendes Loch fällt, das alle Empfindungen eines Menschen mit sich reißt. Es das Gefühl einer Nichtigkeit der eigenen Identität, das als Vernichtungsgefühl empfunden wird und von da her Angst macht und Angst bedeutet. Meist wird dabei festgestellt, dass solcher Zustrand keine erkennbare Ursache hat. Manchmal berichten die Menschen von Irritationen ihrer Selbstgefühle, die sie zuvor bemerkt hätten. Und oft werden der Bedrohung auch ästhetische Figurationen zugewiesen, wodurch die Vernichtungsangst immerhin gegenständlich zu sein scheint. Dann treiben die Wahrnehmung von Insekten, Schlangen, Raumenge, Höhe, Tiefe und anderes zum Ausrasten. Objekte werden in einem Sinn wahrgenommen, den sie ganz offensichtlich und leicht nachweisbar objektiv nicht haben müssen, oft auch nicht haben können (z.B. Angst vor Mäusen, Bewegung, leeren Räumen). Die Wahrnehmung nimmt Inhalte an, die sich nicht oder nur höchst scheinbar aus ihrem Gegenstand erklären lassen.

In den Angstzuständen wird nicht dieser vergegenwärtigt, sondern das, was er für die Selbstwahrnehmung verkörpert. Deren Stimmung setzt sich im Wahrnehmungsprozess selbst durch, weil ihr Sinn ausgeschlossen ist, weil sie also einen Sinn hat, der nicht sein darf, der als gewohnte Lebensgrundlage wie selbstverständlich hingenommen und von daher der Erfahrung entzogen ist. Wo z.B. Stress und Enge zum Alltag gehören, wird das Leben darauf eingerichtet und so kann Beengung nur auftreten, wenn ein Mensch aus dieser Gewohnheit heraustritt. Er wird überfallen von einem Gefühl, das er nicht kennt, das also in seinem Lebens dadurch ausgeschlossen ist, dass es zu den Lebensbedingungen gehört, also dem, worauf sich dieses Leben gründet. Der ausgeschlossene Sinn besteht also aus einer Lebensgewohnheit der Wahrnehmung, welche dieser fremd geworden ist.

Es zeigt sich in solchen Angszuständen daher die Formverwandlung der Wahrnehmung noch unmittelbar, wenn auch verkehrt. Ihre Verkehrung besteht darin eben aus dem Inhalt, den sich der ausgeschlossene Sinn in der Wahrnehmung verschafft: Die Sinne sind nicht in der Lage, ohne weiteres das aufzufassen, was sie zu ihrer Lebenserhaltung von sich getrennt hatten. Da werden dann z.B. Insekten zu höchst angstbesetzten Wahrnehmungsgegenständen, weil sie von einer Penetranz künden, die nicht mehr in äußerst penetranten Lebensumständen wahrgenommen werden kann. Oder da ängstigt man sich vor öffentlichen Plätzen, weil dort eine eigene Gegenwärtigkeit zutage tritt, die ansonsten ausgeschlossen wurde. Oder es zeigt die Angst in geschlossenen Räumen eine Beengung der Lebensverhältnisse an, die nicht mehr wahrgenommen wird.

Relativ einfach lässt sich die Erregung, welche die Angst auslöst, aus der Umkehrung des Selbstgefühls erkennen. Der Gegenstand der Angst auslösenden Wahrnehmung stellt das Selbstgefühl außer sich und hintergründig als eine Stimmung dar, in der es nicht sein kann, es sich also verliert, verflüchtigt, aufhebt. Oft genügt die Zuwendung auf diese Angstwahrnehmung, also die Unterbrechung der gewohnten Wahrnehmung, um solche Ängste zu verlieren.

Schwieriger ist es mit frei flottierenden Ängsten und Panikattacken. Diese entstehen im vollständigen Selbstverlust des Selbstgefühls, dessen Anlass nicht mehr ein Ereignis oder Gegenstand, sondern ein ganzer Lebensraum ist, die Wahrnehmung einer bestimmten Kultur, die nicht mehr sein kann. Das gewohnte Leben selbst wird dann zur Bedrohung in Stimmungen, worin es als völlig fremd gewahr wird. Alles Vertraute erscheint dann als fremd, weil es in den kulturellen Bezügen ausgeschlossen wurde. Was zuvor noch bruchlos zusammenging, z.B. der Ortswechsel von Hier nach Da, wird ungeheuer schwer. Die Wahrnehmung hat sich aus irgendwelchen Günden fixiert, an das Vertraute festgefressen. Aber diese Gründe sind in keiner Form mehr gegenwärtig, also abwesend. Es selbst bedroht die Wahrnehmung, weil es diese dem Selbstgefühl entzieht, weil sich also das Fixierte gegen den Wechsel wendet, solange es keine Anwesenheit von dem verspürt, was seine Beziehung auf die Selbstwahrnehmung ausmacht.

In solchen Angstzuständen fühlt sich das Selbstgefühl insgesamt und vollständig unbestimmt aufgehoben und der freie Fall im Selbstverlust löst diese Zustände dann aus. Die Wahrnehmung wird sozusagen entmenscht, verliert ihre eigene Wirklichkeit als wesentliches Moment menschlicher Verhältnisse. Der Betroffene kann sich durch seine Wahrnehmung nicht mehr menschlich verhalten, sich nicht mehr als Mensch unter Menschen erkennen und fühlen.

Aber genau hierdurch wird die Fixation der Wahrnehmung auch wieder umkehrbar. Durch anwesende Menschen, die sich hierzu verhalten können, wird der betroffene Mensch sich seiner selbst wieder gewahr. Indem in der Kultur, deren Wahrnehmung die Angst auslöst, der betroffene Mensch an Menschen gerät, die er auch menschlich wahrnehmen kann, verliert sich diese Angst, weil er sich dann darin gewinnt, wo er sich verloren hatte. Allerdings bleibt er noch weiterhin an die Anwesenheit von Menschen fixiert, wenn er sich nicht aus den Notwendigkeiten und Zwängen seiner Wahrnehmungen emanzipiert. Das aber verlangt die Rückbeziehung seiner Wahrnehmung auf die wirklich gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen, auch wenn deren Wirklichkeit selbst gebrochen, also nicht vollständig wirklich ist (siehe hierzu Geld und Wert).

Angst, Angstzustände

Beschreibung siehe auch [[1]][[2]]

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231.2 Depression

In der Depression äußert sich eine Bedrängnis, die nicht mehr unmittelbar einer Fixation der Wahrnehmung entspringt, diese wohl aber als Gewohnheit einer aufgehobenen Lebensangst vermittelt. Darin wirkt ein ausgeschlossener Sinn nicht unmittelbar, sondern in einem ganzen ausgeschlossenen Lebensgefühl als objektives Gefühl. In der Depression fühlt sich ein Mensch vom Leben selbst bedrängt, wie es seinen Verhältnissen in Wahrheit entspricht, die er nicht ertragen und zugleich nicht im Unterschied zu sich selbst erkennen kann. Er nimmt darin wahr, was er wahr hat, was er aus seinem Leben heraus zwar empfindet, aber nicht wirklich leben kann. Oft treten Depressionen daher gerade dann auf, wenn er wirklich mit Gefühlen zu tun hat, die seinem Leben entsprechen, die er aber nicht in seiner Wahrnehmung erträgt, weil er sich nur im Ausschluss von diesen empfinden kann, nur in ausschließlichen Empfindungen sein Leben wahrnimmt, in Empfindungen, die durch ihre Wahrnehmung selbst unterbrochen und abgebrochen werden, sich in einer Gefühlswelt isolieren, die nicht mehr wahr werden kann. Der Wahrnehmung sind die Zusammenhänge außer ihr selbst unwahrnehmbar geworden, weil sie hiergegen ohnmächtig ist. Die Gefühle, worin sie wahrgehabt werden, erscheinen entäußert und unwirklich und daher in der ohnmächtigen Wahrnehmung übermächtig. Im Gefühl herrscht die Ohnmacht der Wahrnehmung und bestimmt sich gegen die Ausschließlichkeit der Empfindungen, die ein Mensch hat.

Psychische Depression ist daher ein Zustand geistiger Lähmung, eine seelische Erdrückung, die durch ein negativ gestimmtes Selbstgefühl die Wahrnehmung beherrscht und durch ihren Kraftentzug den ganzen Menschen bestimmt. Diese Grundstimmung resultiert aus einer Selbstempfindung, die aus einem Lebensverhältnis ergeht, das sich selbst erschöpft hat und von daher gegen alle Eindrücke auf die Wahrnehmung einschreitet und ihre Gefühle ausschaltet, von da her auch ihre Gedächtnisleistung von ihrem Sinnesvermögen abtrennt.

Sie ist eine zum psychischen Wahrnehmungszustand gewordene Lähmung der Empfindungen durch Gefühle, die objektive Wirkung auf sie haben, durch Gefühle also, die sich in der Bedrängung bis zur Ausschaltung von Empfindungen aufbrauchen (siehe Selbstverlust). Ihrem Grund nach liegt das an einer Lebensangst, die sich nicht mehr wahrnehmen lässt, weil sie symbiotisch geteilt ist (siehe symbiotische Selbstbehauptung), die aber als Gefühl für sich wahrgehabt wird, ohne mit einer Empfindung verbunden zu sein, ohne also einen Sinn für sich zu haben. Die Selbstwahrnehmung wird dadurch negativ bestimmt, dass solche objektiv wirkenden Gefühle aus der Negation ihrer Empfindungen ihre Kraft bedrängen und in ihrem Stress deren Lebendigkeit aufbrauchen, in sich aufheben. Die Erkenntnistätigkeit wird hierbei blockiert und oft auch ihre Erinnerungen zerstört. Dieser Kreislauf der Selbstwahrnehmung, wenn er aus seiner Isolation nicht durch Empfindungen durchbrochen wird, die dem Menschen erkennbar sind und ihn in seiner Erkenntnistätigkeit wieder bestärken, kann zu einer vollständigen Erschöpfung der Lebensenergie führen, die eine Todessehnsucht entwickelt und bis zur Selbsttötung drängen kann.

In dieser Form erscheint die Trennung von Empfindungen durch negativ gewordene Gefühle absolut und dem Betroffenen selbst nicht mehr fassbar, die Kluft dazwischen unüberwindbar, die eigene Wirklichkeit unmöglich, von fremder Gegenwart bedrängt, entgegenwärtigt. Solche Gefühle können schleichend entstehen oder auch schlagartig auftreten, wo sich Menschen an ihre Lebensumstände gewohnt haben, die sich gegen das eigene Leben selbst richten. Zugleich ist dieses Leben hiervon gefüllt, kann sich also nicht mehr von den Umständen unterscheiden. Es verengt sich selbst und nur in der Wahrnehmung wird dies als Bedrängung erfahren. In der Wahrnehmung aber ist das bestimmend, was sie wahrhat, was also die Umstände der Wahrnehmung ausmacht.

Als Zustand, worin Menschen gefangen sind, ist die Depression die Erlebensform einer Selbstentfremdung, die ein erdrücktes Leben reflektiert, ein Leben, das nichtig geworden ist, also die Umkehrung einer Lebensbedrängung zur Selbstbedrängung des Lebens wurde. Der Zustand resultiert aus der Selbstaufhebung von Gefühlen, die völlig grundlos erscheint. Er ist Resultat einer unendlich gewordenen Einverleibung von Selbstwahrnehmungen, in denen eigene und fremde ununterschieden geworden waren.

Das eigene Leben selbst erscheint daher unterschiedslos fremd, als Bedrängnis, weil das darin Wahrgehabte die Gefühle selbst erschlägt, oder - umgekehrt formuliert - die Selbstgefühle einen ausschließlichen Sinn gegen das eigene Leben haben. In diesem Gefühl verbirgt sich eine Abhängigkeit vom Gewöhnlichen. Dies setzt eine verinnerlichte Gewohnheit an das Gegebene voraus, welches der Wahrnehmung eine scheinhafte seelische Identität verliehen hat, die nun in der Wahrnehmung auf sich zurückfällt, wenn sie Leben außer sich, also die entäußerte Form des eigenen Lebens wahrhat. Man könnte daher auch sagen, dass in der Depression alles Eigene entäußert ist und wie ein nichtig gewordener Sinn erscheint. Doch dieser Sinn existiert nur in seiner negativen Wirkung, weil er die in den Erlebnissen entleibte Sinnlichkeit hat. Sie wird daher als Verlust eigener Gefühle, als Selbstauflösung erlebt.

In einem sich selbst bedrängenden Leben wird dieses zu einem Wahrnehmungszustand, worin die Empfindungen mehr oder weniger schlagartig aufgehoben werden, wo Leben als das wahrgenommen wird, was es nicht wirklich ist und eine Wirklichkeit wahrgehabt wird, welche das Leben beherrscht. Oft ist die wirkliche Lebensbedrängnis der Wahrnehmung schon über lange Zeit entzogen, bevor dann bestimmte Wahrnehmungen oder Stimmungen diesen Zustand auslösen. Es können ganze Welten dazwischenliegen, bevor sich dieser Zustand einstellt, wenn sich das Leben über größere Abschnitte hinweg selbst durch fremde Welten bestimmt, die dieses entgegenwärtigen. Depressionen beruhen also auf dem Gefühl einer Entgegenwärtigung des eigenen Lebens.

Die Gefühle befinden sich in einer alles beherrschenden Lähmung, weil ihnen ihre Angst, ihre wirkliche Beengung abhanden gekommen, bzw. überlebt ist, aber als Erregung dennoch die Wahrnehmung bestimmt. Die Unmöglichkeit des Fühlens entspringt einer Selbstentleerung der Gefühle in einem unendlichen Prozess des Scheiterns an ihrer Wirklichkeit, die nicht als fremd empfunden werden kann, weil sie zugleich dem Leben zu eigen ist. In dieser Dopplung wird das Fremde jetzt als Eigenes, als Eigenschaft des Wahrnehmens selbst empfunden. Es gerät in der Wahrnehmung zu einer Selbstbeglückung, durch welche sich die Selbstwahrnehmung aufhebt, sich von sich selbst ausschließt. Hierdurch entsteht eine Wahrnehmungsidentität, die in der Entfremdung die Enteignung bejaht und von daher sich fremde Wahrnehmung zu eigen macht.

Es ist oft ein langer, verborgener Prozess, in welchem als momentanes Glück erscheint, was die Selbstwahrnehmung im Grunde zerstört. So sind es oft Konsumationen, Befriedigung durch Nähe und Einverleibungen, in welchen Beziehungen schleichend ihren Sinn verlieren, um sich dann plötzlich als aufgehoben zu erfahren. Was diese Aufhebung bewirkt hat kann nicht mehr erkannt werden, weil die Einverleibungen selbst zum Inhalt der Beziehungen geworden sind und das Gefühl darin aufgelöst hat. Nichtig gewordene Gefühle bestimmen die Empfindungen selbst zur Bewahrheitung einer Nichtung, die sie wie eine fremde Macht überkommt. Diese Beherrschung wird als Empfindungslosigkeit wirksam, als Verfinsterung der Wahrnehmung. Davon betroffende Menschen finden keinen Sinn mehr in ihrer Wahrnehmung, kein Gefühl und keine Gewissheit. Ihr Leben erscheint ihnen von jedem anderen Leben isoliert, auch für sie selbst unbegreiflich versperrt.

Das aufgehobene Leben verschließt die Wahrnehmung, macht ihre Sinne wirklich zu und enthebt sie ihrer Wirklichkeit. Es ist ein Zustand der Wahrnehmung, in der sich die Selbstwahrnehmung zugrunde gerichtet hat, weil sie sich selbst übermächtig geworden ist, überflutet von einem seelischen Chaos, das darin zu Ende gekommen ist, dass es sich selbst aufgehoben hat und in den Brunnen gefallen ist. Wie aus einem tiefen Loch erscheint in diesem Zustand die Welt unerreichbar und die Selbsterhaltung scheint davon abzuhängen, wielange die Kraft noch reicht, darin zu schwimmen. Darin sind alle Selbstwahrnehmungen nicht nur bedrückt durch die Sinne, welche die Wahrnehmung hat und welche in der Selbstwahrnehmung sich gegen die Wahrnehmung selbst überhoben haben, sondern zugleich auch gefangen wie von Kerkermauern, die jeden Bewegungsdrang ersticken. Erdrückt wird nun die Selbstwahrnehmung durch den im Allgemeinen ausgeschlossenen Sinn der Wahrnehmung, also im Wahrnehmungsprozess selbst. Was die Sinne darin belebt, das erschlägt sie - und zwar in dem Maße, wie sich das Leben darin regt. Das ist fatal.

Es setzt voraus, dass das Leben selbst überlebt wurde, dass alle Beziehungen, Bedürfnisse und Probleme darin selbst schon dem Überleben in rein objektiven Gefühlen gedient hatten. In dem Augenblick, wo sich das Überleben schließlich selbst als unmöglich erwiesen hatte, bricht die Depression aus - z.B. auch nach Hochphasen der Anstrengung wie nach Examen, nach Abbruch wichtiger Beziehungen die sich als prothetisch erwiesen haben oder durch den Tod eines Partners verloren wurden, der Bestandteil einer gewohnten Lebenswelt geworden war.

Der Selbstverlust, den das Selbstgefühl erleidet, beruht auf der Unmöglichkeit des Überlebens, welches das Selbstgefühl betrieben hatte, auf der Unmöglichkleit einer Lebensform, in der es sich aufheben muss. Dies hatte zur Aufhebung der Selbstwahrnehmung überhaupt geführt und hatte sie ihrer Sinne enthoben. In ihrer Ohnmacht wird sie nun von den Empfindungen beherrscht, die ihr untergegangenes Leben erregen.

Der ausgeschlossene Sinn ist in der Depression ein lebendiger Sinn für wirkliches Leben. Er hat sich zu seinem Schatten in und durch die Selbstwahrnehmung entwickelt, die nur wahrnahm, dass sie von sich nichts mehr wahr hatte. Die Depression ist sozusagen die Selbstzerfleischung der Selbstwahrnehmung, die sich aber nicht dort abspielt, sondern in der Aufhebung der Wahrnehmung sich ereignet. Was darin lebendig empfunden wird, tötet die Wahrnehmung unmittelbar ab. Der depressive Prozess schreitet in dem Maß fort, wie die Wirklichkeit der Wahrnehmung durch die sich verschleißende Selbstwahrnehmung aufgebraucht wird.

Von daher ist es oft nötig, sich aus dem depressiven Verhältnis ganz herauszusetzen und wirkliche Wahrnehmung auf sich zukommen zu lassen, auch wenn sie Angst macht. Ohne die Überwindung dieser Angst, also ohne ihrer Verarbeitung ist die Überwindung der Depression auf Dauer nicht möglich.

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231.3 Die Sucht

Der Gefühlszusammenhang depressiver Beziehungen ist ein Zusammenhang vernichteter Gefühle, der sich in den Empfindungen durchsetzt. Von daher kann das auch als eine gegen die Gefühle bewahrte Empfindungswelt aufgefasst werden, die in der Depression erst wahrgehabt wird. Aber eine Welt unbezweifelter Empfindungen kann nur ein bloßes Erdulden und Fühlen in einer unwirklichen, aber in Wirklichkeit mächtigen Beziehung sein. Die hiergegen ohnmächtige Selbstwahrnehmung kann sich daher nur gegen sich selbst fortbestimmen, muss sich also in einen Prozess der Selbstentleibung einlassen.

Sucht entsteht aus der Verzweiflung an zwischenmenschlicher Selbstauflösung, die sich als Gewalt solcher Beziehungen jenseits der wirklichen zwischenmenschlichen Verhältnisse auftürmt. Oft entsteht sie noch inmitten der erzieherischen Beziehung, oft aber auch nach dem Scheitern solcher Beziehungen, die depressive Selbstzerstörungsprozesse hinterlassen haben. Von daher ist Sucht die Überwindung von Depression, die den Zirkel ihrer Selbstauflösung mit geistigem und/oder materiellem Stoff (z.B. Computerspiele, Drogen, Sex) befriedet und zunächst eine neue Gefühlswelt eröffnet, die allerdings den Gefühlszirkel forttreibt und oft auch in einem nicht mehr unmittelbar einsichtigen Gefühlszirkus veranstaltet.

Das Prinzip der Sucht ist, die eigene Gefühlswelt in ihrer Selbstaushöhlung zu überwinden, sie dadurch auszuheben, dass der Selbstwahrnehmung Empfindungen ermöglicht werden, in welchen einzelne eigene Gefühle als Empfindungen wieder menschlich gebunden erscheinen. Da aber diese Einbindung beruht auf einer stofflichen und geistigen Prothese beruht, welche die Empfindungen aus ihrer lebendigen Wirklichkeit isoliert und vereinseitigt, kristallisieren diese sich zu einem Selbstgefühl, dessen Selbständigkeit eine unnahbare Gefühlsidentität erlangt. Von da her ist Sucht ein seelisches Unterfangen, welches verzweifelte zwischenmenschliche Beziehungen durch isolierte Selbstwahrnehmung abfängt und aufhebt.

Hierdurch aber bewahrt Sucht vor allem die Verzweiflung in einer pervertierten Form, als eine wiedergefundene Identität im Gefühlsrausch von Bezogenheiten, die wie eine glückliche Wiedererlangung einer verlorenen Bindung erscheinen können. Diese Bindung erfolgt allerdings nur durch einen Stoff, welcher den Gefühlszusammenhang ausblendet, einen Stoff, durch den er negiert wird. Der betroffene Mensch versetzt sich hiermit in einen Zustand, worin ihm zwar einzelne Empfindungen als vereinzelte, isolierte Empfindungen gegenwärtig werden, welche aber zugleich durch sein Gefühl ansonsten beherrscht blieben.

Aber diese Mittel überwinden nicht die wirklich negative Beziehungen seiner Gefühle, sondern verstärken sie eher unter der Haut. Sie bleiben den Empfindungen völlig äußerlich und sind also nur quantitative Bestimmung für sie, auch wenn sie unterschiedliche chemische Wirkungen auf die Rezeptoren haben und unterschiedliche Eigenschaften des Empfindens hervorbringen.

Allgemein werden hierdurch Selbstgefühle mit Selbstempfindungen ersetzt, die jene dadurch möglich machen, dass sie die Wahrnehmung von ihren Gefühlen trennt, bzw. den Körper auf ein hierfür nötiges Tempo (Speed) bringt. So werden ihre organischen Tätigkeiten (z.B. Schmecken, Hören, Denken, Phantasieren, Riechen, Geschlecht usw.) zu Objekten von Gefühlen, die ihre Aufhebung nötig haben und dadurch betreiben, dass sie in diesen Tätigkeiten ihre Mittel finden für ein Lebensgefühl, das sich in Selbstempfindungen zu gewinnen sucht.

Sucht ist die Notwendigkeit eines Sinns, der sich seinem Leben entzogen und verweigert hat, nicht mehr passiv, depressiv, sondern aktiv als Sinn für sich, als Überlebensnotwendigkeit gegen ein vollkommen überhobenes Leben. Aber dadurch, dass das hiergegen gesetzte Lebensgefühl sich nur durch äußere Mittel und also auch nur durch äußere Vermittlung bestimmt, kann es auch nur den Gefühlsgewalten herrschender Lebenszusammenhänge unterworfen bleiben.

So erliegt der süchtige Mensch nicht nur den sozialen Gewalten, die ihn aufgelöst hatten, sondern zugleich auch seiner Flucht vor ihnen. Das macht die Einsicht in den eigenen Lebenszusammenhang innerhalb des Suchtverhaltens, also bei fortwährender Einverleibung der Suchtmittel, praktisch unmöglich. Solange diese Mittel unvermindert eingenommen werden, bestimmen diese den Ausschluss des Lebens, dessen Sinn objolet geworden ist. Von daher wird der/die Betroffene durch seine Überlebensmittel selbst unendlich nichtig bestimmt, kann also auch nur durch unendliche, also nicht enden wollende Zufuhr dieser Mittel sich erhalten. Sucht ist die sich ins Unendliche steigernde Heraussetzung eines negierten Selbstgefühls im Prozess seiner Negation: Selbstzerstörung.

Damit ist sie auch die sublimste und höchste Affirmation des Lebens, dem sich der süchtige Mensch zu verweigern sucht. Er wird von dem abhängig, was er hasst und was ihn vernichtet. In der Suche nach einem Überleben in einem Leben, das er nicht haben will, betreibt er objektiv die Vollstreckung seiner Vernichtung durch die Mittel, mit denen er sich ihm entzieht.

Die Auflösung einer Sucht kann daher nur die Auflösung der in ihr zirkulierenden Depression sein, die Herausarbeitung des zwischenmenschlichen Zusammenhangs, der sich selbst zerstört hatte. Das verlangt allerdings einen enormen Einsatz der darauf bezogenen Menschen, vor allem ein hohes soziales Engagement und das Ertragen eines beständig bedrohten Sinns während der Suchtbekämpfung.

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231.3.1 Todessehnsucht und Selbstentgrenzung

Die gewöhnliche Egozentrik der bürgerlichen Persönlichkeit setzt sich selbst als Grenze gegen Fremdes dadurch, dass Fremdes einverleibt wird und die Selbstwahrnehmung bereichert. Umgekehrt stellt sie damit sich als allseitige Persönlichkeit einer sich selbst fremden Welt her. Innerhalb einer erzieherischen Beziehung begründet sich hierdurch ein objektives Selbstgefühl, das sich selbst unendlich begründet sieht. In seiner inneren Allseitigkeit zerfließt es in ein leeres, aber ganz allgemein wirksames Ego.

Die Grenzen zwischen sich und anderen Menschen verschwimmen, weil die Abhängigkeit von einer gemeinsamen Lebenskultur zu einer Hörigkeit geworden ist, in welcher die Gefühle selbst wie Welten der Erkenntnis füreinander gelten. Damit lässt sich alles machen und alles verschwindet dadurch auch in den Menschen selbst. Sie vielseitig und differenziert sie in ihrer Selbstbezogenhet erscheinen mögen, so einseitig wird nun ihre wirkliche Identität.

Es ist eine Sehnsucht nach Entleerung der quälenden Vielfalt, deren Wirkung eine Selbstzerstörung ist, das unendliche Pochen der Empfindung gegen ein Gefühl, welches sich darin gaz allgemein verliert. In einer Todessehnsucht tritt ein Verlangen auf, aus dieser Welt zu scheiden, das aber zugleich ein Verlangen ist, sich unendlich über diese Welt als Gefühl für alles zu stellen - als ein Gefühl, das durch seine Allseitigekeit zu einer Allmacht über Leib und Leben gezwungen ist. Es treibt jede Selbstverwirklichung in ihr Gegenteil: In eine Ohnmacht gegen sich selbst.

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231.3.2 Die progressive Selbstvernichtung

Der Trieb der Negation verlangt eine Wahrnehmung, die sich darin gewinnt, dass sie das Wahrgenommene selbst nichtet, dass sie also etwas für wahr nimmt, was das aufhebt, was sie wahrnimmt. Was in der Depression noch Angst war, wird hier zu einem Prinzip, das sich selbst nur durch Entgegenwärtigung erhält, indem es Gegenwärtigkeit als Bedrohung abwehrt. Es ist ein sich vertiefender Selbstverlust, der nurmehr durch Erlebnisse durch Ereignisse oder Stoffe sich entwickeln kann. Die Erlebensucht (z.B. Sexsucht, Internet usw.) sind daher die Wahrnehmungsformen, in denen sich schließlic die Sucht selbst ausbildet.

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231.3.3 Rauschmittel- und Erlebenssucht

Was allgemein ausschließlich als Suchtverhalten interpretiert wird, ist die Erlebnissucht (auch die Sucht nach Glücksspielen oder Computerspiele), also die Sucht nach Erlebnissen, die als solche nicht wirklich entstehen, sondern durch Ereignisse, Rauschmittel und dergleichen erzeugt werden müssen.

Es geht dem Süchtigen nicht wirklich um das bloße Erleben oder um die Bewusstseinserweiterung, wie das oft vermutet wurde, sondern vor allem um die Entstellung seiner Wirklichkeit. Er will sich durch Rauschmittel eine Welt herstellen, die sich seinem Selbstverlust in seiner Wirklichkeit entgegenstellt, seine Depression auflöst, indem ihr eine andere Wirklichkeit in dieser Absicht entgegengestellt wird. Deren wesentliche Wirkung ist der Rausch, der allerdings nur durch die hergestellten Ereignisse und Mittel für eine bestimmte Zeit einen Menschen über seinen Selbstverlust hinweg forttragen kann und in dem sich seine Wahrnehmungen nicht wirklcih auflösen, sondern zu einer inneren Macht einer fremdbestimmten Selbstvergegenwärtigung verschmelzen. Diese übernimmt zunehmend die Herrschaft über die Selbstwahrnehmung und ist im Grunde ohne Schranken und Grenzen, befördert also ihre Entgrenzung.

Solche Berauschungen werden aber oft auch nicht gut ertragen, wenn sie verflogen sind. Der Moment des Rausches lässt das alles erträglich scheinen, steigert aber seine wirkliche Unerträglichkeit und gerät durch die erträgliche Selbstwahrnehmung im Suhtverhalten zu einer Erlebensspirale ins Unendliche, welche die zugund liegende Depression verstärkt.

Die Sucht bildet schließlih ein Streben nach einer Eigenwelt des Selbstgefühls aus, das sich gegen die Ungegenwärtigkeiten der depressiven Wahrnehmung wendet, eine eigene Wirklichkeit der Selbstgefühligkeit betreibt, die sich durch Hinzunahme von Mitteln, welche die Wahrnehmung entsprechend verändern, in ihrer Isolation ertragen lässt, weil sie damit eine Gegenwart gegen die Entgegenwärtigung erzeugen kann. Ihr Trieb zielt auf ein abstraktes Selbstgefühl, das sich gegen dessen Objektivität überhaupt wendet und aus Körpererlebnissen heraus eine Subjektivität einer durch Suchtmittel entfremdeten Selbstwahrnehmung erstellt.

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