Vergeltungstrieb
Wo die Selbstachtung in zwischenmenschlichen Verhältnissen durch Selbstverlust aufgehoben wurde, sucht die Selbstwahrnehmung die Geltung einer Wahrheit für sich. Diese verlangt aber schon durch sich die allgemeine Gültigkeit einer Bewertung, stellt also die Gültigkeit einer Eigenschaft als allgemeinen Wert dar, der in der Lage ist, Selbstachtung durch Selbstwert zu ersetzen. Hierbei ist einerseits die Allgemeinheit des Vorhandenseins allgemeiner Lebenswerte unterstellt, die eine allgemeine Selbstwahrnehmung zufrieden stellen können, die sie also durch die Kultur einer äußerlichen Adäquanz der Wahrnehmung zufrieden sein lassen (siehe hierzu auch heile Welt). Zugleich aber wird auch erst mit dieser Bewertung die allgemeine Gültigkeit eines Werts hergestellt, an der es dem Einzelnen ermangelt, weil ihm diese äußerlich begegnet. Von daher ist mit dieser Geltung eine Eigenschaft einerseits subjektiv hervorgehoben, wird aber allgemein als Wert durch allgemeine Anerkennung dieser Geltung erzeugt. Dieses Geltungsstreben existiert daher als Streben nach einem Selbstwert, durch dessen praktische gesellschaftliche Bestätigung allgemeine Anerkennung als äußerliche Gültigkeit, als abstrakt allgemeiner Sinn (siehe abstrakt menschlicher Sinn) der Selbstwahrnehmung gesellschaftlich objektiv wird. Dies macht die Grundlage für das Bedürfnis nach Geltung aus, welche das Selbstgefühl verlangt und ein Geltungsbedürfnis begründet, um sich im Allgemeinen behaupten zu können.
Das Geltungsstreben der Menschen in zwischenmenschlichen Verhältnissen wird kopflos, wenn es kulturell ausgegrenzt wird, wenn es durch eine gesellschaftliche Kulturmacht ausgewiesen wird. Die Eigenliebe (siehe Narzissmus), auf die es zielt, verkehrt das Selbstgefühl zu einem Vernichtungsgefühl, das nun stattdessen die Selbstwahrnehmung durch einen unsäglichen Hass antreibt. Hass ist verbrannte Liebe, das Gefühl einer Vernichtung durch Gleichgültigkeit, die in ihrer Beliebigkeit unendlich mächtig erscheint, weil darin das Geltungsstreben eines ausgeschlossenen Selbstgefühls verkörpert ist, darin der Schmerz der gewaltsamen Trennung einer symbiotische Selbstbehauptung einverleibt wurde und nun als Vergeltungsstreben in einer schlechten Unendlichkeit als Vergeltungstrieb vorherrscht. Im Hass verbleibt der Schmerz einer narzisstischen Bezogenheit, die für sich sinnlos geworden war und keinen Sinn findet, sinnlich nichts anderes mehr empfindet als das Gefühl, von ihrem Leben ausgeschlossen zu sein - und der sich vielleicht auch schon in einer Gemeinschaft eingeschlossen hat, die eine schlechte Negation hiergegen verwirklicht.
Was nicht mehr gelten kann, behält dadurch eine nichtige Geltung, eine in der Negation ihrer narzisstischen Selbstwerte, ihrer Selbstveredelung verharrende Geltung, die sich nur durch das Bedürfnis nach Vergeltung äußern kann. Der Gegenstand der narzisstischen Selbstwahrnehmung kehrt sich in eine Selbstentfremdung, die sich nurmehr durch die Wahrnehmung von Vernichtung befrieden kann. Sie muss daher von deren Gründe in ihrer Wirklichkeit absehen und eine Abstraktionsskraft entfalten, die sich in Depresssionen ebenso wie in Aggressionen oder wie beides in einem Gefühl allgemeiner Nichtung äußert. Der so entstandene Vergeltungstrieb kann darin schließlich auch in einen Todestrieb übergehen, wie ihn etwa auch schon S. Freud beschrieben hatte.
Denn was die Psychebetreibt, was ihre Absichten und Gefühle erreichen können, ist lediglich die Verwirklichung ihrer Selbstbezogenheiten, die sich im Resultat ihrer Selbstverwertungen wie der personifizierte Edelmut ihrer Absichten herausstellen, auch wenn dieser vernichtend ist. Alle zwischenmenschlichen Beziehungen, die ihr vorausgegangen sind, stellen sich darin nicht mehr als bestimmte Absicht, sondern als Orientierung persönlicher Vorlieben und Handlungen dar. Der Anschein eines inneren Individualwesens, das jenseits der gesellschaftlichen Verhältnisse nun in der selbstbestimmten Persönlichkeit des Bürgertums als höchste Sinnesform des Lebens zur Geltung gelangt zu sein scheint, bestimmt nun die zwischenmenschlichen Beziehungen so, als ob es nichts anderes mehr gebe, als ob die Selbstgefühle und Absichten der Psyche keine Herkunft aus ihren Lebensverhältnissen mehr hätten, weil sie als Status einer Befindlichkeit und eines Befindens, als zwischenmenschliche Eigenschaft einer Person auftreten.