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4. Was n�tig ist, das f�gt sich
Dass sich einzelne Organe gegeneinander verselbst�ndigen und in dieser Trennung beharren, entsteht nicht durch irgendein bestimmtes Trauma oder eine Trieb�berflutung (vgl. Freud). Die Trennung entsteht in einem Erkenntnisprozess, der in seinem Werden schon den Zwiespalt einer Liebe zu ertragen hatte, der als Lebensbedingung eines Menschen bestimmend ist. Und dieser besteht fort, wie jeder andere Sinn auch. So wie sich ein Geschmack, eine F�higkeit, eine Zuneigung oder eine Gewohnheit in dem Sinn entwickelt, der in den Bedingungen seines Entstehens ausgeformt wird, so besteht dieser auch in einem Menschen als seine Neigung, Gewohnheit, Geschmack, F�higkeit usw. fort, solange sich die Lebensbedingungen nicht wesentlich �ndern. Es ist nicht die Erziehung, die das betreibt; es ist die sinnliche Grundlage einer jeden Kultur, ihre schlichte Subjektivit�t, die sich in ihren Werken auch objektiv ausdr�ckt und darin auch entwickelt und best�rkt, was f�r den Menschen als n�tig gilt oder als Notwendigkeit gesetzt wird. Und auch in ihrem Fortbestehen wird sich ein gro�er Teil der so entstanden Sinne bew�hren und "wie von selbst“ und ohne jeweilige theoretische oder institutionelle �berpr�fungen und Kontrollen einen Gro�teil des Alltagslebens erf�llen und ausf�llen. Wo die Sinne aneinander gewohnt sind, weil sie sich kennen, sind sie auch frei f�r neue Erkenntnisse, um hieraus auch neue F�higkeiten, Neigungen, Geschm�cker usw. zu bilden. Allerdings ist hier unterstellt, dass diese Sinne einfach und eindeutig sind, wenn sie den Kreislauf der Sinnlichkeit so selbstverst�ndlich durchlaufen.
Wenn sie selbst zwiesp�ltig sind, erreichen sie diese Freiheit f�r neue Entwicklung nicht. Sie haben den Widersinn auszutragen, dass sie sich befl�geln, wo sie sich hemmen, dass sie erzeugen, worin sie auch untergehen. Es ist zun�chst einmal ihr Schicksal, in einer schlimmen Unendlichkeit Vergangenes zu vergegenw�rtigen, das jede Gegenwart nimmt. Sie werden sich nur selbst so vertraut, wie sie sich auch entfremden. Dieser Kreislauf der Selbstentfremdung spielt sich daher in einem Menschen selbst ab, obwohl er au�erhalb von ihm verursacht war und er auch au�erhalb von sich best�tigt wird. Die Lebensereignisse, die unter solchem Zwiespalt entstehen k�nnen, verlaufen in ihm so, dass er auch durch die Ereignisse, die hieraus entstehen, best�tigt ist. Wie in einem geschlossenen System der Sinne muss er fortbestehen – im K�fig der eigenen Sinnlichkeit. Wir werden sp�ter den Aus- und Durchbruch aus diesem Gef�ngnis angehen; hier soll erst mal beschrieben werden, wie sich das f�gt, was zugef�gt wurde.
Der Wahnsinn ist durch �u�ere Einwirkung bestimmt, die er innerlich ausdr�ckt, w�hnt und fortreibt. F�r sich ist er absolut ohnm�chtig. Ein Mensch im Wahn kennt keine Entfremdung, weil er sich nicht von anderem unterscheidet, weil er anderes in sich erlebt, weil er Fremdes als Eigenes wahrnimmt. Das macht ja gerade das Erkenntnisproblem aus, mit dem ein Mensch um seine Wahrheit k�mpft. Der Wahnsinn selbst erkennt, was n�tig ist und Not hat, aber dies eben nur in der Form vollst�ndiger Bedr�ngnis. Auch wenn man �ber ihn sagen kann, dass er seine eigenen Lebensverh�ltnisse ausdr�ckt, so tut er das doch nicht unmittelbar wirklich. Sie stecken im Menschen wie ein Gottesurteil, ein Gericht, ein Bild, eine Stimme usw., verschmolzen in einem permanenten Zwiespalt des Erkenntnisverm�gens, zwiesp�ltige Sinnlichkeit zwischen Tr�umen und Wachen. Der Wahn erscheint als T�cke des Lebens. Er tritt eben meist nicht in den Verh�ltnissen auf, denen er entstammt, sondern erst jenseits hiervon, n�mlich dann, wenn ein Mensch den Lebensraum verlassen hat, der den Wahnsinn keimen lie�. Hier hatte sich der Wahnwitz schon ausgelebt, der sich erst dort als Sinn eines Menschen wirklich macht, wo er sich mit seinen geschlossenen Lebensbedingungen nicht mehr deckt.
Das macht die Verlorenheit des Betroffenen aus. Sich hatte er nicht Leben k�nnen in den Lebensr�umen, die ihn verr�ckt gemacht haben, und auf andere kann er sich nicht beziehen, weil er sich selbst in ihnen nicht erkennen kann. Gerade das, was in den geschilderten Lebensr�umen und Strukturen als Lebensverh�ltnis formal vorausgeht, was die Beherrschung seiner Sinne bewirkt hatte, gilt jenseits dieser Verh�ltnisse als selbstverst�ndliche Lebensgrundlage f�r jeden Menschen, der seiner Herkunft entwachsen ist und der dann f�r sich das Leben bilden muss, was ihm subjektiv eben m�glich ist. Die "Familienbande" oder die Beziehungen in �hnlichen pers�nlichkeitsbestimmte Instituitionen (z.B. Heime), diese abgeschiedenen Beziehungsgeflechte ohne wirklichen Austausch von Eindr�cken, Gef�hlen und Empfindungen, haben sich in ihm als Grundlage seines Selbstgef�hls so hinterlassen, dass er keine Gewissheit f�r seine Wahrnehmung hat, dass alles ungewiss bleibt, was er tut, dass er nichts f�r sich bilden kann, worin er sich erkennt, womit er sich aber identifiziert, weil er es n�tig hat, weil er sein Leben als Lebenszusammenhang der Institution verteidigen muss.
Die eigentliche Macht, die seine Wahrnehmung bedr�ngt, kommt nicht aus den Menschen und den Widersinn ihrer Beziehung – die mag Lebensinhalt f�r sie gewesen sein, Arbeit, Irrsinnigkeit. Die Macht kommt aus der Lebensstruktur dieser Beziehungen, die auch den Grund ausmacht, warum sich die Menschen darin voreinander verstecken m�ssen: Mit den bescheidenen M�glichkeiten ihrer Person sollen sie in der abgeschiedenen Welt voll und ganz Mensch sein, sollen Leben gr�nden und bezeugen. Ihr Versagen ist so nat�rlich wie auch formbestimmt. Den isolierten Menschen kann es nicht geben. Und je individualisierter eine Gesellschaft ist, desto m�chtiger ist der Druck, der auf den Individuen lastet. Ihm entweichen sie durch ihre Lebensburg, ihrem abgeschotteten Zuhause, einem Geflecht von Selbstbezogenheiten, die sie in einem Gemeinschaftssinn verstecken, in einem Familiensinn oder �hnlichem, der sich zur Erhaltung des Lebensraumes als Pflicht gegen jeden durchsetzen muss.
Den letzten bei�en die Hunde. Es sind die Kinder. Weil diese Bande der versteckten Selbstbezogenheiten ihr Leben ausmachen und es auch weiterhin an solche Geflechte fesseln, vollzieht sich in ihnen, was f�r den Erhalt dieses Lebens n�tig ist. Es ist ihre Lebensschuld und sie erfahren es auch als Schuldgef�hl gegen�ber der Generation der �lteren, den Tr�gern solcher Lebensstruktur. Ein Mensch wird darin wahnsinnig, wenn eine solche Beziehung dann auch noch in sich selbst widersinnig ist (Wahnsinn meint auch "Wahnwitz“), wenn sie einen Sinn hat, der nicht wirklich sein kann, der aber durch Gebrauch der Struktur (z.B. Erziehung durch Lebensangst, F�rsorge als Bindung) wirksam wird (dies ist immer eine Form des Kindesmissbrauchs). Sobald das Kind dieser Scheinwelt entw�chst, sobald es ein selbst�ndiger Mensch wird, in dem sich eigenes Leben, Empfindungen und Gef�hle f�r andere regen, hebt sich dessen Selbstwahrnehmung fortw�hrend in der selben Weise auf, wie sie durch die "erste Welt", durch die Grunderfahrung menschlicher Beziehungen (Familie, Heim, Internat usw.) auch aufgehoben worden war. Jede Regung in seinen Gef�hlen wird sogleich von einem Sinn beherrscht, den diese nicht durch sich haben, weil er nur in den Lebensstrukturen hauste. Wie eine �bersinnliche Gewalt sticht diese fremde Kraft in die Wahrnehmung des Betroffenen und treibt die Sinne an der Stelle auseinander, wo sie gerade zusammenfinden m�ssten, genau dort, wo ihre Beziehung Identit�t haben m�sste. Sie haben eine Kluft in sich, die ihr Leben an der Stelle aufteilt, an der es nicht zusammenfinden darf, soll der Lebensraum fortbestehen, g�ltig bleiben k�nnen, dem sie entsprungen sind und der vielleicht auch schon wieder lebensnotwendig wird. Auch wenn es diesen Raum nicht mehr gibt, haben solche Menschen eine zu m�chtige Bedrohung in ihrer Geschichte erfahren, als dass sie jetzt ohne Weiteres f�r die Auffassung einer g�nzlich anderen Gegenwart frei w�ren.
Eine freie Auffassung der Welt aber, eine offene Wahrnehmung dessen, was ein Mensch f�r sein Leben wahr hat, ist die Grundlage des Erkenntnisverm�gens eines Menschen, seiner F�higkeiten, wahr und falsch zu unterscheiden, sich zu �u�ern, seine Bed�rfnisse zu erkennen und besteht auch in der Beziehung auf andere Menschen als Grund f�r sein Verlangen, seine Sehnsucht und sein Begehren. In seinem leibhaftigen Organismus wirkt seine k�rperliche Geschichte ebenso fort, wie seine geistige, und dies macht seine Wahrnehmung, sein Erkenntnisverm�gen f�r alle weitere Geschichte aus. Sie ist von der �ffentlichen Welt weit entfernt und hierf�r auch nicht ger�stet.
Die vergangenen Lebenstrukturen haben Lebensangst und Zweifel hinterlassen. Und deshalb k�nnen sie erst �berwunden werden, wenn neue Verh�ltnisse wirkliches Leben entstehen lassen – und darin liegt das Problem f�r die weitere Geschichte. Eltern haften nicht mehr f�r ihre Kinder. Pflicht und Schuld haben ihren Raum verloren. Was in der Familie als Lebensmittel existieren musste, findet gerade deshalb nicht von selbst einen eigenen Lebensgrund, weil die Lebensgeschichte eines abgrundtiefen Schuldverh�ltnisses in dieser Familie als m�chtige Vergangenheit in die Gegenwart greift. Wo ein Mensch sich selbst nicht erreichen konnte, nie als Mensch best�tigt, nie eigen war, da f�llt er in jeder Not in das zur�ck, was er immer schon sein und zugleich fliehen musste.
Solches Familienleben war eben nicht nur ein Verh�ltnis. Es war ein Lebensverh�ltnis, worin sich Menschen nicht erkennen konnten, weil sie sich als Lebenstr�ger benutzen mussten. Hierdurch waren sie ihrem eigenen Lebenszusammenhang sinnlich unterworfen. Wer dem Schuldverh�ltnis der Familie ergeben war, erf�hrt nun dieses Verh�ltnis als Verhalten seiner Sinne gegen sich, solange er keine Best�tigung f�r das findet, was er ist. Das ist die Grundlage seiner Empfindung. Aber er findet sie nicht, solange er sich nur so �u�ern kann, wie er nicht ist, sondern wie er sein soll. Es ist ein Teufelskreis, weil er keinen Sinn f�r sich hat und keinen Sinn f�r sich findet, solange er alles nur durch sich f�hlt und au�er sich nicht empfinden kann.
Psychiater und Psychologen und oft auch die Betroffenen selbst nennen es Krankheit, was sich da selbst�ndig gemacht hat. Ein solcher Begriff gibt jedem seine Existenz, indem er behauptet, dass ein Mensch an einem Gebrechen leidet und einziger Grund seiner Krankheit wie Gesundung ist und deshalb auch nur Hilfe von seiten der Gesunden und Gesundmacher als Angebot und Dienst der "�ffentlichen Gesundheit“ n�tig hat. Deshalb werden ihm von therapeutischer Seite auch �berwiegend nur die Mittel gereicht, durch die er "beraten“, "beruhigt“ und "versorgt“ wird. Meist setzen diese Mittel den Zynismus um, den der Krankheitsbegriff schon enth�lt: Krankheit ist Siechtum und dem muss abgeholfen werden, indem man die Symptome, an denen man es festmachen kann, abschafft, Mittel bereitstellt, die sie verschwinden lassen, und dann der Mensch als wiederhergestellt gilt, wenn sie getilgt sind – egal was die Gr�nde davon waren und was aus ihm sonst dabei geworden ist. Das n�mlich sind dann die "Nebenwirkungen“. Jedenfalls beherrschen die Mittel, also Lebensberatung, Technik, Chemie und Institution, sein Leben. Es wird geplant und eingel�st.
Aber ein Mensch im Wahnsinn hat eine tiefe Kr�nkung erfahren, die damit nicht aufgehoben werden kann. Im Gegenteil; sie besteht f�r ihn jetzt doppelt, denn jetzt erf�hrt er sie auch noch in der Rolle des "Patienten“. Es war urspr�nglich nicht eine Kr�nkung des Gem�ts, seines Stolzes oder seiner Seele; aber jetzt wird es dieses. Das deckt sich brutal mit seiner Vergangenheit. Er ist seiner eigenen Sinne unmittelbar enthoben: Sie sind seine, und doch nicht sein Eigen; in ihnen sitzt die Pflicht, die seine Schuld ausmacht; sie k�nnen sich nicht �u�ern, weil sie immer zugleich au�er sich sind; sie m�ssen sein, wie sie sein sollen.
Ging es urspr�nglich um eine Liebeskr�nkung, durch die das Erkenntnisverm�gen eines Menschen bedr�ngt wurde, so ist es jetzt die Unterbrechung seiner Rezeption (Psychopharmaka bedr�ngen den Stoffwechsel der Rezeptoren an den Synapsen der Nervenzellen). Er erlebt alles nochmal durch die Institutionalisierung von "psychischer Krankheit“: Wenn Eltern ihr Kind einst nicht sein lassen konnten, wie es ist, so betreibt die Institution jetzt die Aufhebung des Menschen durch das, was er sein soll. Waren seine Regungen in der Familie im Brennpunkt des elterlichen Interesses, so werden sie nun durch die Mittel verbrannt, die sie niermachen. Die Egozentrik der Eltern war die Ohnmacht der Kinder – weil sie ihre Eltern lieben. Jetzt wird es die Macht der Institution, die durch Diagnose und Lebensplanung mitteilt, was ein Mensch f�r die Gesellschaft ist und was er darob werden muss. Der Mensch funktioniert ungebrochen mit seiner Kultur, wenn er den Definitionen der Gesundheitorganisation (und Gesundheitsbeh�rde) amts�rztlich entspricht. Wo er au�er sich ger�t, da muss er dahin gebracht werden, dass er bei sich bleibt. Ziel ist eine Reparatur am Menschen, damit seine Lebensbedingungen bleiben k�nnen, was sie waren.
Aber ein Sinn kann nur au�er sich sein, wenn er keinen Sinn haben darf. Hatte sich die Existenzform der b�rgerlichen Gesellschaft schon in der Vereinzelung menschlicher Lebenszusammenh�nge durchgesetzt, so wird der Mensch nun final an diese Verh�ltnisse angeglichen: Sein Leben muss den Sinn haben, mit dem man darin bestehen kann. Entweder er gibt jeden Sinn auf, oder er lebt damit, was ihm an Sinn geboten wird. Es ist, als ob jetzt die Lebensfalle zuschnappt und der gro�e Bruder an die Macht kommt.
Durch solche Form von "Therapie“ wird die Kr�nkung total. Die doppelte Bedeutung des Wortes Sinn, der k�rperliche wie geistige Wortsinn, der Sinn des Lebens, wie die lebenden Sinne, existieren darin wie von Sinnen. Der widersinnige Wortsinn existiert ja tats�chlich l�ngst schon als Widerspruch der Selbstwahrnehmung eines Menschen, der pers�nliche Macht total erfahren hatte: in den Sinnen haust fortan ein Sinn, der seelisch begr�ndet erscheint, ein �bersinnlicher Sinn, der die eigene Nichtigkeit solange betreibt, solange sich Empfindungen und Gef�hle nicht treffen. Die Gef�hle enthalten solange die Macht vergangener Lebensbedingungen, solange diese sich auch weiterhin als notwendige Lebensstruktur best�tigen. Solange in den Gef�hlen die Kraft der Nichtigkeit sinnlicher Gegenwart haust, kann eine Therapie, welche diese Gef�hle nur bedr�ngt, kein Leben entstehen lassen. Die Vergangenheit beherrscht als Selbstgef�hl die Gegenwart der Empfindungen auch in ihrer abgestumpften Form – je stumpfer, desto unbeholfener und unl�sbar. Sie verlangt ein Leben, dessen Wirklichkeit notwendig immer unm�glicher wird f�r den, der solche Bedingung gelebt hatte und seine Sinnessch�rfe genommen bekommt. Durch solche Psychotherapie versichert sich die Kultur ihrer Selbsterhaltung jenseits der Menschen. An der Behandlung des Wahnsinns zeigt sich ihr innerster Zweck. Nur wenn und wo sie ihn freilassen kann, beginnt sie ihre Menschwerdung.
Die Menschwerdung der Kultur beginnt mit der Kritik der b�rgerlichen Kultur auf all den Ebenen, auf denen sie ihre Macht vollstreckt. Es sind die Lebensstrukturen, die sich nicht �konomisch, sondern zwischenmenschlich aus ihr ergeben. Die Familie oder vergleichbare Formen struktureller Individualisierung von Kultur m�ssen auf das zur�ckgef�hrt werden, was sie f�r eine gegebene Kultur auch wirklich sind – was sie sich als Scheinwelt vormachen, um eine Existenz zu bewahren, die menschlich gar nicht funktionieren kann.
Die Familie hatte in unserem Fall ein Leben erzeugt, das seine Wirkung zum einen nur als Sinnesmacht ausf�hrte in einem �bersinn, einer Familienseele, welche die wirklichen Verh�ltnisse �berdeckte. Zum anderen enthielt die Hintersinnigkeit der isolierten und bedr�ngten Sinnlichkeiten ein Leben in verr�ckter Gestalt. Ohne die Erkenntnis dieses Lebens bliebe man man hiervon intelektuell entr�ckt – es macht keinen Sinn, etwas mit gro�em theoretischen Aufwand abzusto�en, das sich durch ein paar Worte erledigen lie�e. Es ist wichtig, die Macht und Gewalt darin als Lebensform eines Unverm�gens zu sehen, menschliche Sinnlichkeit gesellschaftlich leben. Eigene Beziehung auf andere Menschen wird dadurch fremd, dass sie sich in der Struktur nur erf�llt, in welcher sich Menschen als Lebenstr�ger benutzen. Eine Vergewaltigung der Menschen findet auch schon statt, wenn ihnen eine Liebe abverlangt ist, die sie ihren Lebensverh�ltnissen unterwirft. Umgekehrt ist der Missbrauch von Kindern vor allem deshalb so folgenschwer, weil die Kinder zu ihrem Vergewaltiger auch eine Beziehung haben, deren Verleugnung sie von sich selbst wegtreiben w�rde und dessen Anerkenntnis sie zugleich niedermacht.
Auch der Missbrauch von Kindern besteht schon lange vor jeder sexuellen Manifestation in den famili�ren Verh�ltnissen, an denen alle beteiligt sind, auch wenn er keinen sexuellen Ausdruck bekommt. Die eigentliche Brutalit�t hierbei ist die Ausnutzung der urspr�nglichsten Liebe eines Menschen f�r einen hinterh�ltigen Sinn, f�r einen Hintersinn, der das Leben bedr�ngt, und der nicht dort verarbeitet, aufgel�st, erf�llt oder verneint wird, wo er entsteht und vergehen kann. Um diese Gewalt zu erkennen, gen�gt nicht die Abweisung oder Wegsperrung des Gewaltt�ters. Es sind die Geschichten dieser Liebesbeziehungen, die eine Verstrickung von Regungen hinterl�sst, die schuldig machen und unheimlich scheinen. Bedrohlich an ihnen ist vor allem die Bindung an das Seelenhafte, das �bersinnliche, das �berm�chtige, das die Erkenntnis dieses Lebens verstellt und endlosen Selbstzweifel und Ohnmacht hinterl�sst. Die Hintersinnigkeit von Macht in personenstrukturierten Verh�ltnisse muss unwirksam gemacht werden, um den Menschen entgegenzutreten, die darin ihre menschliche Selbstverlorenheit als Eltern gewaltt�tig gegen Kinder umsetzen und Gewalt dort fortpflanzen, wo keine Entgegnung m�glich ist. Hierin steckt f�r die Kinder die Bedingung, eine Gewissheit des eigenen Lebens zu finden und lebend zu empfinden. Das aber ist nur durch Ver�nderung familiarer Verh�ltnisse m�glich (gleichberechtigtes Arbeiten und Freizeitgestalten von Erwachsenen beiderlei Geschlecht, selbstorganisierte Kinderbetreuung mit eigenem Kinderrecht, erweiteres Selbstbestimmungsrecht der Kinder gegen�ber Erwachsenen durch Anzeige von elterlicher Gewalt usw.).
Die seelische Gewalt k�nnte damit vielleicht vorzeitig schon hie und da blockiert werden. Aber eigentlich vermittelt sie sich ja sublimer aus der Kultivation menschlicher Sinnlichkeit, aus dem Kulturverh�ltnis abstrakt menschlicher Sinne. Von dieser Seite her zeigt sich, dass der seelische Zustand nicht einfach determinierte fremde Macht, vollst�ndige Fremdbestimmung ist, wodurch er reine Objektivit�t, eine einfache Frage zwischen Macht und Gewalt w�re und sich sozusagen �ber einen Menschen st�lpt wie eine fremde Haut, sondern es wirkliches Leben im Zustand eines Kampfes zwischen Hintersinn und Liebe, Fremdem und Eigentum gibt.
So kann man das "Krankheitssymptom", das Psychiater wie einen Schaden an der �ffentlichen Gesundheit beheben wollen, jetzt als sinnvolle �berlebenskunst ansehen. In ihm erscheint zwar das wirkliche Leben negiert, unwirklich, entsinnlicht, aber gerade von da her ist das beherrschte Sinnesorgan zugleich wirklich sinnliches, verborgenes Leben in der einzig m�glichen Gestalt, eine menschliche Erkenntnis, die noch ihren Sinn hat, auch wenn der bedr�ngt ist. Die Erkenntnis jenes Verh�ltnisses und jener Menschen, die in Wirklichkeit nicht zu erkennen sind, hebt die Bedr�ngnis auf, weil alleine die Trennung zwischen beidem die Trennung des eigenen Lebenszusammenhangs ausmacht und als Spaltung der Selbstwahrnehmung fortwirkt. Es ist die Erkenntnis einer geschlossenen Lebenswelt, einer Familie, die gegensinnige Lebensinhalte formiert hatte, um als Gesamtheit, als ein unm�glicher Liebeszusammenhang zu existieren, der vielleicht erst im Leben der Kinder als gro�es Ungl�ck wahr wird. Um sich selbst zu begreifen m�ssen sie das verkapselte Leben ihrer Familie, die Versteinerungen und Bed�rftigkeiten erkennen und somit auch die Menschen in einem gewissen Abstand anerkennen, die ihre Geschichte ausgef�llt haben. Denn das darin vergangene, vereinsamte, weil eingeschlossene Leben enth�lt die Erkenntnis der Gefangenschaft gegenw�rtiger Sinne – wie auch das Leben des gegenw�rtigen Menschseins �berhaupt.
Der Wahnsinn hinterl�sst tiefe Spuren. Die Kosten der Trennung von der Familie ist hoch. Die Freiheit von der Beziehung zu den Eltern und Geschwistern l�sst eine tiefe Kluft zwischen sich und der Welt sp�rbar werden. Sie muss fortw�hrend �bersprungen sein, um einen in dieser beschriebenen Weise gekr�nkten Menschen zusammenzuhalten. Aber in der Bewegung, in dem springpunktartigen hin und her der Selbsterfahrung steckt die Chance der Menschwerdung aus unmenschlicher Geschichte. Aber auch hierf�r m�ssen die Bedingungen gegeben sein, muss es m�glich sein, Menschen zu treffen und Verbindungen zu kn�pfen, Liebe und Argwohn zu finden, abzusto�en und anzuziehen – kurz: Sich kennen zu lernen.
So konkret dies alles ist, so abstrakt ist der Sinn, der dies best�ndig st�rt. Nur in kleinen Schritten entstehen neue Gef�hle, die sich langsam und allm�hlich auch als Ged�chtnis von Empfindungen einrichten, die alte Gef�hle �berlagern, ihnen ihre Ausschlie�lichkeit nehmen und kleinste Inseln der Selbstvertrauens bilden – die auch schlagartig wieder �berflutet werden k�nnen, wo sich ein Misstrauen auch nur im Geringsten best�tigt.
Die Entwicklung, die schon im einzelnen ansteht ist gewaltig. Was hier zun�chst gezeigt werden soll, dass es hierf�r keiner Mittel au�er Existenzmittel bedarf. Die "psychische Krankheit“ ist eine Krankheit kultureller Existenz. Wo die herrschenden Existenzformen der Kultur verlassen werden k�nnen, wo keine altbekannten Gewalten dazwischen treten k�nnen, h�rt sie auch so nach und nach auf. Leben geht auch anders und braucht innerhalb der Kultur manchmal auch einfach nur ein paar Alternativen. Daf�r braucht man zwar Geld, aber spart so die gro�en Kosten der Institution; daf�r braucht es zwar Menschen, die frei sind, daf�r spart man aber auch die Psychopharmaka, die abh�ngig machen.
Erst mal erf�llt eigenes Leben schon unerkannt einen Sinn, der sich von der Lebensbedingung der Familie l�st. Das in die Welt treten des Wahnsinns ist mit unz�hligen �ngsten verbunden und erzeugt auch schon durch seine Ungewissheit und Richtungslosigkeit Angst. Aber es enth�lt auch Angst durch die eigene Zwiesp�ltigkeit und vor allem die Angst des Widersinns in der Liebe. Es ist Angst rundum, ununterscheidbare Angst, welche die ersten Schritte umgibt. Aber gerade in dieser Angst steckt das Eigene, das sich von Fremdem noch nicht unterscheiden kann, das bedr�ngt wird, ohne seine Bedr�ngnis im Einzelnen zu erkennen, Es ist ein gro�er und wichtiger Schritt, in der Angst einen eigenen Sinn zu erkennen, also nicht �ngstlich zur Angst zu sein, sondern sie als eigene Wahrnehmung anzuerkennen, die Sinnesl�hmung oder das Grabenspringen zu einer eigenen Not werden zu lassen, die sich nicht einfach abwenden, notwenden l�sst. Die Angst ist diese Not und wenn sie zu einem Sinneszustand geronnen war, so tritt sie in dieser lebenden Erkenntnis daraus heraus.
In den Zust�nden von Angst lebt die Lebensfrage, Liebe und Verzweiflung in einem. Das kann man nicht reflektieren, es ist keine Reflektion von anderem. Es ist unmittelbares Leben. Wer in seiner Angst alleine gelassen ist, ist wirklich verlassen und verloren. An dieser Stelle entsteht das Leben, wie es auch verloren werden kann. Aber ein Bewusstsein zu dieser Angst erzeugt Aufmerksamkeit an Ort und Stelle und kann von diesem Lebenskampf wissen und ihn als solchen auch hoffnungsvoll sehen, die Gr�nde der Entfremdung suchen und Hintersinnigkeiten und �bersinnlichkeiten erkennen. So verhilft es zu einer Arbeit an der Gewissheit, an dem Herausstellen von Empfindungen, die in einer Gef�hlswelt der Seele alleine verloren w�ren.
Es gilt daher jetzt, die einzelnen "Symptome“ mal auf ihren Sinn zu befragen, um die Gewissheiten herauszustellen, die in ihnen verborgen sind. Wir werden dabei beispielhaft den Orten seelischen Kulturgeschehens begegnen. Von da her kehre ich auf die Geschichte mit Maria zur�ck und sp�ter dar�ber berichten, wie es ihr ergangen ist.
Wenn eine Stimme im Ohr ert�nt, so spricht sie jene Meinung aus, mit der die Seele eines Menschen ihn verfolgt und gefangen nimmt. Sie spricht diese Geschichte der Verfolgung und Gefangenschaft aus wie ein Gef�ngnisw�rter, der die Tagespolitik in die Zelle bringt und damit best�tigt, dass die Verfolgung gerechtfertigt war, weil sie durch die Gefangenschaft best�tigt ist und die Politik dies auch heute noch so w�rdigt, wie es vordem schon gewesen war. Die Vergangenheit ist gegenw�rtig in den Bedeutungen, die nur in der Form gegenw�rtiger Wahrnehmungen erscheinen. Sie unterscheiden sich darin nicht von den "normalen“, den gew�hnlichen Wahrnehmungen, wie wir sie t�glich haben und wie sie auch objektiv in den Gestaltungen unserer Kultur sich ausdr�cken.
Wer diese Wahrnehmungen kennt, wird sich darauf ebenso beziehen k�nnen, wie er sich auf "das private und �ffentliche Leben" �berhaupt beziehen kann. Wenn Maria ohne irgendeinen anderen Anlass w�hrend eines Spaziergangs Stimmen h�rte, konnte ich f�r mich leicht nachvollziehen, was an den Stimmen stimmt, f�r mich wie f�r sie. Die Bestimmungen, welche in den Formen des Alltags Stimmungen verursachen, findet sich dann als "innere Stimme". Der Anlass der Stimmen, die Maria h�rte, war f�r mich zumindest gef�hlsm��ig verstehbar, auch wenn ich den Anlass nicht geh�rt, sondern eher gef�hlt h�tte. Die Klatschweiber, die da in ihr sprachen, passten auch wirklich zu der Umgebung, in der gerne geklatscht wird und in der wir uns dann befanden. Die Architektur der B�rgerh�user, an denen wir vorbeigingen, wenn Maria Stimmen h�rte, entsprachen der Stimmung, in die ich bei ihrem Anblick kommen kann. Es waren diese strengen biederen Vorstadth�user, in denen sich feste Familienstrukturen, hinterh�ltige Nachbarschaft und rigide Hausordnung anmuten lassen.
Der Unterschied zu Maria bestand vordergr�ndig lediglich darin, dass sie zu diesen Gef�hlen nur �ber ihr Geh�r Zugang hatte, wenn sie am "Flippen" war. Der Unterschied zwischen ihr und mir bestand nur im Ort der Wahrnehmung. In den Stimmen wirkte die bedrohte Wahrnehmung hindurch. Das bedrohliche war die Gegenw�rtigkeit solcher Wahrnehmungen in einer Situation, wo sie nicht mehr alle Sinne beisammen hatte. In ihrem isolierten Selbstwahrnehmungen war das, was sie gew�hnlich leicht "wegsteckte" in einer wahnsinnigen �ffentlichkeit. Weil sie dieser nicht als ganzer Mensch begegnen konnte, weil also ihre Sinne gespalten waren, und sie waren gespalten, weil sie in ihrem Selbstgef�hl bedroht war. Sie f�hlte sich beobachtet, verfolgt, als zentrales Objekt einer Welt, die nur hinter ihr her war, sie �berall wahrnahm und ihr sogar Gift in die Zigarette tat, weil sie sich von der Welt getrennt hatte. Sie hatte sich getrennt, weil sie eigene Wahrnehmungen hatte, weil sie Regungen hatte, die sie nicht durchhalten konnte. Und sie konnte sie nicht durchhalten, weil sie ihre Gef�hle sofort verlor, wenn sie welche hatte, weil sie die schon als Kind abgeben musste, aufschreiben musste, damit sie der Vater kontrollieren und wohl auch beherrschen konnte. Sie war einfach noch zu schwach f�r sich selbst, um sich auszuhalten und zu �u�ern. So gesehen ist das trivial.
Aber diese Ent�u�erung der eigenen Gef�hle, diese Abgabe in fremde Hand, diese offizielle Form der Wahrnehmung hat auch ihre allgemeine Wahrheit. Sie widerf�hrt jedem Menschen, der sich erkl�ren muss, wo er beobachtet wird, der sich "zu erkennen geben muss", wo er eine Beziehung zu fremdem sich. Es zeigt sich die eine Identit�t zwischen Selbstentfremdung und Lebensverh�ltnissen, in denen sich die Menschen notwendig fremd sind. Die Fremdheit muss nicht immer Isoliertheit sein. Aber die Isolation macht die Br�cke des Erkennens unbegehbar.
In jedem Angstzustand erf�hrt man die Bedr�ngnis einer eigenen Wahrheit, die nicht leben darf. Das ist aber etwas anderes, als wenn man wirklich isoliert ist. In der Isolation wird das Ungelebte nicht durch �berm�chtige Wahrnehmungen bedr�ngt, sondern zur �u�eren Lebensmacht selbst. Bei Maria war es vor allem die Verfolgungsangst, die ihre Sinne schwinden lie�en, und daran erkannte sie die �berlebensgro�e Macht fremder Gef�hle. Sie hat diese fremden Gef�hle noch nie erreichen k�nnen, obwohl sie darin aufgewachsen ist. Sie kennt die Klatschweiber und all diese Stimmen sehr gut – aber sie kann sie nicht erkennen. Sie wei� nicht, welcher Mensch dahinter steckt. Es ist die Sph�re und Atmosph�re einer Umwelt, die sie gewohnt war und in der sie leben gelernt hat – sprichw�rtlich gelernt – in der sie aber nicht leben konnte.
Die Verbindung dieser Sph�re zu sich selbst ging auf Kosten ihrer eigenen Wahrheit, auf Identit�t ihrer Sinne. Sie hat sie aufgeteilt, um leben zu k�nnen und sie teilt sie auf, wenn sie nicht leben kann. Der Kreis tr�gt sich weiter fort, wenn er nicht unterbrochen wir, wenn kein Schutz f�r sie entsteht, durch den sie "sich fangen" kann.
Dem Gehalt nach kennt vielleicht jeder Mensch solche Verfolgungsgef�hle in irgendeiner Form, wenn er sich in einem ihm v�llig undurchschaubaren, aber permanent einwirkenden System befindet. Dessen Wirkungen haben oft �bersinnliche Dimensionen und Fratzen. Sie haben den Charakter eines vollst�ndig abstrakten Sinns, wie er etwa von Kafka in seinem Buch "Der Prozess" beschrieben worden ist. Der Wahn ist von seinem Inhalt her wirklich �berall, wo es keinerlei sinnliche und gegenst�ndliche Wirklichkeit gibt, wo aber zugleich Macht �ber das Leben von Menschen besteht, die sich auch gegen alle Sinne, alles Leben forttreibt. Im Verfolgungswahn wird dies lediglich mit dem eigenen Leben identifiziert, ger�t unmittelbar unter die Haut, weil die eigenen Gef�hle sich nur vollst�ndig isoliert regen k�nnen. Die Bedrohung ist keine Bedrohung mehr, sondern Selbstaufhebung.
Hier wird isoliert vollzogen, was es jenseits des Wahnsinns auch gibt: Der Zweifel, wer da verr�ckt spielt, der Unverstand, welches Interesse sich hier durchsetzt, die Ahnung, um was es vielleicht dabei geht und das sichere Empfinden, dass ein System wirksam ist, welches Macht �ber Leben und Tod hat. Solche Selbstwahrnehmung ist einzig ein ungel�stes R�tsel f�r den, der darin befangen ist und die Feststellung einer "Unzurechnungsf�higkeit" wird vor allem der betreiben, der keine Wirklichkeit dieser Verfolgung f�r erkennbar halten will, weil er an der Gesundheit entfremdeter Lebensverh�ltnisse interessiert ist.
Ansonsten handelt es sich um bei diesem Selbstzweifel um einen Widerspruch des Lebens, wie ihn jeder kennt, der in zwischenmenschlichen Beziehungen um seine Gef�hle k�mpfen muss und daher auch eine nach innen gewendete Form von Entfremdung, von ent�u�erter Wirklichkeit begreifen kann. Die Grenze, an der man sich selbst bezweifelt, sich also selbst aufgibt, ist bei Maria allerdings eine Kluft, die sie unter Lebensgefahr �berspringen muss, um beide Seiten erkennen zu k�nnen. Das macht ihre Verfolgungsangst zu einem Zustand, zu einer geschlossenen Wahrnehmungswelt, in die sie sich immer mehr hinein verl�sst, damit sie der permanenten Gefahr einen Sinn geben kann, damit sie diese Gefahr nicht in sich, sondern wirklich au�er sich hat.
Obwohl also die Inhalte sinniger und wahnsinniger Wahrnehmung identisch sind, werden die Gegenst�nde der Verfolgung verschieden sein: Zum einen ist er ein wirklicher Zweifel um das eigene Erkenntnisverm�gen, um das, was einem gewiss ist oder nicht. Zum andern stellt die Verfolgung seelische Verfolgung dar, stellt Kr�fte dar, die jenseits der Sinne wirken, weil sie seelisch, also �bersinnlich herrschen. Aber beides ist Verfolgung innerhalb eines ungewissen, weil abstrakten Systems, Verfolgung durch Verh�ltnisse, in denen kein Mensch erscheint und die deshalb nur in der Angst existieren, unwirkliche Verfolgung wie auch Wirklichkeit des Verfolgtwerdens durch Unwirklichkeit. Allein der Ort ist verschieden, ob im Gef�hl oder in der Existenz eines Menschen. Wo die Verfolgung seelisch erfahren wird, da ist der Seele ihr Gef�hl f�r sich abhanden gekommen.
In einer abstrakten Welt bestehen also die Unterschiede allein im Ort der Wahrnehmung, wo ein abstraktes Verh�ltnis seine Wirkung hat: Der Wahn dr�ckt die Seelenangst zu dem aus, was eine Wirklichkeit an systematisierter Sinnlichkeit hat. Im Verfolgungsgef�hl erkennen sich Menschen gegen abstrakte Existenzzusammenh�nge ausgeschlossen als �u�eres Objekt fremder Macht. Aber in jedem Fall steckt ihr Leben auch wirklich da drin. Subjekte einer abstrakten Wirklichkeit sind sie allemal, wenn sie sich als Objekte einer fremden Macht erkennen.
Sie erkennen den Sinn aber als Sinn des Unwirklichen, der Sinn, der wirklich wirkt, ohne wirklich zu sein. Im Wahnsinn sind seine Gestaltungen �berdeutlich ausgepr�gt, besser, genauer und treffender wahrgenommen als sonst irgendwo. Der Wahnsinn ist die Verdichtung einer Wahrheit, die nicht wirklich erkenbar ist. Seine Dichtkunst macht konkret und praktisch, was zugleich nur Hintersinnig ist. Der Wahnsinnige betreibt ohnm�chtig die Kunst, Hintersinn zu offenbaren, ohne ihrer Macht entgegentreten zu m�ssen. Das ist seine Leistung. Aber er kann diese nur als Selbstaufopferung leben. Das ist grausam und da muss er heraus!
Wo man umzingelt ist, da blickt man nicht dahinter und muss sich eben mit Vorstellungen behelfen, was dahinter steht. Die Gr�nde, warum ein Mensch in ganz bestimmte Vorstellungen ger�t, die er w�hnt, sind so vielf�ltig wie sein Leben begr�ndet ist. Im Einzelnen dr�cken sie jeweils eine ganz bestimmte Umzingelung seiner Seele aus. Nur f�r sie ist der Wahnsinn not wendend, also notwendig. Das haben wir daraus entnommen, dass sie der Ort des Wahnsinns ist. An diesem Ort will ich kurz verweilen und ihn wie einen wirklichen Ort beschreiben, weil hierdurch die Wirkung, welche die Seele haben kann, leicht zu zeigen ist.
Es ist, wie bei jedem unbestimmten Gewaltverh�ltnis. Wenn dir jemand so erscheint, als ob er dir eins �ber den Sch�del hauen will, dann f�rchtest du dich wahrscheinlich vor ihm. Du wirst ihm ausweichen oder sonst irgendetwas tun, damit die Bedrohung abgewendet werden kann. Wenn dir jemand nachrennt und dich verfolgt, dann �berlegst du dir vielleicht, was da los sein k�nnte, stellst Irrwege auf oder bleibst stehen, um zu testen, ob eine Gefahr von ihm ausgeht oder du tust irgendetwas ganz anderes. Jedenfalls tust du alles, dass du keine Angst mehr vor ihm haben musst. Eigentlich ist das ja nur eine Furcht vor der Bedrohlichkeit, die er f�r dich hat, die Bedrohung, die du ihm unterstellst. Du bist nicht beengt, solange du besser rennen kannst, wie er. Und solange du ihn gut beobachten kannst, h�lt sich deine Bedr�ngnis auch in Grenzen. Wenn das Ganze aber nachts in v�lliger Dunkelheit passiert und du vielleicht gar nicht gut rennen kannst, dann hast du eben wirklich Angst. Die Welt ist in der Nacht allgemein undurchsichtiger, du bist schutzloser, deine Kr�fte sind bedeutungsloser. Hinter dem Angreifer kann sich viel verbergen. Du wirst umsichtiger ohne wirklich zu sehen, hellh�riger und deine Aufmerksamkeit bekommt einen konzentrischen Sinn. Solche Wahrnehmung ist in der Verfolgungsangst �berspitz. Sie gibt es nur durch etwas in sich geschlossenes Allgemeines, das f�r sich undurchsichtig ist.
In der Angst macht man einiges, was man sonst nicht macht. Vielleicht ist man beflissener, vielleicht h�rter, vielleicht heftiger, vielleicht weicher. In der Angst gilt es, abzuw�gen, zu sondieren oder auch gleich abzuhauen. Wenn man dabei aber nichts tun kann, wenn die Bedrohung allgemein und allseitig und dunkel ist, und nur die ganz alllgemeine Gefahr zu sp�ren ist, dann kann man ihr nur entgehen, indem man sich ihr anpasst, ihr gehorcht. Man "h�rt das Gras wachsen", um herauszubekommen, wie man sich in der Situation richtig verhalten kann und um zu erfahren, was der Sinn der Verfolgung ist.
Das einzige Organ, das die Verfolgung f�r sich alleine empfinden kann, ist das Geh�r. Es hat, wie bereits erw�hnt, sehr viel mit Gehorchen und H�rigsein im Sinn. Es lauscht sozusagen auf die Wirklichkeit dessen, was angeh�rig, bezogen ist. Wer schon n�chtelang wachgelegen hat, weil er in schier verr�ckter Aufmerksamkeit die Ger�usche der Nacht verfolgen musste, wird wissen, dass er darin etwas vermutet und gesucht hatte, das ihm aus dem Tag heraus nicht erkennbar war. Die Unruhe im Geh�r kommt nicht durch die Nacht – sie bekommt aber oft dann erst ihre Wirkung, sie wird erst wach, wenn die anderen schlafen. In dir wird manches gew�rtig, wozu du tags keine Gegenwart gefunden hattest. Aber in der Nacht hat es auch eine andere Gegenwart und ist anders als das, was tags nicht vergegenw�rtigt war. Du bist dadurch auch gegen�ber dem Sinn dieser Unruhe unsicher und von daher unbestimmter, unausgerichtet und schutzlos. Du lauschst auf jedes Ger�usch. Dich erschreckt jede Bewegung, und sei es nur der Wind. Je nachdem, was dir die Gegenwart genommen hatte, wirst du vielleicht ins Gr�beln kommen oder ins W�hnen. Dann versp�rst du irgendeine Bewegung, die aus dem Dunkel huscht und darin immer den Charakter von Heimlichkeit hat. Sofort w�hnst du eine Verheimlichung und die wirkt auf dich wie eine unheimliche Wirklichkeit. Du suchst den Gehalt dessen, was hinter dem steht, was vor dir da eigentlich passiert ist. Unheimlich ist, dass vor dir ist, was dir widerf�hrt und hinter dir der Grund von alledem. Was du nicht gegenw�rtig genug hattest, das bestimmt dich mit unheimlicher Gegenwart. Solche Unheimlichkeiten k�nnen sich in dich hineinbrennen. Sie k�nnen einen Menschen Tag und Nacht besch�ftigen und ein best�ndiges Gef�hl sein, das dich zu irgendeinem Anlass, bei dem es auf deine Wachheit ankommt, in einen Strudel, in einen endlosen Kreislauf bringt und dich in unendlichen Tiefen rei�t, so dass alles �ber dir zusammenschl�gt. Die Unendlichkeit der Kreise beherrscht dich, denn alles hat darin unendliche oder unendlich viele Gr�nde. So kann die Tiefe der Nacht zum Abgrund des Tages werden. Und wenn die Nacht die Wirklichkeitssch�rfe der Sinne umh�llt, so beginnen sie zu Raunen. Dir "schwant" etwas, vielleicht tr�umst du es nur, vielleicht bist du noch wach, vielleicht beides. Wahn ist also "ganz normal".
Wirst du aber gerade dann geweckt, wo du tief damit befasst bist, dann erschrickst du besonders heftig. Es ist, als ob dir etwas Wichtiges durch diese schreckliche Vergegenw�rtigung genommen wird. Du wirst nicht nur unterbrochen – so, als ob du an der unterbrochenen Stelle irgendwann mal wieder "weitermachen" k�nntest. Du wirst abgebrochen. Es wird dir nicht mehr m�glich sein, den n�chtlichen Wahn, der so wichtig f�r dich war, zu Ende zu bringen und hierdurch in deiner Selbstgewissheit erneuert dem neuen Tag zu begegnen.
So etwa muss auch der Wahnsinn als eigener Sinn entstehen, als ein Gef�hl, das seinen Sinn nur w�hnen kann: Er entsteht nicht durch vorzeitiges Wecken von au�en, sondern durch permanente Unterbrechung des W�hnens durch heftige Empfindungen, die gerade dann hochkommen, wenn die w�hnenden Gef�hle eine bestimmte Stelle erreichen, die nicht sein kann und nicht sein darf. Die eigenen Empfindungen machen sie wach. Durch das W�hnen von Gr�nden w�rdest du weiterkommen. Du w�rdest deine Ahnungen vertiefen oder sie verwerfen k�nnen. Jetzt aber kommst Du gar nicht mehr so richtig ins W�hnen: Was dich ahnen lie� das verfolgt dich nun. Deine Ahnungen verfolgen dich, weil du sie nicht annehmen kannst, weil sie dich niedermachen, bedr�ngen, sich �ber dich stellen und dich beherrschen. Du bleibst dir selbst deine Empfindung schuldig, wenn du dich von dem m�chtigen Gef�hl, in welchem sich deine Ahnungen zusammenfassen, niedermachen l�sst. Und du l�sst dich von ihm niedermachen, weil du ihm keine eigene Empfindung mehr entgegenstellen kannst, weil du also dem nicht begegnen kannst, was du empfindest, weil du also auch wirklich niedergemacht wirst – ob gewollt oder auch nicht, das ist hierbei noch gleichg�ltig. Es kann an dir liegen oder an deiner Umwelt, an deiner Wahrnehmung oder an der Wahrnehmnung der anderen, dass du dich niedermachen l�sst – in jedem Fall liegt es an der Unwirklichkeit der darin wahrgehabten Beziehung. Nur in Verh�ltnissen, denen du nicht entkommen kannst, wird dies zu einer eigenen Machtfrage. Wer sich darin durchsetzen kann, der hat das "Recht des St�rkeren". Wenn er dieses auch noch wei� und damit dich niederh�lt, dann kann er dich in jeder Weise nutzen und gebrauchen (Missbrauch ist kein gutes Wort hierf�r, weil es zugleich f�r einen rechten Gebrauch eintritt – der Missbrauch ist im Gebrauch schon enthalten).
Auf eine ganz perfide Art bist du dir selbst gegen�ber schuldig geworden, wenn du dich so gebrauchen lassen musst. Deine Empfindungen bleiben in dir "stecken" und du musst ihnen gehorchen. Sie verfolgen dich Tag und Nacht und machen deine ganze Grundstimmung aus. Sie unterbrechen deinen Schlaf und deine Tr�ume und lassen dich nicht mehr zur Ruhe kommen. Verfolgung ist die Wirklichkeit einer Verschuldung an einem abstrakten Lebensverh�ltnis, das sich seiner eigenen Wirkung zu entziehen versteht und jetzt tief in dir steckt. Dem Wahnsinn gehen meist viele durchwachte N�chte voraus.
Beim Wahnsinn geht es um die Macht, welche die Wahrnehmung des betroffenen Menschen bedr�ngt, eine Bedr�ngung, die ihn nicht erkennen l�sst, dass er sie gerade dort wahr hat, wo er in seiner Wahrnehmung bestimmt ist. Er ist hierin bestimmt, weil seine Beziehung einen anderen Grund hat, als seine Wahrnehmung. Das Erkenntnisverm�gen ist dadurch gel�hmt, dass sich wahrgehabtes �ber die Wahrnehmung stellt, Gef�hl �ber Empfindung (37). Seine Macht entspringt letztlich der Lebensbedingung, in welcher sich Menschen in ihrer Wahrnehmung subjektiv bestimmen, weil sie ihrer objektiven Bestimmtheit auch entspricht (z.B. als Eltern und Kinder). So teilt sich subjektiv die Geschlossenheit eines Systems mit – meist ist es die Familie –, das seinen Grund au�er sich hat, wie sie ihn auch in sich tr�gt. Die Geschlossenheit erscheint dadurch total, dass sie von Menschen als zwischenmenschliches Verh�ltnis gelebt werden, dass objektive Bestimmung also als pers�nliche Macht vollstreckt wird.
Es w�re fast gut, wenn das in dieser Form auch erfahrbar w�re. Aber es ist sehr viel komlexer und daher komplizierter. Alle Beziehungen in einem solchen System, sind auf diese Weise bestimmt – sowohl ihre offenen, wie auch ihre heimlichen und unheimlichen. Und sie sind auch nicht so offen determiniert, wie es nach dieser Aussage erscheinen mag. Das Durcheinander von objktiven und subjektiven Substanzen macht eben gerade die Familie als Lebensform aus. Weil sie eine weit vermittelte Unmittelbarkeit im Gegen�bertreten der Familienmitglieder hat, wirkt auch in ihnen, wodurch sie rein �u�erlich bestimmt sind. Ihre Empfindungen und Gef�hle sind unmittelbar identische Wahrnehmung, weil sie sich auch tats�chlich als das Wahrnehmen, als was sie sich wahr haben: Als wirkliche Lebenstr�ger.
Es ist der scheinbaren Geschlossenheit des Familiensystems geschuldet, dass ihre �u�ere Bestimmtheit nur als Mangelgef�hl an Au�enwelt, als innere Regungen ohne irgeneine �u�ere Gegenst�ndlichkeit empfunden wird. So entsteht einersetzt ein Familiensinn, in welchem sich die Familienmitglieder gegen ihre Au�enwelt abgrenzen und es entstehen viele Eigensinnigkeiten, die jeder in der Abgrenzung zum Familiensinn haben muss. Die gesellschaftlich bestimmte Mangelempfindung der Familie hat unter ihren Mitgliedern Beziehungen zur Folge, in denen sie doppelb�dig miteinander verkehren m�ssen: Als Tr�ger der Lebensform, als Objekte wie Subjekte des Familienzusammenhalts. Die Gef�hle, die sie darin f�reinander haben, haben sie zugleich auch in der Form der Nutzbarkeit und Gestaltung ihres gemeinschaftlichen Zweckes (z.B. Erziehung, Haushaltung, Hygiene, Geschlecht). Die Menschen haben sich in dieser doppelten Bestimmung ihrer Lebenspraxis wahr, f�hlen sich, wie sie sich wahrnehmen, wie sie sich eben auch Empfinden. Der Familiensinn h�lt Gef�hle dadurch am Leben, dass er die darin lebenden Menschen zum Leben nutzt. Meist und letztendlich sind es die Kinder, die Objekte dieses lamili�ren Vampirismus werden. Sie alleine halten zu allerletzt noch "die Familie zusammen".
Nichts kann darin nat�rlich sein, obwohl alles darin nat�rlich erscheint: Kinder werden geboren, die Existenz wird betrieben und gehaushaltet und die generationen haben ihren Zusammenhang bis zum Tod. Nur die Rollen verraten, dass es sich bei der Familie um eine gesellschaftlich bestimmte Lebensform handelt, die nicht aus ihrer Natur heraus funktioniert. Oft tritt der Vater als Tr�ger lustvoller Verantwortungsgef�hle auf, die Mutter an als die Bewahrerin der Familie – er im Gewinn objektiver Zuneigung und Allgemeinheit, sie mit der Macht und Ideologie ihrer Geb�r- und F�rsorgenatur. In der Rollenaufteilung entzieht und beherrscht der Familiensinn die letzte Wahrheit der Kinder. Das System Familie funktioniert nur durch den Zusammenschluss und dem systemerhaltenden Ineinandergreifen aller Funktionen, die Familienmitglieder darin bekommen k�nnen – nicht unbedingt so, wie es gemeinhin verstanden wird als Verh�ltnis der Geschlechter in der Gemeinschaft der Generationen, sondern als System voller Hintersinnigkeiten, die sich insgesamt so aufheben, dass sie als Existenz erscheinen k�nnen, weil sie als Lebenstr�ger funktionieren.
Der Wahnsinn ist die Empfindung einer Familie, die nicht als Familie existiert, die nicht ganz so funktioniert, wie sie soll, weil ihre Hintersinnigkeiten nicht voll ineinandergreifen, weil also der Sinn eines ihrer Glieder sich nicht integrieren l�sst. Dies muss ein Sinn sein, der eine familienfremde Herkunft verr�t und bedroht (es best�nde sonst keine Notwendigkeit, Sinn zu integrieren). Nur um die Familie zu erhalten, wird er unerkennbar gehalten. Er ist die Bedingung des Wahnsinn, denn nur der enth�lt die Empfindung dessen, was diese Beziehung innerhalb der Familie im Sinn hat. Es ist ein Sinn, der darin nie wirklich wahr werden darf, weil er ihre volle Wahrheit aufzeigt und betreibt, die Wahrheit ihres Mangelgef�hls. Er ist daher kein materieller Sinn. Er ist eine Regung der Seele die sinnlich wirkt wie ein Trieb, ein innerer Drang, der auch nur unwirkliche Beziehung hervorbringen kann. Der Familiensinn selbst hat hierdurch eine �bersinnlichkeit, die dadurch entsteht, dass der Sinnzusammenhang keiner ist, aber alles bewirkt, was sein kann.
In der Familie von Maria bestand der Familiensinn selbst schon gegensinnig, eben als widerspr�chliche Ehe der Eltern, die Kinder nicht aus ihrer Liebe gezeugt, sondern erzeugt hatten, um "ihrem Leben einen Sinn zu geben“, um sich von deren Leben tragen zu lassen, um ihre Funktionen als Erzieher und F�rsorger richtig auszukosten und um damit ihr Lebensverst�ndnis, das in diesem Fall zudem noch aus der Nazizeit kam, dergestalt umzusetzen. Es war ein sehr objektiv bestimmtes Leben. Dass sich die Eltern sinnlich bek�mpft hatten, war aber f�r die Kinder nicht gew�rtig, weil dies auch nur beil�ufig sp�rbar war. Von Wichtigkeit war der Erhalt des Ganzen und damit die Niederhaltung eines Jeden. Die Kinder waren so als Lebenstr�ger zugleich absolute Objekte des Familiensinns, und dieser Widersinn bestand in der Angst vor jedem Sinn.
Ohne dass ich erkennen kann, welche einzelnen Gr�nde dieser Widersinn hatte, so l�sst sich sehr leicht erkennen, dass er als Macht gegen jedes Sinnenleben bestanden hat. Das teilte sich darin mit, dass die Eltern, obwohl sie – wie bereits besprochen in einem wirklichen Lebenszusammenhang standen, die Kinder vor jedem Sinn in diesem Leben zu warnen hatten und jede Regung ihrer Kinder aufs Peinlichste beobachteten und kontrollierten. Und erst dadurch, dass der Widersinn im Leben der Eltern als eine einzige und damit unwiderspr�chliche und unwidersprechbare Macht auftrat, wurde das, was als Widersinn zu sp�ren ist, als Macht gegen die Sinne wahr. Denn jedes der Kinder h�tte durch die Wahrheit seiner Empfindungen die Ehe der Eltern und damit die ganze Familie wirklich gesprengt. Man k�nnte sagen: H�tte es auch nur den Hauch einer Ahnung gegeben, was der Vater f�r seine T�chter wirklich empfand und was die Mutter wirklich zu einer Hygiene bis zur �bersinnlichkeit trieb, dann w�re in der Familie wahrscheinlich nichts mehr gegangen. Aber man muss es auch umgekehrt sehen: Weil das wohl jedem irgendwie klar war und weil die Familie funktionieren musste, musste alles so sein, wie es war. Verlorene Liebessehnsucht war es wohl eher nicht, wohl aber Liebeseifer, der sich in der ganzen Breite der Egomanie als unheimliche Regungen ausbreitete und sich als Eifer in jeder Art allem �berst�lpte, das dem wachsamen Auge der Familiensinnigkeit in den Sinn kam. Man kann die F�rsorge als ein Allgemeinprinzip ansehen, in dem alles verschwand, was darunter "hochzukommen drohte“ – hygienische �bungen, �sthetik, Pedanterie wie auch der p�dagogische Eros �berhaupt taugen hierzu gleicherma�en. Je weiter die Eltern hierbei "auseinanderkamen“, weil sie sonst in der Konkurrenz um die Bewahrung des Familiensinns "aneinandergeraten“ w�rden, desto unterschiedlicher und gegensinniger wurde ihre Beziehung. Die Kinder als die Lebenstr�ger des Ganzen wurden – jedes auf seine Art – so verr�ckt, wie sich die Eltern voneinander in ihrem Zusammensein entr�ckt hatten.
Somit waren die Empfindungen der Kinder wirklich in dem gebrochen, was sie von ihren Eltern empfingen und zugleich beherrscht durch das, was sie f�r die Eltern sein mussten. Die Eltern setzten sich gegenseitig herab, waren im Grunde f�reinander hinterh�ltig, und luden hierdurch den Kindern einen permanente Lebenszweifel auf. Was soll das sein, was da diesen Lebens- und Liebesraum beherrschte? Was mit den Eltern selbst eigentlich los war, konnte man nicht sagen, weil es nicht aussprechlich war, weil die Eltern es betrieben, um die Familie zusammen zu halten. Erkenntnis macht man ja sowieso nicht durch Worte. Irgendeinen Hintersinn hatte das Ganze wohl, aber der war nicht herauszufinden und auch nicht zu h�ren. Aber zu F�hlen war er hinter aller Empfindung.
F�r Maria hatte das zur Folge, dass sie jeden Doppelsinn nicht erkennen konnte. Die "Tour", die l�uft, wenn sich die Geschlechter abtasten, das Hin und Her von Liebe, Lust und Zweifel, die Selbstvergessenheit und Selbst�berhebung, all diese Bewegungen konnte sie nicht ertragen. Sie hatte schon genug zu tragen, und so hatte dies f�r sie auch keine m�gliche Gegenw�rtigkeit. Sie musste ihre seelischen Beziehungen auftrennen, indem sie entweder Empfindungen von jemanden hatte, oder dass sie im Gef�hl war – in einem schlimmen Gef�hl. Wo beides aufeinander prallte, konnte sie nicht mehr schlafen. Auf l�ngere Zeit ist das wie eine Folter. Irgendwann wurde sie dabei wahnsinnig.
Ihr Verh�ltnis zu anderen war eigentlich nur dadurch m�glich, dass sie sich mit ihnen in einem dritten, in einem �bersinn verbinden konnte. Hierdurch hat sie sich auf andere bezogen, ohne selbst darin gegenw�rtig zu sein, wohl aber Gegenwart durch andere zu haben. Die Trennung zwischen sich und "der Beziehung" war f�r sie von vornherein selbstverst�ndlich, eben weil sie wie jedes Kind kein anderes Leben hatte. Sie musste sich dort um ihr Leben sorgen, wo sie sich liebend verhielt, sie musste als Kind zugleich Frau und als Frau Kind sein. Das hei�t: Sie konnte sich nicht als ganzer Mensch voller Sinn und Liebe verhalten. Sie musste in dem Geschlecht, das ihr gegeben war, zugleich sich als geschlechtlicher Mensch, als Frau erzeugen. Sie war geboren und doch nicht auf der Welt, gezeugt, und doch nicht geschaffen – oder: f�r etwas geschaffen, was sie nicht sein konnte.
Maria war gerne mit allen Menschen gut. Was sie nicht wusste, das war der Gegensatz, die Feindschaft zwischen der �bersinnlichkeit des Verh�ltnisses, das sie einging, und dem, was sie darin wirklich von andern Menschen wahrnahm. Sie nahm vieles wahr, was sie nicht in diesem Augenblick wahr haben durfte, und das sie dann an ganz anderer Stelle "�berfiel". Und hierdurch war sie an dem �bersinnlichen Verh�ltnis sowohl beteiligt wie auch vernichtet, solange sie das nicht unterscheiden konnte. Sie stand in weiter Ferne zu der Macht "der Beziehung" wie auch in ungesch�tzter N�he zu den Menschen, den sie liebte. Sie erlebte diese Trennung nicht wirklich, sondern als die Entfernung, wie ich sie zuvor als Trennung von Tag und Nacht beschrieben hatte: Sobald die Sinnessch�rfe verging, erstand die Wahrnehmung der Seele, die vor der Ungeheuerlichkeit einer �bersinnlichen Beziehung f�rchtete, die sie auf Schritt und Tritt erlebte. Und diese Angst beherrschte jede Sinnessch�rfe so, wie der �bersinnliche Grund der Beziehungen mit dem, was sie darin sinnlich wahr hatte, verfeindet war. Diese Feindschaft war somit auch in ihr selbst.
Und dann, wenn die seelische Wahrnehmung, welche von der sinnlichen Wahrnehmung nun v�llig getrennt war, durch die Angst, die in ihr war, �berm�chtig wurde, wurde jede sinnliche Wahrnehmung unmittelbar zur seelischen Wahrnehmung. Was die Welt wollte, was die Nachbarn sagten, wie andere mit ihr umgingen, waren Wahrnehmungen, die viele Menschen kennen, aber sie kamen nicht als diese Wahrnehmung "bei ihr an", sondern sie h�rte zugleich den Grund dessen, was sie in der Form nur sah. Ihre Seele h�rte, was sie wahrnahm, ohne es zu empfinden, und sie f�hlte sich deshalb verfolgt, weil sie sich dagegen nicht zur Wehr setzen konnte.