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Macht und Ohnmacht und andere Formalit�ten
Was vom Wahn �brig geblieben ist, ist das Bewusstsein um seine Notwendigkeit. Er ist Not wendend, einziger Ausweg, wo ein bestehendes Machtverh�ltnis zur seelischen Enteignung eines Menschen genutzt wird. Es ist fremde Seelenmacht, die zwischen die Gef�hle tritt, wo sie sich mit eigenem Sinn regen. Der Sinn, der darin ent�u�ert ist, hat aber durchaus noch Sinn. Er k�nnte ohne dies nirgendwo sein, also auch nicht mehr nutzbar sein.
Jedes Machtverh�ltnis entspringt letztlich einer gesellschaftlichen Lebensform, also einer Form, welche f�r ein bestimmtes gesellschaftliches Verh�ltnis lebensnotwendig ist. Dies verleiht dem �bernat�rliche Kr�fte und Macht, der dies zu nutzen versteht. Nutzbar wird es durch die Abgeschlossenheit des Lebens darin und seiner Handhabbarkeit. Die H�uslichkeit der famili�ren Liebe mag Schutz spenden; sie hat aber nichts mit ihr zu tun; sie besteht aus der Sorge um ein Leben, das keine Welt hat, um die Rollen, die zur Reproduktion dieses Raumes abfallen und immer mal wieder auch f�llig sind. Dass die Reproduktion der Familie materiell wie geistig gelingt, verlangt, dass sich die Menschen darin gegenseitig als notwendige Basis des Familienganzen verstehen.
Hierdurch haben sie sich aber auch selbst gegenseitig als Lebensbedingung. Das macht ihr Verh�ltnis zwangsl�ufig kannibalisch: Sie zehren ihre Lebenskr�fte aneinander auf, indem sie sich als Lebensmittel brauchen. Ihr Lebensmittelpunkt ist ihr Dasein als Lebensmittel. Sie k�nnen keinen Zweck aufeinander beziehen, obwohl sie die Familie als gemeinschaftlichen Zweck ansehen. Aber solange sie einander als Mittel f�r ihr Leben dienen, vermitteln sie sich selbst zweckhaft. Eigennutz und Liebesgemeinschaft sind aufs Engste ineinander verschmolzen. Jeder tut etwas f�r den anderen, weil er ihn f�r sich braucht. Kein Mensch in diesem unmittelbar vermittelten Dasein ist f�r den anderen wirklich gegenst�ndlicher Mensch, ein Mensch mit Haut und Haaren, wie er f�r sich in einer bestimmten Gesellschaft angesehen werden kann. Er ist Mittel eines Gemeinschaftszwecks, der nur daraus besteht, dass alle einander etwas geben m�ssen, damit jeder etwas vom anderen auch hat. Dies erscheint so auch im Zweck des Generationsverh�ltnisses: Dadurch, dass sich die Menschen in dieser menschlichen Unmittelbarkeit gegenstandslos erscheinen, werden sie f�reinander m�chtige Naturwesen, die dadurch Naturmacht verk�rpern, dass sie in der gesellschaftlichen Isolation der Familie auch wirklich naturnotwendig sind. Wer sonst zieht die nachfolgende Generation heran, als die Eltern in kleinen und kleinsten Familien (z.B. auch alleinerziehende M�ter und V�ter)? Wo sonst k�nnen die Kinder hin, als nach Hause, wollen sie noch ihre seelischen Beziehungen bewahren. Die Psyche ist ein �berm�chtiges Bindeglied zwischen den Familienmitgliedern. Und das wei� man auch.
Das Verh�ltnis der Generationen ist zwar nat�rlich, aber in der b�rgerlichen Familie erscheint es als ihre Naturbedingung, als die "verbliebene menschliche Natur" in einem gemeinsamen Lebensbunker zweier Generationen: Der Eltern und der Kinder. Je isolierter die Menschen in einer Gesellschaft voneinander sind, desto m�chtiger wird dieser Raum. Familie als dieser Lebensrest k�mmert sich immerhin noch um die verbliebenen Momente des Lebens, dem Aufwachsen der Kinder, der Liebe zwischen Mann und Frau, der Haushaltung und Reproduktion. Von da her ist sie eine scheinbare Naturgesellschaft, eine Gesellschaft, in welcher sich die Menschen �berhaupt noch � wenn auch meist nur auf niederem Niveau � unmittelbar nat�rlich als Menschen erscheinen, auch wenn sie keinen nat�rlichen Sinn f�reinander haben k�nnen (44). Sie tun alles, um dabei mitzuspielen und m�ssen sich ihren Sinn f�reinander �bersinnlich, eben seelisch zuweisen. So entsteht aus dem geistigen Verh�ltnis, was �bersinnliche Sinne eingehen, eine Seele, die behandelt wird wie die Wesensnatur der einzelnen Menschen in der Familie. Sie ist ihr Augapfel, Sinnbild ihres Gelingens. Deshalb stehen besonders die Kinder im Kreuzfeuer seelischer Beurteilung und F�rsorge. An ihnen dr�ckt sich ja auch wirklich aus, inwieweit das Ideal des gesellschaftlich unabh�ngigen Menschen in der Familie verwirklicht erscheinen kann. So wird Familie zwangsl�ufig zu einer Scheingesellschaft; zu einer Gesellschaft, worin das als gesellschaftliches Leben erscheint, was nichts anderes als der seelische Anteil einzelner Menschen am Familienzweck ist. Als Familiensinn gefasst, wird er zum Ausdruck und Ma�stab der Geschichte � sprich: Entwicklung � der Kinder und zum Zweck ihres Werdens als Familienmensch, der mit seinen Kindern auch die Lebensform Familie fortpflanzen wird.
Die gesellschaftlichen Rollen kann man nicht fortpflanzen, wohl aber ihren Sinn. Bei Maria war es das Leben der Eltern, die Rolle von zwei Lehrern, Erziehungsprofis, die genau wissen wollten, was mit ihrem Kind ist und ihm alles bieten wollten, was aus ihm einen anst�ndigen lebenst�chtigen Menschen machen soll. Daneben gibt es auch noch ihre Liebe, und die vermischt sich in die Rolle schlicht als Lebensangst, als Angst, dass ihr Kind einmal so schlecht leben k�nnte, wie sie selbst. Aus dem Kind soll immer was anderes werden und es soll zugleich so sein, wie die Eltern. So ist der Rollenstandpunkt innerhalb der Familie. In jedem Fall soll es was Besonderes sein, das Neue und zugleich das Fortgepflanzte in einem. Maria war das ganz Besondere: Das Wunschkind nach dem Krieg. Sie sollte das neue Gl�ck einl�uten, nachdem das alte zerbombt war. Sie sollte ganz besonders unbefleckt sein von dieser schlechten Welt, die sogar ihre eigenen Nazis betrogen hatte. Ihr Leben sollte vielleicht eine Art Garantie f�r die allzeitige M�glichkeit eines Neuanfangs darstellen, den Beginn einer "neuen Gesinnung� in einer "neuen Familie�, die zwar die alte war, aber sich �ber das Kind heraus neu begr�ndet verstehen wollte � ein Kind als Lebensgarantie f�r neues Werden.
Wider alle Vernunft verliebte sich Maria in einen Mann, der sich als das Gegenteil eines Lebensgaranten herausstellte. Schutz wird durch St�rke geboten. Nichts war wirklich richtig stark an ihm. Er war selbst v�llig unsicher in seinem Leben, in seiner Erfahrung und in seinem Geschlecht. Sie erz�hlte von ihm, dass er ihr "zu gierig�, zu abh�ngig vom Erleben und dass es irgendwie schwer sei, bei ihm zwischen Lebensfreude und versteckter Trauer zu unterscheiden � alles sei so unklar.
�ber ein halbes Jahr g�rte ein Konflikt zwischen ihm und Maria �ber ihre Geschlechtlichkeit. Maria emp�rte sich �ber die Lieblosigkeit ihres gemeinsamen Geschlechtslebens und wie er mit ihr umging. Sie begann, sich vor ihm zu ekeln und wies schlie�lich den Mann br�sk ab. Er war einfach nicht "der Mann f�rs Leben�.
Aber das machte nichts besser. Wieder mal war es geschehen. Mehr noch: Das unbeholfene Geschlecht war f�r sie erkennbar. Weit nachhaltiger als die Erfahrung kindischer Gier und Unbeholfenheit verblieb die Erkenntnis eines Menschen, der in seinen gebrochenen Regungen ihr irgendwie nicht vollst�ndig fremd war. Ihr Urteil �ber ihn war zu m�chtig, um wahr zu sein, Ihre Erinnerung von den Menschen �berstand die Wahrnehmung seiner Begierden � da war irgendetwas Unbekanntes, das ihr Angst machte, und sie doch anzog, etwas von Wildheit, Hunger und Verlorenheit. Ihre Anspr�che und Sicherheitsbed�rfnisse schienen ihr zu feige, ihre Reinheitsvorstellungen �berzogen. Sie hasste das ja selbst, das tote Urteil und die absurde Reinlichkeit, die �stehtischen Anspr�che. Waren sie vielleicht ein Teil ihrer "Liebeskrankheit�, wie sie es nannte? Ihre Verunsicherung bezog sich pl�tzlich auf sich selbst. Es waren nicht nur fremde Regungen, durch die sie sich bedr�ngt f�hlte. In ihrem Reinheitsanspruch schien auch ein Verlangen versteckt, eine Absicht, die der Unwirklichkeit ihres Lebens entsprach, von der sie sich erdr�ckt f�hlte. in ihrem Sicherheitsbed�rfnis ihr verlorener Lebensmut. Beides musste jetzt bezweifelt werden. Der Geist, mit dem sie aufgewachsen war, war bisher wie ein Bann und schickte sie bei jeder wirklichen N�he in die Verbannung.
Jetzt war es so, dass der Mann in ihr wirklich kein Bed�rfnis nach N�he erweckte und ihr dennoch nah war � an irgedeiner anderen Stelle. Jedenfalls war es eine Stelle, die sie f�r sich immer ausgeschlossen, das aber mit ihr zu tun hatte. War sie vielleicht "zu Tode erzogen� worden?
Nein, es musste was anderes sein. Zum ersten Mal strudelte sie nicht ab, sondern sah einen Menschen vor sich, den sie zwar so nicht annehmen konnte, der ihr aber irgendiwe nahe war und mit dem sie das getrieben hatte, was eigentlich immer wie eine folgenschwere Tatsache ihr Leben bedr�ckte � und ihr Verm�gen, eigene Wahrheit zu versp�ren. Geschlecht ist ein menschlicher Sinn, der ihr jegliche Erkentnis blockierte und dessen Wirklichkeit sie zu Tode l�hmte. Ihr Liebeswahn vollzog dessen Negation und wurde zu einer "zentralen Wirklichkeit�, welche die geschlechtlichen "Tatsachen� aufl�ste, bevor sie wirklich f�r sie G�ltigkeit bekommen, bevor sie sie bewegten und Widerhall in ihr haben konnten. Im Liebeswahn war sie verliebt in ein Leben, das es nicht gab, und das sie zugleich aufleben lie�, weil sie darin wieder "ihre Sinne bei einander hatte�.
Den Mann konnte sie nicht annehmen und sie musste es auch nicht � nicht mehr. Seine Bedr�ngung war nicht ihre Aufgabe, sondern sein Leben, das nach fremdem Leben dr�ngte, um es zu verschlingen. Sie liebte ihn nicht als wirklichen Menschen, aber in ihm war ihr menschliche Geschlechtlichkeit wirklich begegenet. Der verliebte Strudel hatte keinen Sinn mehr. Er wurde dadurch hinf�llig, dass sie ein geschlechtliches Verhalten zum ersten mal wirklich empfand, negativ und absto�end, aber doch wahr. Ihr Verh�ltnis hierzu begann damit, dass sie dies verurteilen konnte: So kann es f�r sie nicht gehen. Auch in dieser Negativit�t, in diesem Fall nur durch sie, ensteht eine Beziehung zu dem, worum es geht, weil die Beurteilung immer ein Urteil ist, auch f�r das andere, das Positive. Die Negation fremder Besessenheit ist so auch Negation von Besitz und Position f�r Eigenes. Auch wenn sie es positiv noch nicht wirklich lebte, war doch dessen Leben auch schon in ihr, wenn sie es beurteilen konnte. Es war ein Moment der Selbsterkenntnis, die ihre vergangene Wirklichkeit gleicherma�en betraf, wie ihre potentiell gegenw�rtige. Das war die Potenz des M�glichen und das war der Punkt: Geschlecht gab es nun �berhaupt und erstmals wirklich f�r sie.
Es ist eine schlimme Geschichte, wenn ein Mensch sich von seinem eigenen Sinn fernhalten muss, weil er hierin beherrscht worden war und sich selbst beherrschen muss, um damit leben zu k�nnen. Aber es ist nicht die Geschichte eines Unbewu�ten, sondern die eines Unverm�gens. Und das ist eigentlich gar keine Geschichte, sondern ein best�ndiger Lebenszustand, der fr�her genauso war wie heute, also schon immer ungeschichtlich bleiben musste, weil er eine Lebensbestimmung enthielt, durch die sich keine wirkliche Bewegung und �nderung auftun kann (57). Es war eine Bestimmung der Selbsterkenntnis, die sich daraus n�hrte, dass ein Sinn von Maria nicht leben durfte, weil er fremdes Leben auszuf�llen hatte und er sich tats�chlich auch nicht leben lie�, also kein wirkliches Moment hatte, womit er fremde Lebenswirklichkeit wirklich erkennen konnte. Es ist nichts wirklich, was nicht wirken kann und nichts kann Wirken, wenn es in seiner Bestimmung bleibt, also kein Gegen�ber hat. Die gemeinschaftliche Bestimmung der Familie, jegliche Regung zu kontrollieren, ist nicht in der Formalit�t einer Lebenskontrolle verh�ngnisvoll � da kann man ja auch gut mal ausb�chsen. Sie ist verh�ngnisvoll in der Selbstbestimmung der Gemeinschaft, die sich zugleich auch als notwendig erweist, weil die Lebensgemeinschaft mit einer Abweisung der Bestimmung bedroht ist. So verbleibt die Selbstbestimmung auch in einem Menschen solange, wie sie nicht durch Lebenswirklichkeit in Frage gestellt, die Bestimmung der Selbsterkenntnis nicht bezweifelt werden kann. Solange keine Tat dazwischen tritt, die andere Ursachen erkennen muss, wenn sie Wirkung hat, bleibt die eigene Wirklichkeit als Selbstbeziehung gegen die Welt verschlossen, wie es auch die Familie und alle anderen Momente der Wahrnehmung war. Die Tatsache einer vollkommen abgeschlossenen Lebenswelt hatte jede Tat verhindert, die sie h�tte brechen k�nnen, und das tut sie solange, bis sie entfesselt wird � und sei es durch den Wahnsinn.
Mit dieser Entdeckung war eine neue Epoche in Marias Leben angebrochen: Ihr Lebensmut war geboren. Sie fand neue Freunde, die sie bis dahin nur befremdet h�tten. Zwar verwirrte die Beziehung zu ihnen ihre Zukunftsvorstellungen �ber die Ma�en, aber was soll eine Zukunft "in Sicherheit� schon sein, wenn daraus sowieso schon nichts werden kann, wenn sie keine Gegenwart wagt? ... Das Wagnis war die Tat, weil sie Angst macht. Sie bringt ja nicht einfach nur Unsicherheit, sondern auch Schutzlosigkeit, und das ist etwas anderes. Aber sie muss nicht immer Selbstverlust bedeuten, wenn sie der Selbstverlorenheit entsporicht. Darum ging es: Das gro�e Loch im Leben kann nicht durch Geborgenheit in Vertrautes gestopft werden. Solange es andere Menschen gibt, die sich dem �ffnen k�nnen und sich nicht an der Lebensstopferei beteiligen m�ssen, wird sich verstopftes Leben auch auftun. Vielleicht sind solche Menschen dabei auch nur ein Hintergrund, eine Art neue Familie im Kampf ums Leben � aber sie k�nnen nur Vertrauen in den eigenen Lebensmut best�rken. Einen Schutz vor dem Selbstverlust gibt es nicht.
Maria wagte es, sich offen zu verlieben, nicht nur heimlich und "hinten rum�. Auch wenn sie zun�chst dem Wahnsinn nahe war und auch etwas in den Wahn hineingeriet, so wurde er relativer. Immerhin zeigte sich jetzt auch darin nicht mehr nur eine Welt der Moralisten und Klatschweiber, sondern auch lebendes Geschlecht. Wenn die Stimmen die �ffentliche Welt vertraten, so enthielt diese jetzt erstens auch positive Geschlechtlichkeit und kam zweitens nahe an das heran, was sich in ihrem wirklichen Leben abspielte. Es ist wie mit Traum und Wirklichkeit: Irgendwann geraten beide so aneinander, dass sich das Tr�umen nicht mehr lohnt. Das Leben der Geschlechter war kein Traum mehr, zumindest nicht vollst�ndig; es hatte wirklich begonnen.
Nach einem Streit mit einem anderen Mann �ber das Thema Sex wurde Maria erstmals wirklich verr�ckt, verwirrt �ber ihre "geschlechtlichen W�nsche und Vorstellungen", die er in ihr weckte, �ber ihre Gier und Selbstbezogenheit und �ber ihre Selbstverlorenheit. Sie wurde nicht vom Wahn "�berfallen", sondern von einem Verlangen nach "dem anderen Geschlecht". Ihre Verwirrung wurde konkret. Sie konnte damit noch nichts anfangen, sich nicht wirklich darauf einlassen. So musste der einst ausschlie�liche Wechsel zwischen Realit�t und Wahnsinn aber jetzt nicht mehr eintreten. Es gab zum ersten Mal einen �bergang jenseits des Tuns, Wirklichkeit ohne Tat. Sie ertrug ihre Gef�hle.
Aber dies war erst doch nur ein Zwischenspiel. Bald darauf erwischte es sie nach einer Tagung der Evangelischen Studentengemeinde wieder voll. Sie hatte sich dort wieder zuviel evangelisch verausgabt, an das abstrakt Gemeinschaftliche hingegeben, und soviel �bersinnlichkeit erwischt, dass sie blind in ihr wirres Selbstgef�hl wieder hineingeritten war.
Als sie daraufhin wieder in die Klinik musste, lernte sie dort einen Mann kennen, dem es ziemlich �hnlich ging wie ihr, wenn auch nicht so sehr auf die Verliebtheit bezogen, aber auf das Austicken �berhaupt, besonders nach gro�em politischen Engagement. Er erz�hlte ihr, dass er seine "Krankheit" als sein Leben ansehen w�rde, dass er dies eben sei und es f�r einen b�rgerlichen K�se hielt, sich �berhaupt mit solchen Begriffen zu behelligen. Er sei halt mal so und mal anders. Wie jeder eben auch. Nur auch das wieder etwas anders. Sie erz�hlte �ber ihn, dass er ziemlich viel Verstand h�tte und gut reden k�nnte. Er w�rde B�cher �ber seinen Wahnsinn schreiben. Vielleicht trage sie ja immer noch die Trennung von Krankheit und Gesundheit in sich. Der Mann habe ihr sehr viel Kraft �bertragen, vor allem den Mut, sich vorbehaltlos zu den Dingen des Lebens zu stellen.
Diese Bekanntschaft beeindruckte Maria sehr. Der Sinn ihrer Selbstbeschuldigungen wurden ihr erkennbar als fatale Lebensbr�cke, als eine Form verkehrter Lebensbejahung: Solange sie glaube, ihrem Leben etwas schuldig zu sein, versp�re sie ein Verlangen, das sie als Schuld verstecke. Und dadurch tat sich ihr die Erkenntnis des "Normalen" im "Verr�ckten" auf, des Verkehrten, die Einheit von Richtigem im Falschen. Es war die Entdeckung von Kritik (55). Sie begann vieles zu kritisieren, was zuvor in Selbstbezichtigungen untergegangen war. Die Bezichtigungen wurden Zweifel. Der muss Unterschiede erkennen, die nur ahnt. Und Unterscheidung setzt die Erkenntnis von dem frei, was bis dahin als einerlei erscheinen konnte. Es ist ein langer Prozess, der � erst mal betreten � seine eigene Entwicklung enth�lt und all das freisetzt, was bisher nur im verborgenen wirken konnte (56).
Sie sah den Willen und das Interesse ihrer �rzte deutlich auf deren Karriere und nicht auf sich bezogen, wie sie das Forscherinteresse zuvor interpretiert hatte. Deren F�rsorge, die sie vordem als v�terlich empfunden hatte, wurde ihr zu einem professionellen Gehabe, mit dem sie eingeschl�fert werden sollte, und das schon von daher den Pillen entspr�che. Ob dieser Br�cke bekam sie auch Einsicht in die Abgeschmacktheit der Lebensorganisation in der Psychiatrie. Die Regelhaftigkeit der Pillenverteilung wurde ihr zur �bermittlung eines institutionellen Lebensprinzips, die Diagnose zu einem Gottesurteil und viele Ereignisse des Alltags auf Station zu einem Unterwerfungsritual. Sie war mit einem Mal richtig wach. Sie beobachtete alles und sp�rte, dass sie hier nicht mehr her geh�rt. Dieser Klinikaufenthalt war ein voller Erfolg. Meines Wissens war es der letzte.
Maria war bald darauf mit ihrer Ausbildung fertig und wollte in eine andere Stadt ziehen, in der sie ihren Beruf aus�ben konnte. Ihr Leben schien jetzt erst richtig anzufangen. Wer nur hatte sie solange und mit solcher Qual aufgehalten? Wieviel Zeit verbraucht doch ein Mensch, nur um das Binnenleben einer Familie zu �berwinden! Was dort alles geschehen war, kann ich mir auch nur so vorstellen, wie ich es vorgestellt habe. Aber das reicht auch.
Ich h�rte ab und zu mal etwas von ihr per Telefon. Jahre sp�ter besuchte sie mich in M�nchen und bedankte sich f�r das, was wir f�r sie getan h�tten. Ohne uns h�tte sie es nicht geschafft, das w�sste sie. So hatte es denn doch sein Gutes. Sie erz�hlte, dass sie v�llig frei vom Wahnsinn sei. Sie lebte in ihrer neuen Umgebung auf, hatte viele Freunde und war es zufrieden.
Es klingt wie ein Happy-End. Nat�rlich stimmt es nicht, dass es einen gradlinigen Weg aus dem Wahnsinn g�be, der nur so oder so begangen werden m�sste. Und schon gar nicht gibt es dabei eine eindeutige Beschreibung der Seelenzust�nde, eine Klassifikation der Psyche, die einen Sinn dadurch haben soll, dass man daraus eine Therapie oder Hilfe erschlie�en k�nnte. Es gibt zwar Zust�nde der Psyche, die ihre Not offenbahren; es gibt aber keine Schizophrenie (Spaltung des Kopfes). Neben dem, was die Psyche auch anstellt, gibt es immer noch den Geist eines Menschen, den er entwickeln kann, um sich zu verstehen. Was es von professioneller Seite an Verstand gibt, alleine schon in Begriffen zu ihrer "Krankheit� gegeben hat, offenbart den diagnostischen Schwachsinn der Psychiatrie. Ihr ist es im Grunde gleichg�ltig, wie sie es nennt. Sie will ja auch nur Symptome abschaffen und so greift sie sich die Synapsen. Das ist nicht nur eine Pers�nlichkeits- und K�rperverletzung. Wie jedes Lebewesen, das seine Sinne und seine Umwelt integriert, adaptiert ein medikament�s vollgepumpter Mensch auch die Blockaden seiner Synapsen. Ist das Rebound-Syndrom entwickelt, so wird ein Mensch wahnsinnig, wenn er die Chemie nicht in seinem K�rper hat. Dieser Wahn ist nicht mehr zu menschlich zu begreifen. Wer sich nicht auf sein wirkliches Leben bezieht, wird auf diese Weise zum Zombie.
Die Entlastung durch Chemie ist sehr vorr�bergehend. Und es ist hart, einzusehen, dass es keine Hilfe gibt. Aber es ist die Bedingung, sich selbst so anzunehmen, wie man ist und wohin man geraten ist. Wirklich helfen k�nnen eigentlich nur existentielle Grundlagen, die es erm�glichen, den Wahnsinn zu erkennen. Dazu geh�ren auch Menschen, welche die richtigen Fragen haben. Liebe und Freundschaft w�re die einzige wirkliche Hilfe, aber die kann man nicht haben, wenn sie nicht entsteht. Aber unter entsprechenden Bedingungen kann sie wenigstens entstehen.
Maria war in einer aussichtslosen Situation, als sie zu uns kam. Die Symbiose von ihren Eltern mit der Psychiatrie h�tte sie wahrscheinlich nicht durchbrechen k�nnen, wenn sich hierzu niemand ausdr�cklich verhalten h�tte. Das ist ungemein wichtig. Das ist keine Hilfe; es ist ein Verh�ltnis zu dieser Welt. Zugleich gibt es die Welt von Maria, und die ist ganz anders, wei� von alledem nichts und will nichts wissen, was ihr unerreichbar fremd ist. Aber was ihr im Sinn war, das war auch ihr Weg. Zwar war wichtig, dass es uns alle gab, vor allem auch die Wohngemeinschaft und der ganzen Verein mit den Diskussions- und Kontaktm�glichkeiten, die er bot. Aber sie war es, die es geschafft hatte. Sie hatte Gl�ck gehabt, dass sie doch so lebenss�chtig geblieben war. Darin wurde sie best�rkt und von da her hatte sie viele Freundinnen und Freunde. Das war ihre Welt und es war eine neue Welt. Die hatte sie sich richtig hart verdient. Um das Gl�ck war es in unseren Gespr�chen und bei unseren Spazierg�ngen nie gegangen.
6. Die Krankheit der Wirklichkeit
Die G�tter kommen nicht von weit her. Sie werden von den Menschen hergesehnt zur Erf�llung, zur F�llung ihrer Abgr�nde. Heilig sei, was nicht ist! Jeder Gott verleiht ihrem Elend den Schein unendlicher Geborgenheit: Sinn durch ein Jenseits, der den Menschen im Diesseits mit der Leuchtkraft eines fremden Herzens bescheint. Dieses gibt sich f�rsorglich wie Papa und Mama und autorisiert sich dadurch, dass es aller Not die Vernunft der ewigen Notwendigkeit menschlichen Leidens zuweist. Der Mensch ist arm dran.
"Ein wenig besser w�rd� er leben,
h�ttst Du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben.
Er nennt�s Vernunft und braucht�s allein,
um tierischer als jedes Tier zu sein.�
(Goethe, Faust I, Mephisto im Prolog zu Gott gewandt)
Vernunft als "Schein des Himmelslichts� bewahrt die Welt vor ihrer T�cke, erkl�rt sie f�r vern�nftig und beschert ihr somit einen Sinn, den sie ohne menschliches Zutun haben soll. Sie h�lt sich selbst zusammen, wenn sie ihrer Notwendigkeit folgt und sich der Mensch in ihrem Sollen einfindet. Das sagen auch die wissenschaftlichen Aufkl�rer, die G�tter der Moderne � vor allem die Psychiater. Zum Problem wird so die Unvernunft des Menschen, die Welt seiner Gef�hle, seine Verr�cktheit und sein Wahnsinn.
Der gro�e Geist der Vernunft breitet sich �ber dem Geist der Menschen aus wie ein Schaumstoff, der seine Druckkammer verl�sst. Er best�rkt ihre scheinbare Ohnmacht darin, dass sie sich ihres Lebens sowieso nicht gewiss werden k�nnen, weil es Gewissheit nur in der Welt geben k�nne. Es l�ge an der Psyche, dieser schillernden Vielfalt der Gef�hle und ihrer �berm�chtigen F�higkeit, Menschen und Welten zu begeistern, zu verhexen, zu erheben, zu bedr�ngen oder zu versto�en und anderes mehr.
Die Psychologen waren teilweise aber auch angetreten, um die Seele gegen diese �chtung der Vernunft zu verteidigen. Sie haben sich zun�chst auf die Vernunft der Natur berufen, die ja schlie�lich ein Teil der Welt sei. Es entstand (namentlich durch Freud) eine Mythologie der individualisierten Natur, welche dem ewigen Prinzip der Vernunft darin folgte, dass der Mensch einen "seelischen Apparat� habe, der dem energetischen Prinzip gehorche, einem Bewusstsein, das seiner nat�rlichen Vernunft, letztlich seinen Trieben zu folgen habe, wenn auch manchmal unbewusst.
Die Welt blieb dabei unbenommen; sie wurde aber immerhin daran gemessen, wie nat�rlich sie auch sei, und wie weit sie sich zugleich als Kultur der Natur vern�nftig entgegenstellt, um das Tier im Menschen zu b�ndigen. So zog Kultur in die Wissenschaft ein als ein sublimer und sublimierter Geist der Vernunft, aus dem sich menschliche Entwicklung �berhaupt erst erkl�ren l�sst: Als die Entwicklung des Naturgeistes zur gesellschaftliche Natur der Menschen. Doch dieser Geist funktioniert nur in bestimmten gesellschaftlichen Schichten und auch dort nur solange, wie der B�rger sich damit bereichern kann. Wo nicht, da wurde Psychologie zur Praxis gerufen; die gesellschaftlich gebotenen Regeln der kultivierten Vernunft standen zur Disposition. Auf die �konomischen Krisen w�rden die kulturellen auf dem Fu� folgen. Psychologie sollte diesen Geist der gesellschaftlichen Natur des Menschen daher auch praktisch vertreten.
Sie wurde hiermit zu einer neuen Art von Religion, einem Glauben an den Gott im Menschen, sei er der Gott der Liebe, der Gott der Geborgenheit, der Zwischenmenschlichkeit, der Aufgekl�rtheit, der menschlichen Ohnmacht usw. Aber auch der Teufel wird so in den Menschen versetzt. Wie er einen guten Geist hat, wenn er dem gesellschaftlich Gebotenen folgt, so hat er auch einen B�sen, wenn er ihnen widerstrebt. Das ist dann das Monster in ihm, das eigentlich B�se, das Ungeheuer, das Unheimliche. Jeder praktisch orientierte Psychologe und Psychiater hat diese Seele im Sinn, wenn er sich so seine Gedanken um die Anforderungen der Kultur an die Seele macht (vergl. C. G. Jung). Die Seele will er b�ndigen, indem er sich ihrer bem�chtigt, oder indem er sie �berh�ht, sie zum kleinen Gott der Kultur macht, der er dienlich sein will als Berater des Guten, der auch mal Hand anlegen kann gegen das B�se. Der Verstand der Psychologie wurde so zur praktischen Vernunft der Theosophie, der Logik eines unendlich unbestimmbaren Dahinterseienden, halb Mensch, halb Gott. Was sonst vielleicht ein trivialer Hintersinn w�re, der ebenso trivial zu bestimmen sein m�sste, das wird so monstr�s wie der Psychologe oder die Psychologin als Seelenb�ndiger sein will.
In dieser sogenannten Wissenschaft von der Seele wird jetzt die Psychologie zum Guru, zum Vollstrecker der Kultur. Das will nicht jeder sein, der die Angst der Menschen darin vor Augen hat. So entstehen inmitten "wisenschaftlicher Praxis� die Aufkl�rer, welche die Lebensangst des modernen Menschen zu seiner Wesensnotwendigkeit erkl�rt. Die Existenzialisten lassen den Menschen immerhin so, wie er ist und nehmen sich von ihm das, was sie gebrauchen k�nnen, zur Lebensessenz. In der ganzheitlichen Psychologie wird der Mensch durch den Menschen bereichert, wenn er seiner Angst folgt und seine Kultur gegen sie begr�ndet. Dem Intellektuellen mag dies reichen, der Verr�ckte kommt darin um � Angstkultur war ja seine Geburtsstelle.
Auf seine Seite stellt sich eine psychologische Kritik an Psychologie und Psychiatrie in einem (namentlich Foucault), welche die Besonderheit des gesellschaftlichen Subjekts betont, und seine Bedrohung in den M�chten der Wissenschaft (institutionelle, pastorale und biologische Macht) sieht, die sich der seelischen und geistigen Entwicklung des Menschen, der Entwicklung seiner Kultur entgegenstellen und darin Macht schlechthin als das Unmenschliche schlechthin darstellt. Da geht es nicht um die aufgekl�rte Verg�tterung der Seele individualisierter Menschen und auch nicht um ihre essentielle Ausschlachtung, sondern um die Beseelung des Menschen, um die Kritik an seinem Unverm�gen, eine Welt der guten Gef�hle und des erweiterten Bewusstseins zu schaffen. Diese psychologisch aufgehobene Psychologie erzeugt den Gott, den unvollkommene Kultur n�tig haben soll, der ihre Vollkommenheit schon als Arbeit des Intellektuellen an der Psyche der Menschheit, als Vorschau in die Vergangenheit, als seelische Arch�ologie vorwegnimmt. Sie beseelt das Bild von einem Menschen, der sich seiner G�te schon bewusst ist, bevor er erweisen muss, dass er Verstand hat und dass er verstanden hat, was ihm widerf�hrt. So wahr die Kritik an den M�chten der Wissenschaft auch ist, ihre T�tigkeit �ndert sich auch dann nicht wesentlich, wenn sie mit G�te und im freien Diskurs mit den Beteiligten angewandt wird, solange sie nicht ein wirklich anderes Wissen �ber ihren Gegenstand, also �ber die Psyche hat und daran weiter arbeitet.
Es ist eine Theosophie des psychologischen Egos, die den Menschen an seine Psyche gemahnen will, an ihre Sensitivit�t, an Gesp�r und Gef�hl. Dieses erscheint durch die Macht bedr�ngt, die Mensch und Welt in den Gef�hlen einnehmen. So wendet sich Gef�hl gegen alles, was m�chtig erscheint. Ihm wird der Grund auch schneller evident, als dem Verstand: Es ist das, was an Macht zu f�hlen ist �berall dort, wo etwas oder jemand m�chtig auftritt, auch wenn darin nur wirkliche Ohnmacht zum Ausdruck kommt. Erscheinung und Wesen wird eins und somit auch vereinseitigt: Mit der Macht wird auch die Ohnmacht bek�mpft � und das kann sich nur die G�te des gehobenen Lebens leisten. Die Mahnung an die Psyche l�hmt, was sie bef�rdern will. Wer nicht erkennt, was Macht wirklich ist und nur der Psyche gemahnt, der setzt die Menschen unter die Gr�nde herab, die sie nicht sein lassen, wie sie sind. Macht wird nur seelisch verbr�mt und in ihrer Begr�ndung totalisiert. Die Psyche zeigt sich somit als eine geistige Abstraktion die zu allem taugt. Und sie nutzt vor allem der herrschenden Kultur. Und das tut sie auch wirklich.
Psychologie muss sich deshalb selbst zu einer geistigen Kraft emanzipieren, die von dem ausgeht, wof�r sie gebraucht wird: Die wirkliche Not der Menschen auch wirklich anzugehen. Wirkliche Not unterscheidet sich von der seelischen vor allem im Ort, also dort, wo die Gr�nde und Ursachen von Wirkungen auf den Menschen, in welcher Form auch immer er sie erf�hrt, liegen. Gemeinhin nennt man das die Wirklichkeit. In der Psyche erscheint sie am falschen Ort. Wenn das wahr ist, so kann Psychologie auch nur als Kritik der Psyche wahr sein.
Doch um welche Wirklichkeit geht es hier? Eine sachliche kann es nicht sein, da es sich um Wirkungen handelt, die Menschen unmittelbar aufeinander haben, wenn sie seelisch reagieren. Zwischen Menschen kann aber nur eine zwischenmenschliche Wirklichkeit sein. Und wenn die als Wirklichkeit einen eigenen Fortbestand hat, muss es etwas geben, was die Zwischenmenschlichkeit f�r sich sein l�sst. Die Psyche muss also aus einem Verh�ltnis kommen, in welchem Menschen Wirkung aufeinander haben, die nicht f�r sie sein kann, die sie nicht so wahrnehmen k�nnen, wie sie diese wahrhaben. Es ist Verh�ltnis, worin Erkenntnis nicht gewiss sein kann, warin aber alles besteht, was die zwischenmenschliche Erkenntnis ausmacht.
Wie schon an manchen Stellen dieses Textes gezeigt, geht es hierbei um ein Wahrnehmungsverh�ltnis, das sich zwischen der Wahrnehmung (subjektiv als Empfindung) und dem Wahrhaben (subjektiv als Gef�hl) errichtet. Zwischenmenschlich sind die Menschen f�reinander das, als was sie sich Wahrhaben, wenn sie sich wahrnehmen. Ihre Gef�hle h�ngen von ihren Empfindungen ab, die sie subjektiv wie objektiv von einander haben. Und in ihren Gef�hlen stellt sich dar, was sie subjektiv wie objektiv f�r einander sind. Ich versuche in einem anderen Text, zu zeigen, dass es sich bei dem Wahrnehmungsverh�ltnis, bei dem Verh�ltnis von Empfindung und Gef�hl, um die Elementarform der b�rgerlichen Kultur handelt (vergl. die Systematik der "Skizzen zu einer Erkenntnistheorie der Kultur�).
Das gro�e R�tsel ist jetzt, wie es m�glich ist, dass Gef�hle, die doch so subjektiv und augenblicklich sind, eine Existenz au�erhalb der Menschen bekommen k�nnen, also auch objektive Wahrnehmungsform sind � nicht wie in der Kunst als �u�erung von Menschen in einem Kunstwerk, worin sie materialisiert sind, sondern als eigene Wirklichkeit zwischen den Menschen, die nur ist, soweit sie zwischenmenschlich miteinander verkehren.
Aus was kann solche Wirkung sein, was �u�ert sich darin, was erh�lt sie f�r sich? Das waren ja auch die Fragen, die jede Psychologie zu beantworten hatte oder h�tte. Die Antwort ist nur deshalb so schwer, weil sie in alles hineinreicht, was die Geisteswissenschaften f�r sich erh�lt. Ich hatte die Substanz zu finden, welche die seelische Wirklichkeit zwischen den Menschen ausmacht. Alle in der Psychologie dargestellten Substanzen (z.B. Sexual- oder Naturtriebe) konnten nach meiner Auffassung nicht erkl�ren, warum sich seelische Wirklichkeit verselbst�ndigt, zu einem selbst�ndigen Ganzen macht, das ich nach langem Zweifel doch anerkennen musste. Auch wenn Psychologie sich zu einer positiven, also unkritischen Erkenntnistheorie aufbaut, bleibt diese Selbstst�ndigkeit v�llig unber�hrt und unbetroffen und wird eher verschleiert, als dass sie aufgehoben werden kann. Das Problem spielt sich im wirklichen zwischenmenschlichen Leben ab. Was kann es seelisch so bestimmen, dass sich die Menschen darin verlieren. dass sie sich selbst nicht mehr kennen, dass sie sich selbst fremd sind und gegen ihre eigenen Wahrnehmungen auch bleiben?
Zwei Grundlagen habe ich hierzu festgestellt.
Erstens: Menschen haben k�rperlich wie geistig unmittelbar Sinn f�reinander weil sie selbst gegenst�ndlich sind, als menschlicher Gegenstand existieren, der sie als Gattungswesen einander sind, geworden als menschliche Sinnbildung im Leiden wie im T�tigsein, als gewordener Selbstgenuss des Menschen im einzelnen, wie auch im Allgemeinsein seines gesellschaftliches Wesen. Dieses ist nat�rlich und sozial in einem, Produkt und Produzent der Geschichte sowohl der menschlichen Natur, als auch des nat�rlichen Menschseins. Der Mensch ist als Einzelner wie als Gesellschaft immer ein nat�rliches Wesen, das geistig wie k�rperlich ungebrochen teilnimmt am Wesen der Natur, wie es durch seine Natur auch Gesellschaft bildet, Natur vergesellschaftet. Ein vorausgesetzter Gegensatz von Geist und Sinn, Natur und Kultur oder �hnliches, was in Psychologie und Philosophie so kursiert, er�brigt sich in der Feststellung, dass alles menschlicher Sinn ist (46).
Zweitens: Menschen beziehen sich unmittelbar sinnlich nur im Raum aufeinander. In der N�herung und Entfernung, in der Form ihrer Anwesenheit steckt auch die Form ihrer unmittelbaren Sinnlichkeit als unmittelbares Gattungswesen. Das ist die Grundlage ihrer Gewissheit, ihrer Erkenntnis und Selbsterkenntnis. Was immer auch ihre Geschichte sei, sinnlich besteht sie zwischen ihnen unmittelbar, also jenseits der Lebensmittel, nur in r�umlicher Bestimmung von An- und Abwesenheiten von Menschen. Im Verh�ltnis von diesen Wesenszust�nden (Abwesenheit und Anwesenheit) dr�ckt sich somit auch das Quantum jeglicher Sinnlichkeit aus: Ihre Kraft, Macht und Gewalt. Wenn sich Sinn unmittelbar selbst�ndig macht, so kann er nur r�umliche Formbestimmung haben. Maria hatte das selbst deutlich gemacht, als sie die Unm�glichkeit einer Ann�herung damit ausglich, dass sie "die Zeit umstellte� auf ein anderes Jahr, in dem die N�he vollzogen w�re, wenn die Zeit eben schon reif gewesen w�re. Auch viele unserer Tr�ume beweisen es: Zeit spielt f�r die Seele keine Rolle.
Aus diesen beiden Feststellungen er�ffnete sich mir die Erkenntnis, dass alles, was zwischenmenschlich ist, menschlicher Sinn ist und menschlichen Sinn hat, der sich in r�umlicher Bestimmtheit verh�lt. Das klingt trivial, ist aber f�r alle weiteren Erkenntnisse der Seele und der ganzen b�rgerlichen Kultur des Pudels Kern. Wo n�mlich Empfindung und Gef�hl sich nicht erkennend bilden k�nnen, wo sie nicht ineinander �bergehen k�nnen und ihr zwischenmenschliches Dasein in Selbsterkenntnis abstreifen und aufheben und bewahren k�nnen, da bilden sie einen Sinn, der keinen Sinn hat und der nur besteht, wo der Raum hierzu ist, in welchem er seinen Sinn hat oder nicht hat (z.B. mit anderen bestimmten Menschen oder ohne sie). Wo es keinen wirklichen Sinn gibt, da ist es ein abstrakter Sinn, welcher die Sinne zusammenh�lt und zusammenzwingt, in diesem Raum. Die b�rgerlicher Kultur ist mit all ihren Momenten abstrakt menschlicher Sinn in den R�umen ihrer Lebensverh�ltnisse (45).
Zugleich ist damit gesagt, das sie eine reduzierte Form der Erkenntnis ist. Wo sie zur Erkenntnis ansetzt, da verliert sie sich auch schon im Raum, in der Unendlichkeit ihrer M�glichkeiten, die wie ein Kosmos erscheinen, wie ungeahnte M�glichkeiten der Vielfalt menschlicher Beziehungen, die allerdings allesamt der Einf�ltigkeit eines Massemenschen zustreben, an dem sie sich immer wieder absto�en und bemessen. Auch der zwischenmenschliche Sinn hat seine Form im Haben, in der Rohheit seiner Abwesenheit (47) � aber im r�umlichen Sinn, in der Bestimmung �ber Anwesenheit. Dies macht die Bestimmung der Seele, ihre Regungen, Erregungen und Absichten aus.
Der wirkliche Ort, an dem Psyche besteht und sich fortbestimmt, ist vor allem die b�rgerliche Familie. Dort sind die Menschen f�reinander wirkliche Lebensbedingung, also eine Bedingung f�r das Leben, die Wirkung hat. Wiewohl dies auch schon in zwischenmenschlichen Beziehungen so ist, wird hier besonders dadurch, dass sie der Ort ist, worin sich das Verh�ltnis der Generationen gr�ndet und fortbestimmt, ein besonderes seelisches Verh�ltnis erkennbar, das auch pers�nlich vertretene Macht enth�lt. Wiewohl diese der famili�ren Existenz entspringt, der Notwendigkeit individueller und privater Reproduktion, so tritt sie in dem Verh�ltnis von Kindern und Eltern doch als liebende F�rsorglichkeit in einem Erziehungsverh�ltnis auf. Das l�sst subjektive Beziehung objektiv bestimmt sein, da es allgemein und objektiv f�r das Ganze der Gesellschaft n�tig ist, dass sich die Menschen so in sie einbringen, wie es dort zum Ablauf der Produktion und zur Bewahrung der Kultur n�tig ist.
Wir haben gesehen, dass in diesem doppelten Sinn Macht durch Notwendigkeit vermittelt wird. Es w�re einfach, hier auch den Machtmissbrauch mit einzubeziehen. Doch der hat mit Psyche nichts zu tun. Das Problem ist auch eher, dass er vom gew�hnlichen Gebrauch elterlicher Macht kaum zu unterscheiden ist. Die Eltern bestimmen den Lebensraum sowohl als Personen durch einzelne Positionen und Funktionen, als auch als Mensch, wie er einfach und unmittelbar in diesem Raum ist und sein kann. Nicht nur, wenn die sich fundamental streiten, bekommen die Kinder existenzielle Lebensangst, sondern auch schon, wenn sie sich �berhaupt entgegenstehen in der Liebe, die f�r die Kinder nur Einigkeit zu bedeuten hat. Die Eltern leben in der b�rgerlichen Familie f�r diese kleine Lebensburg, in welcher sie ihr Leben und das der Kinder bewahren und zur Welt bringen. Weil sich in den Kindern jedes Verh�ltnis der Eltern nicht nur pers�nlich, sondern als Umwelt und Bedingung abspielt, dr�ckt sich in ihnen auch der Sinn aus, den Eltern nicht f�reinander haben. Wenn sie sich entgegenstellen in dem, worin sie verbunden sind, heben sie ihren Sinn f�reinander auf. In den Kindern dr�ckt sich der Unsinn der Beziehung ihrer Eltern, die Symbiose ihres Lebensverh�ltnisses aus. Die Psyche ist das Zusammensein von Gef�hlen, die ihre Empfindung darin aufgehoben haben. In ihr lebt daher vor allem der Sinn, der keine Welt hat, der sich in der Welt behaupten muss (siehe symbiotische Selbstbehauptung), auch wenn er Unsinn ist.
In Maria hatte sich das ausgeschlossene Geschlecht ihrer Eltern geltend gemacht. Die Vermittlung war � wie gezeigt � recht kompliziert. Jetzt gehen wir von diesem Resultat aus und stellen fest, dass sich eine h�usliche Wirklichkeit im Wahnsinn von Maria ausgedr�ckt hat. Aber auch diese Wirklichkeit ist noch nicht f�r sich zu begreifen. Warum sollen Menschen in einem Haushalt zusammenleben, die sich im Grunde bek�mpfen m�ssen, warum sollen sie Kinder haben und ausdr�cklich als Familie bestehen? Ist das nur ein Problem der versp�teten Erkenntnis oder ist es sogar f�r sich � das hei�t: f�r eine bestimmte Lebensbeziehung � notwendig?
Die Familie ist nicht nur ein machtvolles Verh�ltnis, weil sie f�r die private Haushaltung mit Kindern notwendig erscheint. Sie teilt sich auch nicht nur �ber die reale Macht der Eltern �ber ihre Kinder mit (die k�nnen sich ja inzwischen auch schon ganz gut wehren!), sondern �ber die Lebenstatsache selbst, dass Mann und Frau und Kinder in der burgherrlichen Gesellschaft keine andere Beziehungsform haben k�nnen, dass sie als Mensch nicht vollst�ndig sind, wenn sie diese Form verlassen oder insgeheim aus ihr heraustreten (z.B. als sexuelle Freiheiten der Eltern oder scheinbare Unabh�ngigkeit der Kinder). Die Familie besteht nicht durch die Form, wie sie politisch oder �konomisch bestimmt ist, sondern durch den Raum der wesentlichen Intimit�t des Gattungslebens und das hat in der b�rgerlichen Gesellschaft keine Alternative � selbst wenn es alles gibt, was man zum alternativen Leben braucht. Weder das armselige Dasein als Single, noch die Lust der freien Beziehungen kann man als Alternative zur Familie ansehen. Sie allein ist tats�chlich das einzige wirklich reproduktive Lebensverh�ltnis des Menschen in der b�rgerlichen Gesellschaft � und wenn aus auch nur in der verk�mmerten Form der sogenannten Alleinerziehung besteht.
Diese Gesellschaft zeichnet sich ja dadurch aus, dass sich ihre Wirklichkeit nur aus Privatwelten jenseits des gesellschaftlichen Verh�ltnisses der Lebenserzeugung (die Produktion der G�ter des Lebens durch Arbeit, Technik und Hirn) zusammensetzt, die sich in ihrer Existenz zugleich voneinander absto�en, wenn sie um die Sicherheit und Best�ndigkeit ihrer Existenz konkurrieren. Die Kultur, welche dieses Lebensverh�ltnis hervorbringt, erscheint wiederum als eine gro�e Vers�hnung der Menschen � sofern sie sich in ihren Wahrnehmungen gleich gelten und Gef�hle austauschen k�nnen (vergl. hierzu "Skizzen ...�).
Hierdurch bekommen die Gef�hle der Menschen einen gegenst�ndlichen Charakter: Sie sehen sich darin vergegenst�ndlicht und gr�nden hierauf ihre zwischenmenschlichen Beziehungen; sie sehen sich darin als Mensch gesellschaftlich repr�sentiert und eignen sich ihre wahrgehabte Repr�sentanz in ihrer Wahrnehmung wiederum an. In dieser Kultur erscheint der Mensch in der Tat gesellschaftlich verwirklicht, sofern er aus Gef�hlen besteht und als solcher Gef�hlsmensch wahrgenommen wird und wahrnimmt (50). Er bezieht sich hierdurch auch sinnlich und als Gattungswesen auf andere Menschen seiner Kultur, ohne darin f�r sich wirklich Sinn zu finden. Das sinnliche Leben verhallt im Cyberspace von Gef�hlen, die ihren Sinn nur au�er sich haben k�nnen und ihresgleichen in der Sehnsucht hiernach vereinnahmen. Die Kultur besteht aus dieser Gef�hlswelt und vermittelt darin eine Gesellschaftlichkeit, welche nur zwischenmenschliche Wahrnehmung jenseits der gesellschaftlichen Produktion des Lebens haben kann. Sie besteht aus Gef�hlen, worin die Menschen ihre Wahrnehmungen vergegenst�ndlicht haben: Aus objektiven Gef�hlen, in denen ihr abstrakter Sinn haust. Um in Gesellschaft zu sein, muss man diesen Sinn teilen und er l�sst sich auch teilen, weil er keinen wirklichen, bestimmten und konkreten Sinn hat � eben weil er der Sinn menschlicher Selbstentfremdung ist. So geschieht, was geschehen muss, wenn Gef�hle objektiv bestimmt sind und bestimmend werden: Ihre Objektivit�t wird selbst zum Gef�hl. Das aber erzeugt eine verheerende Stringenz in dieser Kultur, die ich abschlie�end noch aufzeigen will.
Objektive Gef�hle und gef�hlte Objektivit�t
Im Wahnsinn erf�hrt sich ein Mensch als Objekt seiner Gef�hle. Dies schon setzt voraus, dass sie ent�u�erte Subjektivit�t haben m�ssen, welche zugleich objektiv fortbesteht. Ein Mensch erleidet darin an ureigenster Stelle und auf den Punkt genau seine Fremdbestimmung, das ihm entrissene Eigene als seine Besessenheit. Dies wird im Wahnsinn so empfunden, weil es darin selbstst�ndig ist, selbst�ndiger als in allen anderen Formen und Krisen seelischer Enteignungsprozesse. Jenseits hiervon ist die Empfindung noch selbst gegenw�rtig. Im Wahnsinn besteht auch alles, was Gef�hle objektiv sein l�sst: Das Fremderleben der eigenen Sinne im Grunde eines Lebens in der Selbstentfremdung, am Boden eigener Nichtigkeit, lebender Selbstverachtung.
Wir haben gesehen, dass sich der Wahnsinn auf einem ausgeschlossenen Sinn entwickelt (z.B. Geschlecht), der als Lebensbedingung existiert, ohne als solche Bedingung wahrnehmbar zu sein. Er existierte hier in der Notwendigkeit einer Familie, in welcher das Eheleben der Eltern einen Sinn hervorbringt, der aus der Angst ihres Verh�ltnisses selbst entsteht und fortbesteht: Der Sinn f�r die �sthetik des Zwischenmenschlichen, dem Gebot der Unterwerfung aller Lebensinhalte an die zwischenmenschliche Lebensformen, besonders der Familie. �sthetik f�r sich genommen, also unabh�ngig von den Sinnen, die sie ausdr�cken kann, ist eine Reaktion auf unerf�llte Sinnnlichkeit, auf den Widerspruch der Sinne, und hebt auf, was sie verk�rpert.In diesem Sinn ist sie reaktion�r und gemahnt der Negation von Sinn durch Enthaltsamkeit, Reinheit, Ehrfurcht, F�rsorge, Gesundheit usw.
So hat der Geisteszustand eines "Eheproblems� unter der Bedingung der Familie eine Formverwandlung erfahren, welche den Sinn hat, die Familie zusammenzuhalten, indem es zugleich abwehrt, was sich aus ihm hervordr�ngt: sinnliche Erregungen dort, wo sich noch Sinn regt. Diese Umkehr von toten Gef�hlen zu Erregungen ohne Sinn ist ein Symptom der Domestikation, die eine Gier auf lebende Sinnlichkeit hervorruft, welche die Gewalt der Lebensform umsetzt (in dieser Form wurde dies auch bei der Schweinezucht beobachtet � siehe Fu�note 20). So gesehen gebiert das angstvoll "geschlossene System Familie� den Vampirismus, den sie bef�rchtet. Das klingt wie systemische Psychologie in Einheit mit Psychoanalyse (52) und wird auch dort hinreichend best�tigt, wenn auch gerne mit personifisierter Schuldzuweisung, die solche Erkenntnisse sogleich zunichte machen. Aber auch hier ist dies nur die spekulative Seite der geschichtlichen Rekonstruktion.
Objektiv werden diese Gef�hle erst durch die Formbestimmung, die hier hinzutritt und subjektiv gewollt ist: Im Lebensraum Familie haben die Gef�hle der Eltern als Lebenshaltung und Familiensinn alle Beziehungen so umstellt, bis sie hiervon auch umzingelt waren. Die bedr�ngten Regungen sind gut gehei�en durch die Liebe, die sie enthalten und den Raum auch als notwendiges Gef�ngmnis best�tigen. Es ist eine liebende Gefangenschaft, in der die Regungen negiert sind, wo sie zugleich f�rsorglich betreut werden. Sie m�ssen in der Ausweglosigkeit des famili�ren Innern zu Erregungen werden, die nicht aus ihr heraus d�rfen und dies auch nicht k�nnen, weil sie jenseits der Familie keinen Sinn haben (das hatte auch Marias Traum von ihrem Widerspruch zu einem Kampf in der Welt und der Pflicht ihrer F�rsorge geoffenbart). Alle Regungen und Erregungen bestehen ja weiterhin aus dem Einschluss in das Familiensystems als ausschlie�liche Form zwischenmenschlicher Liebe � und hierdurch wird sie notwendig inzestu�s. Die Liebe, die hier bestehen und fortbestehen kann, ist ungef�hr genauso objektiv wie eine Klimaanlage: �berhitzung wird gek�hlt (abget�tet), Unterk�hlung wird erw�rmt (belebt), all dies im Regelprinzip der Psyche dieses Familienlebens, der sogenannte Familiensinn, in dem sich der Geist der Eltern als Ungeist bet�tigt, als absolutes F�rsorgeprinzip, als vollst�ndige Kontrolle des Lebens der Kinder (51).
Familie erweist sich so als ein Lebensraum objektiver Gef�hle, welche die Menschen einschlie�en, die darin ihre Menschwerdung suchen und sie daher vom Menschsein ausschlie�t, wie es jenseits der Familie besteht. Sie empfinden es, ohne hierdurch andere Gef�hle zu bekommen oder zu haben. Sie m�ssen in einem endlosen Zirkelschluss von Gef�hlen und Selbstgef�hlen existieren, aus dem es kein Entrinnen gibt, solange sich alles hierbei gegeneinander abst�tzt und daher auch funktioniert � oder durch den Wahnsinn zusammenbricht, der daraus hervortritt.
Sch�n w�re es, wenn es jenseits hiervon anders zuginge. Doch objektive Gef�hle machen den ganzen Zusammenhang der b�rgerlichen Kultur aus � sie ist letztlich das Dasein abstrakt menschlicher Sinnlichkeit im zwischenmenschlichen Leben. Die b�rgerliche Kultur ist zum einen wirklich Kulur, Lebensweise der menschlichen Sinne, Gestalt und Gestaltung des Menschen, wie er auch ohne seine Lebensstoffe, seine Sachen, anzuschauen ist. Die Gestaltung des menschlichen Lebens, wie sie alle Kr�fte der Subjektivit�t ausdr�cken (z.B. Kunst, Architektur, Religion, Philosophie usw.) enthalten immer noch zugleich den Verlust des Menschen, seine Selbstaufgabe, seine Abstraktion. Der Mensch ist objektiv in seiner Sachwelt wie auch subjektiv in seiner Gestalt noch nicht bei sich angekommen, suchend und sich bildend � und sich verlierend im Wachstum von Werten, die seinen Untergang betreiben, ihm Barbarei abverlangen. Wie die b�rgerliche Gesellschaft sachlich noch Welt und Bestimmtheit der Sachen gegen die Menschen bildet, so betreibt auch die b�rgerliche Kultur die Versachlichung menschlicher Erkenntnis, ihre Reduktion auf die Bed�rftigkeit und D�rftigkeit seines Daseins. Als Substanz der zwischenmenschlichen Beziehung ent�u�ert sich in ihr Sinn und Geist, Witz und Leidenschaft des Menschen zu einer �u�eren Kraft, die seine Verh�ltnisse eher bestimmen (in Recht, Sitte, Moral, Religion, Denkschablonen), denn befreien. Die Menschen verhalten sich einzeln mit Sinn und Geist, doch allgemein kommt auf sie ihr Verh�ltnis als Ent�u�erter Sinn, als �sthetik und Religion, als tote Form menschlicher Sinnlichkeit zur�ck.
Allgemein ist es die ent�u�erte zwischenmenschliche �sthetik, die Veranstaltungen der Sinnesreize, die aus den Menschen heraussetzt, was sie bewegt. Was sich r�hrt, das n�tzt dem allgemeinen Au�ersichsein, dem toten Zusammenhang von Gef�hlen, dessen Sinn die Lebensbeherrschung ist. Das macht Spa�, sofern sich das Leben darin verlieren kann und es macht Angst, wo der Moder der Leere darin aufscheint. Die Allgemeinheit selbstverst�ndlicher Gef�hle wird allerorten in ihrem Erleben aufgef�hrt wie ein Hauch der Unendlichkeit des b�rgerlichen Lebens. Im einzelnen und konkret werden sie zum Ma�stab und Bild des Menschen, das sich leben lassen soll wie eine Anweisung zur G�te, Nettigkeit, Frohsinn, Aufgeschlossenheit ... Jede Talk-Show ist voll davon und f�hrt vor, was nur Bild und Schirm sein kann. Es ist die H�sslichkeit des �sthetischen, sch�n sein zu m�ssen, auftreten zu k�nnen, sich zu veranstalten. Aber vom Standpunkt dieser Veranstaltungskultur (siehe Eventkultur) aus genommen, sind nur die anderen h�sslich. Zeitgeist in der Vorstellung des Lebens, Mode, die keinen Grund mehr hat, erzeugt Untergrund, Perversion, Amokl�ufer und Selbstm�rder (vergl. "Tod auf offener B�hne�). H�sslichkeit wird zu Hass und der wird zur Sache der Beherrschung, Selbstbeherrschung, Abgrund, Absturz. Jedenfalls hat es keine �ffentliche Verbindung zur allgemeinen Selbstgef�lligkeit in einer selbstgef�lligen Kultur. Der Hass wird zum B�sen und dieses zur Sache der Terrorismusbek�mpfung. Die b�rgerliche Kultur insgesamt ist das Prinzip, welches ein Menschenbild bef�rdert, das nicht leben kann, weil alle, die sich darin finden k�nnen, ihr wirkliches Leben vergessen m�ssen. Wo sie gelingt, da verschwindet jeder Sinn in Gesinnungen, die sich nur noch lebenspraktisch und als Meinung auch politisch umsetzen und einen Massemenschen bef�rdern, der sich gerne als Volksk�rper wiedererkennen wird (vergl. hierzu "Skizzen ...�).
Praktische Vorraussetzung hierf�r ist die Abtrennung der Menschen von ihrem wirklichen gesellschaftlichen Lebenszusammenhang, ihre Isolation in winzige Zellen, in denen sie sich ausschlie�lich selbstbestimmt erscheinen d�rfen � schlie�lich gibt es ja dort nichts anderes, als sie selbst. Als Ich-AG wird die abgrundtiefe L�ge total individualisierter Geldwirtschaft verbreitet � ein Widersinn in sich. W�hrend transnationale Konzerne nicht nur �ber den Gro�teil des zirkulierenden und angewandten Kapitals verf�gen, also bestimmen, vollstreckt jeder einzelne Mensch den Niedergang seiner Gesellschaftlichkeit durch die Aufmachung seiner �sthetischen Einzigartigkeit. Als diese Lebensbedingungen der b�rgerlichen Kultur entstehen Existenzen, in welcher die Selbstisolation so sehr �berwunden wird, dass sie unendlich notwendig ist. Was die Menschen in der Kultur sozusagen "einregelt", das ist der Selbstverlust durch den Gewinn an Allgemeingef�hl � das sind die Gef�hle, welche objektiv anerkannt, erw�nscht und gewollt sind. Von da her gibt es in der Kultur ein Regelwerk, welches allgemein �sthetisch funktioniert und dem die Menschen auch folgen m�ssen, um integraler Bestandteil dieser Kultur zu sein. Die Welt der Wahrnehmung und �sthetik errichtet insgesamt Gef�hle, die den Menschen nicht nur fremd sind, sondern in denen sie ihre Selbstentfremdung auch wirklich, also mit Wirkung leben. Wer in der Selbstentfremdung lebt, f�hlt sich nicht unbedingt fremd. Aber er oder sie f�hlt sich immer unangemessen, weil abstrakt abh�ngig von einem Sinn, den das Leben nie erf�llen kann, schuldig an dem, was nicht erkannt weren kann, was notwendig ungewiss bleibt. Hiergegen bilden viele Menschen auch Selbstbewusstsein, das seine Gewissheit aus der Beziehung zu sich selbst gewinnt und das zugleich den Tanz pflichtschuldigen Lebens beherrscht. Vielleicht finden manche auf diese Weise auch noch eine Selbstbezogenheit, die "gesellschaftsf�hig� ist, die auf andere "eingeht� und mit ihnen "umgeht� wie die Katze mit der Maus, wie die Farce einer Gesellschaft, die f�r sie keinen Sinn, daf�r aber Wirkung hat. Das gro�e Loch, das Kultur und Gesellschaft im Zusammensein der Menschen haben, kann nicht unendlich mit Selbstgef�hlen gestopft werden, welche die Menschen hierin noch gewinnen m�gen. Es erzeugt zwangsl�ufig sein Gegenteil: Die Selbstgewissheit derjenigen, die keine L�cher mehr f�llen wollen, weil sie selbst mit fremder Leere gef�llt worden waren. Hier entsteht die wirkliche Selbsterkenntnis, die Erkenntnis und Negativit�t objektiver Gef�hle, die wirkliche Grundlage ihres Strudels, ihrer Verz�ckung und ihrer Macht und die Besinnung auf den eigenen Sinn. Hier lebt der Teil der Menschen, der das Spiel nicht mitspielt, und der sich seiner selbst gewiss werden muss. Und hier wird diese Objektivit�t fremder Gef�hle auch wirklich empfunden, weil hier die selbstbestimmte Sinnlichkeit als Sinnlosigkeit von Gesellschaft und Kultur gewiss wird. Doch das �ndert noch nichts wirklich.
Objektive Gef�hle sind in Wirklichkeit Abstraktionen von Gef�hlen, unter denen sich Menschen zueinander verhalten, um ein Verh�ltnis zu bewahren, das ohne sie nicht ist. Es ist ein Verh�ltnis, in welchem Gef�hle miteinander und gegeneinander verkehren und sich auch selbst verkehren, wo sie ihren Grund in anderem � einzeln oder allgemein � haben. Als Lebensform ist dieses Verh�ltnis f�r die Selbstwahrenehmung n�tig. Aber es bedr�ngt zugleich die Menschen in ihrer Selbstwahrnehmung, wo sich ihre Integrit�t ausschlie�t, wo sie wirklich und wesentlich in ihrer Wahrnehmung verschieden sind, sich nicht in ihrer Wahrnehmung wahrhaben k�nnen. Objektiv gewinnen sie sich in solchem Gef�hl als Selbstgef�hl. Subjektiv haben sie Angst vor dem Selbstverlust, den ein Mensch erleidet, wenn er sich dieses Verh�ltnis nicht bewahrt. Der Mangel dieses Verh�ltnisses ist eben schon die Selbstverlorenheit, die darin auch empfunden wird. Das macht die Sache so schwer: Wer will sich schon verlieren, nur um sich nicht zu entfremden? Ist das gewonnen Selbst nicht besser als die Empfindung (und Erkenntnis) der eigenen Bodenlosigkeit? Ist das geflickte Selbstbewusstsein nicht besser als dieses Loch? Ist es nicht besser, an die L�ckenb��er zu glauben, als mit diesem Abgrund zu leben?
Aber dies hat eine Kehrseite. Wenn abstrakte Gef�hle der Abh�ngigkeit als Gef�hl einer Unterwerfung an eine Abstraktion begriffen sind, so beginnt etwas prinzipiell Neues: Die Auseinandersetzung mit den Menschen, die in diesem Lebensverh�ltnissen einbegriffen sind, die sich in dem erkennen m�ssen, als was sie sich bisher nur n�tzlich waren. Sie werden notwendiger Bestandteil der eigenen Welt und nur durch sie wird die Welt auch eigen. Das Begreifen der Kultur als fremde Objektivit�t erm�glicht ihnen die gemeinschaftliche Anerkennung als Mensch unter Menschen, durch die sie gegen die Macht der Abstraktion auch ohne Selbstgewinn leben k�nnen ohne dann Selbstverlust bef�rchten zu m�ssen. Das beinhaltet zweierlei: Zum einen setzt sich eine solche Grunderkenntnis gegen die Objektivit�t von Gef�hlen, die sich in der Kultur ausbreiten, d.h. die betroffenen Menschen arbeiten diese auf, um ihre darin entschwundene Subjektivit�t sich aneignen zu k�nnen, ihr Verwendetsein als Mensch, ihre Anwendung als Mensch in der Kultur aufzuheben. Zum anderen begr�nden sie ihre Anerkennung in einem konkreten Verh�ltnis, das sie als Aufhebung des alten, als Aufhebungsprozess gegen die kulturellen Allgemeinheiten leben wollen. Indem sie sich in ihrem Zusammenhang konkret verstehen wollen, wollen sie sich auch wissen, wie sie sich �u�ern, wollen ihre Gewissheit in ihrem konkreten Leben. In diesem Verlangen steht die Kritik des allgemeinen und abstrakten Willens der Kultur, der Kultur, wie sie sich allgemein verbreitet wissen will, der politischen Kultur. Die Kritik der politischen Kultur, die Kritik ihrer Form, wie sie sich gegen das wirkliche und konkrete Leben der Menschen wendet, ist daher auch die Grunderkenntnis des menschlichen Lebens inmitten seines Daseins. Es ist diese das nat�rliche Anliegen eines jeden Menschen, der sein Wesen durch seine Kultur aufgehoben sieht und sich von daher im Widerspruch zu ihrer Lebensform und Wahrnehmung erkannt hat.
Von da her gen�gt es nicht, sich in der Kultur weiterhin einzeln fortzubewegen; solche Erkenntnis hat unmittelbar einen gesellschaftlichen Charakter, die Gewissheit eines Lebenszusammenhangs der Menschen, auch in ihrem blo�en Sinnlichsein. In dieser Gewissheit werden sie auch Moment einer Geschichte, die sich nur verwirklichen kann, wenn sie einen Ort und Raum inmitten der anderen Kulturr�ume und auch im Bezug auf sie bekommt. Neu an diesem Ort ist lediglich eines: Dass er sich im Bezug auf die Kultur befindet, indem er sich von ihr unterscheidet, eigene Bestimmung im Unterschied zu seiner Bestimmtheit hat. Zugleich geht es hierbei um die Keime neuer Gesellschaftlichkeit, die Gesellschaft enthalten ohne schon Gesellschaft zu sein. Es geht daher nicht mehr nur um einzelne Menschen und auch nicht um die Ansammlung von einzelnen, sondern um eine gesellschaftliche Begeisterung, die sich in einem Zusammenhang von Menschen ausdr�ckt und best�tigt.
Es geht hier nicht um ein alternatives Leben (53), nicht um eine neue Familie, um eine kulturkritische Familie. Dies w�re sicher eine Sekte. Es geht um die Lebenszellen der Kultur, die sich nur als Teil des gesellschaftlichen Lebens so begreifen, wie sie auch seinem Zusammenhang entnommen ist. Der ganze Organismus hat viele Zellen. Es sind die Zellen vieler kleiner Wirklichkeiten, die auf eigenem Stoffwechsel beruhen, sich aber auch mit anderen Zellen austauschen und sich organisch entwickeln, wenn sie sich hierbei nicht entt�uschen, beziehungsweise wenn sie ihre T�uschungen, die Formbestimmtheit ihres Lebens �berwinden, indem sie lernen, einander zu erg�nzen.