Negative Identität

Aus kulturkritik

"Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, Ist wert, daß es zugrunde geht; Drum besser wär"s, daß nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz, das Böse nennt, Mein eigentliches Element." (Johann Wolfgang von Goethe: Mephisto in Faust 1, Studierzimmer.)

Ein Ganzes ist der Zusammenhang vieler Elemente eines eigenen Wesens, die Gesamtheit der Eigenschaften seiner vielfältigen Beziehungen.

"Der reiche Mensch ist zugleich der einer Totalität der menschlichen Lebensäußerung bedürftige Mensch. Der Mensch, in dem seine eigene Verwirklichung als innere Notwendigkeit, als innere Not existiert." (MEW 40, S.544).

in ihrer Gesellschaft - im Großen und Ganzen ihres Lebenszusammenhangs - entfalten die vielen darin bezogenen einzelnen Teile eine Kraft, die sie durch den mächtigen Zusammenhang ihrer organischen Inhalte, durch die Natur ihrer vereinzelten Existenzform erfahren, die ihnen über jede einzelne Erfahrung hinweg schon inne ist - nicht weil sie darin schon angelegt wäre, sondern weil sie erst im Zusammenwirken der voneinander getrennten einzelnen Inhalte, so dass die Wirklichkeit ihrer in sich selbst verdichteten Substanz sich äußerlich vermittelt wird und durch ihre allgemeine Form sich zu einer fremden Kraft entwickelt (siehe hierzu auch Entfremdung), die sich in ihrer Allgemeinform (siehe hierzu auch Wertform) selbständig verhält (siehe hierzu z.B. auch Warenfetischismus).

Der Zusammenhang vieler Elemente eines eigenen Wesens, die Gesamtheit der Eigenschaften seiner vielfältigen Inhalte verfestigen das Ganze seiner Verhältnisse. Es entsteht im Entzug einzelner Beziehungen - mit der Abstraktion ihrer Inhalte durch die Reduktion auf ihre Substanz eine Verdichtung ihres räumlichen Wesens in einer körperlichen Abstraktion, zur Einfältigkeit ihrer schieren Masse. So entsteht hierbei eine Kraft aus ihrer zunehmenden Nichtigkeit, die jedes Einzelne dahin treibt, ihre Form zu verallgemeinern, die aus dem Nichts ihres entleerten Zusammenhangs sprießt, zu einer Bestimmung durch ihre leereForm, zu einem Wesen der Abstraktion wird, die ihre verbliebenen Inhalte vereint und hierdurch zu einem dritten Wesen als Formbestimmung wirkt (siehe hierzu Dialektik). Durch die Isolation der Inhalte, durch die Auftrennung ihres Zusammenhangs entsteht aus ihrer ausgeschlossenen, aus ihrer negierten Beziehung die Macht einer negativen Identität, die über den Verlust ihrer Lebendigen Tätigkeit gegen sie mächtig wird, weil sie hieraus eine abstrakt allgemeine Wirksamkeit bezieht (siehe hierzu Tote Arbeit, Tote Wahrnehmung).

Adornos politische Philosophie hat sich durch ein besonderes Verständnis von Wahrheit und Identität begründet, woraus er den Begriff des Nichtidentischen als Kategorie einer Unwahrheit entwickelte, deren Kritik nur mit einer negativen Identität durch eine Negative Dialektik möglich sei, die das Falsche durch dessen Negation aufzulösen imstande wäre, weil eine negative Identität den Zuammenschluss, die Versöhnung des richtigen mit dem falschen Leben ausschließen und dem "beschädigten Leben" zu seiner Wahrheit durch die Revolutionierung des Bestehenden verhelfen könne, indem deren positive Begrifflichkeit durch eine negative Dialektik zu kritisieren wäre.

„Insgeheim ist Nichtidentität das Telos der Identifikation, das an ihr zu Rettende; der Fehler des traditionellen Denkens, daß es die Identität für ein Ziel hält […] Dialektisch ist Erkenntnis des Nichtidentischen auch darin, daß gerade sie, mehr und anders als das Identitätsdenken, identifiziert. Sie will sagen, was etwas sei, während das Identitätsdenken sagt, worunter etwas fällt, wovon es Exemplar ist oder Repräsentant, was es also nicht selbst ist.“ (Adorno 1966: 152, Negative Dialektik, Suhrkamp 1982)

Für sich genomen ist Wahrheit die Identität einer Erkenntnis von dem was ist, mit der Wirklichkeit seines Daseins, wie es im einzelnen und allgemeinen Sosein auch wirklich identisch bleibt und also wahr ist. Aber es ist eine Unwahrheit nicht einfach das Nichtidentische, wie es Adorno verstanden wissen will. Wesentlich für eine Befragung der Wahrheit ist die Feststellung, dass das Identische an sich schon einen Widersinn beinhaltet: Eine Wahrheit an sich gibt es nicht. Identität ist lediglich eine Reflektion der Erkenntnis gegen Täuschung und kann nur durch die Entdeckung vertauschter Inhalte sich bewähren. Und so kann das Gegenteil der Wahrheit nur ihre Fremdbestimmung durch vertauschte Inhalte sein, die sowohl politisch als gesellschaftliche Formationen des Warentauschs oder psychisch als Täuschung der Wahrnehmung von Menschen, die diese zur Selbstentfremdung bestimmen. Es handelt sich hierbei um ein inneres Verhältnis der Menschen zu sich und zu andern in zwischenmenschlichen Verhältnissen - und nicht um einen "Verblendungszusammenhang" einer zweckbestimmten Kommunikationsindustrie.

In die "Negative Dialektik" von Adorno geht diesbezüglich ein Missverständnis ein, welche die Negation überhaupt mit negativer Identität gleichsetzt und von daher ein falsches Leben, eine an sich seiende Falschheit für möglich hält. Die macht Dialektik aber zur Ontologie einer Wahrheit, die dadurch wäre, dass sie nicht sein kann - ein Widersinn in sich ist.

Es ist ein ähnlicher Widerspruch, den Hegel in der Logik des Werdens eingegangen war, als er die positive Wendung der Negation durch eine Negation der Negation als Zurückkommen auf ihre wahre Idealität, als die Selbstbejahung ihrer Fortbildung auf die durch und zu sich selbst erhobene Idee beschrieb, die sich darin allerdings nur verabsolutieren kann (siehe hierzu Idealismus). Ludwig Feuerbachs Kritik hieran war längst der Umkehrpunkt einer kritischen Philosophie, die Karl Marx ausführlich gewürdigt und diesen Widerspruch dem rein abstrakten Denken zugewiesen hat:

"Feuerbach faßt also die Negation der Negation nur als Widerspruch der Philosophie mit sich selbst auf, als die Philosophie, welche die Theologie (Transzendenz etc.) bejaht, nachdem sie dieselbe verneint hat, also im Gegensatz zu sich selbst bejaht.

Die Position oder Selbstbejahung und Selbstbestätigung, die in der Negation der Negation liegt, wird für eine ihrer selbst noch nicht sichere, darum mit ihrem Gegensatz behaftete, an sich selbst zweifelnde und darum des Beweises bedürftige, also nicht durch ihr Dasein sich selbst beweisende, als nicht eingestandne Position gefaßt und darum ihr direkt und unvermittelt die sinnlich gewisse, auf sich selbst gegründete Position entgegengestellt.

Aber indem Hegel die Negation der Negation – der positiven Beziehung nach, die in ihr liegt, als das wahrhaft und einzig Positive, der negativen Beziehung nach, die in ihr liegt, als den einzig wahren Akt und Selbstbetätigungsakt alles Seins – aufgefaßt hat, hat er nur den abstrakten, logischen, spekulativen Ausdruck für die Bewegung der Geschichte gefunden, die noch nicht wirkliche Geschichte des Menschen als eines vorausgesetzten Subjekts, sondern erst Erzeugungsakt, Entstehungsgeschichte des Menschen ist." (Marx in MEW 40, S. 569)

Diese Entwicklung des Gedankens vollzieht die Tautologie des religiösen Subjekts, welches immer nur aus sich heraustritt um zu sich zu kommen, das also in seiner Selbstbeziehung seine Erhabenheit über die Welt, als bürgerliches Subjekt die Überheblichkeit seiner Egozentrik durch seine Selbstgerechtigkeit praktisch abhandelt. Feuerbach (siehe hierzu auch Feuerbachthesen) ist von daher mit seiner Kritik an Hegel der erste wirklich materialistische Kritiker der Philosophie, deren theologischer Gehalt von ihm ausgewiesen und nachgewiesen wird.

"Feuerbach ist der einzige, der ein ernsthaftes, ein kritisches Verhältnis zur Hegelschen Dialektik hat und wahrhafte Entdeckungen auf diesem Gebiete gemacht hat, überhaupt der wahre Überwinder der alten Philosophie ist. Die Größe der Leistung und die geräuschlose Einfachheit, womit F[euerbach] sie der Welt gibt, stehn in einem wunderlichen Gegensatz zu dem umgekehrten Verhältnis.

Feuerbachs große Tat ist:

1. der Beweis, daß die Philosophie nichts andres ist als die in Gedanken gebrachte und denkend ausgeführte Religion; eine andre Form und Daseinsweise der Entfremdung des menschlichen Wesens; also ebenfalls zu verurteilen ist;

2. die Gründung des wahren Materialismus und der reellen Wissenschaft, indem Feuerbach das gesellschaftliche Verhältnis "des Menschen zum Menschen" ebenso zum Grundprinzip der Theorie macht;

3. indem er der Negation der Negation, die das absolut Positive zu sein behauptet, das auf sich selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete Positive entgegenstellt.

Feuerbach erklärt die Hegelsche Dialektik – (und begründet dadurch den Ausgang vom Positiven, vom Sinnlich-Gewissen) – folgendermaßen:

Hegel geht aus von der Entfremdung (logisch: dem Unendlichen, abstrakt Allgemeinen) der Substanz, der absoluten und fixierten Abstraktion. – D.h. populär ausgedrückt, er geht von der Religion und Theologie aus.

Zweitens: Er hebt das Unendliche auf, setzt das Wirkliche, Sinnliche, Reale, Endliche, Besondre (Philosophie, Aufhebung der Religion und Theologie).

Drittens: Er hebt das Positive wieder auf, stellt die Abstraktion, das Unendliche, wieder her. Wiederherstellung der Religion und Theologie" (Marx in MEW 40, S. 569 f)