Stimmenhören

Aus kulturkritik

In einer Stimmung reflektiert sich das Zusammenwirken von Gefühlen in zwischenmenschlichen Beziehungen in Bezug auf ihre Lebensbedingungen, die darin nurmehr über Personen vermittelt empfunden werden können. Es wirken darin personifizierte Bedingungen, die eine ihnen äußerliche Bedingtheit vermitteln (siehe hierzu Stimmung), soweit diese nurmehr unerkannt wahrgehabt wird und dem Bewusstsein mangels Urteilsvermögen entgangen ist. In den Familien und anderen Lebensburgen erzeugt die Stimmung der Beteiligten bei den Abhängigen eine Grundlage für die Sinnbildung ihrer Gefühle - die auch im Stimmenhören zutage treten kann, soweit ihr hierbei eine Bildung der eigenen Sprache durch den autoritären Charakter einer erzieherischen Beziehung verunmöglicht worden war. Denn nur wer seine Stimme findet, kann sich gesellschaftlich äußern. Ohne Sprache wird seine Wahrnehmung durch Stimmungen angestimmt, in denen sich Selbstgefühle wie die Bestimmung einer entäußerten Wahrnehmungsidentität durchsetzen und vergemeinschaften können (siehe hierzu auch Selbstentfremdung). In der Beziehung auf die Meinungsbildung fruchten hierdurch vor allem die Ressentiments des Populismus in der Verdichtung einer konsumtiven Lebenshaltung (siehe auch Kulturkonsum) als Einfalt einer auf sich reduzierten zwischenmenschlichen Masse.

Das Stimmenhören ist eine innere Wahrnehmung von Stimmungen, denen ein Mensch in einem Moment oder auch auf Dauer hörig ist. Diese Stimmungen sind der Empfindung entzogen, aber zugleich das "Reservoir" einer wahrnehmungsidentitaet, wenn die Wahrnehmung von ihrer Welt ausgeschlossen ist (z.B. wenn und solange sie überfordert ist, von dem, was sie wahr hat und also in Stress ist). Diese Stimmen formulieren meist Gebote, Belobigungen, Bezichtigungen oder Erfahrungen, die aus dem Gedächtnis der Selbstgefühle als Schlussfolgerungen in der Absicht der Psyche entspringen, ihre Identität gegen bedrohliche Wahrnehmungen zu bewahren. Sie lässt zwischenmenschliche Beziehungen widerscheinen, die sich als "innere Stimme" vergegenwärtigen, sich als tätige Erinnerung in Abwesenheit der Empfindungen für das äußern, was hiervon wahrgehabt, aber nicht wirklich wahrgenommen werden kann. Es sind also Vergegenwärtigungen von dem, was wirkliche Wahrnehmung verdrängen muss, um mit dem leben zu können, was ihre Verhältnisse bestimmt und zugleich bedroht (siehe auch Selbstentfremdung).

Das Stimmenhören ist ein Stimmungen hören, das sich als Stimme im Ohr wähnt. Von daher ist es auch als eine Form von Wahn zu verstehen. Ein Wahn ist - dem Traum ganz ähnlich - ein inneres Ereignis, das sich gegen die Wahrnehmung richtet, um ihr einen Sinn zu vermitteln gegen das, was sie nicht fassen kann. Er besteht aus den Empfindungen absolut gewordener Selbstgefühle, die eine Schutzmacht vor der wirklichen Wahrnehmung errichten, um die Panik, die sie verursachen würde, durch einen Eigensinn der Wahrnehmung, durch eine eigene Sensorik abzuwehren. Wer visuelle oder akustische Halluzinationen hat oder seinem Geruchsinn oder Tastsinn nicht mehr trauen kann, versetzt sich ob der Verwirrung, die ihn hierbei überkommen muss, in eine Eigenwelt, die seine innere Wahrmehmung, also das, was hinter allem Selbstgefühl für ihn wahr ist und verschafft sich aus ihrem Standort für seine Wahrnehmung innere Ereignisse, die sich gegen die äußeren richten. Es sind Inhalte die einen Eigensinn aufklären sollen, der in der Wahrnehmung nurmehr als Unsinn wahrgehabt werden kann. Zum Beispiel spricht in den Stimmen, die auf diese Weise gehört werden, die Macht einer Identität, die sich gegen eine hörigen Wahrnehmung wendet (siehe Hörigkeit), sich ein Gehör erzeugt für das, was sie nicht hören kann, was aber ihre Beziehung bestimmt.