Warenästhetik

Aus kulturkritik

"Die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, (hat) mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt." (MEW 23, 86)

Wo Wahrnehmung unabhängig von ihrem Gegenstand begriffen wird (siehe hierzu auch Phänomenologie), wo sie nur in der Anschauung und auch nur als diese erlebt wird, kann sie nicht wirklich gegenständlich sein. Hierdurch wird sie in ihrer Ästhetik als Gefühlbewertet (siehe auch Gefühlsurteil), das vor aller Empfindung da ist, das also ihre Abwesenheit zur Bedingung und zugleich zur Erinnerung hat, um für sie und anstelle ihres wirklichen Daseins zu stehen, ihr Gebrauchswert also zu einem gefühlten Nutzen wurde. Weil solche Wahrnehmung keinen Gegenstand erkennt, weil er nicht wirklich möglich, also nur unwirklich erscheint, weil sie also von ihm im Wesentlichen abgetrennt ist (siehe auch Wesensabstraktion), herrscht die Art und Weise vor, wie dieser sich anfühlt (siehe auch Haptik). Weil unmittelbar das, was auf solche Wahrnehmung wie ein bloßes Ereignis, wie vorgefunden wirkt, scheint sie schon als Selbstgefühl aus dem bloßen Erleben in der Wahrnehmung von Ereignissen herausobjektiven Wert zu haben - einfach weil ihr Gegenstand in dieser unmittelbaren Form nicht begriffen werden kann und rein ästhetisch bestimmt zu sein scheint.

Im Unterschied zum Warenfetischismus, der sich als Verkehrung des Bewusstseins durch den Warentausch zu einem notwendigen Schein der Geldform herausstellt und sich also als objektive Täuschung nachweisen lässt, wird mit einer warenästhetischen Interpretation des Warentauschs eine "Modellierung der menschlichen Sinnlichkeit" (Haug) beschrieben, wie sie durch den technischen Stand der Kommunikationsindustrie zum Zweck der Werbung für den Konsum (nach Adorno) bestimmt sein soll. Von daher war die Kritik der Warenästhetik mit einer Kritik der Technologie und der Konsumfixierung verbunden, die auch an den marxitischen Begriff des Warenfetischismus angelehnt war, sodass sich auch das bornierteste Bewusstsein mit einer Geisterwelt besonders begabter Intellektualität hervortun, und seine Subjektivität weiterhin auch mit der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie ganz dem Weltgeist Hegels verpflichtet fühlen konnte. Hierfür wird der Fetisch, der die Waren in "sinnlich-übersinnliche" Dinge verwandelt, wie ihn Marx aus der Geldform entwickelt hatte, zu einer besonders gearteten Psychologie des Bewusstseins als Vorwurf an die Menschen, dass sie durch das Geld "fetischisiert" seien - nicht weil sie es haben müssen, um leben zu können, sondern weil sie es haben wollen, weil sie seinem "Verblendungszusammenhang" erlegen seien, bzw. von seinem Glanz beherrscht, weil im Grunde wohl geldgierig wären. Der Fundamentalismus der Heideggerschen Seinsvergessenheit trifft hierbei auf die negative Dialektik der Kritischen Theorie.

Die Sache, die im Allgemeinen Gegenstand der Wahrnehmung ist, existiert unter der Bedingung des Geldbesitzes völlig gleichgültig gegen sie und doch für sie, durch ihren gesellschaftlichen Reichtum, aber beliebig in ihrer Nutzung. Und weil damit der ganze Warencharakter in seiner Sache schon vor aller Wahrnehmung begrifflos gemacht, also unbegreifbar für die Erkenntnis ist, hat und bestärkt er gegen solche Versuche des Begreifens seine Macht durch seine Abwesenheit. Wie in einem Himmel der Vorstellungen und Interpretationen lässt er die irdischen Verhältnisse unter sich. So sind auch alle Vorstellungen frei für beliebige Gefühle, durch die sie ästhetisch wirksam werden. Darin wirkt ihre Gegenständlichkeit auch in den Gedankenformen (siehe auch Gedankenabstraktion) rein ästhetisch als ein abwesendes, aber allen gemeines Wesen, das es nicht wirklich geben kann, weil es verkehrt nur erscheint, weil es die notwendige Erscheinung einer Verkehrung ist, die für sich steht, verselbständigt existiert, weil sie für die blanke Wahrnehmung auch wirklich selbständig und unabhängig ist. Und das lässt ihren Fetisch auch tatsächlich ästhetisch wirksam sein, ganz gleich ob für den Nutzen oder für die Werbung oder für irgendein Wertwachstum. Doch es sind keine reellen Gebraucheigenschaften und es ist kein wirklicher Sinn, der hierfür nötig ist. Es ist die Beliebigkeit der Wahrnehmung selbst, die für all dies nützlich sein kann.

"Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Tätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützliche Weise verändert. Die Form des Holzes z.B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne." (MEW Bd. 23, S. 85)

Es liegt an der Geldform, wodurch jede Ware darstellen kann, was ihr zugegeben, für irgendwelche Zwecke des Verkaufens zugetan wird. Sie macht ihren Wert zu einem gesellschaftlichen Wesen, das die Menschen durch seine Abwesenheit bindet, das sie auch faszinieren kann, weil sie dadurch alles gewinnen können, was sie für sich verloren haben. Es mag als Verkauskultur oder Kulturindustrie aufgefasst werden; aber es ist keine eigenständige Argumentation hierfür nötig. Trotzdem wurde die vielfach versucht und sogar die bürgerliche Psyche oder die "Angst im Kapitalismus" (Dieter Duhm) hieraus abgeleitet. Was die politischen Ökonomen seiner Zeit nicht klären konnten, fasste Marx in dieser Anwort zusammen:

"Woher entspringt also der rätselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es Warenform annimmt? Offenbar aus dieser Form selbst. Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten betätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte." (MEW 23, 86)

Die Warenästhetik ist eine verselbständigte Form der Wahrnehmung, wie sie durch die Abwesenheit von Geld als Kaufmittel im Geldbesitz des Zahlungsmitels kultiviert wurde. Hierdurch war der Sinn von seinem Nutzen getrennt worden und nur noch durch Menschen verkörpert, die im Kulturkonsum sich notgedrungen auf Waren beziehen, deren Nutzen ihnen gleichgültig ist. Und so war allerdings weder die politische Ökonomie dieses Verhältnisses, noch derssen politische Kultur zu begreifen. Und diese Begriffslosiglkeit hat eine lange Geschichte (siehe hierzu auch reaktionärer Marxismus).

Im Dialektischen Materialismus wurde die bürgerliche Kultur nicht als Form von einer bürgerlich bestimmten Kultur (siehe Formbestimmung) begriffen, sondern als bloßes Phänomen der kapitalistischen Produktion von sich ausgegrenzt und von ihrem Sinn abstrahiert (siehe auchabstrakt menschlicher Sinn). Hiergegen wurde in der einstigen Arbeiterbewegung eine proletarische Kultur gehalten, die den Klassenstandpunkt des industriellen Proletariats durch den gesellschaftlichen Nutzen seiner Arbeit und dadurch sich als gesellschaftliches Subjekt der Arbeit ausweisen könne. Es war die Grundlage für die Position, dass eine proletarische Revolution die Diktatur des Proletariats erstreben müsse. Doch weder war hierbei klar, warum es dafür überhaupt einer Kultur bedarf, wenn der Nutzen der Gebrauchswerte schon für sich sprechen könnte.

"Die gesellschaftliche Beziehung, in der ich {im Austausch von Privateigentum} zu dir stehe, meine Arbeit für dein Bedürfnis ist ... ein bloßer Schein, und unsere wechselseitige Ergänzung ist ebenfalls ein bloßer Schein, dem die wechselseitige Plünderung zur Grundlage dient. Die Absicht der Plünderung, des Betrugs liegt notwendig im Hinterhalt, denn da unser Austausch ein eigennütziger ist, von deiner wie meiner Seite, da jeder Eigennutz den fremden zu überbieten sucht, so suchen wir uns notwendig zu betrügen. Das Maß der Macht, welche ich meinem Gegenstand über deinen einräume, bedarf allerdings, um zu einer wirklichen Macht zu werden, deiner Anerkennung. Unsere wechselseitige Anerkennung über die wechselseitige Macht unserer Gegenstände ist aber ein Kampf, und im Kampf siegt, wer mehr Energie, Kraft, Einsicht oder Gewandtheit besitzt. Reicht die physische Kraft hin, so plündere ich dich direkt. Ist das Reich der physischen Kraft gebrochen, so suchen wir uns wechselseitig einen Schein vorzumachen und der Gewandteste übervorteilt den andern. Wer den andern übervorteilt, ist für das Ganze des Verhältnisses ein Zufall. Die ideelle, gemeinte Übervorteilung findet auf beiden Seiten statt, d. h. jeder der beiden hat in seinem eignen Urteil den andren übervorteilt. ...

Die einzig verständliche Sprache, die wir zueinander reden, sind unsere Gegenstände in ihrer Beziehung aufeinander. Eine menschliche Sprache verständen wir nicht, und sie bliebe effektlos; sie würde von der einen Seite als Bitte, als Flehen und darum als eine Demütigung gewußt, empfunden und daher mit Scham, mit dem Gefühl der Wegwerfung vorgebracht, von der andern Seite als Unverschämtheit oder Wahnwitz aufgenommen und zurückgewiesen werden. Sosehr sind wir wechselseitig dem menschlichen Wesen entfremdet, daß die unmittelbare Sprache dieses Wesen uns als eine Verletzung der menschlichen Würde, dagegen die entfremdete Sprache der sachlichen Werte als die gerechtfertigte, selbstvertrauende und sich selbst anerkennende menschliche Würde erscheint." (MEW 40, Seite 461)

Und es hat sich zugleich gezeigt, dass solche Kulturen, wo sie überhaupt kenntlich wurden, die gesellschaftliche Kraft der Gesamtarbeit, die niemals nur durch das industrielle Proletariat dargestellt war, eher denunziert, ihre Notwendigkeit totalisiert und daher auch den Nationalismus der Staatskultur eines Staatskapitalismus zur Folge haben muss, letzlich also irgendeine Version von einem natioalen Sozialismus mit sich bringt. Gegen einen solchen Kulturbegriff stand eine breite Strömung der Kritischen Theorie besonders durch die Kritik der instrumentellen Vernunft (Adorno und Horkheimer) auf und suchte Ästhetik begrifflich neu zu fassen. Schließlich ging es nicht nur um die Arbeit an sich, sondern auch um die Wahrnehmung dessen, was sie erzeugt, um ihre "Kehrseite", durch die gesellschaftliche Verkehrungen erst substanziell erkennbar werden, sich der Sinn ihres Nutzens erweisen kann.

Um den Mangel des Begriffs einer proletarischen Kultur auszugleichen oder auch gänzlich zu überwinden wurde die politische Ökonomie der Absatzkrisen bemüht, die ihre Überproduktion durch manipulative Verblendungen des Bedürfnisses nach Gebrauchswerten, die Erzeugung einer kollektiven Sucht durch eine manipulativ gesteigerte Gier nach Waren, die Bedürfnisse absättigen, die gar keine wahren Bedürfnisse sind, sondern im Verblendungszusammenhang einer durch eine Kommunikationsindustrie produzierten Bedürftigkeit ein "falsches Leben" entfalten würden (siehe auch Adorno), und hierdurch die Menschen selbst verfälschen würden. Wolfgang Fritz Haug hat diesen Standpunkt noch deutlicher ausgeführt:

"Die Abstraktion vom Gebrauchswert, Folge der und Voraussetzung für die Etablierung des Tauschwerts und des Tauschwertstandpunkts, bahnt entsprechenden Abstraktionen den Weg, macht sie eher theoretisch vollziehbar und macht sie vor allem verwertbar. Die funktionelle Leersteile, sozusagen die Systemnachfrage, ist also da, noch ehe die Fähigkeiten da sind, die sich sogleich in die Leerstelle hineinbilden werden. Eine dieser Abstraktionen wird für die Naturwissenschaften grundlegend sein: die Abstraktion von den Gebrauchswerten als Qualitäten."Wolfgang F. Haug, Kritik der Warenästhetik, Kursbuch 20, 1972)

Ästhetik wird hier als Folge einer Warenästhetik interpretiert, als "falscher Schein" verstanden, der sich aus einer Leerstelle der Systemnachfrage, also aus dem so genannten Realisationsproblem des Kapitals erklären ließe. Von daher sei sie das Resultat verfälschter Bedürfnisse nach Gebrauchswert, die in Wahrheit keine solchen wären, weil die Menschen hierdurch von den Kapitalinteressen selbst verfälscht würden. Das ist in einem doppelten Sinn unzulänglich: Es kann nicht erklären, warum Ästhetik selbst politisch funktioniert, z.B. massenpsychologisch zu popularisieren ist, ohne dass hierbei Dinge oder das Bedürfnis nach ihnen eine Rolle spielen. Außerdem entsteht der Warenfetischismus selbst schon aus einem notwendigen Schein, worin die Waren in ihrem gesellschaftlichen Verhältnis und Verhalten als das erscheinen, was sie auch wirklich sind: "Sinnlich übersinnliche Dinge" (Marx), die unwirkliche Wirklichkeit verkörpern, weil sie sich durch die Geldform unmittelbar allgemein im Verhältnis warenförmiger Sachen anziehen und von den Menschen abstoßen (siehe Entfremdung). Darin wird von ihrem konkreten Inhalt, ihrem Gebrauchswert selbst schon abgesehen, wodurch sich in dieser Form selbst schon ein gesellschaftliches Verhältnis der Menschen durch die abstrakte Vermittlung ihrer Produkte verbirgt (siehe abstrakt Allgemeines). Hieraus lässt sich immer ein Bewusstsein als Kritik dieser sachlichen Verhältnisse bilden, das aber nach der These einer Verfälschung der Bedürfnisse notwendig unmöglich wäre, weil sie die Bedürfnisse der Menschen kritisieren müsste. Die sind und bleiben aber gerade die substanziellen Grundlagen einer Kritik der politischen Ökonomie. Eine Kritik der Ästhetik muss also einen Sinn befragen, der sich selbst schon von seinem ökonomischen Inhalt, vom wirtschaftlichen Nutzen der Sachen, ihrem Gebrauchswert, abgetrennt hat, wodurch diese Abtrennung nach einer Kritik der politischen Kultur verlangt.

In Wahrheit ist ästhetisch lediglich eine Empfindung, die sich in ihrer Kultur formal dadurch bewahrheitet, dass sie sich durch die Wahrnehmung eines Gefühls vergegenwärtigt, in der sie sich ihrer Form nach ihrer Empfindung erinnert, sich mit ihrer gefühlten Erinnerung identifiziert, sich also formell durch das Bild verdoppelt, das sie hiervon hat. Von daher ist Ästhetik eine Einbildung. Für die Wahrnehmung wird sie über Reize vermittelt, in denen sich das Erinnerte als Empfindung schon in dem wahrhat, was sie in ihren Gefühlen im zwischenmenschlichen Erleben findet und befindet und sich daher wiederum auch als Gefühl bestärkt. Dies verschafft der Empfindung diese Dopplung, durch die sie im Gefühl schon bei sich ist, bevor sie außer sich sein kann und also ihre sinnliche Gewissheit durch das Gefühl verzaubert, den Sinn der Wahrnehmung durch eine Selbstwahrnehmung bestimmt, ihre Gefühle vor allem als Selbstgefühle wahrhat. Weil diese Wahrnehmung von da her ihren Gegenstand nicht als das erkennen kann, was sie von ihrer Lebensäußerung, ihrer Tätigkeit, wie auch der Tätigkeit der Menschen überhaupt, von ihrer Wirklichkeit wahrhat, ist sie selbst auch mächtig geworden - nicht bloß fantastische Einbildung durch Bilder der Erinnerungen, sondern mächtige Einbildung durch das Selbstgefühl, das für die ganze Wahrnehmung Wirkung hat, indem sie deren Gewissheiten entäußert, sie sukzessive entgegenwärtigt und beziehungslos macht.

Ästhetik ist eine Reaktion auf das Auseinanderfallen von Bild und Bedeutung, wie es durch die zwischenmenschlichen Beziehungen in den Verhältnissen des Geldbesitzes begründet ist. Sie soll Gefühle wahrnehmbar machen, die darin ihren Sinn verloren haben. Ästhetik begründet sich von da her aus der Verdichtung einer Erinnerung, in der dieser Sinn in seiner bloßen Form, also abstrakt von seinem Inhalt bewahrt ist. In dieser Form der Wahrnehmung wirkt sie ausschließlich durch ihre Gefühl in den Empfindungen und bleibt für sich ein bloßes Ereignis, das von dem abhängig ist, was sie nicht mit ihrem Leben durchdringen kann, was sie in ihrem Erleben aber für sich fühlt und im Gefühl schon kennt und das daher auf sie einen Eindruck macht, der zugleich ihre Tätigkeit im Wahrnehmen selbst erschöpft und isoliert.