Zwang
Gefühle entstehen in bestimmten Stimmungen und werden durch sie auch geweckt. Wo sie den Sinn ihrer Empfindungen verloren haben, kann dieser in seiner SinnAbwesenheit nur heimlich wirken. Und da verbleiben die SinnGefühle im Ungewissen, in einer unheimlichen Stimmung. Das Unheimliche ist eine Störung der Wahrnehmungsidentität und stellt von da her eine Gefahr für die Seele dar, die schließlich nur noch nach einer Gewissheit irgendwelcher Art verlangen kann. Dieses abstrakte Verlangen verselbständigt sich unter zunehmendem Druck (siehe auch Dichte) zu einem Zwang gegen die Ungewissheit um diese durch ein Verhalten oder durch Ereignisse über entsprechende Selbstgefühle eine Wahrnehmungsidentität – z.B. über körperlich inszenierte Empfindungen – herzustellen (siehe auch Ereignisproduktion). Eine allgemein gewordene Ungewissheit wird zunehmend zu einer allgemeinen Verunsicherung, und von da her zu einem Zwang gegen die Empfindung und bestimmt sie im totalisierten Verlangen nach irgendeiner Wahrnehmung bestimmter Reize (z.B. Schmerz, Furcht, Wut, Befriedung), die nach einen inneren Ausgleich durch eine hiervon bestimmte Selbstwahrnehmung verlangen, auch wenn diese ihren Inhalt nur verkehrt darstellen kann (siehe z.B. auch Perversion).
Ganz allgemein ist der Zwang das Verhalten einer Gewalt gegen die Selbstbestimmung, die Beherrschung des Lebens durch eine ihm äußerlich bestimmte Notwendigkeit (siehe z.B. auch Sachzwang). Darin kann Zwang nur eine mächtige Position gegen eine ohnmächtige ausüben, setzt also in einem bestimmten Verhältnis die Gegensätzlichkeit der Positionen voraus, in dem die eine mächtig durch eine andere ist, die ohnmächtig bestimmt ist. In einem unbestimmten Verhältnis entwickelt sich ein Zwang aus dem Widerspruch einer abstrakten Beziehung, in der die eine Seite über die andere bestimmen kann, weil sie allgemeiner begründet ist wie diese, ihr aber zugleich so äußerlich ist, dass sie sich an ihre Macht wie an eine Selbstverständlichkeit gewöhnen kann, wenn deren Objekt sich dem beugt (siehe hierzu auch autoritärer Charakter).
Es ist dann die Beugung des Lebens durch eine Not, die ihm an und für sich fremd ist und seine Entfremdung unmittelbar durch das Mittel dieser Gewalt, als ein ihm entäußerte Macht vollstreckt. Sie entsteht aus einer Not, die zum Zwang geworden ist, weil sie getrennt ist von ihrem Gegenstand und kann in dem enstprechenden Lebensbeziehungen (siehe symbiotische Selbstbehauptung) in einem Zwangsverhalten chronisch werden. Ihr Gegenstand ist dadurch verinnerlicht, dass er nicht mehr äußerlich erscheinen, also nur in seiner Abwesenheit wirksam sein kann. Er wirkt daher als verkehrte Not, als Negation von dem, was wirklich nötig ist, von ihm getrennt und abstrakt für sich. Solche in Zwang vertauschte Not hat sich gegen das Bedürfnis verkehrt, dem sie entsprang. Das macht sie zur stumpfen, zu einer verdummten Not, welche ihre Befreiung, ihre Emanzipation in einem Zwang sucht, der sie von ihrem Leben entfremdet und geradezu verhindert, was nötig ist.
Der politische Psychonalytiker Wilhelm Reich hat dargelegt, was Angst durch eine Blockade der innerpsychischen Beziehungen bewirkt und nannte deren Produkt "Charakterpanzerung". Gemeint ist damit die Verkehrung der Beziehung von Empfindungen und Gefühlen, wie sie auch bei Zwangsverhalten gewöhnlich ist, wenn ein Selbstverlust zu einer innerlichen Bedrohung geworden ist: Um Gefühle einer Lebensangst nicht aufkommen zu lassen, werden alle hierauf beziehbaren Empfindungen im Voraus durch das Selbstgefühl einer versteinerten Selbstbehauptung blockiert, bzw. formbestimmt und ihre wirkliche Wahrnehmung in den psychischen Selbstschutz einer toten Wahrnehmung transformiert.
Jedem Zwang ist eigentümlich, dass er diese Macht nicht aus ihrem Grund, also als erkennbar fremde Kraft vollzieht, sondern als bloße Macht der sich selbst vermittelnden Entfremdung, als Mittel der Selbsterhaltung in der Form der Selbstentfremdung Wirkung hat. Wer sich ihm nicht beugt, geht in der Unmittelbarkeit seines Lebens unter; wer also nicht in die begründete Vermittlung der Macht eintritt und sich gegen ihre Mittel Gewissheit verschafft, ist ihr als Einzelwesen unterlegen und kann seine Lebensangst nur im Vollzug gegen sie wissen. Sie wird hierdurch zu einem Wesen, das alle Gewissheit durch Angst beherrscht und wie ein seelisches Unwesen seine Kraft aus der bloßen Negation dieser Angst schöpft, die sie nur noch befrieden will. Empfindungen werden somit selbst bedrohlich, weil sie ein Gewiissheit vermitteln, die nicht mehr whr sein soll. Wo sich auf diese Weise die Selbstbeziehung eines Menschen von seiner Selbstgewissheit abgelöst hat und somit durch die Trennung der Empfindungen von ihren Gefühlen keine Wahrnehmungsidentität (siehe Wahrheit) mehr möglich ist, droht das Erkenntnisvermögen in sich zu zerfallen, sich selbst zu vernichten und so stellt sich eine - wenn auch äußere - Identität erst durch einen Zwang gegen die Empfindungen wieder her, die einen "inneren Zerfall" abwehren sollen. So erscheint Zwang dann auch psychisch (z.B. in Zwangshandlungen), die sich gegen den Identitätsverlust zu wehren versuchen (z.B. durch Waschungen, "Ritzen", Schreien, Bellen usw.), die sie als Gewalt gegen die Empfindungen einsetzen, um die Gefühle aus ihrer Angst herauszunehmen, sie also von bedrohlich gewordenen Ungewissheiten durch selbst erzeugte Empfindungen zu "erlösen".
Solche Befriedung ist die Herstellung einer Ruhe in Beziehungen, die schon in sich widersinnig und von daher unruhig sind. Sie ist also die Reaktion auf Unruhe, was immer sie ausmacht, weil sie bestimmungslos erscheint, bloße Erregung ist. Was widersprüchliche Regungen zu Erregungen verselbständigt, wird dadurch ihrem Sinn entzogen, dass das sich Regende ausgeschlossen oder vernichtet wird (siehe auch Psychopharmaka). Das kann auch eine Reaktion der Wahrnehmung selbst sein, die sich durch Unruhe bedrängt fühlt, also die Aktion einer Selbstwahrnehmung, die sich hiergegen erhebt und das Bedrängende durch hierfür geeignete Ereignisse selbst verdrängt, die dadurch zu einer zwingenden Absicht werden.
Wo die Seele sich zwingend geltend macht, also als Zwang gegen den Willen eines Menschen auftritt, gründet dies auf der Gefahr, die das Ungefähre für sie bedeutet und als Unbewusstes sich wie ein objektives Gefühl gegen die Wahrnehmungsidentität geltend macht. Die Seele verfolgt dann die Absicht, diesem Gefühl Folge zu leisten und alle Ereignisse zu kontrollieren, um eine unvermeidbare Gewalt aus dem Ungewissen gegen gegen sich abzuwenden. Diese liegt in der beständigen Möglichkeit eines Ereignisses, welches die Wahrnehmung auflöst, unvereinbar macht, ängstigt, und sie muss daher der beständigen Notwendigkeit, bestimmte Ereignisse herbeizuführen wie einem inneren Gewissen gehorchen, die solcher Möglichkeit entgegenstehen. Wenn ein Mensch z.B. beständig und gegen seinen Willen ordnen, waschen, zucken, reden oder bellen muss, dann widersetzt er sich der Möglichkeit von Gestaltung, Kontakt, Gesicht, Überzeugung oder Melodie. Er kontrolliert die Möglichkeit durch Verunmöglichung. Der Zwang ist eine entäußerte Selbstbehauptung, also eine Selbstbehauptung, die von selbst geschieht, wenn ein Mensch außer sich ist, und er ist außer sich, wenn das Unkontrollierte möglich wird.
Ein gewaltiger Aberglaube geht hierbei einher, eine Art Magie des Denkens, welche die Wahrnehmung in Bann hält, die sich nur durch Selbstvergegenwärtigung davon befreit. Das Reich der Möglichkeiten ist gewaltig und dem Gedächtnis als niederschmetterndes Reich fremder Sinnesmacht in Erinnerung. In der Erfahrung der eigenen Geschichte kann es die Macht von Ereignissen gewesen sein, die einen Lebensraum unmittelbar oder mittelbar entfremdet, die Beziehungen darin gegen sich verkehrt haben. Eine direkte gewaltsame Einwirkung reicht hierzu nicht aus, weil die Seele sich nur durch die Verkehrung von zwischenmenschlichen Beziehungen zu einer mächtigen Absicht gestaltet.
Der Zwang verläuft für sich in einem Zwiespalt der Empfindungen, die sich selbst auflösen, wenn sie nicht bezwungen werden. Er ist ihre abstrakt sich durchsetzende Notwendigkeit. Ohne Not kann er nicht entstehen, aber ihre Wendung erreicht er auch nicht. Er ist die abstrakte Notwendigkeit, die sich auf einen Druck reduziert. In dieser Reduktion verschwindet der Lösungsdruck eines Zwiespalts, der in die Form einer Selbstbehauptung geraten war. Damit hatte dieser eine äußere, eine abstrakte Identität bekommen, die als ununterschiedene Gewalt von Gegebenheiten auftritt, als reines Müssen, diese zu kontrollieren. Es ist die absolute Verkehrung eines Willens, der im Zweifel stand, weil er einen wesentlichen, lebensbestimmenden Zweck nicht erkennen konnte und sich als Bedenken aller möglichen Unwesentlichkeiten fortbestimmt.
Der Zwang für sich entwickelt einen Zirkelschluss der Isolation von Wahrnehmung, welche durch bloße, durch verselbständigte Selbstbehauptung bewirkt ist und sich darin fortbestimmt, Unwahrnehmbarkeit von dem zu erzeugen, was wahrgehabt wird. Er setzt isolierte Not voraus und bewirkt deren Ausschließlichkeit und Vereinseitigung in dem Maße, wie er sich gegen deren Erkenntnis entwickelt, also deren Lebensangst nicht erträgt und ihre Gefahr erfolgreich vermeidet. Es ist der Prozess einer ausgeschlossenen Erkenntnis, also einer Erkenntnis, die nicht sein kann, wenn ihr Ausschluss für eine Lebensform nötig ist, in welcher Ausschließlichkeit herrscht. Alles erscheint darin als gegeben und ist für sich schon bedrängend, weil es außer sich gerät, wenn daran gezweifelt wird. Subjektiv besteht sie hierdurch als ausschließlicher Selbstzweifel.
Zwang entwickelt sich in der seelischen Entwicklung aus Lebensangst, wie sie in isolierten Zwangsverhältnissen entsteht, in denen Leben nicht nur geborgen (siehe Lebensbergung), sondern vor allem auch verborgen ist. Durch Zwanghaftigkeit versuchen Menschen sich eine Gegenwart zu geben oder zu erhalten, welche ihnen einzige Gewissheit hiergegen ist. Weil die Wahrnehmung von Selbstgefühlen bestimmt sind, die alle Gewissheit verschlingen, sie zergehen lassen und absolute Leere erzeugen (siehe Nichts), sobald der Mensch damit alleine ist und sein Leben voller Angst wahrhat, muss er sich Empfindungen verschaffen oder herstellen oder erwirken, die sich diesen Gefühlen entgegenstellen (z.B. Putzzwang, Selbstverletzung, Rituale). So sie aus Stimmungen bestehen, hat die Beziehungsform keinen Einfluss auf ihr Auftreten; Zwangsverhalten tritt innerhalb der Beziehung zu Menschen auf, in der sich die Stimmung sich zwangsweise äußert (z.B. Tics, Stotern, Zwangsbellen).
Dem Zwangsverhältnis geht voraus, dass ein gemeinschaftliche oder familiärer Übersinn (z.B. Familiensinn) das Erkenntnisvermögen der Empfindungen aufhebt, indem sie deren Sinn in ihren Dienst stellt (siehe Logik der Kultur Teil 2). Zur Abwehr gegen ihre Identitätszerstörung verhalten sich die Empfindungen gegen die Wahrnehmung und treten in Widerspruch zu dem Selbstgefühl, das darin eingeschlossen ist. Dies bewahrt sich in einem Menschen als Identitätsangst seiner Wahrnehmung solange, bis die Anghst selbt zum Empfindungsgegenstand werden kann, der zu seinem Gefühl Verbindung findet. Unbewusst ist dabei lediglich das Gefühl, welches Angst macht.
Das Zwangsverhalten ist notwendig aus der Negation der Empfindsamkeit entstanden, welcher Gefühle hervorgerufen hat, in welchen das Gedächtnis alle Empfindungen kennt, welche Angst machen und deshalb ausgeschlossen sein müssen. Diese abgrenzende Kraft besteht als Position des Selbstgefühls fort und hat darin wesentliche Identität. Solche Empfindungen enthalten eine Beziehung zu anderen Menschen, die im Verhältnis zu ihnen ausgeschlossen ist. Empfindungen, die keinen Sinn mehr haben, zerfallen in Bestimmungen, welche in ihrer gegenseitigen Ausschließlichkeit die Identität der Wahrnehmung auflösen und eine Angst machen, welche das Selbstgefühl daher abwehren muss, um die darin verbliebene Identität zu bewahren und zu sichern. Ohne Empfindungen errichtet es eine Ordnung, die dieser Abwehr dient und sich allem Bemächtigt, was diesem Gefühl zur Selbsterhaltung dient. In der Zwanghaftigkeit von Gefühlen, Gedanken oder Handlungen beabsichtigt die Seele eine Selbstbehauptung einer isolierten Wahrheit, die sich gegen den Identitätsverlust wendet, der ohne diese Behauptung besteht. Der Zwang entspringt der Selbstverständlichkeit eines depressiven Lebensverhältnisses, das sich in der Sucht erhält. Der Zwanghafte Mensch lebt sich als Objekt dieser Sucht fort, indem er sich gegen sich selbst wehrt. Er will dem darin notwendig vollzogenen Selbstverlust durch Selbstvergegenwärtigung entgentreten und ihn zugleich ausfüllen wie erfüllen. Wird Zwang zu einem Verhältnis, in welchem Sucht erfüllt wird, kann der Mensch, der das Objekt dieser Sucht ist, wahnsinnig werden.